Schlaf, Kindlein, schlaf

Es schau­keln die Win­de das Nest in der Lin­de, da schlies­sen sich schnell die Äuge­lein hell.
Da schla­fen vom Flü­gel der Mut­ter gedeckt die Vögel­chen süss bis der Mor­gen sie weckt.“

Eli­sa­beth Ebe­ling

Kin­der und Jugend­li­che haben einen ande­ren bio­lo­gi­schen Rhyth­mus als Erwach­se­ne. Zudem hat der Schlaf eine indi­vi­du­el­le Kom­po­nen­te: Gera­de in Bezug auf Schlaf­ver­hal­ten und Schlaf­be­dürf­nis unter­schei­den sich die Kin­der – nicht nur in den ver­schie­de­nen Lebens­al­tern. Schlaf­schwie­rig­kei­ten gehö­ren zu den häu­figs­ten Pro­ble­men im Säug­lings- und Klein­kind­al­ter. Mit bestimm­ten Rah­men­be­din­gun­gen kön­nen wir aber den Schlaf unse­rer Kin­der för­dern.

Oskar, das ers­te Kind der Fami­lie Som­mer, ist zwei Jah­re alt und hat in sei­nem Leben noch kei­ne ein­zi­ge Nacht allein durch­ge­schla­fen. Seit kur­zem kommt er selb­stän­dig aus sei­nem Bett­chen und wech­selt dann hin­über ins Eltern­bett. Fran­zis­ka, das sechs Mona­te alte Mäd­chen von Fami­lie Schwarz, schläft erst spät abends ein. Immer wie­der ver­an­lasst sie ihre Eltern, zu ihr zu kom­men. Auch nachts schreit sie mehr­mals und lässt sich nur schwer wie­der beru­hi­gen. Das zehrt an den Kräf­ten der gan­zen Fami­lie. Fran­zis­ka holt sich den not­wen­di­gen Schlaf tags­über. Der fünf­jäh­ri­ge Lukas schläft abends rasch ein, das inten­si­ve Spiel am Tag hat ihn erschöpft. Doch mor­gens um halb 6 ist für ihn die Nacht zu Ende, und er kann nicht ver­ste­hen, war­um sei­ne Eltern noch nicht mit ihm spie­len wol­len.

Der Schlaf der Kin­der ist indi­vi­du­ell geprägt

Die genann­ten Bei­spie­le zei­gen, wie unter­schied­lich das Schlaf­ver­hal­ten jedes Kin­des ist. Ein Kind wie Lukas schläft mühe­los allein ein. Ein Kind wie Fran­zis­ka beschäf­tigt mit ihrem Schlaf­ver­hal­ten die gan­ze Fami­lie. Ein Kind wie Oskar fühlt sich im Bett der Eltern am wohls­ten und schläft dort fried­lich bis zum Mor­gen.
Im Alter von fünf bis zwölf Jah­ren benö­ti­gen Kin­der durch­schnitt­lich neun bis elf Stun­den Schlaf pro Nacht. Die­se Span­ne macht deut­lich, wie ver­schie­den das tat­säch­li­che Schlaf­bedürfnis ist. Wenn ein Kind mor­gens aus­ge­schla­fen ist, sich nor­mal ent­wi­ckelt und tags­über aktiv ist, dann schläft es genug, unab­hän­gig von der abso­lu­ten Schlaf­dau­er. Der klei­ne Lukas ist eben mor­gens um halb sechs wie­der fit. Wenn dies für den Fami­li­en­all­tag zu früh ist, kön­nen die Eltern ver­su­chen, die Ein­schlaf­zeit schritt­wei­se nach hin­ten zu ver­schie­ben.
So ver­schiebt sich auch die Auf­wach­zeit, denn Lukas wird sich die von ihm benö­tig­te Schlaf­men­ge holen.

