Selbst aktiv sein können

Ein grund­le­gen­der Ansatz in der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin ist die Ganz­heit­lich­keit. Ein Para­de­bei­spiel dafür ist die Hei­leu­ryth­mie, die bei einem enorm brei­ten Spek­trum an Krank­heits­bil­dern eine ech­te Hil­fe­stel­lung sein kann. Nor­man Kin­ge­ter, Hei­leu­ryth­mist im Ita Weg­man Ambu­la­to­ri­um in Basel, zeigt an eini­gen Bei­spie­len ver­schie­de­ne Ein­satz­mög­lich­kei­ten der Hei­leu­ryth­mie auf.

Das eingespielte Reiz-Reaktionssystem aufbrechen

Für sehr vie­le Men­schen las­sen im Früh­jahr die Pol­len die wun­der­ba­re Jah­res­zeit zu einer Tor­tur wer­den. Aber auch ande­re äus­se­re Ein­flüs­se rufen bei vie­len extre­me Reak­tio­nen her­vor. Nah­rungs­mit­tel, Mil­ben, Medi­ka­men­te kön­nen Aus­lö­ser für All­er­gi­en sein, die immer eine Über­re­ak­ti­on auf die­se Ein­flüs­se von aus­sen dar­stel­len. Die Schleim­häu­te reagie­ren zu stark, der Mensch scheint zu zer­flies­sen.
In der Hei­leu­ryth­mie rege ich den Pati­en­ten an, sich anders mit die­sen Aus­sen­rei­zen aus­ein­an­der­zu­set­zen. Es geht letzt­end­lich dar­um, das Gleich­ge­wicht wie­der­her­zu­stel­len – das Gleich­ge­wicht zwi­schen dem Wahr­neh­men bezie­hungs­wei­se Auf­neh­men der Rei­ze, dem Ver­ar­bei­ten und dem Han­deln. Das kann auch ein län­ge­rer Pro­zess sein, bei dem ich den Pati­en­ten zusam­men mit dem Haus­arzt über einen grös­se­ren Zeit­raum beglei­te. Wir begin­nen zum Bei­spiel bereits im Herbst mit der The­ra­pie, denn es ist wich­tig, mit dem Immun­sys­tem dann zu arbei­ten, wenn es nicht schon durch die aku­te All­er­gie irri­tiert ist. Mit ver­schie­de­nen Übun­gen arbei­ten wir dar­an, einen gesun­den Rhyth­mus auf­zu­bau­en. Das betrifft zum einen die Ver­dau­ungs­pro­zes­se, die in einen Aus­gleich kom­men sol­len. Das hat aber auch Aus­wir­kun­gen auf see­li­sche Pro­zes­se, die eines Aus­gleichs bedür­fen. So erar­bei­ten wir gemein­sam Übun­gen, die hel­fen, in ein Gleich­ge­wicht zwi­schen innen und aus­sen, zwi­schen Auf­bau und Abbau zu kom­men und über­mäs­si­ger Auf­re­gung mit Ruhe zu begeg­nen, zu sich selbst zurück­zu­kom­men. Immer wie­der pas­sen wir die Übun­gen der momen­ta­nen Situa­ti­on an. Es zeigt sich dann, dass nicht nur der Heu­schnup­fen sich bes­sert, son­dern der Mensch all­ge­mein in einem bes­se­ren Gleich­ge­wicht in der Welt steht.

Die gesunden Kräfte stärken

Zu mir in die Hei­leu­ryth­mie kom­men auch vie­le Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mit einer Krebs­er­kran­kung. Bei ihnen unter­stüt­ze ich mit den Übun­gen zum Bei­spiel ihren Wär­me­haus­halt. Eine Krebs­er­kran­kung ist häu­fig mit Käl­te ver­bun­den, erst recht nach oder wäh­rend einer Che­mo­the­ra­pie. Des­halb zei­ge ich der Pati­en­tin Übun­gen, bei denen sie von innen her­aus wie­der warm wer­den kann. Es ist also nicht allei­ne die Erwär­mung durch die äus­se­re Bewe­gung. Das geschieht vor allem durch die beson­de­re Qua­li­tät der Bewe­gung in der The­ra­pie. Jede Bewe­gung wird bewusst aus­ge­führt, von innen her­aus gestal­tet und mit der Emp­fin­dung beglei­tet. Das macht die Pati­en­tin warm und stärkt so die gesun­den Kräf­te. Damit ist die Hei­leu­ryth­mie eine per­fek­te Ergän­zung zur Mis­tel­the­ra­pie. Meist ist die Krank­heit von ver­schie­de­nen Sym­pto­men beglei­tet. Ich bespre­che mit der Pati­en­tin, wel­che Begleit­erschei­nun­gen am schwie­rigs­ten für sie sind. Da set­zen wir dann zuerst an.
Noch ent­schei­den­der ist aber, dass der Pati­ent in die­ser bedroh­li­chen Situa­ti­on einer Krebs­er­kran­kung das Ruder selbst in die Hand neh­men kann. Er kann etwas für sich tun, und zwar dann, wenn es für ihn gut ist. Den posi­ti­ven Effekt des­sen bestä­ti­gen mir die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten immer wie­der. Die Che­mo­the­ra­pie, ande­re Medi­ka­men­te, auch Mis­tel­the­ra­pie oder Hyper­ther­mie – alles kommt von aus­sen an sie her­an, alles bekom­men sie. Aber die Hei­leu­ryth­mie machen sie selbst. Sie kön­nen die Übun­gen über­all und jeder­zeit anwen­den, sie sind indi­vi­du­ell auf sie zuge­schnit­ten.

