Wenn das Lebenselixier erkrankt ist

Das Fach­ge­biet der Häma­to­lo­gie befasst sich mit dem Blut und des­sen zahl­rei­chen For­men von Stö­run­gen und Erkran­kun­gen. Die Anthro­po­so­phi­sche Medi­zin behan­delt Blut­krank­hei­ten auf der Grund­la­ge des aktu­el­len schul­me­di­zi­ni­schen Wis­sens, erwei­tert mit einem mehr­schich­ti­gen The­ra­pie­kon­zept.

Blut ist nicht nur ein zen­tra­les Ele­ment für die Gesund­heit des mensch­li­chen Kör­pers, es hat für die Mensch­heit seit jeher auch mythi­sche und sym­bo­li­sche Bedeu­tun­gen. Blut hat auch einen unmit­tel­ba­ren Zusam­men­hang mit unse­rem Ich. Wir erblei­chen vor Schreck oder Errö­ten vor Scham – dabei wird das Blut ins Zen­trum zurück­ge­zo­gen oder in die Peri­phe­rie gepresst.

Das Blut hat aber vor allem lebens­wich­ti­ge Funk­tio­nen: Es ver­sorgt den Kör­per bis in die feins­ten Ver­äs­te­lun­gen des Gefäss­sys­tems mit Sauer­stoff. Es hilft Krank­heits­er­re­ger abzu­weh­ren und regu­liert die Blut­ge­rin­nung und den Trans­port von Abbau­stof­fen des Kör­pers.

Blut­krebs — ein emo­tio­na­les und angst­be­haf­te­tes The­ma

Die Häma­to­lo­gie beschäf­tigt sich mit einem gros­sen Spek­trum von Stö­run­gen und Erkran­kun­gen des Blu­tes und deren Behand­lungs­mög­lich­kei­ten (sie­he Kas­ten­text). Zu den bekann­ten nicht bös­ar­ti­gen Blut­krank­hei­ten gehö­ren bei­spiels­wei­se ver­schie­de­ne For­men der Blut­ar­mut, Throm­bo­se­nei­gun­gen, aber auch die ange­bo­re­ne (ver­erb­te) Blu­ter­krank­heit: Hämo­phi­le leben mit einem gros­sen Risi­ko von Blu­tun­gen.

Beson­ders bedroh­lich wir­ken bös­ar­ti­ge Erkran­kun­gen die­ses Lebens­eli­xiers. Der Blut­krebs berührt und bedroht das Leben Betrof­fe­ner häu­fig auf beson­ders tie­fe Wei­se. Rai­ner Maria Ril­ke, der selbst jah­re­lang an einer chro­ni­schen Leuk­ämie litt, beschrieb dies so: „Ich steh im eig­nen Blut, im Fol­ter­bad des eig­nen Bluts, dar­in auf ein­mal wach und feind­lich aus­ge­ruht, so vie­les wirrt und wühlt, was ich nicht bin.“

Anthro­po­so­phi­sches Behand­lungs­kon­zept

Das Gesamt­kon­zept führt die Behand­lungs­me­tho­den einer kom­pe­ten­ten Schul­me­di­zin und einer eben­so kom­pe­ten­ten Kom­ple­men­tär­me­di­zin auf dem Boden der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin zusam­men. Die­se ver­steht sich gera­de nicht als Alter­na­tiv­me­di­zin, son­dern als erwei­ter­te, kom­ple­men­tä­re, auf den Grund­la­gen der Schul­me­di­zin auf­bau­en­de Medi­zin. Eine Che­mo­the­ra­pie kann des­halb für mich als anthro­po­so­phi­schen Arzt ein wesent­li­cher Teil der Behand­lung sein. Wenn man Krebs als einen aus­ser Kon­trol­le gera­te­nen Natur­pro­zess ver­steht, kann Che­mo­the­ra­pie wie eine Not­brem­se wir­ken, die den Tumor ein­dämmt; dadurch wird ein nächs­ter Schritt über­haupt erst mög­lich.

Ganz­heit­li­che The­ra­pie regt die Selbst­hei­lungs­kräf­te an

Falls sinn­voll und erfor­der­lich, füh­ren wir Che­mo-, Hor­mon- und/oder Anti­kör­per­the­ra­pi­en gemäss neu­es­tem medi­zi­ni­schem Wis­sen­stand durch, erwei­tern aber eine sol­che The­ra­pie durch das anthro­po­so­phi­sche Behand­lungs­kon­zept. Die­ses umfasst medi­ka­men­tö­se The­ra­pi­en aus dem gros­sen Schatz der anthro­po­so­phi­schen Phar­ma­zie. Die Mis­tel­the­ra­pie ist dabei eine wesent­li­che, wenn­gleich bei wei­tem nicht die ein­zi­ge Behand­lungs­mög­lich­keit. Wei­te­re Bestand­tei­le sind künst­le­ri­sche The­ra­pi­en (Hei­leu­ryth­mie, Mal- und Musik­the­ra­pie) und Äus­se­re Anwen­dun­gen wie Rhyth­mi­sche Mas­sa­gen, Bäder, Wickel und Ein­rei­bun­gen.

