Über die wissenschaftliche Methode der anthroposophisch erweiterten Medizin

Das Ver­ste­hen der Krank­heits­ur­sa­chen ist das Ziel aller medi­zi­ni­schen For­schung. Beim Men­schen zeigt das Krank­heits­ge­sche­hen nicht nur krank­heits­spe­zi­fi­sche Eigen­schaf­ten, son­dern ist mit sei­nem ganz indi­vi­du­el­len Schick­sal innig ver­knüpft. Die Erfor­schung der Krank­heits­ur­sa­chen muss somit bei der indi­vi­du­el­len Krank­heits­si­tua­ti­on begin­nen. Dass die Ursa­chen aller­dings oft unbe­kannt blei­ben oder als unbe­kannt bezeich­net wer­den, weist dar­auf hin, dass des Men­schen indi­vi­du­el­les Dasein nicht erst mit der Geburt bzw. Emp­fäng­nis beginnt und auch nicht mit dem Tode endet.

Geis­tes­wis­sen­schaft und Medi­zin
Heu­te wird der Mensch in der Wis­sen­schaft zumeist als kom­ple­xe Ansamm­lung von Mole­kü­len ver­stan­den. Durch die Anthro­po­so­phie Rudolf Stei­ners wird die­se Sicht wesent­lich erwei­tert durch Erkennt­nis­se von den Lebens­vor­gän­gen (dem Äthe­ri­schen), dem Beseel­ten (Astra­li­schen) sowie dem Geis­ti­gen (bezo­gen auf den Men­schen, das Ich).
Mensch und Natur ent­sprin­gen einer gemein­sa­men Evo­lution, wobei sich die aus­ser­mensch­li­che Natur in urfer­ner Ver­gan­gen­heit aus dem gemein­sa­men Dasein gelöst hat. In den gesun­den Lebens­vor­gän­gen sind die mensch­li­chen Pro­zes­se den Natur­pro­zes­sen ent­ge­gen­ge­setzt. Krank­heit wird nicht als Defekt in einem kom­ple­xen mecha­ni­schen Sys­tem ver­stan­den, son­dern als tem­po­rä­res Unver­mö­gen, den Sta­tus Mensch gegen­über der Natur zu hal­ten, bezo­gen auf die Schicht des Astra­li­schen und Äthe­ri­schen, aber auch bis ins Phy­si­sche hin­ein. In einem the­ra­peu­ti­schen Vor­gang wer­den Pro­zes­se der aus­ser­mensch­li­chen Natur in Kennt­nis ihrer Her­kunft zur Anre­gung oder Unter­stüt­zung in den mensch­li­chen Pro­zess ein­ge­führt.
Eine geis­tes­wis­sen­schaft­lich ori­en­tier­te medi­zi­ni­sche For­schung will die­se Zusam­men­hän­ge auf­hel­len und beschrei­ben, so dass sie im Kon­kre­ten ver­ständ­lich und hand­hab­bar wer­den.

Wo rich­tet sich der Blick hin?

In der kon­ven­tio­nel­len medi­zi­ni­schen For­schung unter­schei­det man zwi­schen dem Effekt einer the­ra­peu­tisch ver­wen­de­ten Sub­stanz, zwi­schen deren Wir­kung auf ein bio­lo­gi­sches Sys­tem und der Ursa­che einer the­ra­peu­ti­schen Wir­kung. Ent­spre­chend dif­fe­ren­ziert man zwi­schen Effekt-For­schung, Wir­kungs-
For­schung (meist als Ver­gleichs-Stu­die) und Ursa­chen-For­schung (Grund­la­gen­for­schung).
Die geis­tes­wis­sen­schaft­lich erwei­ter­te For­schung hin-
­gegen ver­steht die Sub­stanz als Gewor­de­nes, als
einen zu Ende gekom­me­nen Bil­de­vor­gang. Dem­entspre­chend ist nicht nur der mess­ba­re Effekt einer Sub­stanz Forschungs­gegenstand, son­dern ihre Entstehungs­geschichte. Sowohl die tie­ri­sche, als auch die pflanz­li­che und die mine­ra­li­sche Sub­stanz wird in Bezug zu ihrer Wer­de­ge­schich­te stu­diert.
Das Ver­ständ­nis der Wir­kung erwei­tert sich zur Fra­ge des Zusam­men­hangs zwi­schen den Sub­stanz-Pro­zes­sen im Men­schen und in der aus­ser­mensch­li­chen Natur. Hier rich­tet sich der Blick auf die gemein­sa­me Evo­lu­ti­on und den nach wie vor bestehen­den Zusam­men­hang des nun in der Welt getrennt Erschei­nen­den.

