
Etwa ein Drittel unseres Lebens verbringen wir schlafend. Warum diese Zeit nicht für alle Menschen erholsam ist und welche Hilfen es geben kann, beschreibt der Schlafmediziner PD Dr. med. Matthias Kröz.
Die Frage nach der Bedeutung des Schlafs ist seit vielen Jahren im wissenschaftlichen Fokus, was nicht verwundert angesichts der Tatsache, dass er rund ein Drittel unserer Lebenszeit ausmacht. Bisher hat die Wissenschaft dennoch keine einfache Antwort auf diese Frage gefunden. Die Schlafmedizin an sich ist eine noch sehr junge Wissenschaft. Im Jahr 1929 wurde erstmals ein Elektroenzephalogramm (EEG-Messung der Gehirnströme) abgeleitet. Zwischen 1950 und 1960 wurden erste grundlegende Kenntnisse über die Physiologie des Schlafs gewonnen. Sie führten zwischenzeitlich dazu, dass er heute differenziert in Schlafstadien und als aktiver Zustand verstanden wird. Auch wenn wir heutzutage die physiologische Bedeutung des Schlafs nur in Teilen verstehen, konnten doch vielfältige Erkenntnisse gewonnen werden. So wissen wir, dass in der frühkindlichen Entwicklung der Schlaf eine grosse Bedeutung für die Reifung des Gehirns hat und dass nachts wichtige Lernvorgänge konsolidiert werden. Zudem hat der Schlaf eine Bedeutung bei Stoffwechselprozessen und einen wichtigen Stellenwert für das Immunsystem. Das aus der Alltagserfahrung Offensichtlichste am gesunden Schlaf ist, dass wir ent-müden und uns erholen können.
Schlafen in Schlafzyklen
Mit den einzelnen Schlafstadien durchlaufen wir nachts mehrere Schlafzyklen. Insofern müssen wir das sogenannte Durchschlafen relativ betrachten: Wenn man nachts kurz aufwacht, dann wieder zügig einschläft, ist das normal und auch bei Wiederholung noch keine Schlafstörung. Schlaf ist ein regulierter hochaktiver Zustand. In Schlaflaboren erstellte Schlafprofile (sogenannte Hypnogramme) zeigen die verschiedenen Schlafphasen, die in Schlafzyklen von jeweils 90 bis 120 Minuten geordnet sind. Sie folgen einem Rhythmus. Während der Nacht werden sogenannter Nicht-REM-Schlaf – unterteilt in oberflächlichen Schlaf (Schlafstadium N1), konsolidierten Schlaf (Schlafstadium N2) sowie Tiefschlaf (Schlafstadium N3) – und REM-Schlaf nacheinander geordnet durchlaufen. Letzterer heisst so, weil er durch schnelle Augenbewegungen (Rapid-Eye-Movement) charakterisiert ist. Während dieser Schlafphase werden Träume besonders häufig erinnert. Dabei stellen der sogenannte Deltaschlaf oder Tiefschlaf und der REM-Schlaf die wichtigsten Phasen dar, denn diese sind für unsere körperliche, psychische und mentale Erholung von besonderer Bedeutung.
Bedeutung der Schlafqualität
Eine Studie in Köln, die die kindlichen Schlafgewohnheiten bei über 1300 Kindern und ihren Eltern im Rahmen der Schuleintrittsuntersuchung erfragte, hat gezeigt, dass deren Schlaf von unregelmässigen Zubettgehzeiten, Erkrankungen, familiären Problemen, Licht- und Lärmbelästigung und einem Fernseher im Raum beeinflusst wurde. Ein gestörter Schlaf hat bei Kindern Auswirkungen bezüglich Verhaltensauffälligkeiten und -störungen.
Einfluss des gestörten Schlafs auf unsere Gesundheit
Manche der vielfältigen Formen von Schlafauffälligkeiten, sogenannte Parasomnien, wie etwa Schlafwandeln, Reden im Schlaf oder Alpträume haben keinen oder kaum Einfluss auf die Gesundheit.
