
Im Megatrend Individualisierung spiegelt sich das zentrale Kulturprinzip der aktuellen Zeit: Selbstverwirklichung innerhalb einer einzigartig gestalteten Individualität. Er wird angetrieben durch die Zunahme persönlicher Wahlfreiheiten und individueller Selbstbestimmung. Dabei wird auch das Verhältnis von Ich und Wir neu ausgehandelt. Es wächst die Bedeutung neuer Gemeinschaften, die der Individualisierung künftig ein neues Gesicht verleihen.
Quelle: www.zukunftsinstitut.de
Individualisierung bedeutet für mich, meine eigene Urteilsfähigkeit weiter zu entwickeln und achtsamer mit Anderssein, Diversität und Farbenreichtum umzugehen. Wenn jemand eine andere Meinung hat, möchte ich diese verstehen und einordnen können. Ich glaube, dass Toleranz und Verständnis immer wichtiger werden, wenn die Individualisierung zunimmt. Bei mehr individueller Selbstbestimmung wird auch die Frage drängender, wie wir gute Teams und tragfähige Gemeinschaften bilden. Der Trend zur Individualisierung geht einher mit dem Trend zu flacheren Hierarchien, zu selbstorganisierten Teams. Hierfür steht das Stichwort „New Work“. Ich glaube, dass die Frage nach guter Zusammenarbeit im Team immer wichtiger wird. Wie wollen wir Führung gestalten, wenn die klassische Hierarchie immer weniger akzeptiert wird? Für mich ist das auch ein Aufruf an die innere Arbeit: Bei mir selber aufräumen, genau hinschauen lernen, die eigenen Gefühle beobachten und mit ihnen in reifer Art und Weise umgehen. Das kann in ein Selbstgespräch münden mit mir und meinem Herzen, mit mir und meinem höheren Selbst. Diese Arbeit kann helfen, mich bereit zu machen für die Arbeit in unseren neuen Gemeinschaften.
Alexander Schwedeler
Mitglied Verwaltungsrat
Im wachsenden Wettbewerb um die beiden Anspruchsgruppen Patienten und Mitarbeitende, mit ihren Bedürfnissen nach Lebensqualität, individuellen Handlungsspielräumen und Mitgestaltung, steht die Klinik nach erfolgten Denkprozessen kurz vor Anpassungen von Strukturen und Prozessen, kann aber auf bestehenden Werten aufbauen.
Kulturell tief verankert in der Klinik sind die aufklärende Information und der Respekt vor dem freien Menschenwillen. Nicht alle Wünsche müssen erfüllt, vielmehr definierte Angebote innerhalb eines Rahmens erarbeitet werden, um trotz Ökonomisierung die Wahlfreiheit und Mitbestimmung von Patienten zu ermöglichen. Im personenzentrierten Ansatz der Zukunft steht im Mittelpunkt ein Mensch mit einem sozialen Netzwerk. Bezugspersonen müssen partizipativ in den Behandlungs- und Pflegepfad integriert werden, um weiterhin eine hohe Patientenzufriedenheit und Wirksamkeit der Behandlung zu erreichen.
Mitarbeitende erwarten flexible Arbeitsstrukturen und individuelle Honorierungspakete, im Gegenzug bieten sie ihren Lebenssituationen angepasste Leistungspakete an. Sie wollen mitgestalten und ihre Potenziale ausschöpfen. Vorgesetzte werden zu Coaches; sie befähigen die Mitarbeitenden und unterstützen sie bei der Umsetzung von gewinnbringenden Ideen. Individuell ausgestaltete und verhandelbare Honorierungspakete sollen aus variablen Elementen wie Lohn-, Neben-, Vorsorge-, Ferienleistungen, Weiterbildungsbeiträgen, Karriere- und Arbeitszeitmodellen bestehen.
Franziska Egger
Klinikmanagerin
Das bewusst gewordene Motiv
O Mensch! Gib Acht! Was spricht die tiefe Mitternacht?
„Ich schlief, ich schlief -, Aus tiefem Traum bin ich erwacht:
Die Welt ist tief, Und tiefer als der Tag gedacht…“
Vielleicht war Friedrich Nietzsche bei der Veröffentlichung seines Zarathustra 1885 in seinem trunknen Lied der am meisten aufgewachte Mensch. Ein Vorläufer einer Bewusstseinsstufe, die alle Ligaturen im menschlichen Beziehungsgeflecht in Frage stellt und alle vorhandenen Optionen auszuwählen prominent macht. Ein aus sich selbst heraus eigenständig Handelnder, proaktiv, stark.
„…Tief ist ihr Weh -, Lust — tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: Vergeh! Doch alle Lust will Ewigkeit -,
— will tiefe, tiefe Ewigkeit!“
Noch nie zuvor waren Teile der Menschheit auf einem vergleichbar hohen und gut zugänglichen Bildungsniveau wie im einundzwanzigsten Jahrhundert. Gleichzeitig stieg die Prosperität in der ersten Welt auf eine bisher nicht gekannte Stufe – damit einhergehend immer mehr zu Verfügung stehende Zeit. Doch was soll der Mensch mit den weit geöffneten Möglichkeiten anstellen? Wohin reisen, was kaufen, wo arbeiten, mit wem sich verbinden?
Als Ingeborg Bachmann ab 1957 ihre letzten Gedichte zu schreiben begann, hatte sie das Leben schon durch, wie nur wenige Zeitgenossen. Durch den zweiten Weltkrieg in den Schmerz entlassen und durch die Moderne in die Freiheit der Selbstgestaltung versetzt, ergreift sie eigenständig als Poetin die Gedankenwelt:
Geh, Gedanke, solange ein zum Flug klares Wort
Dein Flügel ist, dich aufhebt und dorthin geht…
Wo die Luft schneidend ist
In einem neuen Verstand,
wo Waffen sprechen
von einziger Art.
Verficht uns dort!…
Entsprich uns ganz!
Dieser ergriffene, noch vollständig zu erarbeitende neue Verstand erhellt die unbändige Eigengestaltungslust aus der Black-Box Mensch in etwas Konkretes hinein, was intrinsisches Begehren mit Gestaltungsmöglichkeiten in der äusseren Welt in anregende, freilassende Resonanz bringt. Gerade in der gegenwärtigen „Corona-Zeit“ ist deutlich geworden, wie wichtig die ausgewogene, respektgetragene Gedankenbildung ist.
Den Individualismus vorgreifend, verfasste Rudolf Steiner 1893 seine Philosophie der Freiheit als wegweisende, notwendige Schritte des Erwachens im Denken. Alles komme darauf an, wie Entschlüsse im Menschen gestaltet werden. Die Synthese aus Handeln und Erkennen für eine humane Zukunft formulierte Rudolf Steiner so: „Leben in der Liebe zum Handeln und Lebenlassen im Verständnisse des fremden Wollens ist die Grundmaxime des freien Menschen.“
Alexander Faldey
Mitglied Klinikleitung