Rhythmus und Berührung als Heilungsimpuls

Die Rhyth­mi­sche Mas­sa­ge ist seit jeher ein wich­ti­ger Bestand­teil der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin, nicht zuletzt auch an der Kli­nik Arle­sheim. Unter der neu­en Bezeich­nung Rhyth­mi­sche Mas­sa­ge The­ra­pie ist sie seit kur­zem Bestand­teil der eid­ge­nös­sisch  aner­kann­ten Kom­ple­men­tärthe­ra­pi­en mit einem ent­spre­chen­den Aus­bil­dungs­lehr­gang auf Ter­ti­är­stu­fe.

Die Rhyth­mi­sche Mas­sa­ge geht zurück auf Dr. med. Ita Weg­man. Sie führ­te die kör­per­zen­trier­te The­ra­pie am von ihr 1921 gegrün­de­ten Kli­nisch-The­ra­peu­ti­schen Insti­tut – der heu­ti­gen Kli­nik Arle­sheim – von Anbe­ginn ein. Als ursprüng­lich aus­ge­bil­de­te Kran­ken­gym­nas­tin war sie mit der damals ver­brei­te­ten Schwe­den­mas­sa­ge ver­traut und ent­wi­ckel­te die­se – aus­ge­hend von den ver­schie­de­nen Kör­per­rhyth­men, vor allem dem Atem- und Herz­rhyth­mus – zusam­men mit ihrer engen Mit­ar­bei­te­rin Dr. med. Mar­ga­re­the Hausch­ka zu einer eigen­stän­di­gen Mas­sa­ge­form. Mar­ga­re­the Hausch­ka eröff­ne­te spä­ter, im Jahr 1962, mit Irm­gard Mar­bach im heu­ti­gen Bad Boll in Süd­deutsch­land die ers­te Aus­bil­dungs­stät­te „Schu­le für Rhyth­mi­sche Mas­sa­ge und künst­le­ri­sche The­ra­pie“.

Ganz­heit­li­che Heil­kunst

Ein wich­ti­ger Leit­satz von Frau Dr. Hausch­ka für die Aus­bil­dung lau­te­te: „Alles, was mit Hei­len zusam­men­hängt, steht dem Künst­le­ri­schen viel näher als der Tech­nik, und doch muss jeder Kunst eine sau­be­re Tech­nik zugrun­de lie­gen.“ Dar­in drückt sich mit­hin der ganz­heit­li­che Anspruch der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin und Men­schen­kun­de aus. Sie erwei­tert die Heil­kunst mit geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis­sen und ergänzt den phy­si­schen Men­schen, der durch die Natur­wis­sen­schaft defi­nier­bar ist, durch das Geis­tig-See­li­sche in ihm. Im Zusam­men­wir­ken der kör­per­li­chen, see­li­schen und geis­ti­gen Ebe­ne des Orga­nis­mus wird „Gesund­heit“ auch bei der Rhyth­mi­schen Mas­sa­ge als ganz­heit­li­ches, dyna­mi­sches Gesche­hen betrach­tet.
Zie­le der Rhyth­mi­schen Mas­sa­ge The­ra­pie, wie sie in der Schweiz neu genannt wird (sie­he Kas­ten­text), sind die Stär­kung der Selbst­re­gu­la­ti­on, die För­de­rung der Selbst­wahr­neh­mung und die Unter­stüt­zung der Gene­sungs­kom­pe­tenz durch das Erschlies­sen neu­er Sicht­wei­sen und Hand­lungs­mög­lich­kei­ten. Im Feld der zahl­rei­chen, zusam­men­wir­ken­den kör­per­ei­ge­nen Rhyth­men ver­mit­telt sie aus­glei­chen­de Impul­se, die zu einem aus­ge­wo­ge­nen Gleich­ge­wicht zwi­schen Ner­ven-Sin­nes- und Stoff­wech­sel-Glied­mas­sen-Pro­zes­sen ver­hel­fen. Ihr Ver­ständ­nis von Mas­sa­ge als Wech­sel zwi­schen Bin­den und Lösen – sowie als dyna­mi­sche Ver­mitt­lung zwi­schen Pola­ri­tä­ten – unter­schei­det sie von ande­ren Mas­sa­ge­tech­ni­ken.

