Ita Wegman – Innen und Aussen im fruchtbaren Wechselspiel

Ita Wegman

Gros­se Ide­en ent­ste­hen still und lei­se im Innern – die Aussen­welt kann Leh­rer sein und inne­re Pro­zes­se för­dern – ein ­inter­es­san­tes mensch­li­ches Wech­sel­spiel. Ita Weg­man war und ist eine initia­ti­ve, begeis­tern­de und aus­ser­ge­wöhn­li­che Pio­nier­per­sön­lich­keit in einer aus­ser­or­dent­li­chen Zeit. Es gibt sehr vie­le Facet­ten und Aspek­te ihrer Per­sön­lich­keit und ihres Wir­kens – eini­ge weni­ge wer­den im Fol­gen­den beschrie­ben.

Ita Weg­man stell­te sich als Pio­nier­frau mit viel Kraft in die Aus­sen­welt – und sie begab sich gleich­zei­tig in einen tief eso­te­ri­schen Strom hin­ein. Die­ses Span­nungs­feld war ihr sehr bewusst, und sie bezog es wohl als Grund­satz für ihre Ent­schei­dun­gen aktiv mit ein. Am Bei­spiel ihrer Anspra­che zur Eröff­nung des Kli­nik­an­baus 1928 kön­nen wir das er­ahnen. Sie beginnt fol­gen­der­mas­sen:

Wenn von Men­schen, die einer Welt­an­schau­ung ange­hö­ren, in der das Über­sinn­li­che eine Rol­le spielt, etwas getan wird, dann wird die­ses Tun inner­halb die­ser Welt­an­schau­ung immer zwei­er­lei Cha­rak­ter haben: es wird, wenn das Tun nach aus­sen gerich­tet ist, die­ses Tun ein exo­te­ri­sches Geprä­ge haben, d. h. es wird so gear­tet sein, dass jeder Anders-Den­ken­de es ver­ste­hen kann, so dass es nicht aus dem Rah­men fällt des schon Bestehen­den. Es gibt aber inner­halb die­ser Welt­an­schau­ung das ande­re Tun, das sich ein­reiht und sich ori­en­tiert nach über­sinn­li­chen Geset­zen.“

Welt­män­ni­scher Auf­tritt und Demut

Die­se Sät­ze und die­ser Denk­an­satz fas­zi­nie­ren mich noch heu­te. In der wei­te­ren Anspra­che spricht Ita Weg­man in gros­ser Klar­heit von kraft­vol­ler Ent­fal­tung der Kli­nik, glanz­vol­lem Tun und welt­män­ni­schem Auf­tritt, von aner­ken­nen­dem Echo der Aus­sen­welt, aber auch von Kri­tik, die das Neue in der Aus­sen­welt aus­lö­sen wird. Dann betont sie die Innen­sei­te einer spi­ri­tu­el­len Medi­zin. Hier steht Demut gegen­über der geis­ti­gen Welt im Zen­trum, aber auch Beschei­den­heit, Inner­lich­keit, Geduld und Anstren­gung.

Die­ses Span­nungs­feld erle­ben wir heu­te nach wie vor sehr inten­siv. Wir müs­sen die Kli­nik als star­ken Anbie­ter im har­ten Gebiet der Gesund­heits­po­li­tik und Wirt­schaft posi­tio­nie­ren – und gleich­zei­tig offen und sen­si­bel sein für die hei­len­den Kräf­te der Natur, der Men­schen und der geis­ti­gen Welt.

Am Schluss ihrer Anspra­che weist Ita Weg­man auf einen wei­te­ren wich­ti­gen Aspekt hin – und auch er ist für die heu­ti­ge Zeit sehr bedeut­sam: Aus der inne­ren medi­ta­ti­ven Arbeit ent­ste­hen die Kraft und das rich­ti­ge Selbst­be­wusst­sein für die Auf­ga­ben im Äus­se­ren. Bei allen äus­se­ren Anfor­de­run­gen, Her­aus­for­de­run­gen und Span­nungs­fel­dern: das wirk­lich umkämpf­te Gebiet liegt im Inne­ren der Men­schen, und dort braucht es gros­se Geis­tes­ge­gen­wart und Enga­ge­ment für die Sache – damals wie heu­te.

