Positive Momente stärken

Die Kli­nik Arle­sheim hat mit ihren 15 Bet­ten schweiz­weit das ein­zi­ge Ange­bot einer sta­tio­nä­ren anthro­po­so­phisch erwei­ter­ten Psych­ia­trie. Wie sich der All­tag auf der Sta­ti­on gestal­tet und wel­che Rol­le den Pfle­gen­den in der Pati­en­ten­be­treu­ung zukommt, hat Vere­na Jäsch­ke bei der Sta­ti­ons­lei­te­rin, Danie­la Bert­s­chy, erfragt.

Mit welchen Diagnosen kommen die Patientinnen und Patienten zu Ihnen auf die Station?

Bei uns wer­den Pati­en­ten mit sämt­li­chen psych­ia­tri­schen Krank­heits­bil­dern zur sta­tio­nä­ren Behand­lung auf­ge­nom­men. Vor­aus­set­zun­gen für eine sta­tio­nä­re Auf­nah­me bei uns sind, dass der Pati­ent selb­stän­dig und grund­sätz­lich bereit ist, sich auf die The­ra­pie ein­zu­las­sen. Die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten wer­den von ihrem Psych­ia­ter ein­ge­wie­sen und kön­nen erst nach einem Vor­ge­spräch sta­tio­när auf­ge­nom­men wer­den.

Es gibt Pati­en­ten, wel­che die Erwar­tung haben, bei uns ohne Medi­ka­men­te behan­delt zu wer­den. Man muss sich bewusst sein, dass die Anthro­po­so­phi­sche Medi­zin auf der Schul­me­di­zin basiert, das heisst, auch bei uns wer­den mög­li­cher­wei­se Psy­cho­phar­ma­ka ver­ord­net. Wir haben jedoch durch die anthro­po­so­phisch erwei­ter­te Behand­lung noch vie­le ande­re Mög­lich­kei­ten an The­ra­pi­en, wodurch der Ein­satz schul­me­di­zi­ni­scher Medi­ka­men­te oft redu­ziert wer­den kann. Manch­mal ist es jedoch wich­tig, den Behand­lungs­bo­gen sta­bil zu hal­ten, also das bei­zu­be­hal­ten, was der Pati­ent aus der bis­he­ri­gen Behand­lung mit­bringt.

Sie haben auch Burnout-Patienten auf der Station?

Im Prin­zip ist Bur­nout ein Syn­drom, das heisst es kom­men Sym­pto­me zusam­men, die bei jedem Pati­en­ten ver­schie­den sein kön­nen und auch unter­schied­lich stark aus­ge­prägt sind. Wir haben Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mit den Sym­pto­men eines Bur­nouts auf unse­rer Sta­ti­on; häu­fig sind es Schlaf­pro­ble­me, Angst­zu­stän­de, Panik­at­ta­cken und Ähn­li­ches, die zu einer Ein­wei­sung füh­ren.

Nun ist für die meisten Menschen der Begriff Psychiatrie immer noch eine Form von Stigmatisierung. Wie gehen Sie damit um?

Wir gewähr­leis­ten einen geschütz­ten Rah­men auf unse­rer Sta­ti­on; so schrän­ken wir zum Bei­spiel den „Durch­gangs­ver­kehr“ so weit wie mög­lich ein. Zudem ste­hen die Grup­pen­räu­me nur unse­ren Pati­en­ten zur Ver­fü­gung. Auch Ange­hö­ri­ge haben dort kei­nen Zutritt, son­dern kön­nen die Pati­en­ten nur auf deren Zim­mern besu­chen. Wei­ter ver­su­chen wir als inter­pro­fes­sio­nel­les Team, durch Öffent­lich­keits­ar­beit – zum Bei­spiel durch Vor­trä­ge – zu einer Ent­stig­ma­ti­sie­rung bei­zu­tra­gen.

Was erwartet den Patienten, wenn er auf der psychiatrischen Station aufgenommen wird?

Auf unse­rer Sta­ti­on ist vom Psych­ia­trie­team rund um die Uhr jemand anwe­send. Wir arbei­ten mit einem milieu­the­ra­peu­ti­schen Set­ting, das heisst bei­spiels­wei­se, dass die Mahl­zei­ten gemein­sam auf der Sta­ti­on ein­ge­nom­men wer­den und wir zuneh­mend Grup­pen­the­ra­pi­en anbie­ten. Die­se erwei­sen sich als sehr hilf­reich in der Ergän­zung zu den indi­vi­du­el­len The­ra­pi­en, da die Pati­en­ten in geschütz­tem Rah­men von­ein­an­der pro­fi­tie­ren kön­nen und für die Zeit nach dem Kli­nik­auf­ent­halt üben.

