Johanniskraut – ein wärmender Lichtbringer

Zur Zeit der Som­mer­son­nen­wen­de, in den längs­ten Tagen des Jah­res, wir­ken die Licht­kräf­te am stärks­ten. In die­ser Zeit steht die seit dem Alter­tum bekann­te Heil­pflan­ze Johan­nis­kraut (Hype­ri­cum per­fo­ra­tum L.) in volls­ter Blü­te und ent­fal­tet ihre beson­de­re Heil­kraft. Sie gilt als die Son­nen­pflan­ze schlecht­hin, ganz durch­drun­gen von den som­mer­li­chen Licht­kräf­ten.

Frü­her wur­den Altä­re mit Johan­nis­kraut ge­schmückt, und beim Tanz um das Sonn­wend­feu­er trug man Krän­ze aus dem blü­hen­den Kraut als Zei­chen der Ver­bun­den­heit mit den Licht­kräf­ten. Es ist auch die Zeit, in der die­se Heil­pflan­ze geern­tet wird. Da das Heil­mit­tel­la­bor der Ita Weg­man Kli­nik das Johan­nis­kraut für ver­schie­de­ne Heil­mit­tel und Kör­per­pfle­ge­pro­duk­te ver­wen­det, ist für deren Mit­ar­bei­ten­de eben­falls Ern­te­zeit. Dies­mal brau­chen sie es für das Johan­nis­kraut­öl.

Die Lebens­kraft der Son­ne auf­ge­nom­men

Ich beglei­te die Mit­ar­bei­ten­den des Heil­mit­tel­la­bors zum bio­lo­gisch-dyna­misch bewirt­schaf­te­ten, kli­nik­ei­ge­nen Gar­ten in Arle­sheim. Es ist kurz nach zwei Uhr nach­mit­tags. Schon von wei­tem leuch­tet uns das Johan­nis­kraut-Feld gold­gelb und kräf­tig grün ent­ge­gen. Von nahem strah­len uns die fünf­blätt­ri­gen Blü­ten wie klei­ne Son­nen­rä­der an. Wir ver­tei­len uns auf dem Feld, um – mit einem Küchen­mes­ser aus­ge­stat­tet – die buschig ver­zweig­ten Blü­ten­stän­de abzu­schnei­den und sträuss­chenweise in Jute­sä­cken zu ver­stau­en.

Die Blü­ten ver­brei­ten einen etwas her­ben, har­zi­gen Geruch. Die Son­ne brennt kräf­tig. Zwi­schen­durch wer­fe ich einen Blick auf die rund einen Meter hohen, gera­de gewach­se­nen Pflan­zen mit ihren typi­schen zwei­kan­ti­gen, har­ten, zu den Wur­zeln hin sich röt­lich ver­fär­ben­den Stän­geln, an denen die ellip­tisch-eiför­mi­gen Blät­ter ohne Stil sit­zen. Ich hal­te nun ein Blatt gegen das Licht und sehe vie­le klei­ne, hel­le Löch­lein, wie mit fei­nen Nadeln durch­sto­chen; des­halb erhielt die Pflan­ze den Bei­na­men „per­fo­ra­tum“. Es sind die Öldrü­sen. Am Rand des Blat­tes erken­ne ich wei­te­re dunk­le Punk­te, die einen roten Farb­stoff ent­hal­ten.

Das Sum­men der zahl­rei­chen Bie­nen, die die gelb leuch­tenden Blü­ten in der flir­ren­den Juni-Hit­ze umschwir­ren, um deren Nek­tar zu holen, unter­bricht hin und wie­der die früh­som­mer­li­che Ruhe. Beim Abschnei­den fällt auf, dass an jedem Blü­ten­stand sowohl offe­ne als auch geschlos­se­ne und ver­blüh­te, bereits leicht bräun­lich gefärb­te Blü­ten neben­ein­an­der anzu­tref­fen sind. Die Staub­ge­fäs­se mit ihren klei­nen, schwar­zen Pünkt­chen an der Spit­ze leuch­ten wie sprü­hen­de Fun­ken.

Die rund 15 Kilo­gramm, die es für die Her­stel­lung des Johan­nis­krautöls braucht, sind rasch gepflückt. Wir suchen erleich­tert einen Schat­ten­platz auf. Die Hän­de füh­len sich nach der Ern­te etwas tro­cken an; anthra­zit­far­be­ne, win­zi­ge Körn­chen haben sich in der Hand­flä­che ange­sam­melt. Die Fin­ger wei­sen ein­zel­ne, vio­lett­far­be­ne Fle­cken auf, sie stam­men vom roten Saft, der aus den Blü­ten aus­tritt und sich auf der Haut sofort ver­färbt. In die­sen roten Trop­fen sahen die Men­schen frü­her schon die Fähig­keit des Johan­nis­krauts, die Lebens­kraft der Son­ne auf­zu­neh­men.

