Sich selbst zuhören

In den letz­ten Jah­ren erkran­ken immer mehr Men­schen am soge­nann­ten Bur­nout. Was ist das eigent­lich? Frau Dr. med. Mar­ti­na Haeck, Fach­ärz­tin für Psych­ia­trie an der Kli­nik Arle­sheim, beschreibt den Pro­zess, wie sich jemand nach und nach in ein Bur­nout hin­ein­ma­nö­vriert. Sie macht auf kri­ti­sche Signa­le auf­merk­sam
und zeigt Mög­lich­kei­ten, wie sich jeder Ein­zel­ne vor Bur­nout schüt­zen kann.

In einem Bur­nout sind wir „aus­ge­brannt“: kör­per­lich, see­lisch und geis­tig erschöpft. Wir füh­len uns hin und her gewor­fen zwi­schen Anspan­nung und Läh­mung. Vor­aus­ge­gan­gen ist die­sem Zustand oft eine jah­re­lan­ge Über­for­de­rung, ein Pro­zess zuneh­men­der Erschöp­fung.
Ich möch­te das Phä­no­men Bur­nout an einem Bei­spiel beschrei­ben. Eine Per­son, nen­nen wir ihn Herr Schnei­der, arbei­tet sehr gern. Er setzt sich für sei­nen Beruf fach­lich und mensch­lich in hohem Mas­se ein. Herr Schnei­der ist sehr enga­giert und brennt für das, was er tut. Er ist begeis­tert von sei­ner Arbeit, sie berei­tet ihm Freu­de. Das posi­ti­ve Feed­back für sei­ne Arbeit beflü­gelt ihn zusätz­lich. Häu­fig bleibt er län­ger, weil er noch eine bestimm­te Arbeit fer­tig­stel­len will. Viel­leicht will sein Chef am nächs­ten Mor­gen die Aus­wer­tung des letz­ten Quar­tals vor­lie­gen haben.
Bis hier­hin erken­nen sich wahr­schein­lich vie­le der berufs­tä­ti­gen Lese­rin­nen und Leser. Das Enga­ge­ment für den Beruf und das Bemü­hen, die damit ver­bun­de­nen Auf­ga­ben best­mög­lich zu erfül­len, stellt auch kein Pro­blem dar. Doch wenn dies zu einem chro­ni­schen Stress und zu dau­er­haf­ter Über­ar­bei­tung führt, ist dies deut­lich ein Vor­sta­di­um vom Bur­nout.

Eine Grenze überschreiten

Schau­en wir, was aus Herrn Schnei­der wird. Nach und nach bleibt er immer län­ger in der Fir­ma. Er ver­nach­läs­sigt sei­ne Hob­bies. Für sei­ne Fami­lie hat er kaum Zeit mehr. Mehr oder weni­ger unbe­merkt ist die Arbeit das Ein­zi­ge, das sei­nen Tag aus­füllt. Das kann über vie­le Jah­re gut gehen. Denn die posi­ti­ven Rück­mel­dun­gen zu sei­ner Arbeit glei­chen das Defi­zit an Erho­lung aus.
Die Situa­ti­on beginnt dann gefähr­lich zu wer­den, wenn die ein­zi­ge Lek­tü­re von Herrn Schnei­der Fach­bü­cher sind, wenn er sei­ne Thea­ter­kar­ten ver­fal­len lässt und Fami­li­en­fes­te ver­gisst, wenn er sei­ne Freun­de nicht mehr besucht und kei­ne Zeit mehr für sei­ne Fami­lie auf­brin­gen kann. Das sind ers­te Anzei­chen für den Über­gang in ein Aus­ge­brannt­sein. Die Gren­ze zur „eigent­li­chen Gefahr“ ist nicht offen­sicht­lich. Das macht den Umgang mit die­ser Erkran­kung so schwie­rig.
Herr Schnei­der ist zuneh­mend ent­täuscht. Er erhält in sei­ner Arbeit nicht mehr genug posi­ti­ve Rück­mel­dun­gen, sein Über­en­ga­ge­ment wird nicht so gewür­digt, wie er es erwar­tet. Und auf ein­mal schafft er nicht mehr so viel, er zieht sich zurück und resi­gniert. Nun wird die Schuld­fra­ge zum The­ma. Ent­we­der weist er sich selbst oder ande­ren die Schuld dar­an zu, war­um er mit sei­ner Arbeit plötz­lich nicht mehr zufrie­den ist. Die schlei­chen­de Unzu­frie­den­heit ist das Alarm­si­gnal dafür, dass eine Situa­ti­on erreicht ist, aus der Herr Schnei­der kaum noch allein her­aus­fin­det.
In einer nächs­ten Pha­se tre­ten kör­per­li­che Sym­pto­me auf. Herr Schnei­der kann nicht gut schla­fen, Schwin­del­ge­füh­le und Herz­ra­sen beun­ru­hi­gen ihn. Magen- und Darm­pro­ble­me kom­men hin­zu. Auch psy­chi­sche Schwie­rig­kei­ten wie depres­si­ve Stim­mung, eine erhöh­te Reiz­bar­keit und eine zuneh­men­de Ner­vo­si­tät zei­gen sich. Sei­ne Gedan­ken krei­sen, er grü­belt näch­te­lang, am Tag kann er sich nicht recht kon­zen­trie­ren. Sei­ne Gefüh­le fah­ren Ach­ter­bahn. Er fühlt sich ent­we­der ner­vös, gereizt und über­emp­find­lich oder abge­stumpft, trau­rig, leer, taub und ohne Hoff­nung. Dem Leben gegen­über ist Herr Schnei­der sehr nega­tiv ein­ge­stellt. Ent­schei­dun­gen schiebt er hin­aus. Jetzt ist er rich­tig aus­ge­brannt, und nur ein lang­wie­ri­ger Gene­sungs­pro­zess kann ihn wie­der ins Leben zurück­füh­ren.

