Wege zwischen Zentrum und Peripherie

In einer Zeit, in der der Trend zu Fusio­nen und Zentrenbil­dungen auch im Gesund­heits­we­sen unüber­sehbar ist, lohnt es sich um so mehr, doch ein­mal genau­er auf  wesent­li­che Merk­ma­le von gros­sen und klei­nen Spi­tä­lern und ihre Bedeu­tung für die Gesund­heits­ver­sor­gung zu schau­en. Dabei wird deut­lich, dass je nach Aus­gangs­punkt die in eine all­fällige Koope­ra­ti­on ein­ge­bun­de­nen Part­ner sehr unter­schied­li­che Din­ge unter einer Zusammen­arbeit ver­ste­hen.

Zen­trums­spi­tal und peri­phe­res Spi­tal

Für das Zen­trums­spi­tal sind fach­li­che und öko­no­mi­sche Aspek­te wich­tig, aber auch Pres­ti­ge- und Kom­pe­tenz­grün­de spie­len eine Rol­le. Es ist dar­auf ange­wie­sen, dass ihm mög­lichst alle poten­ti­el­len Pati­en­ten zuge­wie­sen wer­den und nicht etwa einem all­fäl­li­gen Kon­kur­ren­ten. Um eine aus­rei­chen­de Qua­li­tät der medi­zi­ni­schen Leis­tung auf­recht­zu­er­hal­ten, sind mög­lichst gros­se Fall­zah­len not­wen­dig. Da die Leis­tun­gen in der Regel zumin­dest kos­ten­de­ckend ange­bo­ten wer­den, rech­net sich eine Zen­trums­funk­ti­on auch für spit­zen­me­di­zi­ni­sche Ange­bo­te. Und weil sich die gros­sen Spi­tä­ler gern mit­tels Fall­zah­len defi­nie­ren, ist jeder Pati­ent ein wich­ti­ger Pati­ent mehr. Das Zen­trums­spi­tal wird also ver­su­chen, aus einem mög­lichst gros­sen Ein­zugs­ge­biet die Pati­en­ten wie ein Rie­sen­staub­sauger anzu­zie­hen. Sobald die fach­lich oder öko­no­misch inter­es­san­ten Behand­lun­gen erfolgt sind, wird der Pati­ent dann gern wie­der in das Ursprungs­spi­tal zurück­ver­legt. So ver­steht das Zen­trum manch­mal den Begriff der Koope­ra­ti­on.
Für das peri­phe­re Spi­tal ist es natür­lich wich­tig, ein Kom­pe­tenz­zen­trum für spe­zi­fi­sche Leis­tun­gen auf hohem Niveau in der Nähe zu wis­sen. Auch kön­nen im direk­ten Kon­takt zu den Spe­zia­lis­ten sehr vie­le Fra­gen zu Pati­en­ten und ihren Pro­ble­men auf ein­fa­che Art gelöst wer­den.

Anteil des peri­phe­ren Spi­tals an der For­schung

Was für den prak­ti­schen medi­zi­ni­schen Aspekt gilt, trifft natür­lich in ähn­li­chem Mas­se auf die For­schung zu. Gros­se Stu­di­en zu neu­en Medi­ka­men­ten, Gerä­ten oder Ein­grif­fen wer­den nur in Zen­trums­spi­tä­lern mit einer ent­spre­chen­den Infra­struk­tur durch­ge­führt. Die Pati­en­ten dafür befin­den sich aber in der Mehr­zahl in den klei­nen Spi­tä­lern. Zudem besteht an den Zen­trums­spi­tä­lern auch immer die Gefahr einer so genann­ten Patienten­selektion, weil dort die poten­ti­ell krän­ke­ren oder gefähr­de­te­ren Pati­en­ten in eine Stu­die ein­ge­schlos­sen wer­den als das im Spi­tal­all­tag sonst der Fall ist. Die ent­spre­chen­den Resul­ta­te sind dann eher mit Vor­sicht zu inter­pre­tie­ren und viel­fach nicht auf eine brei­te­re Pati­en­ten­mas­se anwend­bar. Des­halb wer­den Pati­en­ten aus den peri­phe­ren Spi­tä­lern in Stu­di­en in gros­sem Mas­se mit ein­be­zo­gen. Es besteht auch hier wie­der eine Staub­sauger­wir­kung wie bereits im kli­ni­schen Zusam­men­hang erwähnt.

