SwissDRG – Patentrezept zur Senkung der Spitalkosten

Auf rund 12,5 Mil­li­ar­den Fran­ken kom­men uns die sta­tio­nä­ren Behand­lun­gen in Schwei­zer Akut­spi­tä­lern jähr­lich zu ste­hen. Das ist knapp ein Vier­tel der gesam­ten Gesund­heits­aus­ga­ben. Rund die Hälf­te der sta­tio­nä­ren Kos­ten wird von den Kran­ken­ver­si­che­rern getra­gen, unge­fähr 5 Mil­li­ar­den Fran­ken wer­den aus der Grund­ver­si­che­rung bezahlt. Die ent­spre­chen­den Leis­tun­gen wer­den bis­her nach ganz unter­schied­li­chen Kri­te­ri­en und Tari­fen abge­gol­ten.
Jetzt soll das Ent­schä­di­gungs­sys­tem für sta­tio­nä­re Grund­ver­si­che­rungs­leis­tun­gen in Akut­spi­tä­lern ver­ein­heit­licht wer­den. Aus Deutsch­land über­nom­men, ver­spricht „Swiss­DRG“ mehr Trans­pa­renz und Kos­ten­ef­fi­zi­enz. „DRG“ steht dabei für „dia­gno­se­be­zo­ge­ne Grup­pen“. Sie bestim­men, wie hoch die Ent­schä­di­gung künf­tig sein wird, die ein Spi­tal vom Kran­ken­ver­si­che­rer erhält. Ob das neue Sys­tem das hält, was sich heu­te vie­le von ihm ver­spre­chen, wird sich aller­dings erst wei­sen müs­sen.

Je län­ger des­to teu­rer

Bis vor kur­zem wur­de ein Spi­tal­auf­ent­halt eines all­ge­mein ver­si­cher­ten Pati­en­ten von sei­nem Kran­ken­ver­si­che­rer in der gan­zen Schweiz mit einer so genann­ten Tages­pau­scha­le ent­schä­digt: Für jeden Tag, den der Pati­ent im Spi­tal lag, erhielt es von der Kran­ken­kas­se einen fixen Fran­ken­be­trag. Das führ­te zum Anreiz, die Pati­en­ten mög­lichst lan­ge im Spi­tal zu behal­ten. Die täg­lich anfal­len­den Kos­ten sin­ken näm­lich mit zuneh­men­der Dau­er eines Spi­tal­auf­ent­halts; die Ein­nah­men in Form der Tages­pau­scha­le blei­ben jedoch gleich hoch.
Nicht von unge­fähr gehört die Schweiz zu den Län­dern mit einer über­durch­schnitt­lich lan­gen Spi­tal­auf­ent­halts­dau­er, mit über­durch­schnitt­lich vie­len Spi­tal­bet­ten und mit über­durch­schnitt­lich hohen Spi­tal­kos­ten. Als Fol­ge davon gin­gen Gesund­heits­po­li­ti­ker und Kran­ken­ver­si­che­rer dazu über, Ent­schä­di­gungs­sys­te­me aus dem Aus­land zu über­neh­men, um die Abrech­nung mit­tels Tages­pau­scha­len nach und nach abzu­lö­sen.

Pati­en­ten schnel­ler wie­der los­wer­den

An vie­len Spi­tä­lern der Schweiz wird ein Spi­tal­auf­ent­halt heu­te vom Kran­ken­ver­si­che­rer in Form einer Abtei­lungs­pau­scha­le oder einer Fall­pau­scha­le ent­schä­digt: Die Abtei­lungs­pau­scha­le umfasst eine pau­scha­le Ent­schä­di­gung für den Auf­ent­halt auf einer bestimm­ten Spi­tal­ab­tei­lung, der min­des­tens 24 Stun­den dau­ert. Bei der Fall­pau­scha­le wird ein sta­tio­nä­rer Ein­griff – zum Bei­spiel eine Blind­darm­ope­ra­ti­on – vom Kran­ken­ver­si­che­rer mit einem fixen Betrag unab­hän­gig von der Schwe­re der Dia­gno­se abge­gol­ten. In bei­den Fäl­len erhält das Spi­tal von der Kran­ken­ver­si­che­rung nicht mehr Geld, wenn der Pati­ent län­ger im Spi­tal bleibt.
Die Aus­wir­kun­gen sol­cher neu­en Ent­schä­di­gungs­sys­te­me lie­gen auf der Hand. Das Spi­tal hat jetzt Inter­es­se dar­an, die Pati­en­ten min­des­tens 24 Stun­den sta­tio­när zu behan­deln und dann mög­lichst schnell wie­der zu ent­las­sen. Dafür erhält es vom Kran­ken­ver­si­che­rer eine Abtei­lungs- oder eine Fall­pau­scha­le. Damit die Pati­en­ten nicht zu früh wie­der nach Hau­se geschickt wer­den, ist eine Siche­rung ent­hal­ten: Falls ein Pati­ent inner­halb einer Frist von bei­spiels­wei­se sie­ben Tagen mit der glei­chen Dia­gno­se wie­der ins Spi­tal ein­tre­ten muss, erhält es kei­ne neue Pau­scha­le.