Wesent­lich für die gesun­de Ent­wick­lung des Kin­des ist sein Schlaf

Der Schlaf hat eine wich­ti­ge Bedeu­tung für das Ler­nen und die Gedächt­nis­funk­tio­nen. Vie­les von dem, was das Kind tags­über erlebt, sieht, hört und lernt, wird aus­ge­wer­tet, wei­ter­ver­ar­bei­tet und gespei­chert, wäh­rend das Kind schläft. Auch Bewe­gungs­ab­läu­fe und erlern­te Fähig­kei­ten wie Rad­fah­ren oder Seil­sprin­gen wer­den im Schlaf gefes­tigt. Kin­der, die unter Schlaf­stö­run­gen lei­den, sind öfter verhaltens­auffällig als gut schla­fen­de Kin­der. Ronald Cher­vin, Neu­ro­lo­ge und Schlaf­for­scher an der Uni­ver­si­tät Michi­gan, hat in einer Stu­die das Schlaf­ver­hal­ten von Kin­dern in Bezug auf ihre Impul­si­vi­tät und Kon­zen­tra­ti­ons­fä­hig­keit ana­ly­siert. Kin­der, die stark schnar­chen, lit­ten häu­fi­ger unter Ver­hal­tens­stö­run­gen wie zum Bei­spiel Unauf­merk­sam­keit. Er erklärt die­ses Wech­sel­spiel damit, dass Kin­der, die vom schlech­ten Schlaf erschöpft sind, ver­su­chen, ihre Müdig­keit durch Hyper­ak­ti­vi­tät aus­zu­glei­chen.
Schlaf­man­gel kann sich auch auf das Wachs­tum von Kin­dern aus­wir­ken. Eine ver­brei­te­te Volks­weis­heit besagt, dass das Kind am meis­ten im Schlaf wächst. Ich kann mich noch an sol­che Äus­se­run­gen von Gross­el­tern gegen­über dem Kind erin­nern: „Schön schla­fen, dann wirst Du schnel­ler gross.“ Gera­de in der Puber­tät wird das Wachs­tums­hor­mon Soma­tro­pin vor allem im Schlaf aus­ge­schüt­tet. Für das Wachs­tum von Kin­dern ist spe­zi­ell die Tief­schlaf­pha­se bedeut­sam.
Regel­mäs­si­ger Schlaf-Wach-Rhyth­mus wirkt sich zudem posi­tiv auf die Abwehr­kräf­te des Kin­des aus. Kin­der, die über län­ge­re Zeit schlecht schla­fen oder gar an Schlaf­man­gel lei­den, wer­den anfäl­li­ger für Infek­te.

Kin­der erträu­men sich selbst

Die Abbil­dung zeigt, dass Kin­der sehr viel mehr Traum­pha­sen, also REM-Schlaf­pha­sen, haben als der erwach­se­ne Mensch. Gerd Löb­bert bestä­tigt mir in einem Gespräch über das The­ma Schlaf: Der cha­rak­te­ris­ti­sche Unter­schied im Schlaf­pro­fil des ganz klei­nen Kin­des zu dem des älte­ren Men­schen ist der hohe Anteil an Traum­schlaf beim Kind. Und er fokus­siert die­se Beob­ach­tung: „Liegt es da nicht nahe zu sagen, das klei­ne Wesen erträumt sich in die phy­si­sche Welt – mit Hil­fe der geis­ti­gen Welt?“
Doch bereits im Grund­schul­al­ter unter­schei­den sich die Schlaf­ty­pen. Das eine Kind gehört eher zu den „Ler­chen“, wird abends früh müde und kommt mor­gens leicht aus dem Bett. Das ande­re Kind gehört eher zu den „Eulen“, den Nacht­men­schen. Es ist abends putz­mun­ter und mor­gens nicht wach zu bekom­men. Die Schul­zei­ten pas­sen sich
lei­der nicht den Erkennt­nis­sen der Chro­no­bio­lo­gen an, die in ver­glei­chen­den Stu­di­en her­aus­ge­fun­den haben, dass sich Gesund­heit, Ess­ver­hal­ten, Leis­tun­gen und Moti­va­ti­on der Schü­ler bei spä­te­rem Schul­be­ginn deut­lich ver­bes­sern.
Des­halb ist es wich­tig, dass Lang­schlä­fer ent­spre­chend früh ins Bett gehen, oder „Eulen“ län­ger auf­blei­ben, um Ein­schlaf­pro­ble­me und ewi­ges Her­um­wäl­zen zu ver­mei­den, denn neben der Schlaf­dau­er ist auch die Schlaf­qua­li­tät bedeut­sam für die Erho­lung des Kin­des.