Rhyth­misch gestal­te­te Berüh­rungs­qua­li­tät

Das Spe­zi­fi­sche der Rhyth­mi­schen Mas­sa­ge The­ra­pie ist die rhyth­misch gestal­te­te Berüh­rungs­qua­li­tät. Aus der unmit­tel­ba­ren Wahr­neh­mung, dass sich Leben, das Leben­di­ge, in ver­schie­dens­ten kör­per­li­chen, aber auch kos­mi­schen Rhyth­men zeigt, gestal­tet die The­ra­peu­tin die Griff­ab­fol­gen rhyth­misch, mal mehr bin­dend, mal mehr lösend, dem indi­vi­du­el­len Bedürf­nis ent­spre­chend. Mas­siert wird vor­wie­gend mit einer aus der Mit­tel­hand sau­gen­den Griff­qua­li­tät – eine wei­te­re Beson­der­heit der Rhyth­mi­schen Mas­sa­ge The­ra­pie. Die sau­gen­de Griff­qua­li­tät schafft Raum und ermög­licht den kör­per­li­chen wie see­li­schen Pro­zes­sen, sich neu zu ord­nen und aus­zu­rich­ten. Dadurch wer­den die Selbst­re­gu­la­ti­on und die Gene­sungs­kom­pe­tenz der Kli­en­tin oder des Kli­en­ten ange­spro­chen. Beson­de­re Strei­chun­gen wie die Lem­nis­kate unter­stüt­zen die the­ra­peu­ti­sche Anwen­dung. Die Lem­nis­kate bil­det die Form einer lie­gen­den Acht und wird in ver­schie­de­nen Varia­tio­nen aus­ge­führt. Sie ermög­licht zum Bei­spiel das Bewusst­wer­den eines Knie­ge­lenks, för­dert loka­le Stoff­wech­sel­pro­zes­se, dient der Ver­tie­fung des Atems sowie der Atem­be­we­gung. Sie ver­bin­det Wär­me- und Käl­te­stel­len und belebt durch die Bewe­gung die Flüs­sig­keits­strö­me – zum Bei­spiel Blut oder Lym­phe. Flies­sen­de, strö­men­de Bewe­gun­gen bil­den ein wei­te­res spe­zi­fi­sches Grund­ele­ment der Rhyth­mi­schen Mas­sa­ge The­ra­pie. Im Anschluss an die Mas­sa­ge erfolgt eine Nach­ru­he, die Mög­lich­keit einer tie­fen Ent­span­nungs­pha­se und der indi­vi­du­el­len Ver­ar­bei­tung und Inte­gra­ti­on der Mas­sa­ge­im­pul­se.

Viel­fäl­ti­ges Anwen­dungs­spek­trum …

Zur Anwen­dung kommt die Rhyth­mi­sche Mas­sa­ge The­ra­pie über­all dort, wo kör­per­li­che und see­li­sche Pro­zes­se aus dem rhyth­mi­schen Gesamt­or­ga­nis­mus gefal­len sind. Ent­spre­chend breit ist ihr Anwen­dungs­spek­trum. Sie bie­tet Hil­fe und Unter­stüt­zung sowohl bei chro­ni­fi­zier­ten als auch aku­ten Zustän­den, sei es bei Ver­dau­ungs- und Bewe­gungs­pro­ble­men, bei Ent­zün­dun­gen und ver­schie­dens­ten Schmerz­zu­stän­den, bei Abnüt­zungs­er­schei­nun­gen, bei Anspan­nun­gen und Erschöp­fungs­zu­stän­den, bei Durch­blu­tungs­stö­run­gen, Auf­merk­sam­keits­stö­run­gen, Ent­wick­lungs­stö­run­gen bei Kin­dern und Jugend­li­chen oder auch bei Schlaf­stö­run­gen in allen Alters­grup­pen. Ent­spre­chend ist der Indi­ka­ti­ons­ra­di­us der Rhyth­mi­schen Mas­sa­ge The­ra­pie rie­sig: Er reicht von der Akut­so­ma­tik, der Heil- und Son­der­päd­ago­gik, der Kin­der­heil­kun­de, der Onko­lo­gie, der Psy­cho­so­ma­tik und Psych­ia­trie bis hin zur Gynä­ko­lo­gie, Ortho­pä­die, Inne­ren Medi­zin, Ger­ia­trie und Pal­lia­tiv­me­di­zin.

