
Das Spektrum der Hausarztmedizin ist weit. Regelmässige Fortbildungen an der Universität Basel und anderen Institutionen sorgen dafür, auf dem aktuellen Stand des Fachwissens in der Allgemeinmedizin und in unserem Fall auch der Anthroposophischen Medizin zu bleiben.Damit können wir Hausärztinnen und Hausärzte auf die verschiedensten Themen und Probleme eingehen, die uns im Praxisalltag begegnen. Dr. med. Angelika Daniel, Hausärztin an der Klinik Arlesheim, zeigt an Beispielen den Wert und die Sinnhaftigkeit der Hausarztmedizin.
Vor einigen Jahren erlitt eine meiner Patientinnen mit über 80 Jahren einen Schlaganfall. Es war ein sehr grosser Schlaganfall, verbunden mit dem Verlust der Sprache und dem Unvermögen zu schlucken sowie einer beiderseitigen kompletten Lähmung. Sie wurde notfallmässig ins Universitätsspital aufgenommen. Die Beeinträchtigungen durch den Schlaganfall und die vielen durchgeführten Untersuchungen hatten die letzte Kraft der Patientin aufgebraucht.
Die Angehörigen, die in der Pflege ausgebildet waren, entschieden gemeinsam mit der Patientin, die letzte Lebensphase zuhause, ins gewohnte Umfeld zu verlegen. Als sie mich, ihre Hausärztin, anriefen, musste ich sofort an das erst kurz davor stattgefundene Gespräch mit der Patientin hier in meiner Praxis denken. Sie schilderte mir damals, sie sei sehr zufrieden, wie ihr Leben verlaufen sei. Für sie sei ganz klar, dass sie es nicht mit vielen Mitteln verlängert haben wolle. Sie sagte mir sogar ganz konkret, sie wäre eigentlich bereit zum Sterben.
Wenn die Sprache versagt
Wir kannten uns schon lange; während mehr als 15 Jahren hatte ich sie im Zusammenhang mit den unterschiedlichsten Erkrankungen begleitet. Während dieser Zeiten hatten immer wieder spirituelle Themen unsere Gespräche durchflochten. Neben ihrem Körper mit seinen Erkrankungen war so auch ihr dahinterstehendes seelisch-geistiges Wesen für mich erlebbar geworden, zumal es in den Krisen der Erkrankungen beeindruckende Entwicklungen vollzogen hatte.
Nun stellten die Angehörigen die Frage an mich, ob ich diese intensivere Heimbetreuung ärztlicherseits übernehmen kön-né. Das bedeutete mindestens drei bis vier Hausbesuche pro Woche. Da mir die Pflege-Professionalität der Angehörigen jedoch viele Sorgen abnahm, konnte ich das gut leisten.
Es war eine nicht alltägliche Begleitung. In meiner Erinnerung lebt immer noch der Blickkontakt zwischen der Patientin und mir: Darin spürte ich ein tiefes Einverständnis, gewachsen an gemeinsam Erlebtem. Jetzt, wo die Sprache versagte, musste etwas Anderes an diese Stelle treten.
Die Patientin verstarb nach nur drei Wochen, umsorgt, in liebenden Händen ihrer Angehörigen. Ich erlebte erneut: Hausarztmedizin macht Sinn.
Zeit für Standortbestimmung
Häufiger suchen mich Patientinnen und Patienten mit dem Bedürfnis auf, sich einmal gründlich „durchchecken“ zu lassen. Mit diesem Anliegen ist meistens eine bestimmte Frage oder Sorge verbunden oder auch schlicht der Wunsch, sich seiner körperlichen Gesundheit zu vergewissern.
Macht also ein Check-up Sinn? Unsere Praxis ist sicherlich keine „Garage“, die einen regelmässigen Check, wie bei einem Auto, durchführt. Doch eine körperliche Untersuchung und das ausführliche Gespräch mit der behandelnden Ärztin können durchaus sinnvoll sein. Erkrankungen wie zum Beispiel Diabetes Mellitus, das heisst eine Zuckerkrankheit, oder auch erhöhter Blutdruck werden häufig von den Patienten nicht bemerkt, können aber bei solchen Routine-Untersuchungen entdeckt werden. Auch die sogenannte Leberentzündung ist meist eine zufällige Entdeckung bei der Blutuntersuchung.
