
Anfang April 2014 haben sich die Ita Wegman Klinik und die Lukas Klinik zur Klinik Arlesheim zusammengeschlossen. Hans-Peter Studer hat mit ihrem Geschäftsführer Andreas Jäschke darüber gesprochen, wo die neue Klinik im heutigen gesundheitspolitischen Umfeld steht und wie sie sich darin auch künftig positionieren will.
Die Kosten im Schweizer Gesundheitswesen steigen unablässig. Das bekommen wir jährlich in Form einer Prämienerhöhung zu spüren – je nach Kanton und Versicherung mehr oder weniger ausgeprägt. Wie findet sich die Klinik Arlesheim in diesem Umfeld zurecht?
Die Gesundheitskosten steigen nicht nur klinikbezogen, obwohl die Spitäler einen deutlichen Anteil daran haben, sondern auch insgesamt. Nicht unterschätzen darf man den enormen Fortschritt, den wir in der Medizin haben. Heute diagnostiziert man am liebsten sofort mit dem MRI. Vor einigen Jahren war es das CT, davor der Ultraschall, und vor zwanzig, dreissig Jahren hat man geröntgt oder sozusagen mit der Hand gearbeitet. Der technische Aufwand und die technischen Möglichkeiten wurden viel besser, aber auch teurer. Das ist besonders im Spitalbereich der eigentliche Hauptkostentreiber.
Gilt das auch für die Klinik Arlesheim?
Bei uns hält sich das in Grenzen, weil wir in der Technik nicht unsere Hauptentwicklungsrichtung sehen. Deshalb arbeiten wir zum Beispiel mit dem Bruderholz-Spital mit einem Inhouse-Modell zusammen: Der Computertomograph ist in unserem Haus, wird aber durchs Bruderholz betrieben, das Röntgen ebenso. Nicht jedes Spital – und wir gehören nicht zu den grossen Spitälern – muss individuell aufrüsten, denn das muss alles bezahlt werden. Wir können mit sinnvollen Kooperationen unsere Patienten trotzdem gut versorgen. Aber im gesamten System steckt die Dynamik der Kostensteigerung drin.
Durch die Kooperation mit anderen Spitälern und die Konzentration auf Ihre Kernkompetenzen helfen Sie also mit, gezielt Kosten zu dämpfen?
Wir haben hier in der Nordwestschweiz eine sehr hohe Spitaldichte und – das ist ein politisches Thema – zu viele Spitalbetten. Wir haben diese Herausforderung angenommen und bereits seit den neunziger Jahren Betten abgebaut, trotz unserer Kleinheit. Auch nach der Fusion der beiden Häuser zur Klinik Arlesheim bauten wir nicht auf dem Bettenbestand auf, der durch eine Addition der früheren Bettenzahlen zustande gekommen wäre. Wir verfügen heute über 82 stationäre Betten und haben dazu noch ambulante Betten im Notfall und in der Tagesklinik. Im Zusammenhang mit der Fusion haben wir überlegt, wo wir uns innerhalb der gesamten Spitallandschaft der Nordwestschweiz positionieren. Auf dieser Analyse, bei der wir uns auch die Frage nach unseren Kernkompetenzen gestellt haben, haben wir unsere Strategie aufgebaut.
Wie sieht diese Strategie aus?
Sie basiert auf drei Säulen, die wir für die nächsten Jahre als Entwicklungsrichtung ins Auge gefasst haben. Das ist zum einen die Onkologie, was durch die Fusion mit der Lukas Klinik, die eine onkologische Spezialklinik war, auf der Hand lag. Wir können in der Onkologie das ganze Spektrum anbieten: eine grosse Ambulanz, eine Tagesklinik, Akutbehandlungen bis hin zur Rehabilitation und auch Palliativmedizin. Operationen jedoch und auch Strahlentherapien führen wir bei uns im Haus nicht durch. Es gibt genügend gute Möglichkeiten in zuträglicher Nähe, deshalb kooperieren wir auch hier mit umliegenden Spitälern.
Und welches sind die beiden anderen Säulen?
