
Ist die Atmung beeinträchtigt, so ist stets der ganze Mensch beeinträchtigt, so beschreibt Schnürer (2011) die Auswirkungen von Atemwegserkrankungen auf den menschlichen Organismus. Bekommt ein Mensch keine Luft, so ist kein Raum mehr für anderes. Komplexe Abläufe oder das Abwägen von Konsequenzen scheinen kaum möglich. Dies ist die Motivation des interdisziplinären Teams der Klinik Arlesheim, Patientinnen und Patienten auch in diesen schwierigen Situationen bestmöglich zu begleiten und ihnen eine Perspektive für den Alltag zu geben.
Der nachfolgende Text beschreibt die Geschichte einer Patientin und eines Patienten der Klinik Arlesheim, die beide grosse Probleme mit der Atmung haben, wobei die Ursache für die Atembeschwerden unterschiedlich ist.
Ankommen
Frau Abt*, 65-jährig, tritt am Vormittag stationär ein. Sie wurde von ihrer Pneumologin (Lungenspezialistin) eingewiesen, die eine akute Verschlechterung der bereits vorbestehenden COPD, ihrer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung festgestellt hatte. Frau Abt wird im Rollstuhl sitzend von der Pflegenden empfangen und in ihr Zimmer begleitet. Sie wirkt kurzatmig und kann auf Fragen nur mit viel Mühe und Unterbrechungen antworten.
Herr Mund*, 85-jährig, tritt in Begleitung seiner Ehefrau über die Notfallstation am späten Nachmittag auf die Station ein. Er wird vom Team der Notfallstation im Rollstuhl in sein dortiges Zimmer gebracht. Bei der Übergabe erläutert die Pflegefachperson der Notfallstation, dass Herr Mund an einer akuten Verschlechterung seiner Herzinsuffizienz leidet und starke Ödeme, das heisst Wassereinlagerungen, in beiden Unterschenkeln hat. Herr Mund wirkt im ersten Moment kurzatmig und sehr schlapp, er hat bläulich verfärbte Lippen.
Aufnahme
Nachdem Frau Abt und Herr Mund in ihre Zimmer begleitet wurden, stellt das Pflegehelferteam ihnen eine warme Kanne Tee auf den Tisch und erfasst mit ihnen den Essensplan. Danach schaut die zuständige Pflegefachperson in beiden Zimmern vorbei und stellt sich vor. Sie führt das Eintrittsgespräch, bei dem auch die persönliche Situation der Patienten erfasst und dokumentiert wird.
Aus dem Gespräch mit Frau Abt lässt sich zusammenfassend festhalten, dass sie nach jeder kleinen Anstrengung lange Zeit benötigt, um sich zu erholen. Die Atemnot belastet sie sehr. Sie wirkt auf die Pflegefachperson sehr mager und hat einen sehr hellen Teint. Sie gibt an, dass sie kaum essen und trinken mag und in den letzten drei Jahren zunehmend an Gewicht verloren hat. Die Verschlechterung der Atmung sei in den letzten beiden Wochen aufgetreten. Das Ziel von Frau Abt ist es, wieder nach Hause zurückzukehren und dort die Einkäufe in der Strasse, an der sie wohnt, wieder selbständig erledigen zu können. Sie lebt in einer Wohnung, die via Lift erreichbar ist, und nimmt aktuell keine unterstützenden Dienste in Anspruch.
Gemeinsam mit der Patientin definiert die Pflegefachperson als erstes Ziel, dass Frau Abt in der Lage sein soll, die kurze Strecke vom Bett zum WC und retour zurückzulegen, ohne dass sie hinterher eine lange Erholungszeit benötigt. Auch notiert sich die Pflegefachperson, dass sie die Ernährung sowie die soziale Situation am Nachmittag mit dem zuständigen Arzt besprechen möchte. Zudem nimmt sie sich vor, die Einnahme der inhalativen Medikamente zu prüfen, da sie weiss, dass nahezu zwei Drittel der Personen die Inhalatoren nicht richtig benutzen.
Am frühen Nachmittag führen die Ärzte ihr Eintrittsgespräch und erheben die Anamnese. Sie verordnen neben den Medikamenten ein Ingwer-Fussbad am Morgen sowie eine Plantago-Brusteinreibung am frühen Abend. Etwas später bespricht die Pflegefachperson gemeinsam mit dem Arzt, dass für Frau Abt die Beratung durch das Care Management angeboten werden soll. Sie hat so die Möglichkeit, sich über Unterstützungsmöglichkeiten für zu Hause zu informieren und allfällig die nötige Hilfestellung zu erhalten, um diese Unterstützung in die Wege zu leiten.
