Mit weniger Mitteln gleich gut pflegen?

In den nächs­ten Jah­ren ist bei der Spi­tal­pfle­ge mit einer Ver­knap­pung der Mit­tel zu rech­nen – per­so­nell und finan­zi­ell. Die vor­ge­se­he­nen „Ratio­na­li­sie­run­gen“ stel­len die Anthro­po­so­phi­sche Medi­zin vor beson­de­re Pro­ble­me.

Die Dis­kus­si­on um die Finanz­kri­se und deren Aus­wir­kun­gen auf die Welt ist im Moment hoch­ak­tu­ell. Gros­se Finanz­in­sti­tu­te müs­sen mit Staats­gel­dern geret­tet wer­den, und plötz­lich sind Jobs, die als unan­tast­bar und sicher
gal­ten, nicht mehr so sicher. Vie­le Men­schen stel­len sich die ban­ge Fra­ge: Wie wirkt sich das auf uns und auf mich ganz per­sön­lich aus? Exis­tenz­ängs­te tau­chen auf, wie sie nach dem ver­hee­ren­den Anschlag auf das World Tra­de Cen­ter in New York auf­bra­chen.

Was aber haben die­se Zeit­er­schei­nun­gen mit der Pfle­ge zu tun? Ich sehe ver­schie­de­ne Aus­wir­kun­gen. Zum einen sind Pfle­ge­fach­leu­te heu­te stär­ker kon­fron­tiert mit Men­schen, die an Exis­tenz­ängs­ten lei­den und sich von der poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Welt­si­tua­ti­on ver­un­si­chert füh­len. Die­se Belas­tun­gen sind oft schwer zu ertra­gen und begüns­ti­gen psy­chi­sche Erkran­kun­gen. Aber auch zu ihrer eige­nen Situa­ti­on kön­nen sich Pfle­ge­fach­per­so­nen Sor­gen machen. Was pas­siert, wenn die finan­zi­el­len Mit­tel knap­per wer­den und plötz­lich auch öffent­li­che Gel­der ein­ge­spart wer­den müs­sen?

Fall­kos­ten­pau­scha­len ver­knap­pen die Mit­tel

In den nächs­ten Jah­ren soll die Abgel­tung der Spi­tä­ler über die soge­nann­ten Fall­kos­ten­pau­scha­len (Dia­gno­sis rela­ted groups, DRG) erfol­gen. Die Kos­ten wer­den nicht mehr pro Spi­tal­tag durch die Ver­si­che­rer abge­gol­ten, son­dern pro Fall. Es wird dann bei­spiels­wei­se fest­ge­legt, wie­viel ein Spi­tal für die Behand­lung eines Men­schen mit einem ent­zün­de­ten Blind­darm erhält oder wie­viel für eine Ope­ra­ti­on am Her­zen abge­gol­ten wird. Dies unab­hän­gig davon, wie vie­le Tage ein Mensch tat­säch­lich im Spi­tal ver­brin­gen muss. Poli­tik und Ver­si­che­run­gen erwar­ten von die­ser neu­en Abre­chungs­form deut­li­che Kos­ten­ein­spa­run­gen. Letzt­lich jedoch – und das ist für unser The­ma von Bedeu­tung – führt die­se Neue­rung zu einer Ver­knap­pung der Mit­tel. In Deutsch­land hat die Ein-füh­rung der Fall­kos­ten­pau­scha­len zu einem dras­ti­schen Abbau von Stel­len im Pfle­ge­be­reich geführt. Das heisst: Die­sel­be Arbeit muss ein­fach mit weni­ger Per­so­nal geleis­tet wer­den.

Weni­ger Absol­ven­ten bei Fach­aus­bil­dung

Auf die Pfle­ge kommt jedoch noch ein ande­res Res­sour­cen­pro­blem zu. Die Pfle­ge­aus­bil­dun­gen wur­den gemäss dem neu­en Berufs­bil­dungs­ge­setz ange­passt. Frü­her wur­de die Kran­ken­schwes­ter oder der Kran­ken­pfle­ger in drei Jah­ren für den zukünf­ti­gen Beruf aus­ge­bil­det. Die Bezeich­nung war dann „diplo­mier­te Krankenschwester/Krankenpfleger“. Heu­te heisst die Berufs­be­zeich­nung „diplo­mier­te Pflegefachfrau/Pflegefachmann“. Die Aus­bil­dung dau­ert immer noch drei Jah­re, ist aber jetzt auf der Ter­ti­är­stu­fe (Höhe­re Fach­schu­le) ange­sie­delt.

Neu gibt es auch die Mög­lich­keit, ein Zer­ti­fi­kat auf Sekun­dar­stu­fe II zu erlan­gen, indem eine drei­jäh­ri­ge
Leh­re zur Fach­an­ge­stell­ten Gesund­heit (FAGE) absol­viert wird. Bei der Pla­nung wur­de davon aus­ge­gan­gen, dass ein Gross­teil der FAGE-Absol­ven­tin­nen anschlies­send in ein Pro­gramm der Ter­ti­är­stu­fe ein­stei­gen wird, um dann als diplo­mier­te Fach­frau abzu­schlies­sen. Es zeigt sich jedoch, dass dies nicht der Fall ist. Gemäss einer Aus­sa­ge von Romy Geis­ser, der Geschäfts­füh­re­rin des Arbeit­ge­ber-Dach­ver­bands OdA-Gesund­heit bei­der Basel, schlies­sen zwar vie­le jun­ge Men­schen auf der Sekun­dar­stu­fe II ab, jedoch nur 15 Pro­zent davon füh­ren ihre Aus­bil­dung auf der nächs­ten Stu­fe wei­ter. Gegen­über frü­her stei­gen weni­ger jun­ge Leu­te in die Aus­bil­dung zur diplo­mier­ten Pfle­ge­fach­per­son ein, nicht zuletzt des­halb, weil die schu­li­schen Anfor­de­run­gen höher lie­gen als bei der vor­he­ri­gen Aus­bil­dung.