Schliess­lich will eine anthro­po­so­phisch-medi­zi­ni­sche For­schung die Ursa­che von Krank­heit als Ort des Ver­sa­gens der Ver­wirk­li­chung des indi­vi­du­el­len Mensch-Seins erfas­sen und hier­durch zu neu­em Erken­nen des Zusam­men­hangs von Krank­heit und Heil­mit­tel kom­men.

Ein Bei­spiel: der Kalk

In der Natur fin­den wir Kalk als Sedi­men­ta­ti­ons­ge­stein, stam­mend von Tie­ren aus fer­ner Ver­gan­gen­heit. In den Tropf­stein­höh­len kann uns der Pro­zess des Auskristal­lisierens und Auf­lö­sens bild­haft anschau­lich wer­den. Wir kön­nen die Sub­stanz des Kalk ver­ste­hen ler­nen, wie er aus einem Leben­dig-Flüs­si­gen mine­ra­lisch ge­worden ist.
Betrach­ten wir die Muschel, zum Bei­spiel eine Aus­ter, so sehen wir ein Tier, das im Innern eine nur wenig struk­tu­rier­te Eiweiss-Sub­stanz hält und den Kalk sorg­fäl­tig Schicht für Schicht in ihre Scha­le abson­dert. Dabei wird der Kalk in Lösung gehal­ten bzw. ent­spre­chend der Form der Muschel aus­kris­tal­li­siert. Auch bei den höhe­ren Tie­ren wird der Kalk abge­la­gert, nun aber nicht aus­sen, son­dern in Form des Innen­ske­let­tes. Wir kön­nen so den Kno­chen­bil­de­vor­gang ver­ste­hen als eine Form von Abla­ge­rungs- oder Kris­tal­li­sa­ti­ons­pro­zess, wie er in der Natur auch vor­kommt. Nur ist der Pro­zess im Men­schen mit jeder Faser der mensch­li­chen Bil­dung unter­wor­fen. Die exak­te, der Sta­tik ent­spre­chen­de Aus­ge­stal­tung bei­spiels­wei­se eines Ober­schen­kel­hal­ses kann uns das ver­an­schau­li­chen.