Rechtzeitig Hilfe suchen

Wenn ich mer­ke, dass mein Schlaf nicht mehr erhol­sam ist, dass ich mich in mei­nem Kör­per nicht mehr wohl­füh­le, mich nicht mehr ent­span­nen kann, dass ich zuneh­mend ver­ein­sa­me, dann soll­te ich das nicht auf die leich­te Schul­ter neh­men son­dern Hil­fe suchen. Oder wenn mein Part­ner mir sagt: „Für Dich gibt es nur noch die Arbeit, und wenn Du nach Hau­se kommst, bist Du schlecht gelaunt.“ Wenn mir die Freu­de an den schö­nen Din­gen des Lebens abhan­den­ge­kom­men ist, dann soll­te ich das mit einem Arzt mei­nes Ver­trau­ens bespre­chen. Das kann der lang­jäh­ri­ge Haus­arzt sein, der mir hilft, einen Aus­weg zu suchen. Er wird mich dar­auf auf­merk­sam machen, wenn er zum Bei­spiel eine Gesprächs­the­ra­pie für not­wen­dig erach­tet. Er kann auch ein­schät­zen, wann ein Durch­bre­chen mei­nes bis­he­ri­gen All­tags nur durch eine Frei­stel­lung von der Arbeit oder im extre­men Fall durch einen Kli­nik­auf­ent­halt mög­lich ist.
Wenn ich es selbst schaf­fe, schon bei den ers­ten Anzei­chen zu reagie­ren, kann ich ver­hin­dern, in ein rich­ti­ges Bur­nout zu rut­schen. Wenn es aus­ser Arbeit nichts mehr in mei­nem Leben gibt, soll­te ich inne­hal­ten, einen Schritt zurück­tre­ten und beob­ach­ten, wie ich mei­nen Tag ver­brin­ge. Bin ich noch im Gleich­ge­wicht zwi­schen Arbeit und Ent­span­nung? Wech­seln sich Schla­fen und Wachen, Ein­drü­cke aus Kul­tur und Natur ab? Sor­ge ich in mei­nem Leben für einen Aus­gleich zwi­schen Gesell­schaft und Allein­sein, zwi­schen drin­nen und draus­sen sein? Das heisst, ich prü­fe mei­nen Lebens­rhyth­mus, mei­nen Tages­rhyth­mus. Es kann sinn­voll sein, bereits an die­sem Punkt mit dem Haus­arzt zu spre­chen, ihn in die Beob­ach­tung des Lebens­rhyth­mus mit ein­zu­be­zie­hen. Er kann als neu­tra­le ver­trau­ens­vol­le Per­son eine „Kon­troll­in­stanz“ für mich sein.