Bei bestimmten Symptomen des Patienten oder bei Auffälligkeiten des Blutbildes, die auf eine mögliche Erkrankung von Leber, Niere oder Blasé hinweisen, können wir uns mittels Ultraschalluntersuchung ein zusätzliches Bild von den inneren Organen machen.
Empfohlene Vorsorge
Ab dem 50. Lebensjahr wird in einem Gespräch mit dem Patienten auch die Frage einer Colonoskopie, einer Dickdarmspiegelung behandelt. Bei entsprechender Risikokonstellation, nämlich bei gehäuft auftretenden Darmtumoren in der direkten Verwandtschaft, kann eine solche Vorsorge-Untersuchung sinnvoll sein, um eventuelle Vorstufen von Dickdarmtumoren zu entdecken.
Auch bei Rauchern gibt es sinnvolle Vorsorge-Untersuchungen. So empfehle ich zum Beispiel bei Männern die routinemässige Urinuntersuchung ab dem 45. Lebensjahr, da Blutspuren im Urin die Ärztin oder den Arzt veranlassen, nach den sogenannten Frühformen von Blasenkrebs zu suchen, der bei rauchenden Männern gehäuft vorkommt.
In der Anamnese, das heisst in der Befragung, spreche ich den Patienten auf verschiedene Dinge an wie Schlaf und Stress, Ernährung sowie die sportliche Betätigung. In der Anthroposophischen Medizin stehen uns noch zusätzliche Anamnese-Fragen zur Verfügung, so zum Beispiel über die Art des morgendlichen Erwachens, über das Traumleben oder über geschmackliche Vorlieben. Anhand der Antworten versuchen wir, die mehr funktionellen Gesichtspunkte, die Konstitution des Patienten zu verstehen.
Manchmal ist ein Patient in einer biographischen Wendesituation und möchte sich nun seinem Leben und seinem Umfeld gegenüber gesünder verhalten. Dann ergibt sich ein erweitertes Beratungsgespräch über verschiedene Lifestyle-
Themen wie Work-Life-Balance, Bewegung, eine eventuelle Gewichtsreduktion, über Nikotinverzicht oder sogar eine berufliche Neuorientierung.
Der Patient wünscht Sicherheit
Falls im nahen Umfeld eines Patienten jemand gerade eine schlimme Krankheit erleidet oder sogar plötzlich an einer solchen verstorben ist, ergibt sich für diese Patienten häufig eine Verunsicherung: Kann mir das jetzt auch passieren? Solche Ängste sollten dann bald Raum bekommen, damit der Patient alle anstehenden Fragen loswerden und Antworten erhalten kann.
Es ist für die Patienten meistens schwierig, die Bedrohlichkeit mancher körperlichen Phänomene einzuschätzen. Wenn man nachts plötzlich mit einem sehr schnellen Puls aufwacht – ist das nun gefährlich oder nicht? Sind das nur die schlechten Träume oder schon Herzrhythmusstörungen? Wenn der eilige Lauf aufs Tram zu vorübergehender Atemnot führt – muss das abgeklärt werden, oder ist das normal? Die 75-jährige Frau, die nach einer vierstündigen Wanderung müde ist, fragt sich, ob dies lediglich eine Folge des Alters ist oder ob sie möglicherweise Herzprobleme hat, die genauer abgeklärt werden müssen. Sind Brustschmer-
zen beim Bergaufgehen bedrohlich oder nur einfaches Seitenstechen?
Bei solchen und ähnlichen Fragen und Problemen ist es dann sehr entlastend für die Patientinnen und Patienten, wenn sie sie mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt besprechen können, die falls notwendig zusätzliche Untersuchungen anordnen, wie zum Beispiel ein Belastungs-EKG in der Kardiologie, eine Lungenfunktionsprüfung oder eine Röntgen- oder Computertomographieuntersuchung, die im Haus möglich sind.
Insofern halte ich eine Routine-Untersuchung bei der Haus-
ärztin oder beim Hausarzt insbesondere ab dem 50. Lebensjahr für sinnvoll – vor allem dann, wenn der Patient Sorgen und Fragen zu seiner Gesundheit hat.
Fachperson |
Dr. med. Angelika Daniel |
Arbeitsschwerpunkte | Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin (CH). Mitglied VAOAS/FMH. Seit 1998 an der Klinik Arlesheim in der Hausarztmedizin tätig. Fähigkeitsausweis Ultraschalldiagnostik. |
Kontakt | angelika.daniel@klinik-arlesheim.ch Tel. 061 705 72 82 |