Rhyth­mus wirkt gesun­dend

Für das neu­ge­bo­re­ne Kind ist der Tag-Nacht-Rhyth­mus die ers­te zu erler­nen­de rhyth­mi­sche Grös­se, wobei für das Kind zunächst Hun­ger gleich Tag bedeu­tet. Erst all­mäh­lich erlernt es anhand der unter­schied­li­chen Reak­tio­nen der Eltern, wann wirk­lich Tag und Nacht ist. Denn das Kind erlebt sei­ne Eltern zu bestimm­ten Zei­ten beson­ders freund­lich, zu ande­ren wenig unter­halt­sam.
Nicht alle Kin­der bewäl­ti­gen es pro­blem­los, das Ein- und Durch­schla­fen zu erler­nen. Wir kön­nen sie dabei unter­stüt­zen, indem wir Rah­men­be­din­gun­gen schaf­fen, die dem Kind beim Schla­fen­ler­nen hel­fen. Das Kind muss ja erst sei­nen eige­nen Rhyth­mus fin­den. Es lohnt sich inso­fern für die Eltern, ihrem Kind einen rhyth­mi­schen Lebens­all­tag zu ermög­li­chen. Ist das Kind noch sehr klein, geschieht dies bei den vie­len all­täg­li­chen Abläu­fen: beim Essen, Pfle­gen und eben ganz beson­ders beim Schla­fen. Es hilft dem Kind sehr, wenn es täg­lich zu ähn­li­chen Zei­ten auf­steht, zu Bett geht, isst. Alles Regel­mäs­si­ge benö­tigt einen gerin­ge­ren Kraft­auf­wand. Je jün­ger ein Kind ist, des­to stär­ker ist es von äus­se­ren Struk­tu­ren abhän­gig und umso wich­ti­ger und bedeut­sa­mer ist die Pfle­ge des Rhyth­mus.
Mor­gend­li­che und abend­li­che Ritua­le kön­nen den Pro­zess des Schla­fen­ler­nens unter­stüt­zen. Das Fens­ter am Mor­gen öff­nen, viel­leicht gemein­sam mit dem Kind hin­aus­schau­en, kann ein schö­ner Tages­be­ginn sein. Abends kann eine Ker­ze ange­zün­det und bei ihrem Schein ein Schlaf­lied gesun­gen wer­den.

Für das ein­gangs zitier­te „Es schau­keln die Win­de“ gibt es eine wun­der­schö­ne Ver­to­nung von E. Hum­per­dinck. Ein Abend­ge­bet dem Alter des Kin­des ent­spre­chend und das Gute-Nacht-Sagen beschlies­sen den Tag.

Autoren10

Fach­per­son Vere­na Jäsch­ke
Arbeits­schwer­punk­te Diplo­mier­te Public Rela­ti­ons-Bera­te­rin. Seit 1996 an der Ita Weg­man Kli­nik tätig, seit 2001 Redak­ti­on „Quin­te“, seit 2003 Beauf­trag­te für Kommuni­kation an der Ita Weg­man Kli­nik, zustän­dig für Öffent­lichkeitsarbeit und Mar­ke­ting.
Kon­takt verena.jaeschke@wegmanklinik.ch

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