Das Gleichgewicht finden

Auch bei psych­ia­tri­schen Erkran­kun­gen, wie zum Bei­spiel einer Depres­si­on oder einem Bur­nout, kön­nen hei­leu­ryth­mi­sche Übun­gen eine gros­se Hil­fe sein. In der anthro­po­so­phi­schen Behand­lung psych­ia­tri­scher Erkran­kun­gen wer­den vom Arzt, wo nötig, genau­so schul­me­di­zi­ni­sche Medi­ka­men­te ein­ge­setzt, wie in jeder ande­ren Behand­lung auch. Dane­ben wird aber gros­ser Wert auf die Arbeit mit dem Kör­per gelegt. Das kön­nen Ein­rei­bun­gen, Wickel, Bäder sein oder eben als eige­ne Akti­vi­tät Hei­leu­ryth­mie. Bei dem Pati­en­ten mit einer Depres­si­on sind meist ver­schie­de­ne vege­ta­ti­ve Pro­zes­se aus dem Gleich­ge­wicht gera­ten. Er lei­det unter Schlaf- und Gleich­ge­wichts­stö­run­gen, es man­gelt ihm an Appe­tit, er fühlt sich kalt. Ich arbei­te mit ihm so, dass wir zuerst Wär­me, Beweg­lich­keit und Gleich­ge­wicht för­dern. Auch Gedan­ken­krei­sen kann durch Bewe­gung begeg­net wer­den. Wich­tig für den Pati­en­ten mit einer Depres­si­on ist es, dass er durch die Hei­leu­ryth­mie Bewe­gungs­ab­läu­fe erlernt, die er durch regel­mäs­si­ges Üben in sei­nen All­tag inte­griert und damit den Gesun­dungs­pro­zess beglei­tet.

Die kindliche Entwicklung unterstützen

Häu­fig kom­men Kin­der zu mir, bei denen noch nicht ganz klar ist, ob sie schul­reif sind oder nicht. Dabei bewährt sich immer wie­der die Zusam­men­ar­beit von Erzie­he­rin, Kin­der­arzt und The­ra­peut.
Oft han­delt es sich um Ungleich­ge­wich­te in der Ent­wick­lung, zum Bei­spiel Auf­fas­sungs­ga­be, emo­tio­na­le Sta­bi­li­tät oder Be­wegungskoordination. Doch auch, wenn bereits ent­schie­den wur­de, dass das Kind ein­ge­schult wird, kann bis zum Som­mer durch spe­zi­el­le Übun­gen vie­les ange­regt wer­den, was das Kind in sei­ner Ent­wick­lung einen gros­sen Schritt wei­ter­kom­men lässt. Durch den ganz­heit­li­chen Ansatz in der Hei­leu­ryth­mie kann das Kind in gesun­der, alters­ge­mäs­ser Art unter­stützt wer­den. Auch man­chem Erst­kläss­ler kann man auf die­se Art noch hel­fen, bes­ser in den Schul­all­tag hin­ein­zu­fin­den.

Autoren20

Fach­per­son Nor­man Kin­ge­ter
Arbeits­schwer­punk­te Fach­grup­pen­lei­tung Hei­leu­ryth­mie,
1988–1992 Euryth­mie­stu­di­um am
Euryth­me­um Stutt­gart, 1995 Abschluss des Hei­leu­ryth­mie­stu­di­ums in Dor­n­ach,
1995–2005 Hei­leu­ryth­mie an der Rudolf Stei­ner Schu­le Basel und in eige­ner Pra­xis in Basel, seit 2005 an der Ita Weg­man Kli­nik,
seit Okto­ber 2011 auch am Ita Weg­man Ambu­la­to­ri­um
Kon­takt norman.kingeter@wegmanklinik.ch

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