Leuch­ten­des, rubin-rotes Johan­nis­kraut­öl

Über Nacht wer­den die fri­schen Pflan­zen leicht ange­trock­net, am nächs­ten Mor­gen bereits im Heil­mit­tel­la­bor klein geschnit­ten und in weis­se Glä­ser abge­füllt. Jetzt hat das Gan­ze eine bräun­lich-erdi­ge Far­be ange­nom­men; ein wür­zig, her­ber Geruch ver­brei­tet sich im Raum. Nun wird kalt gepress­tes Oli­ven­öl aus bio­lo­gi­schem Anbau hin­zu­ge­fügt, bis die Pflan­zen voll­stän­dig bedeckt sind. Dann wer­den die Glä­ser mit einer Plas­tik­fo­lie ver­schlos­sen und für einen Monat lang draus­sen in die Son­ne gestellt. Wäh­rend die­ser Zeit muss der Pflan­zen­an­satz täg­lich gerührt wer­den.

Man kommt nicht aus dem Stau­nen her­aus, wenn man ver­fol­gen kann, wie der Ansatz eine immer leuch­ten­de­re, rubin-rote Far­be annimmt; beson­ders wenn die Son­ne auf die Glä­ser scheint, hat man das Gefühl, die Behäl­ter fin­gen gleich an zu glü­hen. Das Öl scheint wie trun­ken von der Son­ne.

Nach vier Wochen kann dann der Pflan­zen­an­satz gefil­tert, in Glä­ser oder Fla­schen abge­füllt und kühl gela­gert wer­den. Ich tes­te ein wenig davon. Ein etwas dick­flüs­si­ges Öl ist ent­stan­den, das sich auf der Haut ange­nehm ver­teilt und einen sam­te­nen, schüt­zen­den Wär­me­man­tel bil­det.

Die Sin­ne zum Licht öff­nen

Frü­her haben die Men­schen bereits die heil­sa­me Wir­kung des Johan­nis­krauts erkannt, es soll­te alles Dunk­le und Böse ver­trei­ben und den Men­schen hel­fen, sich wie­der für die Licht­kräf­te zu öff­nen, wenn die See­le dun­kel und schwer­mü­tig ist.

Zudem wur­de die Heil­pflan­ze für etli­che Krank­hei­ten inner­lich und äus­ser­lich ein­ge­setzt: sie soll­te Lun­ge, Magen und Nie­ren rei­ni­gen, inne­re Hit­ze und Brand sowie Ver­bren­nun­gen bekämp­fen, aber auch Krämp­fe lin­dern. Über­lie­fert ist, dass sie aus­ser­dem bei Blut­and­rang und Ischi­as, gegen Asth­ma, Kopf­weh, Bett­näs­sen, Gelb­sucht und Menstruations­leiden Ver­wen­dung fand. Für Para­cel­sus war die Pflan­ze ein Uni­ver­sal­mit­tel; so wand­te er sie auch – genau­so wie das in der moder­nen Kom­ple­men­tär­me­di­zin üblich ist – gegen Depres­sio­nen, Melan­cho­lie und Hys­te­rie an.

Heu­te ist der 24. Juni, Johan­ni. Beim Schrei­ben sehe ich noch­mals im Geis­te die Pflan­ze vor mir. Vie­les habe ich in den letz­ten Wochen über die­ses Heil­kraut gehört, gele­sen und erfah­ren. Ent­spre­chend las­sen sich die beson­de­ren Eigen­schaf­ten die­ser Pflan­ze fol­gen­der­mas­sen zusam­men­fas­sen: Johan­nis­kraut ist genüg­sam, ja zäh, es liebt tro­cke­ne Böden, wächst an Böschun­gen, Weg­rän­dern, Bahn­glei­sen, Park­plät­zen und sogar der Auto­bahn ent­lang. Die Pflan­ze ist einer­seits licht­hung­rig und saugt sich voll Licht, ande­rer­seits ist sie fest in der Erde ver­wur­zelt. Sie bil­det in ihren Blät­tern Öl aus, sonst fin­det es sich bei Pflan­zen nur im Samen. Johan­nis­kraut macht einer­seits Tier und Mensch emp­find­sam für das Licht, ande­rer­seits gibt es dem phy­si­schen und psy­chi­schen Orga­nis­mus sowohl Wär­me- und Licht­kräf­te als auch Antriebs­kraft. In Zei­ten der Über­be­an­spru­chung stei­gert die Pflan­ze das Wohl­be­fin­den, ent­spannt, bringt die Men­schen zu sich und öff­net die Sin­ne zum Licht.

Zuletzt fällt mir noch eine wei­te­re signi­fi­kan­te Gegen­sätz­lich­keit des Heil­krau­tes ein: Trotz des Ver­sen­gungs- und Aus­dör­rungs­pro­zes­ses im Stän­gel – er ist regel­recht ver­holzt, wes­halb das Johan­nis­kraut auch als Hartheu bezeich­net wird – ent­fal­tet es im Kraut und in der Blü­te ein fri­sches, pul­sie­ren­des Leben und ver­mit­telt durch­wär­men­de Licht­kräf­te als Heil­mit­tel. Eine wahr­haft erstaun­liche Heil­pflan­ze!

MICHAELA SPAAR

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