
Trotz der Tendenz zu Digitalisierung und Einsatz von Pflegerobotern gehört der Pflegeberuf zu den krisensicheren Arbeitsstellen. Doch der Umgang mit kranken Menschen, oft auch bis zu ihrem Tod, liegt nicht jedem. „Quinte“-Redaktorin Verena Jäschke sprach mit Sarah Grossenbacher und Raphael Mainiero über ihre Beweggründe für eine Pflegeausbildung an der Klinik Arlesheim.
„Schwester!“ – Dieser Ruf ist heute nur noch vereinzelt in Kliniken und Spitälern zu hören, vornehmlich, wenn ältere Patientinnen und Patienten die Hilfe von Pflegenden benötigen. Bis zum Ende des vergangenen Jahrtausends wurden noch Krankenschwestern und -pfleger ausgebildet. Dann wurde das Bildungssystem neu strukturiert. Heute gibt es die Ausbildungen zu Gesundheitsberufen auf verschiedenen Bildungsstufen. Da ist zum einen die Grundbildung zu nennen, zum Beispiel zur Fachfrau/Fachmann Gesundheit FaGe, wie sie Sarah Grossenbacher aktuell in der Klinik Arlesheim absolviert. Des Weiteren sind es die Gesundheitsberufe HF und FH, wobei die Kürzel HF für Höhere Fachschule und FH für Fachhochschule stehen. Raphael Mainiero hat vor wenigen Monaten seine Ausbildung als diplomierter Pflegefachmann HF an unserer Klinik abgeschlossen. Ich habe mit den beiden über ihren Werdegang, ihre Ausbildung und ihre Motivation für den Pflegeberuf gesprochen.
Das soziale Umfeld bei der Berufswahl einbeziehen
Sarah Grossenbacher wusste lange nicht, was sie beruflich machen sollte. Einige ältere Freundinnen hatten eine Ausbildung zur FaGe gemacht und ihr ein positives Bild davon vermittelt. So absolvierte Sarah eine Schnupperlehre in einem Altersheim. Danach war klar: Der Pflegeberuf ist eine echte Option für sie, aber ein Altersheim sollte es nicht sein. Sie hat sich an mehreren Spitälern beworben. Ihre Mutter empfahl ihr, sich auch in der Klinik Arlesheim zu melden, die sie durch einen Spitalaufenthalt des Grossvaters kannten. Zudem war das Umfeld der Anthroposophischen Medizin nicht ganz unbekannt, da Sarah über viele Jahre durch eine anthroposophische Kinderärztin betreut wurde.
Ein sehr guter Start
Noch vor der eigentlichen Ausbildung kam Sarah Grossenbacher für vier Tage zu einem Schnupperpraktikum in die Klinik. Ein solches Praktikum ist sowohl für die Bewerberin als auch für die Ausbildungsinstitution sehr hilfreich, ermöglicht es doch ein intensiveres Kennenlernen als ein kurzes Bewerbungsgespräch. Sarah Grossenbacher war zum Schnuppern auf der onkologischen Station. Bereits in diesen Tagen wurde sie vom Team sehr gut aufgenommen. Die meisten, die sie beim Schnuppern kennengelernt hat, waren an ihrem ersten Arbeitstag auch da. Das war eine grosse Hilfe für den Wechsel vom Schulalltag in die Berufsausbildung.
Abwechslungsreicher Ausbildungsalltag
Alle dreijährigen Ausbildungen finden an drei Lernorten statt. So geht Sarah Grossenbacher in der Regel an zwei Wochentagen in die Berufsfachschule. In ihrem bald beginnenden vierten Semester hat sie sogar drei Schultage, denn sie absolviert zugleich mit der Lehre die Berufsmatur. Zudem hat sie an zwei Tagen pro Monat einen sogenannten überbetrieblichen Kurs (ÜK), der vom zuständigen Verband organisiert wird, in ihrem Fall von der OdA (Organisation der Arbeit). Die anderen Tage ist sie in ihrem Ausbildungsbetrieb und kann das Gelernte gleich in der Praxis anwenden.