Krank­haf­te Kalk-Abla­ge­rung

Die Abla­ge­rung von Kalk kann aber auch ins Krank­hafte gehen, wie wir das bei der Arte­rio­skle­ro­se sehen. Die Abla­ge­run­gen in den Gefäs­sen kön­nen so als Ver­knö­che­rungs­pro­zess an fal­scher Stel­le oder als tem­po­rä­res Unver­mö­gen des Beherr­schens des Lösungs­pro­zes­ses des Kal­kes ver­stan­den wer­den. Ver­ste­hen wir den Kno­chen­bil­de­pro­zess wie oben beschrie­ben als durch und durch vom mensch­li­chen Ich diri­gier­ten, beseel­ten, durch­leb­ten Vor­gang, der schliess­lich zur Abla­ge­rung von Kalk in Form von mensch­li­chen Kno­chen führt, so wird deut­lich: Die Ursa­che des Unver­mö­gens  – der Arte­rio­skle­ro­se – müs­sen wir in der Bil­de­macht suchen, wel­che sowohl die mensch­li­che Form, wie auch das Lösen und Kris­tal­li­sie­ren des Kal­kes umfasst. Nicht die Kalk-Abla­ge­rung ist die Krank­heit. Viel­mehr ver­lau­fen die Löse­pro­zes­se und Kris­tal­li­sa­ti­ons­pro­zes­se im erkrank­ten Organ nicht mehr ent­spre­chend der spe­zi­fisch mensch­li­chen Gege­ben­hei­ten. Dabei spie­len Wär­me­pro­zes­se eine wich­ti­ge Rol­le.
In der gewor­de­nen Welt kann die Geis­tes­wis­sen­schaft in der Sub­stanz des Bleis einen Reprä­sen­tan­ten der Wär­me­pro­zes­se, wie sie in frü­hen Evo­lu­ti­ons­schrit­ten tätig waren, erken­nen. Im phar­ma­zeu­ti­schen Pro­zess wird die Blei-Sub­stanz so ver­än­dert, dass sie nun nicht mehr Gift ist, son­dern durch die spe­zi­fi­sche Wärme­wirkung die kran­ken Pro­zes­se im Men­schen unter­stützt. So kann zum Bei­spiel Blei als Plum­bum mel­li­tum oder Scle­ron gemäss anthro­po­so­phi­schen Gesichts­punk­ten the­ra­peu­tisch bei Arte­rio­skle­ro­se ange­wen­det wer­den. Vie­le ande­re Heil­sub­stan­zen oder Anwen­dun­gen kom­men je nach indi­vi­du­el­ler Situa­ti­on noch dazu.

Die Fra­ge nach der wis­sen­schaft­li­chen Metho­de

An dem Bei­spiel der Arte­rio­skle­ro­se kann deut­lich wer­den, dass in der anthro­po­so­phi­schen The­ra­pie neben den krank­heits­spe­zi­fi­schen Ver­än­de­run­gen der indi­vi­du­el­le Mensch im Zen­trum steht. Es kom­men nicht pri­mär ein­zel­ne Sub­stan­zen, son­dern eine indi­vi­du­ell ange­pass­te The­ra­pie zum Ein­satz. Will man die Wir­kung einer Sub­stanz im Men­schen erfor­schen, so muss man eine geeig­ne­te Anord­nung in einem Expe­ri­ment tref­fen. So wird zum Bei­spiel eine Grup­pe von Pati­en­ten gebil­det, wel­che in einer bestimm­ten Krank­heits­si­tua­ti­on ein Medi­ka­ment be­kommt und eine zwei­te Grup­pe, wel­che sich in Bezug auf bestimm­te Merk­ma­le von der ers­ten nicht unter­schei­det, das Medi­ka­ment aber nicht bekommt. Nach Ein­tritt der ver­mu­te­ten Wir­kung der Sub­stanz misst man in bei­den Grup­pen die ver­mu­te­te Ver­än­de­rung, den Effekt. Zeigt sich ein Unter­schied des vor­aus­ge­sag­ten Effek­tes in der behan­del­ten Grup­pe zur nicht behan­del­ten, so kann man von einem Beweis der Wirk­sam­keit spre­chen. Für die Erfor­schung von Wir­kun­gen ein­zel­ner Sub­stan­zen haben ver­glei­chen­de Stu­di­en ihre Berech­ti­gung. Dabei macht man sich zu Nut­ze, dass die Sub­stanz bei meh­re­ren Pati­en­ten ange­wen­det wird und die Mes­sung des Effek­tes in bei­den Grup­pen mit sta­tis­ti­schen Metho­den gegen­über­ge­stellt wird. Eine Aus­sa­ge über die Wirk­sam­keit einer Sub­stanz im Ein­zel­fall ist mit der ver­glei­chen­den Sta­tis­tik aller­dings nicht mög­lich.
Will man nun die Wirk­sam­keit eines the­ra­peu­ti­schen Sys­tems ver­glei­chen, also zum Bei­spiel eine anthro­po­so­phi­sche The­ra­pie im Ver­gleich zu einer kon­ven­tio­nel­len The­ra­pie, so muss man zwei genü­gend gros­se Grup­pen von Pati­en­ten mit ähn­li­cher Krank­heits­si­tua­ti­on bil­den und die­se eine der Krank­heit ange­pass­te Zeit hin­durch beob­ach­ten. Die Behand­lung ist indi­vi­du­ell. Ver­gli­chen wird auch hier der sta­tis­tisch gemit­tel­te Effekt in den bei­den Grup­pen (so genann­te Kohor­ten), nun aber bezo­gen auf ein the­ra­peu­ti­sches Kon­zept. Durch geeig­ne­te sta­tis­ti­sche Ver­fah­ren kann man so des­sen Wirk­sam­keit abschät­zen, wie zum Bei­spiel die Behand­lung der Arte­rio­skle­ro­se nach anthro­po­so­phi­schen Gesichts­punk­ten.
Will man aber die Ursa­che einer Erkran­kung erfor­schen, so kom­men zu den phy­sisch-mate­ri­el­len Gege­ben­hei­ten, den krank­haft gewor­de­nen Lebens­pro­zes­sen, den see­li­schen Kräf­ten auch indi­vi­du­el­le geis­ti­ge Aspek­te dazu, wel­che ledig­lich kon­kret bei dem ein­zel­nen Men­schen Gül­tig­keit haben. Hier kann nur eine so genann­te Ein­zel­fall­be­schrei­bung als wis­sen­schaft­li­che Metho­de die­nen.

