Wege aus der Angst

In der Ita Weg­man Kli­nik wird die The­ra­peu­ti­sche Sprach­gestaltung als eine Therapie­form bei Angst ein­ge­setzt. Vere­na Jäsch­ke befrag­te den Sprach­the­ra­peu­ten Alex­an­der Fal­dey zu sei­nen Erfah­run­gen mit Ängs­ten, Angst­pa­ti­en­ten und den The­ra­pie­mög­lich­kei­ten.

Was ist Angst?

Angst ist ein nicht indi­vi­dua­li­sier­tes Gefühl, ein Gefühl, das ich noch nicht in mein eige­nes Selbst­be­wusst­sein umge­formt habe. Nur das, was das Indi­vi­du­um ergrei­fen kann – im Ver­ständ­nis, im Begrei­fen, im Erle­ben und im Tun – ver­schafft ihm ein Gefühl der Sicher­heit.
Die indi­vi­du­el­le Tätig­keit des Begrei­fens wird durch Angst ein­ge­engt, bedrückt, ver­hin­dert. Angst kann in unter­schied­li­chen Mas­ken auf­tre­ten; bei ver­schie­de­nen Krank­hei­ten wie Asth­ma, Blut­hoch­druck kön­nen Ängs­te betei­ligt sein.
Bei For­mu­lie­run­gen wie „Mir schnürt es den Hals zu.“, „Er schnappt nach Luft.“ oder „Ihr stockt der Atem.“ zeigt sich im Sprach­bild die Enge, die Angst aus­lö­sen kann. Noch aus­ge­präg­ter ist das der Fall beim Aus­spruch „Mir gefriert das Blut in den Adern.“ Was im Volks­mund offen­sicht­lich schon lan­ge bekannt war, wur­de kürz­lich durch eine Stu­die bestä­tigt: Men­schen, die unter star­ken Ängs­ten lei­den, sind häu­fi­ger von Throm­bo­sen betrof­fen.

Woher aber kommt die Angst?

Sie kommt von feh­len­der indi­vi­du­el­ler Tätig­keit im Den­ken, Füh­len und Tun. Der Mensch ist so ins Mate­ri­el­le gerutscht, dass er angreif­ba­rer ist, ver­wund­ba­rer.
Wir wer­den heu­te leicht von aus­sen bedient, ja seh­nen uns sogar danach, bedient zu wer­den und mer­ken nicht, wie unse­re inne­ren Kräf­te dabei zu pas­siv blei­ben. Einer­seits wer­den wir über­häuft mit Kon­sum­an­ge­bo­ten, ande­rer­seits pflegt unse­re Kul­tur auch nicht weni­ge Zer­stö­rungs­wer­te: Wir über­ge­hen den ande­ren, neh­men ihn nicht genü­gend wahr und ver­let­zen ihn, ohne es über­haupt zu mer­ken.
Ich den­ke, vie­les ist der gros­sen Eile unse­rer Zeit geschul­det. Die Men­schen sind gehetzt, sind nicht wirk­lich ver­bun­den mit dem, was sie tun. Der Mensch braucht ein Wir-Gefühl, er will dazu­ge­hö­ren, in der Welt ste­hen. Wer nimmt sich die Zeit, mit Empa­thie und Freu­de eine klei­ne Blu­me zu betrach­ten? Für mein Gefühl der Zuge­hö­rig­keit brau­che ich Erleb­nis­se wie das Betrach­ten einer Blu­me.
Der Pro­zess des in sich Zurück­zie­hens ist auch wich­tig und zeit­ge­mäss, das brau­chen wir, um dann wie­der hin­aus­ge­hen zu kön­nen und die Welt ganz neu zu ent­de­cken. Aber wenn das sich Zurück­zie­hen zu stark ist, wenn es über­trie­ben und ein­sei­tig ist, dann stockt das inne­re Erle­ben und wird eine Beu­te der Angst. Wir brau­chen die Aus­sen­welt, um uns selbst zu befrei­en.

Wie kann ich der Angst begeg­nen?

Wenn ich mich auf die Suche mache, woher die Angst kommt, dann habe ich damit schon ein Gegen­mit­tel. Das nicht Indi­vi­dua­li­sier­te wirkt auf mich, ohne dass ich sehe, woher die Angst kommt. Schon wenn ich das benen­nen kann, erken­ne ich einen mög­li­chen Weg aus der Angst. Ich muss zunächst ver­ste­hen, was mich stört.

Unse­re Haupt­auf­ga­be ist es, Initia­ti­ve zu ent­wi­ckeln, dar­in lebt das Indi­vi­dua­li­sier­te. Wenn ich eine Blo­cka­de nach aus­sen öff­ne, wirkt das ent­ängs­ti­gend. Wenn ich über mei­ne Angst rede, wenn ich das, was mich bedrückt, in Wor­te fas­se, befreie ich mich schon ein Stück weit. Das zeigt sich in Sprach­bil­dern wie „Sprich dich aus!“, „Schüt­te dein Herz aus!“ oder „Willst du nicht dar­über reden?“

Die Gegen­kraft der Angst ist die Lie­be; in ihr wer­de ich inner­lich aktiv. In der Lie­be löst sich alles auf. Sie ist das indi­vi­dua­li­sier­te Gefühl. Eigent­lich kann ich nur das als posi­tiv anneh­men, was ich lie­be. Und ich kann nur aus der Lie­be her­aus tätig wer­den, ohne Ande­re zu ver­let­zen.

