Krebs als Schicksal

Werner Kaelin - Krebs als Schicksal

Wenn es um die Geschich­te der Lukas Kli­nik geht, wer­den vor allem die Namen von Rita und Alex­and­re Leroi genannt. Weni­ger bekannt ist den meis­ten, dass zu den Kli­nik­grün­dern der Arzt und For­scher Dr. med. Wer­ner Kae­lin gehör­te, der zugleich auch Begrün­der des Ver­eins für Krebs­for­schung war. Auch er hat sein Leben in den Dienst am Men­schen gestellt.

Im März 1888 gebo­ren, ver­bringt Wer­ner Kae­lin sei­ne Kin­der- und Jugend­jah­re in Wollerau. Sein Vater ist Land­arzt. Schon als klei­ner Bub darf ihn Wer­ner Kae­lin auf sei­nen Haus­be­su­chen beglei­ten. Er erfährt viel über die Natur, die Tier- und Pflan­zen­welt und ist schon früh inter­es­siert an der Her­stel­lung von Medi­ka­men­ten in Vaters Apo­the­ke. Wiss­be­gie­rig lernt er schon vor der Schul­zeit von sei­ner älte­ren Schwes­ter lesen und schrei­ben, so dass er die ers­te Klas­se über­sprin­gen kann.
Nach der Grund­schul­zeit füh­ren die Mut­ter, eine streng gläu­bi­ge Katho­li­kin, und der sehr libe­ral den­ken­de Vater har­te Dis­kus­sio­nen über sei­ne wei­te­re Aus­bil­dung. Ein Kom­pro­miss führt dazu, dass Wer­ner Kae­lin die ers­ten vier Gym­na­si­al­jah­re in der Jesui­ten-Klos­ter­schu­le besucht, deren Atmo­sphä­re stren­ger katho­li­scher Dis­zi­plin ihm bald ver­hasst ist. Der anschlies­sen­de Besuch der libe­rals­ten Kan­tons­schu­le der Schweiz in Aar­au ist für ihn eine wah­re Erlö­sung. Etwa zeit­gleich ist auch Albert Ein­stein an die­ser Schu­le. Sie ler­nen sich aber nicht per­sön­lich ken­nen.

Bunte Vögel

Das Erfor­schen und Expe­ri­men­tie­ren scheint Wer­ner Kae­lin schon früh aus­zu­zeich­nen. Mit Unter­stüt­zung eines Mit­schü­lers fängt er Sper­lin­ge, färbt sie mit Organ­prä­pa­ra­ten aus dem Schü­ler­la­bor ein und ent­lässt sie wie­der in die Frei­heit. Das plötz­li­che Auf­tau­chen die­ser bis­her unbe­kann­ten knall­bun­ten exo­ti­schen Vögel gibt Anlass für einen Arti­kel in der Lokal­zei­tung in Aar­au. Trotz öffent­li­cher Publi­ka­ti­on bleibt der Streich ohne Fol­gen, da nie­mand weiss, wie die­ses „Natur­er­eig­nis“ zustan­de gekom­men ist. Die Vögel ver­lie­ren all­mäh­lich die bun­ten Federn und ver­wan­deln sich so wie­der in gewöhn­li­che Sper­lin­ge.