Jeder Pati­ent hat ein Behand­lungs­team, bestehend aus Ober­arzt, Assis­tenz­arzt und zwei Bezugs­pfle­gen­den. Für die­ses Team steht der ein­zel­ne Pati­ent im Mit­tel­punkt; pati­en­ten­zen­triert und fokus­siert fin­det ein regel­mäs­si­ger Aus­tausch statt, bei­spiels­wei­se bei gemein­sa­men Visi­ten zusam­men mit dem Pati­en­ten.

Aus­ser­dem wer­den bedarfs­ori­en­tiert inter­pro­fes­sio­nel­le Bespre­chun­gen anbe­raumt, bei denen aus­ser den ärzt­li­chen und pfle­ge­ri­schen Wahr­neh­mun­gen auch jene der behan­deln­den The­ra­peu­tin­nen und The­ra­peu­ten ein­flies­sen. Die anthro­po­so­phi­sche Men­schen­kun­de ist die Basis für die­se Bespre­chun­gen, man mag sich das wie eine gemein­sa­me Spra­che vor­stel­len. Die Pati­en­ten spü­ren die­se ande­re Hal­tung, häu­fig ohne es genau benen­nen zu kön­nen.

Welche Behandlungsmöglichkeiten haben Sie?

Bei einem Ein­tritts­ge­spräch bespre­chen wir mit dem Pati­en­ten das Behand­lungs­ziel, das sich wie ein roter Faden durch den Auf­ent­halt zie­hen wird. Ich habe schon gesagt, dass häu­fig vie­le Sym­pto­me vor­lie­gen. Sie kön­nen nicht alle sofort the­ra­piert wer­den, und inso­fern geht es dar­um zu prio­ri­sie­ren. So begin­nen wir bei­spiels­wei­se damit, die Schlaf­pro­ble­ma­tik zu ver­bes­sern. Dies kann zwar medi­ka­men­tös unter­stützt wer­den, oft­mals kön­nen wir aber durch Rhyth­mus­ge­stal­tung und Äus­se­re Anwen­dun­gen wie Wickel und Ein­rei­bun­gen viel bewir­ken. Bei einem ande­ren Pati­en­ten steht viel­leicht zuerst der Umgang mit Panik­at­ta­cken im Vor­der­grund. Inso­fern ist der Zugang zum Pati­en­ten und sei­nen Pro­ble­men sehr indi­vi­du­ell.

Was genau machen Sie anders als in einer konventionellen Psychiatrie?

Gera­de in Bezug auf Bur­nout möch­te ich als Bei­spiel die Sin­nes­wahr­neh­mungs­übun­gen anfüh­ren, die wir mit den Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten machen. Man kann auch von Acht­sam­keits­übun­gen spre­chen. Dabei wer­den sie über erleb­te Sin­nes­ein­drü­cke und deren Beschrei­bung im Sinn von äus­se­ren Wahr­neh­mun­gen dar­in unter­stützt, sich selbst, das heisst ihr Inne­res bes­ser wahr­zu­neh­men.

Ein Bei­spiel ist die Pflan­zen­be­trach­tung: Hier geht es nicht pri­mär dar­um zu sehen, dass Blu­men auf dem Tisch ste­hen, son­dern auch was das für Blu­men sind, wie sie aus­se­hen, wie sie duf­ten.

Wir geben dem Pati­en­ten eine Pflan­ze mit der Auf­ga­be, die­se genau zu beschrei­ben. Zu Beginn kann es sein, dass er nur in der Lage ist fest­zu­stel­len, dass das eine oran­ge­far­be­ne Pflan­ze ist. Nach und nach lernt er wie­der, auch Details wahr­zu­neh­men und zu beschrei­ben. Oder wir gehen mit den Pati­en­ten ins Freie, jeden Tag zu der­sel­ben Pflan­ze, betrach­ten sie genau und ver­su­chen, sie zu beschrei­ben und fest­zu­stel­len, was sich jeden Tag ver­än­dert. Das ist ein Übungs­pro­zess, den wir inten­siv beglei­ten. Indem der Pati­ent übt, die Aus­sen­welt genau­er wahr­zu­neh­men, fällt es ihm in einem nächs­ten Schritt ein­fa­cher, sich selbst und sei­ne Bedürf­nis­se und Gren­zen zu sehen.

Wie sieht der Alltag auf der Station aus?

Zum einen ach­ten wir dar­auf, dass der Pati­ent einen rhyth­mi­schen Tages- und Wochen­ab­lauf haben kann. Die Tage sind struk­tu­riert und bie­ten dadurch einen gewis­sen Halt. Es gibt aber auch Frei­räu­me, die der Pati­ent meist wie­der ler­nen muss zu fül­len, damit in den Frei­räu­men Ande­res als zum Bei­spiel die Flucht in den Fern­seh­kon­sum erfolgt.