Pati­en­ten­se­lek­ti­on und „blu­ti­ge Ent­las­sun­gen“

Den­noch brin­gen auch die neu­en Ent­schä­di­gungs­sys­te­me Pro­ble­me mit sich: Zum einen besteht die Gefahr der Pati­en­ten­se­lek­ti­on: Mit Abtei­lungs- oder Fall­pau­scha­len ent­schä­dig­te Spi­tä­ler kön­nen dazu ten­die­ren, Pati­en­ten mit einem hohen Kom­pli­ka­ti­ons­ri­si­ko mög­lichst nicht zu ope­rie­ren.
Vor allem aber kommt es nun zu so genann­ten „blu­ti­gen Ent­las­sun­gen“, weil Pati­en­ten nach einer Ope­ra­ti­on das Spi­tal schon früh wie­der ver­las­sen müs­sen. Die Nach­sor­ge wird der spi­talex­ter­nen Kran­ken­pfle­ge, dem Pfle­ge­heim, der Reha­bi­li­ta­ti­ons­kli­nik oder der Über­gangs­pfle­ge über­tra­gen. Der nun­mehr höhe­re Pfle­ge­auf­wand setzt dort jedoch ent­spre­chend geschul­tes Per­so­nal und auch höhe­re Ent­schä­di­gun­gen vor­aus, was zum Teil nicht gewähr­leis­tet ist.

Gesamt­schwei­ze­risch ein­heit­li­che Pau­scha­len

Für die meis­ten Gesund­heits­po­li­ti­ker ist den­noch klar: Das bis­he­ri­ge Sys­tem der ver­schie­de­nen, je nach Kan­ton unter­schied­li­chen Pau­scha­len muss in den Akut­spi­tä­lern abge­löst wer­den durch dia­gno­se­be­zo­ge­ne, gesamt­schwei­ze­risch ein­heit­li­che Pau­scha­len. Das moder­ne Zau­ber­wort heisst „Swiss­DRG“, wobei DRG für „dia­gno­se­be­zo­ge­ne Grup­pen“ steht.
Das ent­spre­chen­de Sys­tem wur­de von Deutsch­land über­nom­men, wird jetzt ange­passt und soll mög­lichst ab dem Jahr 2010 in der gan­zen Schweiz flä­chen­de­ckend ein­ge­führt wer­den. An allen Spi­tä­lern wer­den dann vor­erst drei ein­heit­li­che Basis­ta­ri­fe für sta­tio­nä­re Behand­lun­gen gel­ten: einer für Regio­nal­spi­tä­ler, einer für Zen­trums­spi­tä­ler und einer für Uni­ver­si­täts­kli­ni­ken. Spä­ter sol­len die­se drei Tari­fe zu einem ein­zi­gen zusam­men­ge­führt wer­den.
Wie bei Fall­pau­scha­len wird auch bei Swiss­DRG die Behand­lung der Haupt­dia­gno­se mit einem fixen Betrag ent­schä­digt. Zusätz­lich fal­len aber auch Neben­dia­gno­sen ins Gewicht: Sie füh­ren zu einem Gewich­tungs­fak­tor, durch wel­chen sich die Ent­schä­di­gung zum Bei­spiel bei älte­ren, mehr­fach erkrank­ten Pati­en­ten erhöht. Dadurch soll der effek­ti­ve Auf­wand bes­ser abge­bil­det und der Pati­en­ten­se­lek­ti­on vor­ge­beugt wer­den.
Zudem wer­den mit der Ent­schä­di­gung zum Bei­spiel für eine Hüft­ge­lenk­ope­ra­ti­on eine mini­ma­le und eine maxi­ma­le Auf­ent­halts­dau­er ver­bun­den. Wer­den die­se unter- oder deut­lich über­schrit­ten, so wird die Ent­schä­di­gung gekürzt. Auf die­se Wei­se sol­len vor allem zu frü­he Ent­las­sun­gen ver­hin­dert wer­den.