Das hat mir früher gut getan.

Im Gespräch mit einem Arzt kann der Fra­ge nach­ge­gan­gen wer­den, was einen Aus­gleich schaf­fen kann in mei­nem Leben. Natür­lich kann ich mich die­ser Fra­ge auch selbst stel­len, oder sie mit einem ande­ren ver­trau­ten Men­schen bewe­gen. Es kommt auf die rich­ti­ge Fra­ge­stel­lung an und ob ich mir selbst gegen­über ehr­lich bin. In solch einem Gespräch kom­me ich mög­li­cher­wei­se an einen Punkt, an dem ich mich dar­an erin­ne­re, was mich frü­her begeis­tert und was mir gut getan hat. Ob das ein Spa­zier­gang im fast magi­schen Licht der Däm­me­rung ist oder ein Café-Besuch mit einem Freund.

Mög­li­cher­wei­se muss ich auch eini­ges aus­pro­bie­ren, ob es auch heu­te noch das ist, was mir einen guten Aus­gleich geben kann.
Wir lei­den in der heu­ti­gen Zeit unter einer Infor­ma­ti­ons­flut und haben dadurch zu vie­le ein­sei­ti­ge Sin­nes­ein­drü­cke, die wir gar nicht ent­spre­chend ver­ar­bei­ten kön­nen. Allein das ist eine gros­se Her­aus­for­de­rung im All­tag. Wenn die­se Ein­drü­cke zu ein­sei­tig sind, kann das eine Gefahr für unse­re Gesund­heit dar­stel­len. Wich­tig ist des­halb, von einer Ein­sei­tig­keit der Sin­nes­ein­drü­cke in eine Aus­ge­wo­gen­heit zu kom­men, also ver­schie­de­ne ruhi­ge Sin­nes­ein­drü­cke zu ermög­li­chen mit der not­wen­di­gen Zeit zum Ver­ar­bei­ten. Dabei kommt den Ein­drü­cken beson­ders viel Gewicht zu, die mir selbst Nah­rung geben. So wie das Phy­si­sche Nah­rung braucht, ver­lan­gen auch das See­li­sche und Geis­ti­ge in uns an Nah­rung. Inso­fern kann man sagen, dass eine ganz­heit­li­che Lebens­wei­se der bes­te Schutz vor Bur­nout ist, also alles, was einer ein­sei­ti­gen Belas­tung ent­ge­gen­wirkt.

Auf sich hören

Das Wich­tigs­te in der Vor­beu­gung und auch der Behand­lung eines Bur­nout-Pati­en­ten ist, dass der Pati­ent ein Ohr für sich ent­wi­ckelt. Ich höre auf mei­nen Kör­per, mei­ne See­le und auf mei­ne geis­ti­gen Bedürf­nis­se. Mein Kör­per sen­det mir genü­gend Signa­le. Ich muss nur bereit sein, sie wahr­zu­neh­men und zu beach­ten. Mein Kör­per sagt mir, was ich brau­che.
Als eine gute Übung dafür kann man sich eine klei­ne Holz­schei­be neh­men, oder auch ein Papier, ähn­lich einem Voka­bel­kärt­chen. Auf die eine Sei­te schrei­be ich einen Begriff, der das umschreibt, womit ich unzu­frie­den bin, auf die ande­re Sei­te schrei­be ich, was mir gut tun wür­de. Und die­se Sei­te lege ich gut sicht­bar an den Platz, an dem ich mich meis­tens auf­hal­te, so dass ich die­se Wohl­tat immer vor Augen habe. Denn dar­auf kommt es an: Ich höre auf mich, neh­me wahr, was nicht stimmt und hand­le ent­spre­chend. Ich set­ze dem, was nicht gut ist für mich, eine Tat ent­ge­gen.

Autoren_Q41_2

Fach­per­son Dr. med. Mar­ti­na Haeck
Arbeits­schwer­punk­te Fach­ärz­tin für Psych­ia­trie
und Psy­cho­the­ra­pie. Fach­be­reichs­lei­te­rin Psych­ia­trie an der Kli­nik Arle­sheim seit 2014.
Kon­takt martina.haeck@klinik-arlesheim.ch

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.