Die­se Ent­wick­lun­gen wer­den in den nächs­ten Jah­ren, spür­bar ab dem Jahr 2010, dazu füh­ren, dass deut­lich weni­ger diplo­mier­tes Fach­per­so­nal zur Ver­fü­gung ste­hen wird. Romy Geis­ser schätzt, dass in den Kan­to­nen Basel­land und Basel­stadt rund 100 exami­nier­te Pfle­ge­fach­per­so­nen pro Jahr feh­len wer­den. Dies ist eine nicht uner­heb­li­che Zahl, wel­che die Spi­tä­ler vor schwie­ri­ge Pro­ble­me stel­len wird. Wel­che Lösungs­mög­lich­kei­ten gibt es dafür? Man könn­te mehr Pfle­ge-fach­per­so­nal aus dem Aus­land enga­gie­ren, um den Bedarf zu decken. Oder man könn­te ver­su­chen, die feh­len­den exami­nier­ten Pfle­ge­fach­frau­en und -män­ner mit Fach­an­ge­stell­ten Gesund­heit zu erset­zen. Bei­de Lösun­gen füh­ren jedoch nur bedingt zum Ziel, die Qua­li­tät der pfle­ge­ri­schen Ver­sor­gung zu erhal­ten.

Von vie­len Sei­ten wird zur­zeit eine ande­re Lösung vor­ge­schla­gen: die Neu­ver­tei­lung der Auf­ga­ben des exami­nier­ten Pfle­ge­fach­per­so­nals. Dies bedeu­tet, dass exami­nier­te Pfle­ge­fach­leu­te nur noch Auf­ga­ben über­neh­men, für die es das Fach­wis­sen die­ser Stu­fe braucht und alle ande­ren Auf­ga­ben durch Fach­an­ge­stell­te Gesund­heit aus­ge­führt wer­den. Also ein Schritt hin zur Spe­zia­li­sie­rung der Pfle­ge, wie dies bei­spiels­wei­se in Ame­ri­ka bereits prak­ti­ziert wird. Dies ver­langt gros­se Umstel­lun­gen in der Orga­ni­sa­ti­on der täg­li­chen Arbeit inner­halb der Spi­tä­ler.

Ganz­heit­lich­keit ist gefähr­det

Auch in unse­ren anthro­po­so­phi­schen Kli­ni­ken wer­den wir um die­se Fra­gen nicht her­um­kom­men. Auch wir müs­sen damit rech­nen, weni­ger Fach­per­so­nal zur Ver­fü­gung zu haben. Gera­de die oben ange­spro­che­ne Spe­zia­li­sie­rung des Fach­per­so­nals stellt hier ein Pro­blem dar. Die Grund­idee der ganz­heit­li­chen Pfle­ge, wie sie in der Anthro­po­so­phi­schen Pfle­ge ange­strebt wird, bedingt näm­lich, dass der Mensch ganz­heit­lich und nicht in „Sek­to­ren“ gepflegt wird. Es soll­ten nicht nur Teil­as­pek­te der Pfle­ge durch Fach­per­so­nal abge­deckt wer­den, son­dern die­sel­be Per­son soll­te einen mög­lichst gros­sen Teil durch­füh­ren. So wür­de es zum Bei­spiel schlecht zu unse­rem Kon­zept pas­sen, wenn das Waschen eines kran­ken Men­schen durch eine ande­re Per­son durch­ge­führt wür­de als die Ver­ab­rei­chung einer Infu­si­on oder einer Sprit­ze, und wenn das Pfle­ge­ana­mne­se­ge­spräch von einer wei­te­ren Per­son geführt wür­de. Die­se Auf­split­te­rung der Tätig­kei­ten wider­spricht dem Ver­ständ­nis von ganz­heit­li­cher Betreu­ung.

Wie wir die­ses Dilem­ma lösen kön­nen, weiss ich noch nicht. Aber ich fin­de es wich­tig, dass wir uns bereits jetzt auf die Pro­ble­ma­tik der ver­knapp­ten Mit­tel vor­be­rei­ten – sowohl in finan­zi­el­ler als auch in per­so­nel­ler Hin­sicht. Die Sicher­stel­lung einer qua­li­ta­tiv hoch­ste­hen­den Pfle­ge ist eine der zen­tra­len Vor­aus­set­zun­gen, um Anthro­po­so­phi­sche Medi­zin im sta­tio­nä­ren Bereich auch wei­ter­hin umzu­set­zen.

 

Fach­per­son Chris­toph von Dach
Arbeits­schwer­punk­te Pfle­ge­dienst­lei­ter an der Lukas Kli­nik in Arle­sheim und Vize­prä­si­dent des Ver­eins Anthro­po­so­phi­sche Pfle­ge in der Schweiz APIS.
Kon­takt c.vondach@lukasklinik.ch

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