
Eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen ist die Epilepsie, die im Volksmund auch als Krampfleiden oder Fallsucht bezeichnet wird und für die Betroffenen vielfältige Auswirkungen auf das Alltagsleben hat. Wie kann man mit dieser Erkrankung umgehen? Verena Jäschke hat darüber mit einer betroffenen Patientin gesprochen und von einer Methode erfahren, mithilfe derer sie der Krankheit anders begegnet. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass eine Reduktion von Medikamenten für Epilepsie gefährlich sein kann und nur in enger Absprache mit dem behandelnden Neurologen durchgeführt werden sollte.
Die beeindruckende Geschichte der Patientin hat Verena Jäschke
für „Quinte“ zusammengefasst.
In meiner Jugend wurde ich mit der Epilepsie als Herausforderung konfrontiert. Sieben Jahre lang wurde die Erkrankung mit den üblichen Medikamenten behandelt. Während meiner Ausbildung erfuhr ich, dass man auch anders auf Krankheiten schauen kann, und so überlegte ich, ob ich nicht auch ohne diese Medikamente zurechtkommen kann. Ich habe einige Ärzte kennen gelernt, die mich darin unterstützt haben, und so konnte ich, von wenigen Situationen abgesehen, vierzehn Jahre frei von Anfällen leben.
Ein Unfall stellt die Weichen neu
Nach einem Autounfall kam die Krankheit als Herausforderung für den Umgang mit mir selbst wieder zurück. Der Unfall warf mich so aus der Bahn, dass ich nicht mehr zurecht kam. Ich konnte seitdem auch nicht mehr arbeiten. Durch die Begegnung mit dem Neurologen Siegward Elsas lernte ich eine neue Methode kennen, mit Epilepsie umzugehen. Er selbst hat diese in Amerika erlernt. Eine amerikanische Psychologin, selbst von der Krankheit betroffen, hatte die Methode Selbstkontrolle (self control) erarbeitet und ein Schulungsbuch dazu verfasst. Das beeindruckte mich sofort. Meine Hoffnung war, dass ich so meine Erkrankung selbst in die Hand nehmen kann.
Eine Schwierigkeit ergab sich dadurch, dass das Buch über diese Methode bisher nur auf Englisch erschienen ist. Glücklicherweise erklärte sich ein Freund bereit, mit mir die verschiedenen Lektionen der Methode durchzuarbeiten, die die Psychologin in dem Buch zusammengefasst hat. Er kann simultan übersetzen und hilft mir auch bei den Übungen. Wenn man regelmässig einmal wöchentlich am Kurs arbeitet, dauert es etwa sechs Monate, bis man alles durchgearbeitet hat. Ist das Erarbeiten des Kurses nicht in so dichten Intervallen möglich, benötigt es entsprechend länger.
Es gibt verschiedene Auslöser für einen Anfall
Hauptauslöser für einen Anfall ist bei mir der Stress. Das kann im Gedanklichen sein, wenn meine Gedanken kreisen, sich verselbständigen, wenn Verschiedenes mich bewegt. Oder es ist emotionaler Stress – wenn ich mit jemandem Streit habe, wenn es im Sozialen nicht stimmt, oder wenn ich zu viele Sinneseindrücke verarbeiten will – bei einem ausgiebigen Stadtbummel zum Beispiel. Ein anderer Auslöser ist seelischer Stress mit mir selbst, bei depressiven Stimmungen oder Einsamkeitsgefühlen.
Stress kann für mich auch entstehen bei speziellen Tätigkeiten, zum Beispiel Wohnungspflege, wenn ich mich mit einem Ziel unter Druck setze und zu viel in zu kurzer Zeit erreichen will.
Bei all diesen genannten Auslösern merke ich Prozesse in mir, die sich verselbständigen. Dabei komme ich innerlich wie in einen Stau. Vor allem das Atmen ist dann nicht mehr in harmonischem Fluss. Ich halte das Atmen fest, es kommt ins Stocken, Luftanhalten, bis sich das Bewusstsein löst und ein Anfall kommt.