Anders sieht es bei Dyssomnien, wie zum Beispiel mit Ein- und Durchschlafstörungen aus, die zu Tagesschläfrigkeit oder Tagesmüdigkeit und verminderter Leistungsfähigkeit führen können. Unruhige Beine abends oder in der Nacht, das sogenannte Restless-Leg-Syndrom, stören nicht nur das Einschlafen, sondern können durch Muskelzuckungen der Beine auch die Schlafqualität im Sinn von Ein- oder Durchschlafstörungen erheblich beeinträchtigen und in der Folge mit Tagesschläfrigkeit oder Tagesmüdigkeit einhergehen. Weiterhin kann auch das Schlafapnoe-Syndrom als eine Ausprägung von atembezogenen Schlafstörungen einen Einfluss auf die Gesundheit, wie zum Beispiel auf Herzkreislauferkrankungen haben. Etwa zwei Drittel der Patienten, die an einem Schlafapnoe-Syndrom leiden, haben dabei einen erhöhten Blutdruck. Aber auch Zusammenhänge mit erhöhtem Vorkommen von Durchblutungsstörungen am Herzen, Schlaganfällen und Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus Typ 2) werden beschrieben. Heutzutage kann angenommen werden, dass bei bis zu 15 Prozent der Bevölkerung in Mitteleuropa chronische Schlafstörungen vorliegen.
Schlafmedizin ist eine neue Form von interdisziplinärer Medizin
Schlafstörungen und chronische Erschöpfung tagsüber (sogenannte Fatigue) können auch mit anderen Erkrankungen in Zusammenhang stehen. Insbesondere bei der Krebserkrankung rückt dies in den letzten Jahren immer stärker in den Fokus der Forschung. So gelten Schlafstörungen und Fatigue bei Krebspatientinnen und -patienten als zwei der häufigsten Symptome. Entsprechend wird neben Cancer-
related Fatigue (krebsassoziierter Müdigkeit) zwischenzeitlich auch von der Cancer-related Insomnia (krebsassoziierter Insomnie oder Schlafstörung) gesprochen. Aber auch bei Erkrankungen wie Multipler Sklerose oder im Zusammenhang mit Erkrankungsschüben bei Krankheiten aus dem rheumatischen Formenkreis kommen gehäuft Erschöpfungszustände oder Fatigue vor. Auch bei Patientinnen und Patienten mit psychiatrischen und neurologischen Grunderkrankungen ist ein gestörter Schlaf häufig anzutreffen.
Untersuchungen bei Menschen, die zum Beispiel im Rahmen von Flügen über mehrere Zeitzonen hinweg unterwegs sind, zeigen, dass der Jetlag zu tagesrhythmischen Störungen des Schlaf-/Wachrhythmus oder zu Phasenverschiebungen der Körperkerntemperatur und von Hormonrhythmen führen kann. Sie sind insbesondere in West-Ost-richtung ausgeprägt, und es kann je nach Funktion mehrere Tage bis hin zu zwei Wochen oder manchmal sogar länger dauern, bis sie sich wieder normalisieren (resynchronisieren). Bei Flugpersonal wurde in einzelnen Studien ein erhöhtes Krebsrisiko zum Beispiel für Melanome oder Brustkrebs gefunden, wobei neben der Höhenstrahlung auch langjährige Flüge über eine grössere Zahl von Zeitzonen als Mitursache diskutiert werden. Krebserkrankungen sind wie viele der internistischen Erkrankungen multifaktoriell, werden also meist durch verschiedene Bedingungen ausgelöst und beeinflusst. Doch zwischenzeitlich liegen auch Hinweise für einen möglichen Einfluss jahrelanger tagesrhythmischer Verschiebungen wie zum Beispiel bei Schichtarbeit vor.
Müdigkeit bei Krebserkrankungen
Krebsassoziierte Müdigkeit und krebsassoziierte Schlafstörungen sind wie angesprochen sehr häufige Symptome von Tumorpatientinnen und -patienten. Bis zu 75 Prozent aller Patientinnen und Patienten zeigen während der Chemotherapie und in metastasierten Zuständen (wenn Absiedlungen bestehen) eine krebsassoziierte Müdigkeit. Auch bei Erkrankten ohne Hinweise auf Metastasen kann noch Jahre nach Abschluss der konventionellen Tumortherapie ein krebsbedingtes Müdigkeitssyndrom bestehen, das die Lebensqualität erheblich einschränkt. Hier sind multimodale Therapieansätze gefragt, die gerade in der ganzheitlichen Ausrichtung der Anthroposophischen Medizin entwickelt und erforscht werden.