Frau Abt erhält zudem eine Verordnung für eine kalorienreichere Kost, die beispielsweise durch hochkalorische Drinks erreicht wird. Die Küche der Klinik Arlesheim stellt diese Getränke selbst her. Die meisten Patienten mögen diese geschmacklich gerne und können ihre Kalorienaufnahme so gut steigern. Die Verabreichung der inhalativen Medikamente von Frau Abt soll während der nächsten beiden Tage gemeinsam mit der zuständigen Pflegefachperson erfolgen.
Am Abend erhält Frau Abt erstmals die Plantago-Brusteinreibung. Die Pflegefachperson beobachtet, dass sich die Atmung von Frau Abt während der Einreibung beruhigt, der Hustenreiz wirkt deutlich gelindert.
Da Herr Mund über den Notfall auf die Station eintritt, wird am Nachmittag ein kurzes pflegerisches Aufnahmegespräch im Beisein der Ehefrau geführt. Der Patient kann selbst kaum sprechen, weshalb seine Frau ihn sehr unterstützt. Sie berichtet, dass ihr Mann in den letzten Tagen immer schlechter Luft bekommen hat. Heute Morgen konnte er dann nicht mehr alleine aufstehen, weshalb sie die Ambulanz verständigt habe.
Im Gespräch fällt auf, dass die beiden Eheleute sich gut ergänzen. Herr Mund wirkt erleichtert, dass seine Ehefrau ihn im Gespräch unterstützen kann. Der Pflegefachperson fallen als Erstes die stark geschwollenen Unterschenkel von Herrn Mund auf. Er sitzt im Bett, da er eine flache Lagerung nicht toleriert. Seine Lippen wirken immer noch bläulich.
Die Pflegefachperson bespricht mit dem Ehepaar, dass Herr Mund nun erst einmal entlastet wird. Er erhält Unterstützung bei der Körperpflege sowie bei den Toilettengängen. Als Ziel halten sie gemeinsam fest, dass Herr Mund schnellstmöglich in sein gewohntes Umfeld zurückkehren kann. Er müsste hierfür in der Lage sein, kurze Strecken wieder selbständig zurückzulegen.
Frau Mund* spricht zudem an, dass sie interessiert wäre an einer Unterstützung für die Körperpflege ihres Mannes. „Wenn einmal in der Woche jemand kommen würde und das Duschen meines Mannes übernehmen könnte, würde uns das sehr helfen.“ Die Pflegefachperson notiert sich, dass sie für Herrn Mund eine Spitex-Anmeldung organisiert. Zudem möchte sie mit dem behandelnden Arzt besprechen, wie sie die Ein- und Ausfuhr der Flüssigkeitsmenge überwachen kann. Herr Mund trägt keine Kompressionsstrümpfe. Sie besch-liesst daher noch am Nachmittag, beide Beine zu wickeln, um das Herz zu entlasten. Sie nimmt wahr, dass Herr Mund sehr geschwächt ist. Vom Notfall wurde eine Aurum/Lavendel-Herz-Salbenauflage verordnet, die Herr Mund am Abend erhält.
Einfinden
An jedem Morgen berichtet die Nachtwache auffällige Situationen an den Frühdienst. Aus der vorangegangenen Nacht berichtet sie:
Herr Mund hat nur sehr wenig geschlafen. Er habe in der Nacht kontinuierlich Sauerstoff benötigt, und sie habe die Vermutung, dass er auch verängstigt war. Sie fragt, ob das Thema “Abschied nehmen“ evtl. eine Rolle spielen könnte, und bittet die Pflegefachperson, auf der Visite mögliche Reservemedikamente zu besprechen.
Zwischen 9 und 11 Uhr findet auf der Abteilung jeweils die Visite statt. Die Pflegefachpersonen fassen dabei die vergangenen 24 Stunden zusammen. Gemeinsam evaluiert das Behandlungsteam die Wirksamkeit der Medikation und der Äusseren Anwendungen, die Zielsetzung sowie den Ausblick.
Frau Abt hatte eine Nacht mit phasenweisem Schlaf, unterbrochen durch Hustenreiz, der sie plagte. Die Pflegefachperson konnte am Morgen die Einnahme der Medikamente beob-
achten und stellte fest, dass Frau Abt Mühe hat, ihr Dosieraerosol gleichzeitig zu drücken und einzuatmen. Sie vermutet daher, dass nicht die gesamte Medikation ankommt. Die Pflegefachperson erwähnt dies auf der Visite und bittet um die Verordnung einer Vorschaltkammer, damit Frau Abt ihr Dosieraerosol einfacher bedienen kann. Zudem berichtet sie, dass Frau Abt grosses Verlangen nach Nikotin hat und sich im Rollstuhl nach draussen begleiten lässt. Die Plantago-Einreibung am Abend wird beibehalten, da sie Frau Abt sehr gut getan hat. „Ich hatte für einen kurzen Moment Ruhe“, meinte sie bezüglich der Hustenanfälle.