Äusserlichen, nicht veränderbaren Auslösern, wie zum Beispiel extremen Wetterverhältnissen, Schneefall, Vollmond, bestimmten Planetenkonstellationen, die ich unterschwellig spüre, kann ich begegnen, indem ich mich im Voraus erkundige und für solche Tage nicht noch andere Stressfaktoren wie einen Stadtbummel dazu nehme. Mit der Zeit lerne ich die verschiedenen Auslöser immer besser kennen.
Vor einem Anfall eingreifen
Wenn ein Anfall naht, bemerke ich ein Stechen in der Gegend des Sonnengeflechts und mir wird übel. Auf dieser Stufe kann ich noch eingreifen. Innerlich muss ich „halt!“ sagen gegenüber dem, was sich verselbständigt hat, ob das Gedanken sind, zu viele Eindrücke oder Gefühle.
Wenn es mir gelingt, noch rechtzeitig bewusst „stopp“ zu sagen, kann die gestaute Atmung wieder fliessen und ich komme wieder zu mir. Diese Eingriffsmöglichkeit gibt es nur für wenige Sekunden. Verpasse ich diesen Zeitpunkt, kommt die nächste Stufe, ich nenne sie „Bewusstseinsverlust“. Dann löst sich das Bewusstsein aus dem Körper, und nun merken auch die anderen, dass ich nicht mehr anwesend bin. Oft laufe ich dann, halbbewusst, ganz woanders hin oder halte mich am Körper fest, um mich dadurch wieder zu spüren.
Es kann auch sein, dass ich plötzlich spreche, um durch die Sprache wieder zur Anwesenheit zu kommen. Das sind dann Inhalte, die nicht zur jeweiligen Situation passen, und oft kann da im Nachhinein Humorvolles zu erleben sein. Oder ich versinke im Moment in der Situation, bleibe im Tram sitzen und steige erst eine Station später aus als geplant.
Täglich an sich arbeiten
Bei dieser Krankheit geht es für mich darum, mich auf das Atmen und das Bewusstsein zu schulen. Insofern habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, täglich daran zu arbeiten.
Ich nehme mir in der Regel abends eine Stunde Zeit, ich nenne es Treffen mit mir selbst. Ich gehe gedanklich die Tagesereignisse durch, ohne sie zu bewerten. Was ist passiert, was habe ich gedacht, gefühlt, getan, wie bin ich mit schwierigen Situationen umgegangen – was hätte ich anders machen können? Am Ende dieser Rückschau komme ich dann immer wieder ganz bewusst zu mir selbst zurück und kann mir dann überlegen, wie der nächste Tag aussehen kann.
Für mich geht es darum zu lernen, eingreifen zu können, bevor es zu spät ist. Ich versuche, mir die Auslöser der Anfälle immer klarer zu machen. Das übe ich jeden Tag. Meine Hoffnung ist, so weit zu kommen, dass ich gar keine Medikamente mehr brauche. Früher habe ich öfter Anfälle bekommen, heute habe ich das schon besser im Griff. Ich muss es schaffen, eine bestimmte Grenze zu sehen und dann zu handeln. Diese Kontrolle darf nicht ins Negative kehren, indem ich nur noch die Zügel festhalte. Ich beobachte vielmehr, dass ich durch die Rückschau am Abend mehr Selbstvertrauen bekomme und dadurch auch besser inkarniert bin.
Entdecken, was gut für mich ist
Am Morgen ist es sehr günstig, für eine Stunde zu „walken“, schnell zu gehen – mit grossem Schritt, in ruhigem Tempo und tief atmend. Ich laufe in meinem Rhythmus, bin gut inkarniert. Das tut mir ebenso gut wie die Stunde am Abend, in der ich meine Rückschau auf den Tag mache. Ich beobachte, dass ich durch die Rückschau mehr Selbstvertrauen bekomme und dadurch auch besser inkarniert bin.