The­ra­peu­tin

Ita Weg­man war im ers­ten Beruf eine The­ra­peu­tin, was häu­fig nicht im Bewusst­sein ist. Ziel ihrer ers­ten Aus­bil­dung war die Heil­gym­nas­tik und die soge­nann­te Schwe­di­sche Mas­sa­ge, eine damals moder­ne Rich­tung der medi­zi­ni­schen Mas­sa­ge. Zu die­sem Zweck erlern­te sie in Hol­land in den Jah­ren 1900 bis 1902 den Beruf einer Gym­nas­tik­leh­re­rin; das war eine Vor­aus­set­zung dafür.

Der kon­ven­tio­nel­le Ansatz war Ita Weg­man aber nicht genü­gend. Des­halb ent­wi­ckel­te sie spä­ter, nach­dem sie 1902 Rudolf Stei­ner getrof­fen hat­te und sich durch die von ihm erar­bei­te­te Anthro­po­so­phie begeis­tern und befruch­ten liess, eine neue Art von Mas­sa­ge. Sie woll­te die Lebens­kräfte des Pati­en­ten direk­ter errei­chen. Durch den erwei­ter­ten Ansatz und durch die inne­re Ver­bin­dung mit die­ser Fra­ge­stel­lung ent­wi­ckel­te sie eine Mas­sa­ge, wel­che die rhyth­mi­schen Anre­gun­gen ins Zen­trum stell­te und zudem mehr von the­ra­peu­ti­schen Sog-Wir­kun­gen als von bis­her ange­wen­de­ten Druck-Wir­kun­gen aus­ging. Es ent­stand die heu­te nach ihr benann­te „Rhyth­mi­sche Mas­sa­ge nach Dr. Ita Weg­man“. Ein Mus­ter­bei­spiel von fun­dier­ter offi­zi­el­ler Aus­bil­dung und eige­ner Umge­stal­tung nach neu­en Gesichts­punk­ten!

Ärz­tin

Als Frau war es damals fast unmög­lich, Medi­zin zu stu­die­ren. Umso erstaun­li­cher war, dass dies Ita Weg­man in einer Zweit­aus­bil­dung gelang. Sie erhielt einen Stu­di­en­platz an der Uni­ver­si­tät in Zürich – damals in Bezug auf Frau­en­rech­te eine Pio­nier­stadt. Sie beschrieb, sie habe das vie­le kon­ven­tio­nel­le Wis­sen nur erler­nen kön­nen im Wis­sen, dass sie die­ses anwen­den möch­te für eine Medi­zin, wel­che die spi­ri­tu­el­len Aspek­te berück­sich­tigt – eine Medi­zin im Sin­ne der Anthro­po­so­phie („Anthro­po­so­phi­sche Medi­zin“ gab es damals ja noch nicht). In der Pra­xis in Zürich hol­te sie sich viel prak­ti­sche Erfah­rung, so dass alles reif schien, als sie 1921 die Kli­nik Arle­sheim grün­de­te.

Im Fol­gen­den ent­stand eine sehr inten­si­ve Wir­kens­zeit vor allem in der Pha­se der kon­kre­ten Zusam­men­ar­beit mit Rudolf Stei­ner bis zu sei­nem Tod 1925, mit gröss­ten Leis­tun­gen in der Aus­sen­welt, vie­len Rei­sen und Kon­tak­ten in die gan­ze Welt sowie Grün­dun­gen und Neu­ent­wick­lun­gen. Der ein­drück­li­che Brief­wech­sel mit Tau­sen­den von Brie­fen im Ita Weg­man Archiv zeugt von die­ser äus­se­ren Arbeit. Beglei­tet und beseelt wird sie von einer in der Tie­fe nicht zu unter­schät­zen­den spi­ri­tu­el­len Arbeit, eben­falls in enger Zusam­men­ar­beit mit Rudolf Stei­ner – und dies alles mit vie­len Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten und einem neu­en sozia­len Orga­nis­mus der wach­sen­den Kli­nik.