Eine Mög­lich­keit der Umkehr

An zwei prak­ti­schen Bei­spie­len aus der Kar­dio­lo­gie sei gezeigt, dass durch­aus auch ein umge­kehr­ter Weg mög­lich wäre. Am Zen­trums­spi­tal wer­den vie­le Pati­en­ten mit Herz­rhyth­mus­stö­run­gen unter­sucht, die sich mit als unan­ge­nehm emp­fun­de­nen Extraschlä­gen mani­fes­tie­ren. Mit­tels Her­zultra­schall, Belas­tungs­test und Lang­zeit-EKG wird eine gefähr­li­che Rhyth­mus­stö­rung aus­ge­schlos­sen. Der Pati­ent erfährt den an sich posi­ti­ven Befund, wird beru­higt und nach Hau­se geschickt mit der Emp­feh­lung, bei Ver­schlim­me­rung der Sym­pto­me even­tu­ell einen Beta­blo­cker ein­zu­neh­men. Aber eigent­lich ist bekannt, dass damit dem Pati­en­ten nicht wirk­lich gehol­fen wer­den kann. Denn der Beta­blo­cker ist meist nicht sehr effek­tiv in sei­ner Wir­kung, und die mög­li­chen Neben­wir­kun­gen beein­träch­ti­gen die Lebens­qua­li­tät in erheb­li­chem Mas­se.

Zusam­men­ar­beit in der For­schung ist mög­lich

Man­gels schul­me­di­zi­ni­scher Alter­na­ti­ven, Zeit und auf­grund von Defi­zi­ten im Umgang mit Pati­en­ten, die „nichts“ haben, bleibt meist nichts ande­res übrig, als die Pati­en­ten mit der Emp­feh­lung zu ent­las­sen, auf Beta­blo­cker zurück­zu­grei­fen. Sucht man medi­zi­ni­sche Daten­ban­ken nach For­schungs­be­rich­ten über sol­che Pati­en­ten ab, wird man nicht fün­dig. Gera­de ein sol­ches Sym­ptom wie die so genann­te „harm­lo­se Herz­rhyth­mus­stö­rung“ bie­tet sich nun an für For­schung im Bereich der Kom­ple­men­tär­me­di­zin.

Allein wäre die Ita Weg­man Kli­nik viel zu klein, um genü­gend Pati­en­ten für eine sol­che Stu­die zu fin­den. Das Zen­trums­spi­tal mit sei­ner viel grös­se­ren Anzahl an mög­li­chen Pati­en­ten ist umge­kehrt in der anthro­po­so­phi­schen Medi­zin nicht kom­pe­tent. Zusam­men aber kom­men so vie­le Pati­en­ten zusam­men, dass sie in drei Grup­pen ein­ge­teilt und ent­spre­chend unter­schied­lich behan­delt wer­den kön­nen. Die eine Grup­pe mit­tels Schul­me­di­zin, also in der Mehr­zahl mit dem erwähn­ten Beta­blo­cker, die zwei­te Grup­pe mit indi­vi­du­el­ler anthro­po­so­phi­scher Medi­zin und die drit­te Grup­pe wür­de gar nicht behan­delt, um auch den „natür­li­chen Ver­lauf“ der Sym­pto­me zu erfas­sen. Die wich­ti­gen Punk­te, die erfragt wer­den müs­sen, sind einer­seits die sub­jek­ti­ven Rhyth­mus-Sym­pto­me und ande­rer­seits die Lebens­qua­li­tät, für deren Beur­tei­lung es gute stan­dar­di­sier­te Fra­ge­bö­gen gibt.

Zur Fra­ge der Metho­de

Viel­fach wird von Sei­ten der Kom­ple­men­tär­me­di­zin ange­führt, dass es mit dem oben erwähn­ten Modell, in dem die Zuwei­sung zu einer Behand­lung per Zufall erfolgt, unmög­lich sei, sol­che Stu­di­en zu pla­nen. Häu­fig ist aber auch bei schul­me­di­zi­ni­schen Stu­di­en die vor­ge­se­he­ne Behand­lung nicht bis ins Detail vor­ge­schrie­ben, son­dern inner­halb von gewis­sen Gren­zen dem jewei­li­gen Arzt über­las­sen. Der anthro­po­so­phi­sche Arzt wird des­halb sei­ne pati­en­ten­spe­zi­fi­sche Behand­lung nach bes­tem Wis­sen zusam­men­stel­len und sie mit einer schul­me­di­zi­ni­schen Behand­lung ver­glei­chen, von der man auch nicht weiss, ob sie effek­ti­ver ist als über­haupt kei­ne Behand­lung. Es könn­te näm­lich durch­aus auch der Fall ein­tre­ten, dass es am bes­ten wäre, kei­ne Behand­lung für die­se Sym­pto­me zu ver­schrei­ben.

