
Die medizinischen Fortschritte ermöglichen es, dass Schwangerschaft und Geburt immer sicherer werden. Wir streben heute danach, die Schwangerschaft bestmöglich zu begleiten und mögliche Risiken und Krankheiten beim Kind frühzeitig zu erkennen und zu behandeln – dies zum Wohle von Mutter und Kind. Regelmässige Kontrollen und Ultraschalluntersuchungen in der Schwangerschaft machen das möglich. Dies ist ein grosser Fortschritt. Auf der anderen Seite zeigen Studien, dass Stress in der Schwangerschaft die Immunentwicklung des Kindes beeinflussen kann. Grosse Ängste sind ein bedeutender Stressfaktor für die Mutter und das heranwachsende Kind. Angst und Stress nehmen heute im Allgemeinen zu.
Unserem Zeitgeist entspricht das Bestreben nach Wissen, Kontrolle und Sicherheit. Wir leben in einem Zeitalter, in dem wir möglichst alles kontrollieren und beherrschen wollen und vieles auch können. Unser Nerven-Sinnes-System dominiert, die Verstandeskräfte möchten alles durchdringen, verstehen und dadurch unter Kontrolle bringen.
Das Unsichtbare sichtbar machen
In der Schwangerschaft ist das heranwachsende Kind noch verborgen. Umhüllt und geborgen entwickelt und gedeiht es in der Mutter. Unser medizinischer Fortschritt erlaubt es, dieses eigentlich noch Unsichtbare sichtbar zu machen. Der Ultraschall ermöglicht uns, mit unserem Sehsinn bis in den Organismus vorzudringen. Es ist wichtig, dass wir dies mit dem notwendigen Respekt machen. In jeder Schwangerschaft können sich Sorgen um das Kind entwickeln; dies ist normal. Eine gute Vorsorgekontrolle dient dazu, diese Sorgen abzubauen, Ängste zu nehmen und zur Beruhigung beizutragen. Es ist wichtig zu wissen, dass die allermeisten Schwangerschaften ganz normal verlaufen, ganz im Gesunden.
Nebenwirkung Angst
Es besteht aber die Gefahr, dass durch sehr viel Wissen über alle möglichen seltenen Erkrankungen Verunsicherung und Angst aufgebaut werden können. Auch können Ängste induziert und verstärkt werden, wenn bei den Schwangerschaftskontrollen nicht vom Gesunden ausgegangen wird und falsche Formulierungen gewählt werden, wenn statt Herz und Gefühl der kühle Verstand vorherrschend ist.
Viele gut gemeinte Empfehlungen und Massnahmen haben eine Nebenwirkung: sie können Angst auslösen. Jede junge Frau im gebärfähigen Alter sollte heute, schon bevor sie überhaupt daran denkt schwanger zu werden, Folsäure zu sich nehmen. Denn ein Folsäuremangel wird für verschiedene seltene Fehlbildungen beim Kind verantwortlich gemacht. Nimmt sie frühzeitig, d.h. noch vor einer Schwangerschaft eine genügende Menge Folsäure zu sich, kann sie ihr Kind schützen. Mit einer solchen Empfehlung sollen die jungen Frauen informiert werden; es geht um das Beste für Mutter und Kind. Aber die Angst vor den Fehlbildungen und die Verunsicherung sind plötzlich da. Kritisch wird es, wenn diese Angst eine Intensität erhält, welche die Mutter beherrscht und zum Stress wird.
Epidemie der Angst
Eine ganz andere Dimension von Angsterzeugung haben wir letztes Jahr erlebt. Mit der Schweinegrippe wurde ganz gezielt Angst gemacht, vor allem bei Schwangeren und Wöchnerinnen. Aufgrund einiger weniger Fälle von schweren Verläufen in der Schwangerschaft oder im Wochenbett wurde eine enorme Angst aufgebaut, mit dem Ziel, dass sich schwangere Frauen gegen diese Schweinegrippe impfen lassen. Schon bald war erkennbar, dass vieles übertrieben und hochgepuscht war. Und doch sollten sich Schwangere impfen lassen – mit einem wenig erforschten Impfstoff, in einer Lebensphase, in der man normalerweise vom Impfen abrät. Dies hat viele Schwangere und junge Mütter sehr verunsichert, verängstigt und in einen Gewissenskonflikt und Entscheidungsnotstand gebracht.