Mehr Wett­be­werb zwi­schen den Spi­tä­lern

Swiss­DRG wird dazu füh­ren, dass die Spi­tä­ler der Schweiz in einen Wett­be­werb um eine kos­ten­ef­fi­zi­en­te Behand­lung tre­ten. Dabei ist abzu­se­hen, dass die Kan­tons­gren­zen für sta­tio­nä­re Behand­lun­gen auf­ge­weicht oder gar ver­schwin­den wer­den. Auch wird sich die Schwei­zer „Spital­landschaft“ ver­än­dern; Spi­tä­ler mit sehr hohen Kos­ten wer­den in Exis­tenz­pro­ble­me gera­ten.
Was eben­falls klar ist: Die durch­schnitt­li­che Auf­ent­halts­dau­er an Schwei­zer Spi­tä­lern wird wei­ter sin­ken, und die Ten­denz zu „blu­ti­gen Ent­las­sun­gen“ mit dem damit ver­bun­de­nen Zusatz­auf­wand für die nach­ge­la­ger­ten Insti­tu­tio­nen wird es wei­ter­hin geben.
Dar­über hin­aus zei­gen die Erfah­run­gen aus dem Aus­land, dass nun jener Per­son, wel­che die Leis­tun­gen codiert, gros­se Bedeu­tung zukommt. Je bes­ser sie sich in den Tari­fen aus­kennt und die für das Spi­tal lukra­tivs­ten aus­wählt, des­to höher wer­den des­sen Ein­nah­men. Umge­kehrt wer­den so mög­li­che Ein­spar­ef­fek­te im Gesamt­sys­tem wie­der zunich­te gemacht.

Lee­re Bet­ten mit zusätz­li­chen Pati­en­ten fül­len?

Die Gefahr, dass die Spar­ef­fek­te auch mit Swiss­DRG ins­ge­samt klein blei­ben, ist umso grös­ser, wenn das bestehen­de Bet­ten­an­ge­bot trotz der nun kür­ze­ren durch­schnitt­li­chen Auf­ent­halts­dau­er nicht ver­rin­gert wird. Man­che Spi­tä­ler wer­den dann näm­lich danach trach­ten, die leer ste­hen­den Bet­ten mit Pati­en­ten zu fül­len, die auch noch ope­riert und sta­tio­när behan­delt wer­den könn­ten.
Wie gross dabei der Spiel­raum ist, zeigt sich zum Bei­spiel, wenn man Ope­ra­ti­ons­ra­ten nach Kan­to­nen mit­ein­an­der ver­gleicht. Im Kan­ton Waadt bei­spiels­wei­se wer­den sta­tio­nä­re Man­del­ope­ra­tio­nen im Ver­hält­nis zur Bevöl­ke­rung fast acht­mal häu­fi­ger durch­ge­führt als im Kan­ton Gla­rus. Oder in den Kan­to­nen Solo­thurn und Obwal­den wer­den Gebär­müt­ter fast drei­mal häu­fi­ger her­aus­ope­riert als im Kan­ton Appen­zell Aus­ser­rho­den. Die­se Unter­schie­de las­sen sich schon heu­te medi­zi­nisch nicht begrün­den.
Die Ten­denz, Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten unnö­tig zu ope­rie­ren, wird dadurch noch ver­stärkt, dass die Spi­tä­ler mit Swiss­DRG Min­dest­an­for­de­run­gen hin­sicht­lich der Anzahl jähr­li­cher Ope­ra­tio­nen erfül­len müs­sen. An sich zur Qua­li­täts­si­che­rung gedacht, könn­te die­se Vor­ga­be ins­ge­samt auch den gegen­tei­li­gen Effekt haben.