Ausbildungsjahre

Ab 1909 stu­diert Wer­ner Kae­lin Medi­zin in Genf, Wien, Mün­chen, Ber­lin und Zürich, wo er sein Staats­ex­amen her­vor­ra­gend besteht. Wäh­rend des Stu­di­ums besucht er die Rekru­ten- und Unter­of­fi­ziers­schu­le. Nach dem Stu­di­um absol­viert er die Offi­ziers­schu­le und wird gleich dar­auf zum Aktiv­dienst im 1. Welt­krieg auf­ge­bo­ten. Etwa zwei Jah­re leis­tet er als Trup­pen­arzt akti­ven Dienst. Zwi­schen­zeit­lich wird er im Pri­vat­haus des Gemein­de­prä­si­den­ten in Gel­ter­kin­den ein­quar­tiert.
Er lernt Maria ken­nen, die Toch­ter des Hau­ses, die mit der Anthro­po­so­phie ver­traut ist. Sie gibt ihm eines Tages ein Buch von Rudolf Stei­ner mit. Er kommt ihrer Auf­for­de­rung nach es zu lesen und sagt ihr anschlies­send, dass er noch nie einen ärge­ren Unsinn gele­sen habe. Als uni­ver­si­tär aus­ge­bil­de­ter Arzt fühlt er sich erha­ben über die­se zunächst unver­ständ­li­chen und abstru­sen Gedan­ken. Doch die­se „unsin­ni­gen“ Gedan­ken las­sen ihn tat­säch­lich nicht mehr los. Als Trup­pen­arzt ist er zeit­lich nicht sehr gefor­dert, und so erge­ben sich wei­te­re Gele­gen­hei­ten für Gesprä­che mit Maria. Ihr gelingt es, sei­ne Vor­ur­tei­le all­mäh­lich zu ent­kräf­ten und ihm den Zugang zur Anthro­po­so­phie zu eröff­nen.

Arzt und Heiler

In ver­schie­de­nen Spi­tä­lern absol­viert er neben sei­ner Arbeit an der Pro­mo­ti­on Assis­tenz­zei­ten in Geburts­hil­fe und Inne­rer Medi­zin, ist auch ein hal­bes Jahr beim berühm­ten Chir­ur­gen Pro­fes­sor Sauer­bruch an der Cha­rité Ber­lin. Wer­ner Kae­lin schätzt ihn als her­vor­ra­gen­den Leh­rer und Dozen­ten. Sei­ne Begeis­te­rung für des­sen Chir­ur­gie reicht denn aber doch nicht, dass Wer­ner Kae­lin sozu­sa­gen medi­zi­ni­scher Hand­wer­ker wird und bleibt. Sei­ne Inten­ti­on ist es viel­mehr, als Arzt und Hei­ler zu wir­ken.
Nach der Hoch­zeit mit Maria 1916 eröff­net er im Jahr dar­auf eine eige­ne Pra­xis als Land­arzt am Vier­wald­stät­ter­see. Schon nach kur­zer Zeit ist er sehr beliebt bei sei­nen Pati­en­ten und ver­arz­tet sogar deren Vieh. Er stu­diert die Anthro­po­so­phie, hört Vor­trä­ge von Rudolf Stei­ner in Luzern und besucht des­sen Ärz­te­kur­se am Goe­thea­num. Der schreck­li­che Anblick der Brand­rui­ne des 1. Goe­thean­ums trifft ihn zutiefst.

Erster Schicksalsschlag

1927 stirbt sei­ne Frau Maria an Krebs. Er ver­spricht ihr noch vor ihrem Tod, nach Arle­sheim zu zie­hen und sich ganz der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin zu wid­men. Mit sei­nen zwei Kin­dern, die spä­ter eben­falls Ärz­te wer­den, sie­delt er noch im glei­chen Jahr nach Arle­sheim um.
Wer­ner Kae­lin hat zu Stei­ners Leb­zei­ten mehr­mals Gele­gen­heit, mit ihm per­sön­li­che Gesprä­che über medi­zi­ni­sche Pro­ble­me zu füh­ren, so äus­sert Wer­ner Kae­lin, dass eine Metho­de zur Früh­dia­gno­se des Kreb­ses ent­wi­ckelt wer­den muss, weil die Fäl­le zu spät ent­deckt wer­den. Rudolf Stei­ner gibt ihm zu ver­ste­hen, dass sich durch sei­ne Anga­ben in den Ärz­te­kur­sen eine Metho­de fin­den lässt. Die Ver­bin­dung zu Rudolf Stei­ner ermög­licht Wer­ner Kae­lin 1928 den Ein­tritt in das Kli­nisch-The­ra­peu­ti­sche Insti­tut Ita Weg­mans. Bald ver­bin­det ihn eine enge Zusam­men­ar­beit mit Ita Weg­man und Ger­hard Such­ant­ke, der damals an der Grund­idee der „Krebs­psy­che“ arbei­tet.
Seit 1922 arbei­tet Wer­ner Kae­lin mit der durch Ita Weg­man gegrün­de­ten Inter­na­tio­na­len Labo­ra­to­ri­en AG, der spä­te­ren Wele­da, zusam­men und gehört deren Ver­wal­tungs­rat an, eine Zeit lang gar als deren Prä­si­dent.