Nach einer gemein­sa­men Mor­gen­run­de gibt es die Visi­ten­zei­ten sowie indi­vi­du­el­le The­ra­pi­en. Regel­mäs­sig fin­den Abend­ver­an­stal­tun­gen für die Grup­pe statt.

Nach dem Ein­le­ben nimmt der Pati­ent am Sta­ti­ons­set­ting teil und besucht sowohl die Grup­pen­an­ge­bo­te als auch sei­ne indi­vi­du­el­len The­ra­pi­en. Er arbei­tet an sei­nem per­sön­li­chen Hei­lungs­pro­zess und bleibt trotz­dem mit sei­nem All­tag aus­ser­halb der Kli­nik in Kon­takt, indem auch regel­mäs­si­ge Belas­tungs­er­pro­bun­gen zu Hau­se durch­ge­führt wer­den.

Wie unterstützen Sie als Pflegende die Patientinnen und Patienten?

Wir arbei­ten mit den drei Pfle­ge­pha­sen „Ankom­men“, „Ver­tie­fung“ und „Aus­tritts­vor­be­rei­tung“. Die Pati­en­ten gestal­ten die­se im Rah­men ihres indi­vi­du­el­len Pro­zes­ses mit. Die drei Pha­sen haben jeweils unter­schied­li­che Schwer­punk­te, und auch die Pfle­ge­pla­nung wird in die drei Pha­sen unter­teilt, was eine regel­mäs­si­ge Zie­leva­lua­ti­on ver­ein­facht. Wich­tig ist, dass sämt­li­che Behand­lungs­mass­nah­men mit den Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten abge­spro­chen wer­den. Wir unter­stüt­zen sie in der Arbeit an ihren Auf­ent­halts­zie­len durch Inter­ven­tio­nen, Übun­gen und Struk­tur­hil­fen.

Wir Pfle­gen­de haben mit den Äus­se­ren Anwen­dun­gen wie Fuss­bä­dern, Wickeln und Ein­rei­bun­gen ein sehr hilf­rei­ches und wirk­sa­mes Instru­men­ta­ri­um. Auch die Sin­nes­übun­gen wie die bereits beschrie­be­ne Pflan­zen­be­trach­tung sind ein wich­ti­ger Bestand­teil unse­rer Arbeit mit den Pati­en­ten. Gera­de bei einem Bur­nout sind die Men­schen wenig bei sich selbst, haben Mühe, sich selbst wahr­zu­neh­men. Mit den Sin­nes­übun­gen kön­nen sie üben, wie­der wahr­zu­neh­men: sich selbst und die Umge­bung.

 Wie helfen Sie den Patientinnen und Patienten, sich zu stabilisieren?

Ein effek­ti­ves Mit­tel dafür ist das Reflek­tie­ren. Das läuft eben­so indi­vi­du­ell wie jede The­ra­pie. Mit man­chen Pati­en­ten machen wir einen Tages­rück­blick, in den wir das Reflek­tie­ren inte­grie­ren. So kön­nen bei­spiels­wei­se einer oder meh­re­re posi­ti­ve Momen­te aus dem ver­gan­ge­nen Tag genannt wer­den. Für gewis­se Pati­en­ten ist das schwie­rig bis unmög­lich und sie brau­chen Unter­stüt­zung dabei. Auch das ist sehr indi­vi­du­ell. Pati­en­ten, die nicht dar­über spre­chen möch­ten oder kön­nen, haben die Mög­lich­keit, ein soge­nann­tes „Son­nen­ta­ge­buch“ zu füh­ren und die­se Momen­te auf­zu­schrei­ben.

Der Hei­lungs­pro­zess ver­läuft oft in Wel­len, einem ste­ten Auf und Ab, wobei die Wel­len­stär­ke sehr unter­schied­lich aus­ge­prägt ist. Für die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten ist es eine gros­se Her­aus­for­de­rung, dies anzu­neh­men und zu ler­nen damit umzu­ge­hen. Wir stär­ken die posi­ti­ven Momen­te und unter­stüt­zen die Pati­en­ten in schwie­ri­gen. Das Reflek­tie­ren kann hel­fen, aus einem Tief wie­der her­aus­zu­fin­den, indem wir auf die erleb­ten und bespro­che­nen posi­ti­ven Momen­te zurück­grei­fen kön­nen und zei­gen, dass die Welt doch nicht so schwarz ist, wie der Pati­ent sie gera­de für sich sieht.
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Fach­per­son Danie­la Bert­s­chy
Arbeits­schwer­punk­te Sta­ti­ons­lei­te­rin Psych­ia­trie.
Seit 2003 in der Kli­nik Arle­sheim.
Kon­takt daniela.bertschy@klinik-arlesheim.ch

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