Vorbeugen ist besser

Vorbeugen ist besser

Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten, die auf­grund ihres Alters oder ihrer Erkran­kung über län­ge­re Zeit im Bett lie­gen müs­sen, bedür­fen beson­de­rer Pfle­ge. Sil­via Stöck­ler, Pfle­ge­fach­frau und Berufs­bil­dungs­ver­ant­wort­li­che der Ita Weg­man Kli­nik, beschreibt in einem Gespräch mit einer Aus­zu­bil­den­den das Bemü­hen der Pfle­gen­den, das Wund­lie­gen der Pati­en­ten zu ver­mei­den.

Wir befin­den uns vor einem gros­sen Wand­re­gal in der Bet­ten­zen­tra­le der Kli­nik. Neben mir steht Tat­ja­na, Aus­zu­bil­den­de im 2. Lehr­jahr zur Fach­frau Gesund­heit. Ich zei­ge ihr, wo wir die ver­schie­de­nen Hilfs­mit­tel auf­be­wah­ren, die für die indi­vi­du­el­le Kran­ken­pfle­ge so wesent­lich sind. Sie ist erstaunt über die Viel­falt von Kis­sen und Matrat­zen, die hier lie­gen, und nutzt die Gele­gen­heit zu einem Fach­ge­spräch.

Wofür werden die verschiedenen Kissen und Matratzen verwendet?

Das sind Hilfs­mit­tel, die wir ein­set­zen, um ein Wund­lie­gen der Pati­en­ten zu ver­mei­den. Unab­hän­gig vom Alter kön­nen bei jedem Pati­en­ten, der über län­ge­re Zeit bett­lä­ge­rig ist, Druck­stel­len ent­ste­hen. Über­all dort, wo zwi­schen Kno­chen und Haut wenig Pols­ter vor­han­den ist, also an Schul­tern, Knö­cheln und Becken zum Bei­spiel, ist die­se Gefahr beson­ders gege­ben. Grund dafür ist vor allem, dass sich der Pati­ent auf­grund sei­ner Krank­heit oder Schwä­che nicht bewe­gen kann. Durch den Bewe­gungs­man­gel kommt es zu Durch­blu­tungs­stö­run­gen und mit dem anhal­ten­den Druck auf bestimm­te Regio­nen des Kör­pers zu einer inne­ren Man­gel­ver­sor­gung der Haut. Die Haut wird zunächst gerö­tet, spä­ter ent­ste­hen Bläs­chen und unter Umstän­den tief­ge­hen­de Druck­ge­schwü­re. Der Druck auf die Haut kann durch ent­spre­chen­de Lage­rung ent­las­tet wer­den. Dafür brau­chen wir Hilfs­mit­tel, wie zum Bei­spiel die Keil­kis­sen. Betrifft das haupt­säch­lich älte­re Men­schen? Älte­re Pati­en­ten sind sicher beson­ders gefähr­det, weil bei ihnen die abbau­en­den Kräf­te über­wie­gen und ihre Haut tro­cke­ner wird. Sie ist manch­mal auch hart und led­rig und meist weni­ger durch­wärmt. Doch vor allem zie­hen sich beim schwer kran­ken Men­schen die Lebens­kräf­te mehr und mehr zurück. Kommt dann noch ein Man­gel an Freu­de und Lebens­mut hin­zu, wird die Gefahr des Wund­lie­gens grös­ser. Aber das ist nicht allein eine Fra­ge des Alters. Auch bei einem akut kran­ken jün­ge­ren Men­schen, der län­ge­re Zeit im Bett lie­gen muss, ändert sich der Stoff­wech­sel, er hat viel­leicht hohes Fie­ber, schwitzt viel, kann über­haupt nicht auf­ste­hen. Bei ihm kann es eben­falls zu Wund­lie­gen kom­men, wenn wir nicht früh­zei­tig vor­beu­gen­de Mass­nah­men tref­fen. Dar­über sprecht ihr in der Berufs­schu­le noch aus­führ­lich. Woher weisst du, ob ein Pati­ent gefähr­det ist? Bei jedem Pati­en­ten schät­zen wir das Risi­ko für das Wund­lie­gen anhand einer Richt­wert­ska­la ein. Die Risi­ko­fak­to­ren gel­ten für alle Pati­en­ten, unab­hän­gig vom Alter, und betref­fen vor allem ver­schie­de­ne Fra­gen zu sei­nem Stoff­wech­sel und zu sei­ner Mobi­li­tät. In wel­chem Aus­mass ist die Haut Feuch­tig­keit aus­ge­setzt? In wel­chem Umfang kann sich der Pati­ent bewe­gen? Wie mobil ist er, kann er sei­ne Posi­ti­on ändern und hal­ten? Wich­tig sind auch die Fra­gen zur Ernäh­rung – wie viel isst der Pati­ent, wie viel Flüs­sig­keit nimmt er zu sich, wie eiweiss­hal­tig ist die Nah­rung? Reagiert der Pati­ent auf Rei­ze? Es liegt in der Pro­fes­sio­na­li­tät der Pfle­gen­den zu erken­nen, ob ein Risi­ko vor­liegt und wie hoch es ist.

