Weichen stellen

Dr. med. Alen­ka Mar­koc arbei­tet seit sechs Jah­ren als Haus­ärz­tin am
Ita Weg­man Ambu­la­to­ri­um Basel. „Quinte“-Redaktorin Vere­na Jäsch­ke sprach mit ihr über ihren Wer­de­gang in der Medi­zin und ihre Arbeit im Ambu­la­to­ri­um.

Frau Dr. Mar­koc, war­um woll­ten Sie Ärz­tin wer­den?

Ich woll­te mög­lichst viel über den Men­schen wis­sen, des­halb habe ich Medi­zin stu­diert – in mei­nem Hei­mat­land Kroa­ti­en. Nach den ers­ten vier Jah­ren mach­te ich ein Prak­ti­kum in einem Spi­tal. Dabei wur­de mir klar, dass ich aus dem Stu­di­um her­aus zwar enorm viel Wis­sen ange­häuft hat­te, aber nicht wuss­te, wie ich mit den Pati­en­ten und ihren Lei­den umge­hen soll­te. Ich war nicht aus­ge­rüs­tet, wirk­lich Ärz­tin zu sein. Das war für mich sehr ernüch­ternd. Mir fehl­ten Ant­wor­ten, wie ich sie in der Lite­ra­tur ent­deck­te. Ich hat­te den Ein­druck, gros­se Dich­ter, wie Shake­speare oder Goe­the, kann­ten sich viel bes­ser mit der Viel­fäl­tig­keit der mensch­li­chen Natur und ihrem See­len­ge­flecht aus als die Ärz­te.

Wie gin­gen Sie mit die­ser Situa­ti­on um?

Ich war kurz davor, das Medi­zin­stu­di­um auf­zu­ge­ben. Dann bin ich zufäl­lig in Zagreb auf eine Grup­pe von Men­schen gestos­sen, die heim­lich – es war noch vor dem Ende des kom­mu­nis­ti­schen Regimes – einen Wal­dorf­kin­der­gar­ten geführt haben. Die­se Men­schen, die dort mit den Kin­dern arbei­te­ten, wuss­ten, was sie tun! Sie hat­ten eine ande­re Hal­tung, das war für mich deut­lich spür­bar. Ein Vor­trag zur Wal­dorf­päd­ago­gik, der auch die Kin­der­krank­hei­ten the­ma­ti­sier­te, über­zeug­te mich zusätz­lich und eröff­ne­te mir einen neu­en Hori­zont. Ich erfuhr, dass es auch eine ande­re Medi­zin gibt. So bekam ich wie­der Hoff­nung.

Was haben Sie dar­aus gemacht?

Mit einer Grup­pe von jun­gen Men­schen, die in Zagreb die anthro­po­so­phi­sche Päd­ago­gik auf­bau­ten, kam ich Anfang der 90er Jah­re an eine Faust-Jugend­ta­gung am Goe­thea­num in Dor­n­ach. Die The­ma­tik von Gut und Böse in der Welt war für uns in die­ser Zeit sehr wesent­lich – kurz dar­auf began­nen die bewaff­ne­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen in mei­nem Hei­mat­land. Wäh­rend des Kriegs konn­te ich an der Lukas Kli­nik* eine fünf­wö­chi­ge Ein­füh­rung in die Anthro­po­so­phi­sche Medi­zin erhal­ten. Ich habe mein Stu­di­um been­det und mei­ne Fach­arzt­prü­fung in Kroa­ti­en abge­legt. In die­ser Zeit habe ich mich selb­stän­dig mit Inhal­ten der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin aus­ein­an­der­ge­setzt. Das Selbst­stu­di­um hat mei­ne Ein­sicht bestärkt, dass es eine Medi­zin braucht, die nicht nur mit „Symptomkontroll“-Konzepten arbei­tet, son­dern eine Medi­zin, die indi­vi­du­ell auf jeden Men­schen ein­geht, und dass es ganz auf die ärzt­li­che Hal­tung dies­be­züg­lich ankommt.

Seit wann sind Sie in der Schweiz?

Das Leben führ­te mich 2001 in die Schweiz. Mein Fach­arzt­ti­tel reich­te hier nicht aus, und so wie­der­hol­te ich die­Fach­arzt­aus­bil­dung. Ich kam zunächst als Assis­tenz­ärz­tin in die Ita Weg­man Kli­nik*. Hier woll­te ich erfah­ren, wie die Anthro­po­so­phi­sche Medi­zin in der Pra­xis wirkt. Wie lässt sie sich im medi­zi­ni­schen All­tag umset­zen? Ist sie wirk­sam? Ich habe in der Zeit enor­me Impul­se für mei­ne ärzt­li­che Aus­bil­dung erhal­ten, unter ande­rem konn­te ich für einen Monat in der Heil­mit­tel­her­stel­lung der Wele­da AG arbei­ten.

Was bewog Sie, erneut eine Fach­arzt­prü­fung abzu­le­gen?