Ver­un­si­che­rung trotz Lebens­ret­tung

Ein zwei­ter Bereich, bei dem eine ähn­li­che For­schungs­mög­lich­keit besteht, betrifft Pati­en­ten mit einem so genann­ten ein­ge­pflanz­ten Defi­brillator. Die­ses high-tech-Gerät wird bei Pati­en­ten mit einem hohen Risi­ko für sehr schnel­le, häu­fig töd­lich ver­lau­fen­de Herz­rhyth­mus­stö­run­gen ver­wen­det. Es ist in der Lage, die­se Stö­run­gen mit einem Elek­tro­schock zu been­den, wie­der einen nor­ma­len Herz­schlag her­zu­stel­len und so den Pati­en­ten zu ret­ten. Häu­fig wer­den die­se Elek­tro­schocks trotz des Wis­sens um ihre lebens­ret­ten­de Funk­ti­on als sehr unan­ge­nehm emp­fun­den und füh­ren zu sehr star­ker Ver­un­si­che­rung bei den Pati­en­ten, die sich im Extrem­fall kaum mehr kör­per­lich belas­ten wol­len, weil sie in ste­ter Angst vor einem erneu­ten Elek­tro­schock leben. Neben aus­führ­li­chen Erklä­run­gen für den Pati­en­ten, dass die­se Schocks lebens­ret­tend gewe­sen sind, wird in Ein­zel­fäl­len eine psy­cho­so­ma­ti­sche Betreu­ung oder eine Reha­bi­li­ta­ti­on durch­ge­führt.

Gemein­sa­me For­schung macht Sinn

Sinn­voll wäre es aber auch hier wie­der, wie oben beschrie­ben, die schul­me­di­zi­ni­sche Behand­lung mit einer kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­schen zu ver­glei­chen.
Selbst­ver­ständ­lich wäre es mög­lich, die Pati­en­ten ein­fach gemäss ihren Wün­schen zu behan­deln und nicht dafür eine eige­ne Stu­die durch­zu­füh­ren. Doch wie erwähnt wur­de bis­her nie nach­ge­wie­sen, dass und ob eine Behand­lung bes­ser wirkt als es der natür­li­che Ver­lauf allein bewir­ken kann. Unter die­sem Gesichts­punkt ist ein For­schungs­pro­jekt sinn­voll. Die­ses aber ist nur in Zusam­men­ar­beit zwi­schen einer Zen­trums­kli­nik, die die nöti­gen Pati­en­ten erfas­sen kann, und ent­spre­chen­den Part­ner­spi­tä­lern mög­lich.
Zudem wür­de es sicher auch die wis­sen­schaft­li­che Akzep­tanz der Kom­ple­men­tär­me­di­zin ver­bes­sern, wenn ihre im Ein­zel­fall unbe­strit­te­ne Wir­kung mit wei­te­ren Stu­di­en nach­ge­wie­sen wird.

Autoren108

Fach­per­son Dr. med. Beat Schär
Arbeits­schwer­punk­te Gebo­ren 1964, stu­dier­te Medi­zin in Basel und bil­de­te sich zum Fach­arzt für
Inne­re Medi­zin in Rhein­fel­den, im Cla­ra­spi­tal Basel und in Aar­au wei­ter. Anschlies­send speziali­sierte er sich in Kar­dio­lo­gie in Aar­au und Basel und ist zur­zeit Ober­arzt am Uni­ver­si­täts­spi­tal Basel mit einem Schwer­ge­wicht bei der Behand­lung von Herz­rhythmusstörungen.
Er ist ver­ant­wort­lich für die Schritt­ma­cher- und
Defibrilla­torsprechstunde.
Kon­takt bschaer@uhbs.ch

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