Gefahr der blos­sen Sym­ptom­be­hand­lung

Schliess­lich kann sich mit Swiss­DRG ein Pro­blem ver­schär­fen, auf das Pro­fes­sor Jochem Hoyer mit ein­drück­li­chen Wor­ten hin­ge­wie­sen hat. Er war wäh­rend 20 Jah­ren Lei­ter der Trans­plan­ta­ti­ons­chir­ur­gie am Lübe­cker Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum: „Vie­le Men­schen sind zu uns in die Chir­ur­gie gekom­men, und wir haben ihnen die Gal­len­bla­se, ein Stück Magen, Lun­ge oder Darm weg­ge­nom­men. Aber wir haben sie mit ihren Pro­ble­men, die sie krank gemacht haben, wie­der ent­las­sen und sie sind wie­der gekom­men, und wir haben ihnen ein wei­te­res kran­kes Stück weg­ge­nom­men und sie erneut samt ihren Pro­ble­men gehen las­sen.“
Die heu­te schon bestehen­de Ten­denz, bloss die vor­der­grün­di­gen Sym­pto­me der Pati­en­ten zu behan­deln, wird mit Swiss­DRG noch grös­ser. Pla­ka­tiv gesagt: die Pati­en­ten wer­den nach allen Regeln der ärzt­li­chen Kunst „zusam­men­ge­flickt“ und mög­lichst bald wie­der ent­las­sen. Was danach mit ihnen pas­siert und was über­haupt dazu geführt hat, dass sie sich sta­tio­när behan­deln las­sen muss­ten, inter­es­siert das Spi­tal kaum mehr. Wenigs­tens gilt dies für den Fall, dass nur Haupt- und Neben­dia­gno­sen ent­schä­digt wer­den.

Ergän­zen­de The­ra­pi­en und Betreu­ung

Um hier Gegen­steu­er zu geben, soll­ten im Rah­men von Swiss­DRG zweck­mäs­si­ger­wei­se auch beglei­ten­de The­ra­pi­en abge­gol­ten wer­den. Gemeint sind The­ra­pi­en, die dar­auf ab­zielen, zusam­men mit dem Pati­en­ten eine nach­hal­ti­ge, tief grei­fen­de Hei­lung zu bewir­ken. Sie wer­den heu­te in Deutsch­land mit­tels Zusatz­ent­gel­ten ent­schä­digt. Es emp­fiehlt sich drin­gend, die­se Lösung auch für die Schweiz zu über­neh­men. Zudem muss die Arbeit des Pfle­ge­per­so­nals bei der Berech­nung und Gewich­tung der Tari­fent­gel­te genü­gend in Rech­nung gestellt wer­den.
Mit der Ein­füh­rung von Swiss­DRG ist es dop­pelt und drei­fach wich­tig, die Akzen­te sehr bewusst auf eine umfas­sen­de, ganz­heit­li­che Pati­en­ten­be­treu­ung zu set­zen. Dann – und nur dann – kön­nen damit mit­tel- und län­ger­fris­tig tat­säch­lich Kos­ten­ein­spa­run­gen erzielt wer­den – nicht im Sin­ne eines Patent­re­zepts, aber als Bei­trag zu einem qua­li­ta­tiv hoch ste­hen­den, kos­ten­ef­fi­zi­en­ten Gesund­heits­we­sen.

Autoren63

Fach­per­son Dr. oec. Hans-Peter Stu­der
Arbeits­schwer­punk­te hat an der Uni­ver­si­tät St. Gal­len Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten
stu­diert. Er ist als selb­stän­di­ger Umwelt- und Gesund­heits­öko­nom tätig, war wäh­rend lan­ger Jah­re stv. Chef­re­dak­tor und Chef­re­dak­tor der Zeit­schrift für uns / vita sana, war im Pro­gramm Eva­lua­ti­on Kom­ple­men­tär­me­di­zin PEK für die Beur­tei­lung der Wirt­schaft­lich­keit kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­scher Metho­den zustän­dig und ist seit 2005 Mit­glied des Redak­ti­ons­teams der Quin­te.
Kon­takt hpstuder@swissonline.ch
Tele­fon 071 344 38 37

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