„Die Berufsbildner sind so gut mit der Ausbildung vertraut, dass sie wissen, wann ich was kann.“, berichtet sie strahlend. Theorie und Praxis ergänzen sich für sie in der Ausbildung bestens.
Ein gemeinsamer Boden
Auf die mögliche Diskrepanz zwischen der Ausbildung an der staatlichen Schule und der Praxis in der anthroposophischen Klinik angesprochen, macht Sarah Grossenbacher klar: „Ich erlebe nicht das Problem von zwei Welten. Es ist ein gemeinsamer Boden.“ Sie bringt gleich ein Beispiel: „Ich lerne in der Schule schulmedizinische Inhalte, das kommt hier auch zur Anwendung, zum Beispiel mit Chemotherapien.“ Silvia Stöckler, die Ausbildungsverantwortliche der Klinik, bestätigt, dass es sich bei der Ausbildung an der Klinik um eine staatlich anerkannte Ausbildung handelt.
Sterbebegleitung gehört zum Berufsbild
Das bedeutet nicht, dass der Umgang mit Sterbenden alltäglich ist. Es ist immer eine besondere Situation, die für die Pflegenden durchaus auch belastend sein kann, vor allem wenn noch sehr junge Menschen sterben. Sarah Grossenbacher berichtet, dass sie sich im Team über die nächsten Schritte bei den Patienten austauschen, über den Umgang mit den Sterbenden sowie darüber, wie sie die Angehörigen im Prozess des Abschiednehmens begleiten können. „Ich als Auszubildende bin nie allein mit Sterbenden und ihren Angehörigen.“, bestätigt sie mir. Und sie ist überzeugt: „Wenn mich etwas belastet, dann weiss ich, mit wem ich reden kann.“ Diese junge Frau beeindruckt, wenn sie über sich sagt: „Ich kann mich schützen und belastende Situationen wirklich hierlassen. Und ich weiss, wann ich Hilfe benötige.“
Über den Tellerrand hinaus
Aktuell macht Sarah Grossenbacher ein sogenanntes Fremdpraktikum – ebenfalls hier in der Klinik. Für zwei Monate wechselt sie auf die Station Psychosomatik. Einen Unterschied erlebt sie bereits, weil sie in der Psychosomatik keine Berufskleidung trägt. Zudem sind die Patienten viel selbständiger, es ist keine Unterstützung bei der Körperpflege notwendig, weshalb die Pflegenden viel weniger in den Patientenzimmern zu tun haben. In der Psychosomatik sind viel mehr Gespräche notwendig. In einem der überbetrieblichen Kurse hat Sarah Grossenbacher dafür das notwendige Rüstzeug erhalten. Sie fühlt sich gut vorbereitet, bei schwierigen Themen die richtige Haltung und die richtigen Worte zu finden. Sie erwähnt unter anderem das aktive Zuhören, was ihr in der Praxis hilft. Besonders findet sie auch ein spezielles Schulungsprogramm der Klinik, bei dem alle Lernenden eingeladen sind, Themen anderer Berufsgruppen gemeinsam zu besprechen. Davon profitieren alle.