Innere und äussere Rhythmen
Wir haben in den letzten Jahren gelernt, dass unsere Gesundheit unterstützt wird und Krankheiten möglicherweise seltener auftreten könnten, wenn wir einen gesunden circadianen (circa 24 Stunden-Rhythmus) mit guter Tagesaktivität und erholsamem Nachtschlaf pflegen. So konnte zum Beispiel bei Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenem Dickdarmkrebs gezeigt werden, dass ein nicht oder wenig gestörter Rhythmus von Ruhe und Aktivität mit einer Lebensverlängerung und mit einer besseren Lebensqualität verbunden sein kann. Menschen, die im Schichtdienst arbeiten, haben demgegenüber vermehrt Schlafprobleme, weil sie mitunter nicht im Einklang mit ihrem inneren Rhythmus arbeiten.
Der Tagesablauf des Menschen wird durch äussere Taktgeber wie Licht oder Lärm, aber auch durch soziale Gegebenheiten beeinflusst. Dabei kann unsere „innere Uhr“ mitunter auch „anders ticken“. So ist heute durch die sogenannte Chrono- oder Zeitbiologie bekannt, dass unsere innere Uhr im sogenannten Nucleus suprachismaticus (SCN im Zwischenhirn) lokalisiert ist und eine zentrale Bedeutung für unsere Tages- und Nachtregulation aufweist und dass sie zudem in Beziehung zu sogenannten „peripheren Organuhren“ steht. Über die Chronobiologie entdecken wir wieder die Bedeutung bestimmter Rhythmen, die früher möglicherweise selbstverständlich waren, wie zu bestimmten Zeiten zu essen, schlafen zu gehen oder aufzustehen. Gesundheit könnte daher davon beeinflusst sein, wie unsere innere Uhr und unsere peripheren Organuhren „synchronisiert“ und harmonisch aufeinander abgestimmt sind.
Auf Nachtbetrieb eingestellt
Melatonin ist ein Hormon, das in der Zirbeldrüse, der Epiphyse, produziert wird. Es ist quasi das „Hormon der Finsternis“, da es – über den SCN vermittelt – von Licht gehemmt und unterdrückt wird. So steigen die Melatonin-Werte während der Dämmerung und Dunkelheit rasch an, in der Regel auf ein Vielfaches des Tageswerts. Insofern steuert Melatonin den Tag-/Nacht-Rhythmus des menschlichen Körpers. Die hohen Werte bleiben die Nacht über hoch, bis sie zum Morgen hin schnell abfallen. Dieser Rhythmus ist von Bedeutung für die Schlafregulation und -qualität.
Sehr helles Licht und das blaue Licht der PC-Bildschirme kann die Bildung dieses Hormons unter Umständen behindern, unsere Wachheit beeinflussen und verlängern und sich spät abends oder in der Nacht auch ungünstig auf das Ein- und Durchschlafen auswirken.
Lerche oder Eule?
Wie die innere Uhr „eingestellt“ ist, unterscheidet sich individuell und ist auch von den Lebensphasen abhängig. So sind kleine Kinder, sobald sie durchschlafen, zumeist Morgentypen. In der Pubertät und in den Jahren darauf sind viele der Jugendlichen eher Abendtypen. Im Lauf unseres Erwachsenenlebens differenziert sich unsere „circadiane Phasenlage“ zwischen Morgen-Indifferenz- oder Abendtypologie. Im höheren Alter weisen viele wieder eher morgentypische Muster auf. Der Morgenmensch ist meist “umweltgetriggert”, im Extremfall kann er wach werden, sobald es hell wird. Der Abendtyp ist eher durch einen autonomen oder weniger durch Umweltfaktoren beeinflussten inneren Rhythmus geprägt.
