
Die Ausarbeitung einer Initiative zur Verankerung der Komplementärmedizin in der Schweizerischen Bundesverfassung begann vor viereinhalb Jahren. Engagierte Diskussionen wurden damals über das
Wörtchen „umfassend“ geführt. Sollte die Komplementärmedizin einfach nur in den Gesetzen und Verordnungen berücksichtigt werden, oder sollte dies umfassend geschehen, wie renommierte Staatsrechtler empfahlen.
Nun hat diese Nuance der später eingereichten Volksinitiative zum Durchbruch verholfen, indem sie der politischen Diskussion Spielraum bot. Das Parlament konnte so einer Variante zustimmen, die keine absolute Forderung enthält; es kam zum sprichwörtlichen Schweizer Kompromiss, einer mehrheitsfähigen Vorlage, die nun zur Abstimmung gelangt. Die Chancen sind intakt, dass das erforderliche Volks- und Ständemehr erreicht wird, welches für Änderungen der Bundesverfassung notwendig ist.
Volksinitiativen haben es in der Regel schwer: Seit Bestehen der Schweizerischen Bundesverfassung wurden ganze 15 Initiativen angenommen, das sind keine zehn Prozent. Gegenvorschläge des Parlaments – und um einen solchen handelt es sich bei der Abstimmungsvorlage „Zukunft mit Komplementärmedizin“ – haben es etwas leichter. Etwas mehr als ein Drittel, sechs an der Zahl, wurden bisher angenommen.
Sollte der Gegenvorschlag Zustimmung finden, hat dies für die Komplementärmedizin eine enorme Bedeutung und wird weit über die Landesgrenzen der Schweiz wahrgenommen werden. Insbesondere für die Staaten der Europäischen Union wird es eine Signalwirkung haben, aber auch für die USA.
In der Schweiz haben die Zusatzversicherungen für alternative Heilmethoden eine weite Verbreitung, weil es viele Tausend nichtärztliche Therapeuten gibt, deren Tätigkeiten nicht durch die gesetzliche Krankenversicherung bezahlt werden. Solche Zusatzversicherungen haben noch an Bedeutung gewonnen, seit im Jahre 2005 auch die ärztlichen komplementärmedizinischen Behandlungen von fünf Fachrichtungen aus der Liste der vergütungsfähigen Leistungen gestrichen wurden. Andererseits wurden mit diesem Entscheid ältere und kranke Menschen ohne entsprechende Zusatzversicherungen von vielen komplementärmedizinischen Leistungen ausgeschlossen.
Ein Ja zum Gegenvorschlag des Parlaments wird es möglich machen, die ärztliche Komplementärmedizin wieder in die Grundversicherung aufzunehmen. Es kann jedoch nicht genügend oft betont werden, dass sich damit an der Vergütung der nichtärztlichen Therapien nichts ändern wird. Denn einerseits haben die Therapeuten nie ein Interesse gezeigt, ihre Leistungen durch die gesetzliche Krankenversicherung vergütet zu erhalten, und andererseits ist auf Gesetzesebene der politische Wille dazu keineswegs erkennbar. Daher sollten diejenigen Versicherten, welche Zusatzversicherungen für alternative Heilmethoden abgeschlossen haben, diese auch nach einer allfälligen Annahme des Gegenvorschlags nicht kündigen.
Liebe Leserin, lieber Leser
Es bedarf riesiger Anstrengungen, den Abstimmungskampf zu gewinnen. Deshalb braucht es jede Stimme in diesem Land. Helfen Sie mit, dass die Stimmbeteiligung und die Zustimmung zur „Zukunft mit Komplementärmedizin“ möglichst hoch werden!
Christoph Oling
Für das Redaktionsteam