Anthro­po­so­phisch-medi­zi­ni­sche For­schung

In der anthro­po­so­phisch-medi­zi­ni­schen For­schung wird mit geis­ti­gen For­schungs­me­tho­den die Sub­stanz-Erkennt­nis gepflegt, die die Erkennt­nis der Zusam­men­hän­ge der Wer­de­ge­schich­te von aus­ser­mensch­li­cher Natur und Mensch ver­tieft, sowie die indi­vi­du­el­len Krankheitsur­sachen erforscht. Auf der ande­ren Sei­te wird die Wirk­sam­keit der the­ra­peu­ti­schen Anwen­dun­gen durch sorg­fäl­ti­ge Ana­ly­se der Krank­heits­ver­läu­fe, ein­zeln oder als Kol­lek­ti­ve, im Sin­ne einer Bestä­ti­gung der geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen For­schungs­re­sul­ta­te ana­ly­siert. Hier­durch wird die Erkennt­nis in Bezug auf Krank­heit und Gesund­heit in das Gebiet des Leben­di­gen, des Beseel­ten und des indi­vi­du­ell Geis­ti­gen mit wis­sen­schaft­li­cher Metho­de erwei­tert.

Autoren109

Fach­per­son Dr. med.
Chris­toph Kauf­mann
Arbeits­schwer­punk­te Medi­zin­stu­di­um in Basel,
zwi­schen­zeit­lich unter­rich­tend an der Rudolf Stei­ner Schu­le in Solo­thurn tätig, Staats­examen 1994, Inter­nis­ti­sche Aus­bil­dung in Gren­chen, St.Gallen und Basel. Aus­bil­dung zum Kar­dio­lo­gen am Kantons­spital in Basel. Schwer­punk­te in Echo­kar­dio­gra­phie, Rhythmo­logie und Herz­re­ha­bi­li­ta­ti­on.
Seit 2002 Lei­ten­der Arzt an der Ita Weg­man Kli­nik,
For­schungs­ver­ant­wort­li­cher der Ita Weg­man Kli­nik
Kon­takt 061 705 72 71

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