Mensch sein im Spital
Sarah Grossenbacher erlebt, dass sie als Mitarbeiterin eine Rolle spielt, dass sie wahrgenommen und auf ihr Befinden Rücksicht genommen wird. „Das höre ich von Kollegen anders.“ Sie zeigt sich davon beeindruckt, dass der seelische Aspekt thematisiert wird und dass die Biografie des Patienten eine so wichtige Rolle spielt. „Jede Biografie ist so einzigartig und wird entsprechend berücksichtigt“, berichtet sie aus dem Stationsalltag. Aus Rückmeldungen von Patienten berichtet sie begeistert: „In anderen Spitälern werde ich als medizinische Diagnose betrachtet, hier bin ich wirklich Mensch.“
Ein Zweitberuf in der Pflege
Für Raphael Mainiero war die Ausbildung zum Pflegefachmann HF bereits die zweite Berufsausbildung. Nach einem Biologiestudium hat er 12 Jahre als Biologe gearbeitet und verschiedene Ergebnisse der experimentellen Ökologie veröffentlicht. Ausschlaggebend für den Berufswechsel waren die fehlenden Finanzen in der Forschung. Er konnte auf seine Erfahrungen im Zivildienst zurückgreifen, während dem er auf der Neurologie eines deutschen Spitals gearbeitet hat. „Der Umgang mit Menschen lag mir, da konnte ich vieles auch für das Leben mitnehmen.“
Zugang zur Anthroposophie
Schon als Kind hatte Raphael Mainiero Kontakte zur Anthroposophie, in der Nähe seines Elternhauses gab es einen der ältesten Demeter-Höfe in Deutschland. Seine Schwester machte die Ausbildung zur Krankenschwester auf einer Station für Anthroposophische Medizin, sein Bruder hatte Kontakt zur Bio-Landwirtschaft. Insofern beschreibt er sich selbst als „entfernten Beobachter“.
Als es um die Entscheidung für eine Ausbildungsinstitution ging, sollte es etwas Besonderes sein. „Normale Kliniken gibt es jede Menge, die unterscheiden sich nicht wesentlich.“ Deshalb bewarb er sich an der Klinik Arlesheim. Seine Erwartung, dass nicht nur eine „normale“ Ausbildung möglich ist, sondern darüber hinaus auch ein anderer Umgang mit den Menschen gelehrt wird, eine andere Herangehensweise an das Thema Krankheit, hat sich erfüllt.
Verschiedene Ausbildungsschritte
Seine Pflegeausbildung begann auf der Station Innere Medizin. Das Fremdpraktikum absolvierte er in der Orthopädie in Liestal und kam dann zurück an die Klinik Arlesheim. Er wechselte auf die onkologische Station. Er hatte anfänglich einen grossen Respekt vor dieser Aufgabe, aber es hat sich bestätigt, dass es für ihn das Richtige ist. „Die Patienten spiegeln mir, dass sie sich durch mich gut begleitet fühlen.“ Er erlebt, dass die Patienten zu Beginn der Diagnose “Krebs” oft noch keine Symptome haben und sie viel mehr durch Angst beeinträchtigt sind. Da sieht er für sich als Pflegenden eher eine seelische Aufgabe.
Kranke Menschen brauchen Hilfe
Das Wichtigste für den kranken Menschen ist es, Hilfe zu bekommen und dabei das Gefühl erleben zu können, aufgehoben zu sein. Das wird hier an der Klinik konsequent umgesetzt. Raphael Mainiero bestätigt: „Als Pflegender in der Arlesheimer Klinik bekomme ich mehr Kapazität und zusätzliche Methoden an die Hand, um dem Bedürfnis des Kranken gerecht zu werden.“ Besonders stark macht sich das für ihn bei der Begleitung von Sterbenden bemerkbar, auch im Unterschied zu seinen früheren Erfahrungen.
Raphael Mainiero hat schon einige sterbende Patienten begleitet. Das verändert die Sichtweise auf das Leben. „Nach Schichtende geht man nicht mehr gleich raus“, beschreibt er sein Erleben. Er merkt, dass er im Umgang mit Freunden noch ernster geworden ist. „Mir ist jetzt klar, wie viel Leid möglich ist.“
Er setzt sich intensiv mit den Themen Krankheit und Sterben auseinander. „Tod und Leid wurden aus unserer Gesellschaft völlig verbannt, man sieht keinen in Trauerkleidung, es ist draussen fast ein Gute-Laune-Diktat. Man muss gesund sein.“
Der Entscheid zu bleiben
Nach Abschluss einer Ausbildung wechseln die meisten an einen anderen Arbeitsort. Raphael Mainiero hat sich entschieden zu bleiben. Das macht mich neugierig für die Gründe. Für ihn überwiegen die Vorteile, da er das hier in Kursen erlernte pflegerische Handwerk, die Äusseren Anwendungen, in der täglichen Arbeit nutzen kann. Für ihn sind diese Anwendungen – also Wickel und Rhythmische Einreibungen – ein zentrales Element in der Pflege. Ja, er bezeichnet diese gar als Quantensprung im pflegerischen Handwerk. „Als ich die ersten Einreibungen gemacht habe, konnte ich eine frappierende Wirkung bei den Patienten erleben.“ Diese Möglichkeiten möchte er in seiner Arbeit nicht mehr missen.