Rhythmus stärkt
Unrhythmische Lebensführung, Stress bei der Arbeit oder im familiären Umfeld, ungelöste Probleme – das alles kann Ein- oder Durchschlafstörungen begünstigen. Das eigene Verhalten im Umgang mit belastenden Faktoren anzupassen, kann ein guter Lösungsansatz sein. Verschiedene Entspannungstechniken können helfen, belastenden in positiven Stress zu verwandeln. Denn: Stress ist nicht grundsätzlich ungesund und zu einem gewissen Mass auch notwendig. Wenn aber dieses Mass überschritten ist und aus Stress ein Zuviel an Stress wird (Dysstress), kann sich das ungünstig auf die Gesundheit auswirken. Dann kann sich die Schlafqualität verschlechtern, was sich wiederum auf die Tagesfunktion auswirkt und die Fähigkeit mindert, mit Belastungen umzugehen.
Geregelte Zeiten für das Einschlafen und Aufstehen helfen, die Tagesfunktion günstig zu unterstützen, und sind gesundheitsförderlich. Entspannungsübungen können den Umgang mit Stress ebenso günstig unterstützen wie natürliche Therapien und Anwendungen, die sich entspannungsfördernd auswirken.
Der richtige Zeitpunkt, Hilfe zu suchen
Es gibt immer wieder besondere Belastungen bei der Arbeit oder in der Familie, die zu gehäuften Ein- und Durchschlafstörungen – mitunter mehrfach pro Woche – mit Beeinträchtigungen der Tagesfunktion führen können. Hält dieser Zustand über Wochen an, dann ist der Gang zum Hausarzt oder zur Hausärztin richtig. Hier können Risikofaktoren abgeklärt und entschieden werden, ob eine weiterführende fachärztliche bzw. schlafmedizinische Behandlung notwendig ist. So sollte zunächst die Ursache bzw. die Einordnung der Schlafstörung geklärt werden. Neben Insomnien können auch verschiedene andere Schlafstörungen bestehen.
Oft nehmen Patientinnen und Patienten bei der Insomnie noch Schlaftabletten. Diese Schlaftabletten wie Benzodiazepine und abgeschwächt Benzodiazepin-Agonisten lösen zwar den Schlaf aus. Sie führen aber auch zu einem unphysiologischen Schlaf, da die Tiefschlafphasen reduziert sind und die Schlafstruktur verändert wird. Am nächsten Tag können kognitive Einschränkungen auftreten. Zudem besteht eine Gefahr der Abhängigkeitsentwicklung, und ungünstige Auswirkungen auf die Gesundheit können entstehen. Bei der Behandlung der chronischen Insomnie haben sich daher insbesondere verhaltenstherapeutische Massnahmen wie Schlafschulung, Schlafrestriktion (-anpassung) sowie Stimuluskontrolle bewährt und in den letzten Jahren zunehmend einen hervorgehobenen Stellenwert bekommen. Aber auch Melatoninpräparate oder Arzneimittel aus der Anthroposophischen Medizin haben sich bewährt, indem sie den Tag-/Nacht-Rhythmus unterstützen und Selbstheilungskräfte anregen sollen. Ferner haben auch Therapien, die das Stress-Management verbessern können, eine Bedeutung. Doch auch hier gilt: Länger andauernde chronische Schlafbeschwerden müssen ärztlich und häufig auch schlafmedizinisch abgeklärt und behandelt werden.
Schlafstörungen kompetent abklären und behandeln
Von besonderer Bedeutung für eine adäquate Behandlung sind ein eingehendes Gespräch und für die individuelle Situation angepasste Untersuchungen. Schlaffragebögen und das Führen eines Schlaftagebuchs gehören meist dazu oder gegebenenfalls auch aktimetrische Messungen des Schlafrhythmus. Mit einer ambulanten Polygrafie-Messung lässt sich ein mögliches Schlafapnoe-Syndrom diagnostizieren und entscheiden, ob eine weitergehende Schlaflaborabklärung notwendig ist. Zudem können Therapiekontrollen unter kontinuierlicher positiver Atemwegsdruckunterstützung oder Zweidruckniveau-Behandlungen mit CPAP- (engl.: continuous positive airway pressure) oder BIPAP-Geräten (engl.: bilevel positive airway pressure) sowie andere Therapien bei schlafbezogenen Atmungsstörungen erfolgen.
Fachperson |
PD Dr. med. Matthias Kröz |
Arbeitsschwerpunkte | Facharzt für Innere Medizin und Schlafmedizin (D), Leitender Arzt Schlafmedizin Klinik Arlesheim und Leitung Forschungsabteilung. |
Kontakt | fachambulanzen@klinik-arlesheim.ch |