… mit nach­ge­wie­se­ner Wirk­sam­keit

Es gibt ver­schie­de­ne Stu­di­en zum Wirk­sam­keits­nach­weis, davon eine Stu­die zur Wir­kungs­wei­se und Wirk­sam­keit der Rhyth­mi­schen Mas­sa­ge sowie eine Lang­zeit­stu­die zur Ver­bes­se­rung der Lebens­qua­li­tät. Dabei wur­de deren Wir­kung wäh­rend sechs Jah­ren in einem Gesamt­pa­ket von Anthro­po­so­phi­scher Medi­zin und anthro­po­so­phi­schen The­ra­pi­en wie Hei­leurhyth­mie und Kunst­the­ra­pie bei 1’510 Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten eva­lu­iert. Bezo­gen auf die Rhyth­mi­sche Mas­sa­ge ergab die Aus­wer­tung, dass sie zu einer erheb­li­chen lang­fris­ti­gen Ver­rin­ge­rung der Sym­pto­me chro­ni­scher Krank­hei­ten sowie zu einer Ver­bes­se­rung der Lebens­qua­li­tät führ­te.1
Eine wei­te­re Stu­die zur Wir­kungs­wei­se und Wirk­sam­keit der Rhyth­mi­schen Mas­sa­ge wur­de von 2008 bis Ende 2012 von den For­schungs­ab­tei­lun­gen der Kli­nik Arle­sheim und vom Para­cel­sus-Spi­tal Rich­ters­wil mit 59 Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten durch­ge­führt. Dabei wur­de einer­seits wäh­rend der Behand­lung und wäh­rend der Nach­ru­he mit dem Elek­tro­kar­dio­gramm die Herz­ra­ten­va­ria­bi­li­tät auf­ge­zeich­net – die Fähig­keit des Her­zens, sich den all­täg­li­chen Anfor­de­run­gen anzu­pas­sen –, und ande­rer­seits wur­den mit einer Infra­rot­ka­me­ra vor und nach der Mas­sa­ge Bil­der des Rückens auf­ge­nom­men.
Die Mes­sun­gen der Herz­ra­ten­va­ria­bi­li­tät zeig­ten, dass die Rhyth­mi­sche Mas­sa­ge tie­fe Ent­span­nungs­zu­stän­de wäh­rend der Nach­ru­he indu­ziert, ähn­lich dem Tief­schlaf. Wei­ter ermög­licht sie eine indi­vi­du­el­le Regu­la­ti­on der Ruhe­va­ria­bi­li­tät der Herz­ra­te in den Norm­be­reich. Die Bil­der der Infra­rot­ka­me­ra zeig­ten zudem län­ger­fris­tig über ein­zel­ne The­ra­pie­sit­zun­gen eine gleich­mäs­si­ge­re Wär­me­ver­tei­lung am Rücken auf. Sie glich sich kon­ti­nu­ier­lich aus, und par­al­lel dazu regu­lier­te das auto­no­me Ner­ven­sys­tem die Herz­ra­ten­va­ria­bi­li­tät auf Erho­lung und Ent­span­nung.2 3 Die Rhyth­mi­sche Mas­sa­ge The­ra­pie wirkt sich somit in vie­ler­lei Hin­sicht posi­tiv auf die Gesund­heit der behan­del­ten Kli­en­tin­nen und Kli­en­ten aus.

 

Von der Rhyth­mi­schen Mas­sa­ge zur Rhyth­mi­schen Mas­sa­ge The­ra­pie

Bereits in den 1990er-Jah­ren ent­stand in der Schweiz eine Arbeits­grup­pe mit dem Anlie­gen für eine Aus­bil­dung in Rhyth­mi­scher Mas­sa­ge The­ra­pie. Um sich berufs­po­li­tisch zu posi­tio­nie­ren, wur­de zuerst ein Berufs­ver­band für die bereits täti­gen The­ra­peu­tin­nen und The­ra­peu­ten gegrün­det. Im Jahr 2001 war es soweit. An der „Schu­le für Rhyth­mi­sche Mas­sa­ge“ in Arle­sheim begann der ers­te Lehr­gang mit dem Abschluss Medi­zi­ni­sche Masseurin/Medizinischer Mas­seur SRK mit Rhyth­mi­scher Mas­sa­ge auf der Grund­la­ge eines anthro­po­so­phi­schen Men­schen­ver­ständ­nis­ses.