Ausserdem ermöglichen die Äusseren Anwendungen ein grosses Mass an Aufmerksamkeit gegenüber den Patienten. „Ich kann sie damit aus Angstzuständen herausholen, ich kann eine seelische Last kleiner machen und das Gefühl geben, da ist einer da, der hilft, sie sind nicht allein.“ Vor allem die Rhythmischen Einreibungen erlebt er als sehr
effektiv und wirkstark. „Das lässt sich auch in Zahlen erfassen, wenn zum Beispiel die Atemfrequenz sinkt. Es gibt vegetative Zeichen für Entspannung.“
Viele Pluspunkte für die Klinik
Wenn die Äusseren Anwendungen gut gemacht sind, erlebt der Patient sehr viel Zuwendung. Das widerspiegelt sich wiederum in der hohen Zufriedenheit der Patienten. Auch die Angehörigen äussern sich sehr positiv. „Die Patienten suchen selten die Anthroposophie, sondern vor allem einen humanen Umgang im Spital.“ Raphael Mainiero hat dies so von einem sterbenden Patienten vor seinem Tod gehört. Er bestätigt, dass weder Patienten noch Mitarbeitende „Nummern“ sind.
Er fühlt sich auch im Pflegeteam wohl. Es sind Menschen, die ihre Arbeit mit Herzblut machen und einen sehr natürlichen und humanen Umgang mit Menschen beherrschen.
Und es kommen noch weitere Aspekte hinzu: die andere Architektur, die biologische Ernährung. „Das alles macht das Ganze so sympathisch.“
Humor ist nichts Lustiges
Seine Diplomarbeit ist eine Literaturrecherche zum Thema Humor. Humor ist Gegenstand von vielen Untersuchungen geworden, das hat er aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet – Philosophie, Medizin, Psychosoziologie. Er ist überzeugt: „Auch im Palliativen kann Humor sehr angebracht sein.“ Er setzt Humor gezielt ein. „Mit dem nötigen Bewusstsein kann ich das als pflegerische Intervention einsetzen. Das hat etwas Heilendes.“ Warum das so ist, hat er in seiner Diplomarbeit dargestellt, deren Veröffentlichung zu seinen nächsten Zielen gehört. Raphael Mainiero nimmt immer etwas aus der Schicht mit, manches beschäftigt ihn noch länger. „Da kann auch für mich Humor eine kompensierende Wirkung haben.“
Fachperson |
Raphael Mainiero |
Arbeitsschwerpunkte | Studium der Biologie an der Universität Ulm. 12 Jahre Arbeit als Pflanzenökologe an der Universität Ulm. Institut für Angewandte Pflanzenbiologie, und an der Berner Fachhochschule (HAFL). Diverse Veröffentlichungen. Abschluss der Ausbildung zum dipl. Pflegefachmann HF im Sommer 2019. Seitdem dipl. Pflegefachmann auf der Station Onkologie in der Klinik Arlesheim. |
Kontakt | raphael.mainiero@klinik-arlesheim.ch |
Fachperson |
Sarah Grossenbacher |
Arbeitsschwerpunkte | Obligatorischer Schulabschluss Niveau E. Seit August 2018 Ausbildung als Fachfrau Gesundheit EFZ mit Berufsmatur an der Klinik Arlesheim. Seit zwei Jahren Leiterin bei Jungwacht und Blauring. |
Kontakt | sarah.grossenbacher@klinik-arlesheim.ch |