Morgens laufen, abends besinnen und mich treffen. Von Anfang an war dieser Weg richtig für mich. Ich habe gelernt, dass ich mich in meinem Körper wohl fühlen muss. Musik hilft mir sehr, insbesondere die von Bach, quasi als Art selbständige Musiktherapie. In die Natur gehen, im eigenen Rhythmus sein, das Ein- und Ausatmen bewusst führen, das Mass und den Ausgleich finden – das sind gute Voraussetzungen, um keinen Stress zu haben. Ich habe den Eindruck, dass diese Schulungsmethode auch bei anderen Krankheiten hilfreich sein kann.
Während unseres Gesprächs merke ich, dass ich zu lange, zu viel und zu schnell rede. Meine Atmung kommt ins Stocken, verkrampft. Ich bemerke die erste Vorwarnung, das Übelwerden. Jetzt nehme ich mein Riechfläschchen mit herbem Zedernholzduft, atme mit kräftigem Atemzug tief ein und verhindere einen Anfall. Ich habe gehört und erfahren, dass bei mir ein unmittelbarer Zusammenhang besteht zwischen dem Ort, an dem das Riechen im Gehirn wahrgenommen wird und dem, wo die Anfälle ausgelöst werden. Das kann man also auch üben.
Das richtige Mass finden
Bei zu vielen Inhalten und Eindrücken in zu kurzer Zeit entsteht ein ungesundes Verhältnis von Raum und Zeit. Dann atme ich nicht mehr gesund, sondern erlebe ein Stauen. Eine Lösung hierfür ist, eins nach dem anderen tun, Schritt für Schritt. Nicht zu viel, bis es wieder platzen muss.
Ich habe schon in früheren Jahren gemerkt, dass mit meiner Atmung etwas nicht stimmt. Das Atmen war früher kein Fliessen, sondern eher ein Stocken. Bei der Atmung setzen auch einige Übungen zur Selbstkontrolle an. Stress durch bewusste Atemübungen verringern, zum Beispiel das bewusste tiefe Atmen in den Bauch üben.
Das Ganze ist eine Bewusstseinsschulung, indem ich mir bewusst mache: „Was denke ich im Moment, was fühle ich, was tue ich?“ Und es ist eine Willensschulung.
Doch man muss das richtige Mass finden – ich kann nicht fünf Stunden laufen oder drei Stunden abends eine Rückschau versuchen, sondern jeweils eine Stunde. Ich mache mir klar: „Wo stehe ich?“, „Was habe ich für Bedürfnisse?“ und nicht: „Ich will das Haus fertig putzen, ich will drei Stunden üben.
“Es tut nicht gut, sich den ganzen Tag mit der Krankheit zu beschäftigen. Man muss loslassen lernen, sonst dreht man sich im Kreis. Mir hilft es, wenn ich für andere etwas tun kann, zum Beispiel im Garten. Wenn ich die Möglichkeit habe, selbst zu bestimmen, was ich mache, wann und wie viel.
In Basel gibt es eine Selbsthilfegruppe Epilepsie für Betroffene. Sie treffen sich alle zwei Wochen im Zentrum Selbsthilfe in Basel. Die Mitglieder tauschen ihre Erfahrungen aus. Neue Mitglieder sind herzlich willkommen!
Kontakt: 061 322 68 62 oder lisebeth.meyer@gmx.ch
Fachperson | Verena Jäschke |
Arbeitsschwerpunkte | Dipl. PR-Beraterin. Seit 1996 in der Ita Wegman Klinik tätig. Seit 2003 Beauftragte für Kommunikation, zuständig für die Bereiche PR, Marketing und Werbung. |
Kontakt | Telefon 061 705 72 14 verena.jaeschke@wegmanklinik.ch |