Die­se Kom­bi­na­ti­on als aner­kann­te Aus­bil­dung zu schaf­fen war eine gros­se Pio­nier­leis­tung der dama­li­gen Schul­lei­tung. Die Bil­dungs­land­schaft wur­de umstruk­tu­riert. Es ent­stand ein eid­ge­nös­si­sches Berufs­bild „Medi­zi­ni­sche Masseurin/Medizinischer Mas­seur mit eid­ge­nös­si­schem Fach­aus­weis“. Die Wei­ter­füh­rung des Aus­bil­dungs­gangs mit den ursprüng­li­chen Absich­ten wur­de dadurch aller­dings erschwert. Auch ging die Nach­fra­ge exis­ten­zi­ell zurück, sodass die Schu­le 2016 geschlos­sen wur­de.

Der Ver­band Rhyth­mi­sche Mas­sa­ge The­ra­pie such­te dar­auf­hin eine Mög­lich­keit, die Rhyth­mi­sche Mas­sa­ge wei­ter­hin zu eta­blie­ren. Der Ver­band ist Mit­glied der Oda KT (Orga­ni­sa­ti­on der Arbeits­welt Kom­ple­men­tärthe­ra­pie) und die Rhyth­mi­sche Mas­sa­ge seit 2020 eine aner­kann­te kom­ple­men­tärthe­ra­peu­ti­sche Metho­de. Der Aner­ken­nungs­pro­zess hat­te zur Fol­ge, dass der Ver­band sich für den Namen „Rhyth­mi­sche Mas­sa­ge The­ra­pie“ ent­schied, wie er auch im eng­li­schen, fran­zö­si­schen und ita­lie­ni­schen Sprach­raum gebräuch­lich ist. Denn in die­ser Bezeich­nung kommt das Wesent­li­che zum Aus­druck: Rhyth­mus und The­ra­pie als pro­zess­haf­tes Gesche­hen.

Mit der Aner­ken­nung der Metho­de folg­te 2021 die Akkre­di­tie­rung der Aus­bil­dungs­grund­la­gen für einen Stu­di­en­gang Rhyth­mi­sche Mas­sa­ge The­ra­pie. Er hat am 8. Sep­tem­ber 2022 in Zürich begon­nen.

Infor­ma­tio­nen zum Stu­di­en­gang erhal­ten Sie unter www.atka.ch, Stu­di­en­gang Rhyth­mi­sche Mas­sa­ge The­ra­pie.

 

1 Hamre HJ, Witt CM, Glockmann A, Ziegler R, Willich SN, Kiene H (2007) Rhythmical massage therapy in chronic disease:
a 4-year prospective cohort study. The Journal of Alternative and Complementary Medicine 13(6):635–42
2 Wälchli C, Saltzwedel G, Krüerke D, Kaufmann C, Schnorr B, Rist L, Eberhard J,
Decker M, Simões-Wüst AP (2014) Physiologic effects of rhythmical massage:
a prospective exploratory cohort study. The Journal of Alternative and Complemen-
tary Medicine 20(6):507–515
3 Wälchli C, Saltzwedel G, Rist L, Bach-Meguid B, Eberhard J, Decker M, Simões-
Wüst AP (2014) Clinical outcomes of rhythmical massage: a prospective
cohort study with Swiss outpatients. Alternative and Complementary Therapies
20(5):248–258

Fach­per­son Lilia­ne Ammann Alber­tin
Lilia­ne Ammann Alber­tin, gebo­ren 1959
im St. Gal­ler Rhein­tal, lang­jäh­ri­ge
The­ra­peu­tin mit Rhyth­mi­scher Mas­sa­ge The­ra­pie in der Son­der­schu­le Heim Ober­feld in Mar­bach. Co-Stu­di­en­gan­glei­tung der Aus­bil­dung Komplementärtherapeutin/Komplementärtherapeut
Rhyth­mi­sche Mas­sa­ge The­ra­pie in Zürich.
Kon­takt liliane.ammann@atka.ch

 

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