War­um wird einem Pati­en­ten, der Ängs­te hat, Sprach­the­ra­pie ver­ord­net?

Die Spra­che selbst gibt uns Mög­lich­kei­ten, Ängs­te zu the­ra­pie­ren, zum einen über die Atmung, zum ande­ren über die Lau­te. Jedes indi­vi­du­el­le Gefühl äus­sert sich in einer bestimm­ten Atem­strö­mung. Des­halb gibt es beim Atmungs­pro­zess sowohl Dia­gno­se-, als auch The­ra­pie­mög­lich­kei­ten. Zum Bei­spiel rutscht bei Angst die Atmung hoch, wird flach, ist ver­klemmt. Bei einem Schreck atmet man nie aus, son­dern nur ein und bleibt dar­in ver­keilt. Wenn der Mensch aber die Luft nicht ordent­lich ver­braucht, nimmt er Scha­den, wird geschwächt.
Die Spra­che läuft zu einem gros­sen Teil auf dem Aus­at­mungs­pro­zess ab. Das zeigt sich in ver­schie­de­nen Lau­ten. Blas­elau­te wie das F strö­men nach draus­sen. Stoss­lau­te wie das K wer­den sehr stark gestal­tet: Die Luft wird ange­hal­ten, gestaut, um dann in der Aus­at­mung gezielt und kräf­tig nach aus­sen ent­las­sen zu wer­den. Wel­len­lau­te wie das L brin­gen die Luft in Bewe­gung. Beim R las­sen wir die Aus­at­mungs­luft durch Vibra­ti­on erzit­tern.
Laut­qua­li­tä­ten erschaf­fen Bil­der und erzeu­gen Wirk­sam­kei­ten nach aus­sen und nach innen. Wie ver­sucht man zum Bei­spiel, eine Anzahl unru­hi­ge Kin­der zur Ruhe zu brin­gen? Man sagt schschsch! Dar­an lässt sich viel able­sen.

Wor­in zei­gen sich die Dia­gno­se- und The­ra­pie­mög­lich­kei­ten der Spra­che?

Die Voka­le sind Aus­druck mei­ner Befind­lich­keit. Wie ich mich füh­le – das offen­bart sich direkt im Voka­li­schen. Hier zeigt sich auch mein Kräf­te­sta­tus: hau­che oder flüs­te­re ich, oder spre­che ich kräf­tig und deut­lich?
Die Spra­che hat eine star­ke Rück­wir­kung: Wenn man die Spra­che anders ergreift – zum Bei­spiel in der The­ra­pie –, wirkt man zurück auf das Emp­fin­den. Bei einem Rie­sen­feu­er­werk geht vol­ler Stau­nen ein „Aaa“ durch die Men­ge. Das ist kein Stau, son­dern Inter­ak­ti­on. Die Men­schen sind sich einig, etwas Wun­der­ba­res zu sehen. Das kann man in der The­ra­pie nut­zen und über Voka­le die Erleb­nis­sphä­re anre­gen.
Wenn ich das „A“ übe, rege ich damit ver­wand­te Pro­zes­se an. Der Kör­per wird in eine Situa­ti­on ver­setzt, als wür­de er sich über eine schö­ne Blü­te oder eben ein Feu­er­werk freu­en. Das A hat immer eine Ver­bind­lich­keit in der Wir­kung. Es bewirkt eine Lösung, Ent­span­nung.

Ein ande­res Arbeits­feld ist die har­mo­ni­sie­ren­de Wir­kung von Rhyth­men. Spra­che glie­dert sich immer rhyth­misch in Kür­zen und Län­gen. In der Sprach­the­ra­pie nut­zen wir die dif­fe­ren­zier­ten Rhyth­men ganz gezielt zu Heil­zwe­cken. Es gibt ruhi­ge­re Rhyth­men oder auf­for­dern­de, zur Tätig­keit rei­zen­de. Man kann das einer­seits rein durch Lau­te oder Sil­ben üben, oder ande­rer­seits mit Gedich­ten arbei­ten, die oft­mals einen kla­ren Rhyth­mus auf­wei­sen. Rhyth­mi­sche Phä­no­me­ne fin­den sich über­all, nur geben wir nicht beson­ders dar­auf acht: der Wech­sel der Jah­res­zei­ten schafft es zum Bei­spiel, in einem Jahr klir­ren­de Käl­te mit sen­gen­der Hit­ze zu einem sinn­vol­len Gan­zen zu ver­schmel­zen und zwar im Gang der Zeit.

Hat der Pati­ent nicht auch Angst vor einer sol­chen The­ra­pie?