Heil­mit­tel, Phar­ma­zie

Die Schul-Phar­ma­zie zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts war geprägt von gros­sen Such­be­we­gun­gen. Vie­le über­lie­fer­te Rezep­tu­ren wur­den kri­ti­siert – eini­ge Wirk­stof­fe wur­den neu ein­ge­führt und hat­ten Neben­wir­kun­gen. Es war der Platz für die soge­nann­te Nihi­lis­ti­sche Schu­le: lie­ber sol­len die Ärz­te gar nicht behan­deln, son­dern sich auf die Dia­gno­se und Pro­gno­se beschrän­ken – somit fügen sie wenigs­tens den Pati­en­ten kei­nen Scha­den zu. In die­ser Zeit begann Ita Weg­man auf Anre­gung von Rudolf Stei­ner, noch bevor er Vor­trä­ge zur Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin hielt, mit der Ent­wick­lung eines Mis­tel-Prä­pa­ra­tes in Zürich, damals Iscar genannt und ein­ge­setzt bei Kar­zi­no­me­rkrank­ten. Mit gros­sem Ein­satz und Initia­ti­ve ent­wi­ckel­te und erforsch­te sie ein Medi­ka­ment zur sub­cu­ta­nen Injek­ti­on, dem Vor­läu­fer des heu­ti­gen Isca­dors. Mit Oscar Schmie­del, einem Che­mi­ker, und Lud­wig Noll, einem Kol­le­gen, ent­stan­den in der Früh­zeit der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin in enger Zusam­men­ar­beit mit Rudolf Stei­ner über 100 Medi­ka­men­te – die soge­nann­te Arle­shei­mer Prä­pa­ra­te-Lis­te. In ein­drück­li­cher Wei­se wur­den neue Wege von Phar­ma­zie und Indi­ka­ti­ons­lis­ten beschrit­ten. Die Grund­la­gen einer neu­en Medi­zin-Metho­dik, eines neu­en Natur-Ver­ständ­nis­ses und einer neu­en Ethik des Hel­fens waren geschaf­fen.

Pfle­ge

Die Pfle­ge befand sich in jener Zeit eben­falls in einem Umbruch. Sie hat­te sich aus kirch­li­chen Zusam­men­hän­gen ent­wi­ckelt und fand sich nun wis­sen­schaft­li­chen Fra­ge­stel­lun­gen gegen­über. Auch das ging ein­her mit einem „Genera­tio­nen­wech­sel“, und Ita Weg­man setz­te sich auch hier im Sinn von Inno­va­ti­on und Neue­rung ein. Schon wäh­rend des Stu­di­ums und als prak­ti­zie­ren­de Ärz­tin in Zürich waren ihr die Zusam­men­ar­beit, die Wei­ter­ent­wick­lung und Aus­bil­dung der Pfle­ge ein gros­ses Anlie­gen gewe­sen. Sie pfleg­te regen Aus­tausch mit den Frau­en­ärz­tin­nen Anna Heer und Anna Bal­ti­sch­wi­ler, bei­des Grün­der­per­sön­lich­kei­ten des dama­li­gen Frau­en­spi­tals und der ers­ten Schwei­ze­ri­schen Pfle­ge­rin­nen­schu­le. Aus die­sen Jah­ren sind Kon­zep­te ihrer Schwes­tern­kur­se erhal­ten.

Nach der Grün­dung der Kli­nik in Arle­sheim rich­te­te Ita Weg­man eine eige­ne Pfle­ge­wei­ter­bil­dung ein – den soge­nann­ten Schwes­tern­kurs. Die kon­ven­tio­nel­le Pfle­ge soll­te mit spi­ri­tu­el­len Aspek­ten ergänzt wer­den. Zen­tra­le Fra­gen zu Mit­leid, Lie­be und Hei­lung sol­len in einen grös­se­ren Kon­text gestellt wer­den, um eine men­schen-, zeit- und geis­tes­ge­mäs­se Pfle­ge ver­wirk­li­chen zu kön­nen.