Ich woll­te mich in der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin wei­ter aus­bil­den. Mir war klar, dass dafür eine fun­dier­te Fach­aus­bil­dung wesent­lich ist, des­halb habe ich in der Schweiz die Fach­arzt­aus­bil­dung wie­der­holt. Für mich ist bei­des wich­tig, und es braucht eine Brü­cke zwi­schen bei­dem, es braucht die Ver­bin­dung von Schul­me­di­zin und der Ergän­zung durch die Anthro­po­so­phie. Wenn ich bei­des kann, kann ich auch bei­des für den Pati­en­ten ver­wen­den.
Diver­se Sta­tio­nen haben mich bis zur Fach­ärz­tin geführt, so arbei­te­te ich im Para­cel­sus-Spi­tal Rich­ters­wil, im Herz­zen­trum in Bern, einer Per­ma­nence der Ber­ner Hirs­lan­den­grup­pe, im REHAB Basel und im Adullam Spi­tal in Basel. Im Umgang mit beein­träch­tig­ten Men­schen aller Alters­stu­fen im Son­nen­hof Arle­sheim habe ich gelernt, wie stark in jedem Men­schen gesun­de Kräf­te leben, die man akti­vie­ren kann.
Nach der Fach­arzt­prü­fung habe ich mich ganz bewusst auf die Anthro­po­so­phi­sche Medi­zin kon­zen­triert und drei Jah­re in der Onko­lo­gie gear­bei­tet, in der Lukas Kli­nik. Als ich Mut­ter wur­de, habe ich mein Pen­sum redu­ziert und bin gern auf das Ange­bot ein­ge­gan­gen, im Ita Weg­man Ambu­la­to­ri­um als Haus­ärz­tin zu arbei­ten.

Als Haus­ärz­tin sind Sie eine Spe­zia­lis­tin für alles
– wer kommt zu Ihnen?

Es sind vor allem Men­schen, die eine inte­gra­tiv­me­di­zi­ni­sche Behand­lung suchen und somit einen Haus­arzt, der die moder­ne Medi­zin beherrscht, sich am Indi­vi­du­um ori­en­tiert und die kör­per­ei­ge­nen Res­sour­cen ein­zu­set­zen und die Selbst­hei­lungs­kräf­te in der Behand­lung zu unter­stüt­zen ver­mag. Ich erle­be, dass sie es schät­zen, wenn ich ihnen einen ande­ren Zugang zu ihrer jewei­li­gen Erkran­kung auf­zei­gen kann. Sie haben zum Teil schon so Vie­les aus­pro­biert.
Ich sehe vie­le Men­schen mit psy­cho­so­ma­ti­schen Krank­heits­bil­dern in mei­ner Sprech­stun­de, mit chro­ni­schen Beschwer­den, auch trau­ma­ti­sier­te Men­schen. Zudem behand­le ich Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mit onko­lo­gi­schen Erkran­kun­gen, die es schät­zen, dass ich auf­grund mei­ner Erfah­rung in die­sem Bereich Ver­ständ­nis für ihre Situa­ti­on habe und unter ande­rem ihre Mis­tel­the­ra­pie beglei­ten kann.

Wie erle­ben Sie die Arbeit mit den Pati­en­tin­nen
und Pati­en­ten?

Zunächst gilt es, Ver­trau­en auf­zu­bau­en, damit wir eine Basis für den gemein­sa­men Weg haben. Dann erar­bei­ten wir zusam­men die mög­li­chen Hand­lungs­op­tio­nen. Dabei gilt es auch zu eru­ie­ren, was von Sei­ten des Pati­en­ten mög­lich ist. Was kann er bei­tra­gen zu sei­ner Gesun­dung? Erst kürz­lich hat mir eine Pati­en­tin bestä­tigt: „Ich dan­ke Ihnen, dass Sie mich anhand mei­ner Befun­de nicht unter Druck gesetzt, son­dern moti­viert haben, selbst etwas zu machen.“ Es ging bei der Pati­en­tin mit kar­dio­vas­ku­lä­ren Erkran­kun­gen dar­um, eine Lebens­sti­län­de­rung anzu­re­gen. War­um erzäh­le ich Ihnen das? Es reicht nicht aus, dem kran­ken Men­schen vor­zu­schrei­ben, was er zu tun hat. Er muss es wol­len und aktiv mit­ge­stal­ten, und das ist manch­mal ein län­ge­rer Pro­zess.

Es kom­men auch Men­schen, die kei­ne schul­me­di­zi­ni­sche Behand­lung wol­len, zum Bei­spiel bei onko­lo­gi­schen Erkran­kun­gen. Da habe ich häu­fig viel Zeit dar­auf ver­wen­det, die Pati­en­ten zu moti­vie­ren, die zum Bei­spiel von einem Uni­spi­tal emp­foh­le­nen The­ra­pi­en wirk­lich zu machen, weil ich es eben­so für sinn­voll hal­te. Ich ver­su­che, den Pati­en­ten die Angst zu neh­men, weil dies meis­tens ein Grund zur Ableh­nung ist. Aber auch ande­re wol­len nicht nur „Tablet­ten­schlu­cker“ sein. Ich klä­re mit ihnen im Gespräch, dass die Medi­ka­men­te aktu­ell eine Hil­fe für ihren Kör­per sind, dass dies aber nicht alles ist – und dann bespre­chen wir die wei­te­ren Mög­lich­kei­ten, die aus der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin als Sup­port in der jewei­li­gen Situa­ti­on zum Ein­satz kom­men kön­nen.