Ein beson­de­res Augen­merk rich­tet der anthro­po­so­phi­sche Arzt auf den Wär­me­haus­halt; denn ein häu­fi­ges Phä­no­men bei Krebs­er­kran­kun­gen ist, dass die phy­sio­lo­gi­sche Tem­peraturrhythmik (die inner­halb eines Tages natür­lich an- und abstei­gen­de Kör­per­tem­pe­ra­tur) auf­ge­ho­ben ist. Die Wärme­or­ga­ni­sa­ti­on wie­der zu regu­lie­ren, gehört des­halb eben­falls zum Kon­zept. Im Sin­ne eines salutoge­netischen Ansat­zes geht es dar­um, zu jedem Zeit­punkt das kör­per­li­che, see­li­sche und geis­ti­ge Ent­wick­lungs­po­ten­zi­al zu unter­stüt­zen.

Der Ent­scheid für die indi­vi­du­ell ange­mes­se­ne The­ra­pie

Die Dia­gno­se einer lebens­be­droh­li­chen Krank­heit löst bei vie­len Betrof­fe­nen zunächst oft einen Schock aus. Die Ereig­nis­se über­schla­gen sich, man wird mit einer frem­den medi­zi­ni­schen Welt kon­fron­tiert. Oft berich­ten Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten, dass sie kei­ne Zeit und Ruhe haben, um zu sich zu kom­men. Gleich­zei­tig wer­den von ihnen Ent­schei­dun­gen ver­langt, die häu­fig zu den schwie­rigs­ten im Leben zäh­len.

Als Arzt ver­ste­he ich mich dabei zunächst als Dienst­leis­ter, der hel­fen soll, Betrof­fe­ne so zu infor­mie­ren, dass sie für eine eige­ne Ent­schei­dung in einem ihnen frem­den Gebiet kom­pe­tent wer­den. Dadurch kann sich die Pati­en­tin, der Pati­ent, für oder gegen eine Behand­lung ent­schlies­sen, hin­ter der er oder sie ste­hen kann. Aber auch ich als Arzt muss eine The­ra­pie mit­tra­gen kön­nen. Ich akzep­tie­re einen mit Bedacht gefäll­ten Pati­en­ten­ent­scheid, neh­me mir aber auch das Recht, für mich zu ent­schei­den, ob ich mit dem Pati­en­ten den gewähl­ten Weg, ethisch und medi­zi­nisch über­zeugt, mit­ge­hen kann.

Häma­toon­ko­lo­gi­sches Ambu­la­to­ri­um im Para­cel­sus-Spi­tal Rich­ters­wil

Seit Herbst 2007 betreut ein spe­zia­li­sier­tes Team im Para­cel­sus-Spi­tal Rich­ters­wil im neu geschaf­fe­nen häma­to-onko­lo­gi­schen Ambu­la­to­ri­um Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mit Blut­krank­hei­ten und soli­den Tumo­ren.
Die Dia­gnos­tik schliesst moder­ne Labor­dia­gnos­tik aus Blut und Kno­chen­mark und bild­ge­ben­de Ver­fah­ren ein. Eine enge und inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit mit den Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen der Chir­ur­gie, Gynä­ko­lo­gie und
Uro­lo­gie am Para­cel­sus-Spi­tal ist für die Dia­gnos­tik und The­ra­pie­pla­nung wesent­lich. Zusätz­lich ste­hen wir bei kom­ple­xe­ren Fra­ge­stel­lun­gen in enger Zusam­men­ar­beit mit einem gros­sen Zen­trums­spi­tal.

Die Behand­lung fin­det vor­wie­gend ambu­lant statt. Sie beinhal­tet falls erfor­der­lich Che­mo-, Hor­mon- und Anti­körpertherapien sowie Blut- und Blutplättchentrans­fusionen. Erwei­tert wird sie durch das ange­führ­te anthro­po­so­phi­sche Behand­lungs­kon­zept.

Falls eine sta­tio­nä­re Behand­lung erfor­der­lich wird, wer­den die Pati­en­ten vom glei­chen Team wei­ter behan­delt. Damit bleibt die Kon­ti­nui­tät in der The­ra­pie und der mensch­li­chen Bezie­hung erhal­ten.

Autoren76

Fach­per­son Dr. med. Micha­el Decker
Arbeits­schwer­punk­te Dr. med. Micha­el Decker, Fach­arzt Inne­re Medi­zin und Häma­to­lo­gie FMH, Tätig­keit von 1998 bis 2007 am Kan­tons­spi­tal Bru­der­holz und am Uni­ver­si­täts­spi­tal Basel in den Berei­chen Inne­re Medi­zin, Häma­to­lo­gie und Onko­lo­gie. Berufs­be­glei­ten­de Aus­bil­dung in Anthro­po­so­phi­scher Medi­zin. Seit 2007 Auf­bau des häma­toon­ko­lo­gi­schen Ambu­la­to­ri­ums am Para­cel­sus-Spi­tal Rich­ters­wil.
Kon­takt michael.decker@paracelsus-spital.ch

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