Die Arbeit in der The­ra­pie läuft immer über einen Ver­trau­ens­pro­zess. Der Pati­ent sucht ja Hil­fe und Ver­än­de­rung. Er selbst hat den ers­ten Schritt gemacht: Er hat bei einem Arzt um Rat gefragt; viel­leicht ist er auch sta­tio­när in der Kli­nik. Der Arzt hat ihm nun Sprach­the­ra­pie ver­ord­net. Dafür ist der Ver­trau­ens­bo­den das Ent­schei­den­de. Wie bei vie­len Din­gen im Leben ist für den Pati­en­ten der ers­te Ein­druck wesent­lich – wie holt der The­ra­peut mich ab? Dar­auf ach­te ich sehr stark. In dem Moment, in dem ich es schaf­fe, Ver­trau­en zu erzeu­gen, ist viel gewon­nen.

Ich fra­ge den Pati­en­ten, wie es ihm geht. Manch­mal erzählt er mir Bruch­stü­cke aus sei­ner Bio­gra­phie. Oder er berich­tet, dass er nach­mit­tags um 5 Uhr zum Bei­spiel nur noch müde ist, zu nichts mehr in der Lage. Ein ande­rer sagt mir, dass er ein­kau­fen woll­te, was aber dann nicht mehr ging, und dass er nur noch wei­nen konn­te.
Dann ver­su­che ich im Gespräch her­aus­zu­fin­den, was das Schlimms­te an der jet­zi­gen Situa­ti­on ist. Wenn der Pati­ent meint, dass er sich ganz schlecht fühlt, ist das Ziel, die Befind­lich­keit zu ver­bes­sern.

Wie gestal­ten Sie die the­ra­peu­ti­sche Arbeit mit dem Pati­en­ten?

Ich bespre­che mit ihm sei­ne Zie­le. Die­se wol­len wir zusam­men in klei­nen Schrit­ten errei­chen. Die Zie­le pas­sen wir an, wenn bestimm­te Mei­len­stei­ne erreicht sind.
In der Arbeit kann ich spü­ren, wenn sich die Stim­mung des Pati­en­ten auf­hellt.

Den The­ra­pie­ver­lauf kann ich an unspe­zi­fi­schen Para­me­tern beob­ach­ten und beschrei­ben: Schlaf, Appe­tit, Ver­dau­ung, Schwit­zen. Und ich kann dem Pati­en­ten hel­fen, die Anzei­chen sei­nes Gene­sungs­pro­zes­ses auch wirk­lich selbst zu bemer­ken. Wenn jemand auf­grund see­li­scher Nöte stark abge­nom­men hat und nach der ers­ten Woche in der Kli­nik wie­der zwei Kilo­gramm zunimmt, dann ist das eine mess­ba­re Grös­se.

Wenn im Angst­pro­zess die Aus­at­mung stockt, dann gebe ich dem Pati­en­ten mit ein­fa­chen, posi­tiv besetz­ten Bil­dern die Mög­lich­keit, in Ruhe aus­zu­at­men. Sobald der Pati­ent das Strei­chen der Luft durch Blatt­werk nach­ma­chen soll, zum Bei­spiel mit den Lau­ten ffffffffffff oder schschschsch, kommt er in eine bewusst gestal­te­te indi­vi­du­ell durch­leb­te Form der Aus­at­mung hin­ein. Die Wir­kung sol­cher ein­fa­chen Übun­gen spürt der Pati­ent unmit­tel­bar. Je nach Vor­lie­ben des Pati­en­ten kann der Wind auch über ein Ähren­feld rau­schen oder über das Meer.

Las­sen sich alle Pati­en­ten dar­auf ein?

Ich for­de­re den Pati­en­ten nicht, ich stüt­ze ihn. Ich schaf­fe einen Arbeits­raum, der schön ist, der Freu­de zulässt. So kann der Pati­ent wie­der an sein Indi­vi­du­el­les anschliessen.Die Angst ver­flüch­tigt sich in einem sol­chen von Ver­trau­en und Empa­thie getra­ge­nen Umfeld.
Ich habe noch kei­nen Pati­en­ten erlebt, der sich nicht öff­nen lässt für Sprach­the­ra­pie. Durch Bil­der ver­su­che ich, eine offe­ne trans­pa­ren­te Situa­ti­on zu schaf­fen. Ich neh­me ihn an die Hand und übe gemein­sam mit ihm etwas; und immer reflek­tie­re ich auf die anfangs gemein­sam for­mu­lier­ten Zie­le.

Autoren10

Fach­per­son Vere­na Jäsch­ke
Arbeits­schwer­punk­te Diplo­mier­te Public Rela­ti­ons-Bera­te­rin. Seit 1996 an der Ita Weg­man Kli­nik tätig, seit 2001 Redak­ti­on „Quin­te“, seit 2003 Beauf­trag­te für Kommuni­kation an der Ita Weg­man Kli­nik, zustän­dig für Öffent­lichkeitsarbeit und Mar­ke­ting.
Kon­takt verena.jaeschke@wegmanklinik.ch

 

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