Und wenn der Risikofaktor ermittelt ist?

Dann lei­ten wir die Mass­nah­men zur Prä­ven­ti­on ein. Einer­seits mit ver­schie­de­nen pfle­gen­den Sub­stan­zen und ande­rer­seits mit Umla­gern. Wir lagern den Pati­en­ten nach indi­vi­du­el­len Zeit­ab­stän­den um 30° wei­ter. Dafür haben wir die 30°-Keilkissen. Die gefähr­de­ten Stel­len rei­ben wir mit einer pfle­gen­den Sub­stanz ein. Die Pfle­gen­den ent­schei­den, wel­che jeweils zum Schutz der Haut not­wen­dig ist. Wenn die Haut intakt ist, haben wir in der Kli­nik unse­re sehr bewähr­te spe­zi­fi­sche Emul­si­on mit Hama­me­lis oder die neue Anthyl­lis Lipo­lo­tio auf der Basis vom Wund­klee. Für ein erfri­schen­des Haut­ge­fühl nut­zen wir den Hama­me­lis­bal­sam mit Citrus, in der Pal­lia­tiv­pfle­ge ver­wen­den wir oft Rose, und auch Ster­ben­de rei­ben wir meist mit einem Rosen­duft ein. In der christ­li­chen Mytho­lo­gie fin­den wir bei den bei­den gros­sen Toren des Lebens, bei der Geburt und beim Ster­ben, oft eine Rose. Du kennst sicher das Lied „Es ist ein Ros‘ ent­sprun­gen“ oder Kreu­zes­dar­stel­lun­gen, die mit einer Rosen­ranke ver­se­hen sind. Wir spre­chen in der Pfle­ge vom „Schwel­len­duft“ der Rose. Er ver­mit­telt Gebor­gen­heit und har­mo­ni­siert. Die Rose hat etwas Ord­nen­des durch den Fünf­stern, also die fünf Kelch­blät­ter der Rose. Beson­ders wich­tig ist die Ernäh­rung. Wir müs­sen unbe­dingt für aus­rei­chend Flüs­sig­keit sor­gen, sowie für genug Eiweiss, um die Haut von innen zu näh­ren, zum Bei­spiel mit Quark­spei­sen oder auch Joghurt.

Eine wei­te­re pro­phy­lak­ti­sche Mass­nah­me ist das Lagern des Pati­en­ten. Dafür lie­gen hier die model­lier­ba­ren Weich­schaum­ma­trat­zen und wei­te­re spe­zi­el­le Auf­la­gen. Manch­mal brin­gen Pati­en­ten auch eige­ne Schaf­fel­le mit. Das ist eine wun­der­ba­re Mass­nah­me. Der bett­lä­ge­ri­ge Mensch erlebt auf einem Schaf­fell eine wohl­tu­en­de Weich­heit und Wär­me. Die Wol­le nimmt Feuch­tig­keit auf, ohne sich feucht anzu­füh­len. Fel­le sind atmungs­ak­tiv; so wird die Haut belüf­tet. Aus­ser­dem wird der Druck der gefähr­de­ten Kör­per­stel­len auf eine grös­se­re Auf­la­ge­flä­che ver­teilt.