Sozia­le Fra­gen

Für uns heu­te kaum vor­stell­bar sind die Zei­ten der Welt­krie­ge. Die sozia­le Fra­ge war damals so inten­siv und drän­gend, dass wir heu­te um Wor­te dafür rin­gen. Ita Weg­man erleb­te das alles mit. Sie stell­te sich aktiv hin­ein, mit sehr viel Risi­ko auf ver­schie­de­nen Ebe­nen – als Grün­dungs­per­sön­lich­keit mit per­sön­li­chen finan­zi­el­len Risi­ken, bei der Füh­rung der damals noch klei­nen Wele­da, in der Kli­nik, bei Aus­ein­an­der­set­zun­gen am Goe­thea­num.

Ita Weg­man zog rei­che Men­schen aus aller Welt an und begeis­ter­te sie für die Ide­en der Anthro­po­so­phie. Sie setz­te sich für behin­der­te Kin­der und Men­schen ein, ent­wi­ckel­te Ide­en und Initia­ti­ven für die Unter­stüt­zung von unter­ernähr­ten Kriegs­kin­dern, enga­gier­te sich für die Ide­en der Sozia­len Drei­glie­de­rung. Auch hier wie­der ihre Hand­schrift: Enga­ge­ment und Aus­ein­an­der­set­zung mit den Not­wen­dig­kei­ten und Aktua­li­tä­ten der Zeit in Ver­bin­dung mit inners­ten phi­lo­so­phi­schen Anlie­gen – eine ein­drück­li­che Leis­tung.

Die vier Säu­len und das Feu­er

Die Grund­säu­len der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin erge­ben sich durch das Zusam­men­wir­ken von Ärz­ten, Pfle­gen­den, The­ra­peu­tin­nen und Heil­mit­teln zum Wohl der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten. Es ist span­nend zu bemer­ken, dass in der Grün­der­per­sön­lich­keit von Ita Weg­man die­se vier Aspek­te eine zen­tra­le bio­gra­fi­sche Bedeu­tung haben. Dabei stell­te sie sich jeweils in das Span­nungs­feld der äus­se­ren Aner­ken­nung und des inne­ren Gehalts.

Auch in der heu­ti­gen Zeit gilt: Der Tem­pel mit die­sen vier Säu­len steht auf den Fun­da­men­ten der in der Aus­sen­welt aktu­el­len kon­ven­tio­nel­len Medi­zin – das Dach und die Aus­rich­tung bil­det die Spi­ri­tua­li­tät der Anthro­po­so­phie. Das streng behü­te­te, um­sorgte und beschütz­te inne­re „Tem­pel­feu­er“ soll im Sinn von anste­cken­der Begeis­te­rung mit gros­ser Kraft nach aus­sen getra­gen wer­den, als eine Signa­tur des im Sozia­len geleb­ten Lebens.

Dr. med. Lukas Schöb

Fach­per­son Dr. med. Lukas Schöb
Arbeits­schwer­punk­te Fach­arzt für Inne­re Medi­zin FMH,
Stu­di­um in Basel und Genf, Fach­arzt­aus­bil­dung Inne­re Medi­zin in Erlen­bach, Dor­n­ach und Basel mit kar­dio­lo­gi­schem Schwer­punkt. Seit 2001 sta­tio­när tätig auf der Sta­ti­on der Inne­ren Medi­zin an der
Ita Weg­man Kli­nik. Seit 2004 Ärzt­li­cher Lei­ter und Mit­glied der Kli­nik­lei­tung und seit der Aus­grün­dung der Ita Weg­man Kli­nik AG 2008 in deren Ver­wal­tungs­rat. Die­se Funk­tio­nen hat er seit 1. April 2014 auch in der Kli­nik Arle­sheim AG inne.
Kon­takt lukas.schoeb@klinik-arlesheim.ch

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