Der „Kaelin-Test“

1933 hei­ra­tet Wer­ner Kae­lin erneut. Er bezieht mit sei­ner Frau Lina das im anthro­po­so­phi­schen Stil vom Archi­tek­ten Ran­zen­ber­ger neu erbau­te Haus „Auf der Höhe 8“, in dem er auch eine eige­ne Pra­xis eröff­net. Er behan­delt wäh­rend sei­ner gan­zen Pra­xis-Tätig­keit auch immer eige­ne Pati­en­ten in der Kli­nik, die er fast täg­lich besucht. Sei­ne Haus­be­su­che füh­ren ihn in die Regi­on Basel und bis ins obe­re Basel­biet, bis die Ben­zin­ra­tio­nie­rung nach den ers­ten Kriegs­jah­ren das ver­hin­dert.
Nach lan­gen Vor­ar­bei­ten kann Wer­ner Kae­lin im Kli­nisch-The­ra­peu­ti­schen Insti­tut ein Ver­suchs­la­bor ein­rich­ten. In vie­len Jah­ren ent­wi­ckelt er den kapil­lar-dyna­mi­schen Blut­test. Der soge­nann­te „Kae­lin-Test“ ist eine bild­schaf­fen­de Blut­test-Metho­de, die eine Früh­erken­nung der Krebs­dis­po­si­ti­on mit­tels Steig­bil­dern mög­lich macht. Die Inter­pre­ta­ti­on der Blut­bil­der erfor­dert aller­dings gros­ses Ein­füh­lungs­ver­mö­gen und rei­che Erfah­rung im Ver­ste­hen der Bild­for­men. Ver­schie­de­ne Ärz­te neh­men an sei­nen Vor­trä­gen und Schu­lun­gen zu der Metho­de teil. Es ent­ste­hen wei­te­re Labo­re in Deutsch­land, unter ande­rem in Ber­lin, Schwä­bisch-Gmünd und Stutt­gart, sowie in Hol­land, Öster­reich, Eng­land und Süd­ame­ri­ka.

Wahlheimat Vierwaldstättersee

Der Vier­wald­stät­ter­see hat Wer­ner Kae­lin nie ganz los­ge­las­sen. Sei­ne Frau kauft des­halb 1936 eine Par­zel­le Land am Fuss des Bür­gen­stocks. Ein ein­fa­ches Holz­cha­let wird errich­tet, Hei­mat für vie­le Som­mer­fe­ri­en.
In einem Som­mer mäht der jun­ge Bau­er von neben­an das Gras mit der Sen­se und schlitzt dabei einer gros­sen Krö­te seit­lich den Bauch auf. Er ist ent­setzt, reagiert aber schnell, indem er sich ent­schliesst, die ver­letz­te Krö­te dem benach­bar­ten Arzt zu brin­gen. Wer­ner Kae­lin unter­sucht das Tier und erkennt, dass die Gedär­me unver­letzt geblie­ben sind. Er nimmt also kur­zer­hand Nadel und Faden aus der Näh­schach­tel sei­ner Frau, befeuch­tet den Faden mit ver­dünn­ter Arni­ka-Essenz, stopft die Där­me in den Bauch und näht der Krö­te die Schnitt­wun­de gekonnt zusam­men. Das Tier wird noch drei Tage gepflegt und mit Flie­gen und Wür­mern ernährt. Dann wer­den die Fäden ent­fernt, und die Krö­te wird als gesund in die Frei­heit ent­las­sen.