Wenn wir den Risi­ko­fak­tor als sehr hoch ein­schät­zen, bet­ten wir den Pati­en­ten, sofern er ein­ver­stan­den ist, auf eine soge­nann­te spe­zi­el­le Wech­sel­druck­ma­trat­ze. Das ist eine Luft­kam­mer­ma­trat­ze, bei der durch eine auto­ma­ti­sche Steue­rung die ver­schie­de­nen Luft­kam­mern abwech­selnd mit Luft befüllt bzw. wie­der ent­leert wer­den, so dass ver­schie­de­ne Kör­per­re­gio­nen wech­sel­wei­se mit Druck be- und wie­der ent­las­tet wer­den. Da die­se akti­ven Matrat­zen für den Pati­en­ten viel­fach unbe­merkt arbei­ten, wer­den die Pati­en­ten auf Deku­bi­tus­ma­trat­zen nicht so häu­fig durch Lage­rungs­ma­nö­ver gestört, was den all­ge­mei­nen Hei­lungs­pro­zess unter­stüt­zen kann. Das heisst aber nicht, dass sie auf einer sol­chen Matrat­ze nicht umge­la­gert wer­den soll­ten.

Wie kannst du das als Pflegende einschätzen?

Wir Pfle­gen­den müs­sen das Wis­sen haben, aber auch unse­re Wahr­neh­mung schu­len. Wir müs­sen uns für die rich­ti­ge Sub­stanz ent­schei­den und die rich­ti­ge Tech­nik des Berüh­rens anwen­den. Und wir üben uns, auf­merk­sam zu beob­ach­ten. Aus jedem Hand­griff kann ein the­ra­peu­ti­scher Impuls wer­den.

Als Pfle­gen­de musst du ler­nen, wie ein Mensch berührt wer­den soll. Die Berüh­rung des Pati­en­ten soll bei ihm ein Wohl­ge­fühl aus­lö­sen. Wich­tig zu wis­sen ist für dich, dass jede Berüh­rung ein Ver­bin­den und ein Lösen ent­hält, wobei die Qua­li­tät des Rhyth­mus wich­tig ist. Bei einer solch bewuss­ten Berüh­rung ent­steht ein Raum, in dem wie­der mehr Lebens­kräf­te ange­spro­chen wer­den. Dafür kommt es nicht dar­auf an, ob der berühr­te Mensch jung oder alt, krank oder gesund ist. Durch Berüh­rung wer­den Endor­phi­ne (Glücks­hor­mo­ne) frei. Gesund­heit kann durch Berüh­rung geför­dert wer­den. Der Pati­ent kann tief atmen, Wär­me ent­steht und sei­ne Haut ist bes­ser durch­blu­tet, er ent­spannt sich. Der Tast­sinn des Pati­en­ten ver­mit­telt Gebor­gen­heit. Wenn jemand ihn beim Ein­rei­ben berührt, kann er emp­fin­den: Das bin ich. Auch die­ses Abgren­zen hilft, dem Wund­lie­gen vor­zu­beu­gen.

Und wenn trotz aller vorbeugender Massnahmen die Haut doch wund wird?

Unser obers­tes Bestre­ben ist, das Wund­lie­gen unbe­dingt zu ver­mei­den. Hat aber doch einer unse­rer Pati­en­ten einen Deku­bi­tus – unter Umstän­den bringt er ihn bereits von zu Hau­se mit –, ist das ein medi­zi­ni­sches Pro­blem. Die­ses schau­en wir bei jedem Pati­en­ten indi­vi­du­ell zusam­men mit unse­ren Ärz­ten an und kon­sul­tie­ren die exter­ne Wundex­per­tin, mit der sich die Zusam­men­ar­beit bewährt hat.
Autoren6

Fach­per­son Sil­via Stöck­ler
Arbeits­schwer­punk­te Dipl. Pfle­ge­fach­frau HF,
Exper­tin für Anthro­po­so­phi­sche Pfle­ge,
Berufs­bil­dungs­ver­ant­wort­li­che Pfle­ge an der Ita Weg­man Kli­nik Arle­sheim
Kon­takt silvia.stoeckler@wegmanklinik.ch

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