Das Ingwer-Fussbad hat sie am frühen Morgen erhalten und als sehr angenehm erlebt. Ihre Füsse waren nach der Anwendung deutlich wärmer als zuvor. Es wirkt, als ob Frau Abt insgesamt gut auf der Abteilung angekommen ist.
Über Herrn Mund wird sorgenvoll berichtet, dass er kaum geschlafen hat. Die Beobachtungen der Nachtwache werden weitergeleitet. Eine Mobilisation aus dem Bett ist aktuell nicht möglich. Es ist unklar, in welche Richtung sich die Situation entwickeln wird. Alle sind sich im Klaren darüber, dass sie Herrn Mund bestmöglich entlasten möchten. Die Ehefrau ist schon am frühen Morgen da. Ihre Gegenwart wirkt sehr beruhigend auf ihn. Auf der Visite wird besprochen, dass am Morgen eine Beineinreibung mit Borago-Gel durchgeführt werden soll. Diese soll den Rücktransport des eingelagerten Wassers aus den Beinen unterstützen.
Stabilisieren
In den nächsten Tagen erhalten Frau Abt und Herr Mund zusätzlich zu den Medikamenten und Äusseren Anwendungen ein Therapieangebot. Frau Abt beginnt mit Heileurythmie, um die Atmung zu unterstützen, Herr Mund mit Musiktherapie, um ihm zu helfen, ruhig zu werden.
Am dritten Tag erhält Frau Abt Besuch vom Care Management. Sie besprechen, dass zuhause eine Unterstützung bei der Reinigung sehr hilfreich wäre. Zudem fragt das Care Management sie, ob sie an einem Austausch mit anderen Betroffenen interessiert wäre. Da Frau Abt wenig soziale Kontakte hat, ist sie sogar sehr interessiert. Durch das Care Management werden die Unterstützung im Haushalt organisiert und die Adressen für Selbsthilfegruppen abgegeben. Die Atmung von Frau Abt ist bereits am dritten Tag deutlich besser. Kurze Strecken kann sie wieder zurücklegen, ohne eine grosse Erschöpfung zu verspüren. Die Pflegefachperson setzt nun gemeinsam mit ihr ein neues Ziel: Sie läuft zweimal täglich von ihrem Zimmer bis zum hinteren Ausgang, ohne anschliessend ein starkes Erholungsbedürfnis zu verspüren. Zudem startet nun die Instruktion der neuen Vorschaltkammer. Frau Abt ist begeistert, dass sie nun nicht mehr das Spray drücken und gleichzeitig einatmen muss und ist zuversichtlich, dass sie zu Hause gut klarkommen wird. Um ihr weiterhin Sicherheit zu vermitteln, wird die Medikamenteneinnahme noch zwei weitere Tage unterstützt. Auf Anregung der Stationsärztin wird Frau Abt zudem in der Benutzung des Peak-Flow-Meters instruiert. Dieses Gerät kann sie dabei unterstützen, künftige Verschlechterungen rechtzeitig zu erkennen und zeitnah zu reagieren. Mit Frau Abt wird besprochen, dass sie voraussichtlich am Montag oder Dienstag nach Hause gehen kann.
Herr Mund ist auch am dritten Tag noch instabil. Die Ödeme in beiden Beinen sind rückläufig, die Atmung ist aber weiter stark eingeschränkt. Es ist inzwischen möglich, die Körperpflege am Bettrand durchzuführen. Die Pflegefachperson nutzt dies, um zusätzlich atemstimulierende Abstriche des Rückens zu integrieren. Hierfür verwendet sie Campher/Hypericum-Öl, welches durch die intensiven ätherischen Öle zusätzlich die tiefe Durchatmung anregen kann. Dies hilft, einem Infekt der Atemwege vorzubeugen. Herr Mund kann nun seine Bedürfnisse wieder etwas besser selbst formulieren. Die Nächte sind jedoch weiter stark von Angst dominiert. Zur Ruhe kommt er erst am Morgen, wenn seine Frau eintrifft.
Nach der Visite spricht die zuständige Pflegefachperson Frau Mund an, ob sie eventuell im Zimmer ihres Mannes übernachten wolle. Sie antwortet, dass sie dies gerne möchte, sich aber nicht getraut habe zu fragen. Am Abend zeigt die zuständige Pflegefachperson Frau Mund, wie sie die Aurum/Lavendel-Herzsalbenauflage anbringt, damit Frau Mund dies auch zu Hause weiterführen kann. Herr Mund verbringt eine erste ruhige Nacht. Aktuell ist nicht klar, wann er nach Hause austreten kann.