Ich denke, das Schädlichste an der ganzen Schweinegrippe war am Schluss weder die Schweinegrippe noch die Impfung, sondern die Angst und Verunsicherung.
Angst wirkt auf das Kind
Es ist heute wissenschaftlich nachgewiesen, dass Stress der Mutter direkt auf das werdende Kind wirkt. Im Jahr 2007 kam eine Studie zum Schluss, „…dass Stress in der Schwangerschaft und soziale Stressfaktoren in den ersten Lebensjahren der Kindheit das Immunsystem des Kindes beeinflussen können. Diese Dysregulation des Immunsystems in der frühen Kindheit kann Auswirkungen auf die Entwicklung eines Asthmas haben.“
Mehrere Studien weisen heute darauf hin, dass die Entstehung des Asthmas bereits pränatal sowie im 1. Lebensjahr durch eine Veränderung der Immunregulation geprägt werden kann.
Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse sind verständlich, wenn man bedenkt, dass das Seelische des Kindes besonders eng mit der Mutter verbunden und ganz besonders abhängig von ihr ist. Das Kind formt seine Leiblichkeit in Abhängigkeit vom seelischen Schutzmantel, mit dem die Mutter es umgibt.
Besonders interessant finde ich, dass schon Rudolf Steiner in seinem Vortrag am 2. Januar 1924 darauf hingewiesen hat, „…dass der Entwicklung eines Asthmas wirklich Schockwirkungen und Angstwirkungen zugrunde liegen können, deren Ursache oftmals wirklich im Embryonalleben liegen. Dadurch, dass die Mutter Schocks und Kümmernisse in der Schwangerschaft gehabt hat. Dies wirke ausserordentlich stark auf das gesamte Schleimhautsystem des Atmungstraktes“.
Leben ist immer ein Wagnis
Schwangerschaftskontrollen und -vorsorge sind wichtig. Sie sollen Angst nehmen und beruhigen. Wesentlich ist es, wie wir mit diesen Kontrollen umgehen. Es ist wichtig, dass wir dem Kind und den Erkenntnissen mit Respekt begegnen. Wir müssen fühlen und nicht nur verstehen. Angst und Sorgen sind normal, gerade in der Schwangerschaft. Die „normale“ Angst und Sorge stellt auch noch keine Gefahr dar, nur wenn sie nicht verdaut werden kann und zum Stress wird, kann sie schaden.
Mit positiven Gedanken und Zuversicht sowie unserer Liebe können wir den Schutzmantel um das Kind pflegen. Es gibt keine Sicherheit im Leben. Leben ist immer ein Wagnis. Es braucht Mut und Vertrauen, zu diesem Wagnis Ja sagen zu können. Dies gibt uns die Kraft, unsere Angst zu überwinden. Sicher können wir so positiv und gesundend auf das Immunsystem des Kindes wirken.
Fachperson | Dr. med. Bernhard Wingeier |
Arbeitsschwerpunkte | Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Ausbildung zum Facharzt in der Kinderklinik in Bern. Seit 1998 als Kinderarzt in der Ita Wegman Klinik tätig. Seit 1999 in der Stationsleitung der Familienstation. Betreuung der Kinder auf der Familienstation und Untersuchungen der Neugeborenen. Ambulante Sprechstundentätigkeit für das ganze Gebiet der Kinderheilkunde, im Speziellen auch für anthroposophische Therapie bei allergischen Erkrankungen wie Asthma und Neurodermitis sowie onkologische Erkrankungen. |
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