Was bedeu­tet Ihnen die Arbeit im Ambu­la­to­ri­um?

Ich fin­de es sehr span­nend, mit­ten in der Stadt haus­ärzt­lich zu arbei­ten. Der inte­gra­ti­ve Ansatz unse­rer Medi­zin berei­chert mein ärzt­li­ches Han­deln. Wir ver­su­chen, dem Men­schen in sei­ner Ganz­heit zu begeg­nen, ihn ernst zu neh­men. Ich mer­ke, dass das vie­le Men­schen wol­len und schät­zen. Die Men­schen stel­len sich zuneh­mend Fra­gen zum Sinn des Lebens, zu Krank­heit und Gesund­heit als Phä­no­me­ne. Es gibt vie­le Erkran­kun­gen, bei denen es um exis­ten­zi­el­le Fra­gen geht. Des­halb gehe ich auch auf spi­ri­tu­el­le Fra­gen ein.
Die Men­schen wol­len den Umgang mit ihrer Krank­heit selbst in der Hand haben. Dafür brau­chen sie ein Gegen­über, das Fra­gen stel­len und ihren Pro­ble­men eine Rich­tung geben kann. Es kommt immer dar­auf an, wie sich der Mensch in sein Leben stellt, wie er even­tu­el­len Pro­ble­men begeg­net. Manch­mal las­sen sich durch die rich­ti­gen Fra­gen Wei­chen stel­len.
Auch bei mir in der Pra­xis ist der Zeit­druck stär­ker gewor­den. Damit muss jeder umge­hen ler­nen. Den­noch kann man dem Men­schen zuge­wandt blei­ben, die Pati­en­ten spü­ren, in wel­chen Seins­be­rei­chen sie wahr­ge­nom­men wer­den – das brau­chen die Men­schen, und das ist mir in mei­ner Arbeit beson­ders wich­tig.

Wie gestal­tet sich die Zusam­men­ar­beit?

Wir sind ein Team, das Hand in Hand arbei­tet. Wir kön­nen uns ärzt­lich gut ver­tre­ten, auch wenn jeder sei­ne Pati­en­ten hat. Das ist vor allem bei aku­ten Erkran­kun­gen wich­tig und hilf­reich – wenn die Pati­en­tin oder der Pati­ent nicht war­ten muss, bis der eige­ne Haus­arzt respek­ti­ve die eige­ne Haus­ärz­tin wie­der da ist. Unse­re Pra­xis­as­sis­ten­tin­nen ergän­zen das Team und unter­stüt­zen uns in unse­rer ärzt­li­chen Arbeit.
Ich fin­de es wich­tig, dass wir hier im Ambu­la­to­ri­um auch The­ra­pi­en anbie­ten kön­nen. In den künst­le­ri­schen Übun­gen kön­nen sich die Pati­en­ten bes­ser erle­ben, wer­den sozu­sa­gen schöp­fe­risch ange­regt, und sie kön­nen aktiv etwas für sich tun. Das schät­zen sie sehr. Sie bekom­men Hand­werks­zeug für den All­tag. Gera­de in der The­ra­pie erle­ben die Pati­en­ten die eige­nen Mög­lich­kei­ten der Ent­wick­lung. Men­schen in Stress­si­tua­tio­nen zum Bei­spiel ler­nen, sich bes­ser wahr­zu­neh­men, auch abzu­gren­zen und sich auf eine ande­re, neue Art mit sich und der Umwelt in Ver­bin­dung zu set­zen. Die räum­li­che Nähe zu den The­ra­peu­ten ist sehr hilf­reich, weil wir uns auch kurz­fris­tig abspre­chen kön­nen. Wir kön­nen von ver­schie­de­nen Sei­ten auf die Erkran­kung des Men­schen und auf den Men­schen als Gan­zes schau­en. Das ist sehr wert­voll für mich und mei­ne Arbeit.

Vie­len Dank für das Gespräch!

Fach­per­son

Dr. med. Alen­ka Mar­koc

Arbeits­schwer­punk­te Medi­zin­stu­di­um mit dem Abschluss als Fach­ärz­tin für All­ge­mei­ne Medi­zin in Kroa­ti­en, Fach­ärz­tin All­ge­mei­ne Inne­re Medi­zin (CH), Anthro­po­so­phi­sche Ärz­teaus­bil­dung Eugen Kolis­ko Aka­de­mie Filderstadt/Stuttgart (D),
Fähig­keits­aus­weis Anthro­po­so­phi­sche Medi­zin, Pra­xis­la­bor. Seit 2014 Haus­ärz­tin im Ita Weg­man Ambu­la­to­ri­um Basel.
Kon­takt info@wegmanambulatorium.ch

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