Nach Hause
Nach einer Woche intensiver therapeutischer Behandlung bespricht das Behandlungsteam am Montag mit Frau Abt, dass sie am darauffolgenden Morgen nach Hause gehen kann. Sie ist zuversichtlich, dass sie die Messung des Peak-Flows fortsetzen wird, und macht bereits einen Termin für eine erneute ambulante Konsultation ab. Sie möchte von zu Hause aus Kontakt mit der Lungenliga aufnehmen, um dort Austausch mit Menschen in ähnlichen Situationen zu finden. Der Tabakkonsum ist ein grosses Thema für sie. Aktuell sieht sie aber keine Möglichkeit, diesen zu beenden. Bevor sie nach Hause entlassen wird, erhält Frau Abt eine Liste mit ihren notwendigen Medikamenten sowie die Kontaktadresse der Lungenliga.
Herr Mund ist nach einer Woche in der Lage, die Körperpflege am Waschbecken durchzuführen. Sein Zustand bessert sich langsam. Er möchte am liebsten schnell wieder nach Hause. Auf der Visite bittet er das Behandlungsteam, eine Lösung zu suchen, um das zu ermöglichen. Nach Rücksprache mit dem Care Management benötigt die Spitex ungefähr drei Tage Vorlauf, sodass der Austritt auf den Donnerstag geplant wird. Das Pflegeteam bespricht nun mit der Ehefrau, welche Unterstützung sie genau benötigt. Einen Tag vor dem Austritt erstellt die zuständige Pflegefachperson einen Austrittsbericht, der gemeinsam mit der Medikamentenliste an die Spitex übermittelt wird. Da die Beine noch weiter geschwollen sind, wird Herr Mund täglich Besuche durch die Spitex erhalten, um die Beine neu zu wickeln. Sobald diese weniger geschwollen sind, soll er Kompressionsstrümpfe erhalten, welche speziell auf ihn angepasst sind.Frau Mund ist zuversichtlich, dass sie und ihr Ehemann durch die neue Unterstützung zu Hause gut zurechtkommen werden. Sie führt seit zwei Abenden die Salbenauflage unter Anleitung der Pflegefachperson durch und möchte diese zu Hause fortsetzen. Zudem möchte sie der Spitex mitteilen, dass sie die Beine mit Borago-Gel einreiben, bevor sie sie einwickeln. Das Pflegeteam organisiert einen Transport für Herrn Mund, mit dem er bis in seine Wohnung gebracht wird, um seine Frau möglichst wenig zu belasten.
Wie weiter?
Frau Abt sehen wir ungefähr einmal pro Jahr wieder, meistens wenn sie einen Infekt der Atemwege hat, den sie alleine nicht bewältigen kann. Sie ist im Medikamentenmanagement viel sicherer geworden.
Frau Mund schreibt uns 6 Monate nach dem Austritt ihres Mannes aus der Klinik in einer Karte, dass er zu Hause friedlich entschlafen ist.
An den beiden Beispielen, die sich an realen Situationen orientieren, wird deutlich, dass sowohl die Ursachen einer Atemnot als auch die Bewältigung und die Einflussfaktoren sehr individuell sind. Reichte es für Frau Abt, sie mit Therapien zu unterstützen, um ihre Lebenskräfte anzuregen, so benötigte Herr Mund die Gegenwart seiner Frau, um wirklich Vertrauen zu schöpfen.
Die Betreuung der Patienten auf der Station wird stets im interprofessionellen Team gestaltet. Durch das Zusammenspiel von Ärzten, Pflege, Care Management, Küche und vielen weiteren Stellen innerhalb der Klinik ist es möglich, eine Behandlung individuell auf den Patienten abzustimmen.
*Namen von der Redaktion geändert
Literatur:
Schnürer, C. (2011). Asthma und COPD. Menschenkundliche Grundlagen für eine rationale Diagnostik und Therapie. Der Merkurstab, 64(5), 384–391.
Öztürk, C., Aldag, Y., & Yilmaz Demirci, N. (2017). Evaluation and importance of different types of inhaler device in patients with chronic obstructive disease. Tuberk Toraks, 65(2), 69–79.
Biswas et al. (2017). Measuring Competence in Metered Dose Inhaler Use Using Capmedic electronic Inhaler Monitoring Tool, Chest, 150(4), 11a.
Fachperson |
Sara Kohler |
Arbeitsschwerpunkte | MscN, MAS, RN – Leitung Pflege Innere Medizin. Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin am Diakonissen- krankenhaus Karlsruhe-Rüppurr. Seit 2011 in verschiedenen Rollen in der Klinik Arlesheim. 2016 Master of Advanced Studies in onkologischer Pflege. 2019 Master in Pflegewissenschaften. |
Kontakt | sara.kohler@klinik-arlesheim.ch |