Einsatz in der Krebsforschung

Wer­ner Kae­lin rea­li­siert die „Funk­ti­ons­ein­heit von Dia­gno­se, The­ra­pie und For­schung“. Ihm ist, wie vie­len Kol­le­gen, klar, dass die Krebs­krank­heit der Aus­druck eines vor­her­ge­hen­den see­li­schen Gesche­hens ist. Er sieht den phy­si­schen Aus­bruch der Krank­heit nicht als Beginn, son­dern als Schluss­pha­se eines dra­ma­ti­schen Gesche­hens im See­li­schen.
1935 begrün­det Wer­ner Kae­lin zusam­men mit Ita Weg­man, sei­ner Frau Lina und Rudolf Hausch­ka den Ver­ein für Krebs­for­schung. Die­ser kon­zen­triert sich auf die Wei­ter­ent­wick­lung des Mis­tel­prä­pa­ra­tes Isca­dor. Für die Her­stel­lung des Isca­dor wird eine Zen­tri­fu­ge benö­tigt, um das Medi­ka­ment zu durch­mi­schen und der Zen­tri­fu­gal­kraft aus­zu­set­zen. Auch dafür ist viel Ent­wick­lungs­ar­beit von ver­schie­de­nen Men­schen not­wen­dig.

Zweiter Schicksalsschlag

Auch Wer­ner Kae­lins zwei­te Frau stirbt an Krebs. Das ist ein schlim­mer Schick­sals­schlag für ihn, den er kaum ver­kraf­ten kann und der ver­mut­lich dazu führt, dass er mehr­mals län­ger krank ist. Beson­ders dra­ma­tisch ist dar­an, dass er bei sei­ner eige­nen Frau die Blut­bil­der nicht rich­tig inter­pre­tiert hat. Er hät­te die Krank­heit viel frü­her erken­nen kön­nen.
1963 wird die Lukas Kli­nik eröff­net, die Trä­ger­schaft über­nimmt der Ver­ein für Krebs­for­schung. Als ers­te Lei­ter der Kli­nik sind Wer­ner Kae­lin und Rita Leroi ein­ge­setzt. An der Eröff­nungs­fei­er der Kli­nik berich­tet Wer­ner Kae­lin über die all­ge­mei­ne Situa­ti­on in der Krebs­be­hand­lung und über die Grund­la­gen der Krebs­ar­beit, wie sie vom Ver­ein für Krebs­for­schung geleis­tet wird.
Wie so oft, pas­siert es auch in der Zusam­men­ar­beit die­ser selbst­be­wuss­ten Per­sön­lich­kei­ten: Wegen diver­gie­ren­der Ansich­ten im medi­zi­ni­schen Bereich kommt es zu Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit Rita Leroi, wegen Maschi­nen­pro­ble­men bei der Isca­dor­her­stel­lung wird die Bezie­hung zu Alex­and­re Leroi schwie­rig. Eigent­lich soll die Pra­xis Wer­ner Kae­lins 1963 in die Lukas Kli­nik ver­legt wer­den. Doch dazu kommt es auf­grund der Aus­ein­an­der­set­zun­gen nicht mehr. Ab 1963 redu­ziert er sei­ne Pra­xis-Tätig­keit und stellt 1970 sei­ne ärzt­li­che Tätig­keit ganz ein.

In den letz­ten Jah­ren vor sei­nem Tod ist Wer­ner Kae­lin oft krank. Im Dezem­ber 1972 ist ihm klar, dass er das nächs­te Früh­jahr nicht mehr erle­ben wird. Von sei­nem Sohn gefragt, ob er Angst vor dem Ster­ben habe, gibt er als Ant­wort „Kei­ne Spur!“. Weni­ge Tage danach starb Wer­ner Kae­lin, 85-jäh­rig, ruhig und voll­be­wusst.

Mit Dank an Bene­dic­tus Kae­lin, Sohn von Dr. med. Wer­ner und Lina Kae­lin, für die Zusam­men­fas­sung eines Vor­tra­ges über sei­nen Vater. Dar­aus stam­men vie­le wich­ti­ge Infor­ma­tio­nen und Aus­zü­ge.

Verena Jäschke Dipl. PR Beraterin

Fach­per­son

Vere­na Jäsch­ke

Arbeits­schwer­punk­te Dipl. PR-Bera­te­rin. Seit 1996
an der Ita Weg­man Kli­nik tätig.Leiterin Kom­mu­ni­ka­ti­on Kli­nik Arle­sheim, zustän­dig für die Berei­che PR, Mar­ke­ting und Kom­mu­ni­ka­ti­on.
Kon­takt verena.jaeschke@klinik-arlesheim.ch

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