Als weitere Säule haben wir die Innere Medizin. Dabei fokussieren wir stark auf die Kardiologie, weil wir dort ebenfalls sehr gut aufgestellt sind, sowohl von den ärztlichen Kompetenzen als auch von den technischen Möglichkeiten her. Aber auch hier gilt die sinnvolle Abgrenzung: Wir werden kein Herzkatheter-Labor aufbauen. Für invasive Interventionen arbeiten wir eng mit dem Universitätsspital zusammen. Alles andere können wir hier im Haus machen, wir übernehmen in der Regel auch die Fallführung. Die dritte Säule schliesslich ist die Psychiatrie/Psychosomatik. Mit dieser Positionierung leisten wir einen Beitrag für die Versorgung in der gesamten Region.
Haben Sie mit diesen drei Säulen auch in der Politik – vor allem derjenigen des Kantons Baselland – einen anerkannten Stellenwert, nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem neuen Verfassungsartikel, dass die Komplementärmedizin auch seitens der Kantone berücksichtigt werden muss?
Wir haben für all das, was wir anbieten, einen Leistungsauftrag des Kantons. Wichtig ist für uns, dass der Leistungsauftrag nicht explizit auf Komplementärmedizin ausgerichtet ist, sondern auf die Diagnosegruppen, auf die Angebote. Wir sehen auch die Bedeutung für den Kanton, dass er die Verpflichtung, die aus dem Verfassungsartikel entsteht, auf diese Art und Weise gut abgedeckt weiss.
Hat sich die Fusion der beiden Kliniken bewährt? Sind Sie schon zu einer Einheit geworden?
Die Fusion ist insgesamt ganz klar ein Erfolg. Natürlich sind noch nicht alle Fusionsschmerzen vorüber. Wir haben im ersten Jahr hauptsächlich daran gearbeitet, die beiden sehr unterschiedlich strukturierten und positionierten Kliniken in einer Art und Weise zusammenzuführen, dass wir weiterarbeiten und unsere Patienten gut versorgen können. Die eigentliche, strukturelle Umbau- und Anpassungsarbeit ist jetzt im Gang. Die Herausforderung ist wirklich, ein neues Gebilde zu gestalten.
… aus zwei Kliniken, die klassischerweise ein sehr unterschiedliches Zielpublikum hatten?
Richtig. Die Ita Wegman Klinik war früher, bis in die 80er und 90er Jahre, noch recht international aufgestellt, ist dann aber zunehmend zu einem regionalen Anbieter geworden, während die Lukas Klinik bis zuletzt eine grosse internationale Kundengruppe hatte. Das ist heute nicht mehr in dem Mass der Fall. Die fusionierte Klinik ist jetzt klar ein wichtiger „Player“ innerhalb der Region. Ein grosser Teil der Patienten, gut 75 Prozent, kommt aus der Region Nordwestschweiz, ein erheblicher Anteil aber auch aus der weiteren Schweiz bis hin nach Graubünden, dem Tessin oder der Westschweiz. Die ausländischen Patienten machen nur noch 3 bis 4 Prozent aus. Sie sind meistens Selbstzahler, oder sie haben eine entsprechend gute Versicherungsdeckung.
Wenn Sie die Finanzierung ansprechen: Seit 2012 ist gesamtschweizerisch die neue Spitalfinanzierung und mit ihr ein neues Verrechnungssystem für den stationären Bereich in Kraft, nämlich die DRGs oder Fallpauschalen. Wie wirken sich diese auf die Klinik aus? Kommt bei ihnen der komplementärmedizinische Anteil nicht zu kurz?
Natürlich bestand im Vorfeld die Befürchtung, dass das neue Verrechnungssystem gerade für die Anthroposophische Medizin problematisch werden könnte. Das hat sich so nicht bewahrheitet, aber vor allem deshalb, weil wir unsere Hausaufgaben erledigt haben in Bezug auf die Anpassung, derer es ganz klar bedurfte und bedarf. Gegenüber früher haben sich die Aufenthaltsdauern deutlich verkürzt. Im Hinblick darauf hatten wir schon vor der Einführung der neuen Spitalfinanzierung begonnen, sie zu senken. Das bedurfte aber einer gewissen Anpassung der Logik der Leistungserbringung.
Inwiefern?
Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass Patienten, die im Akutsetting behandelt werden, hier ihren Heilungsprozess zum Abschluss bringen oder weitestgehend durchführen. Vielmehr wird der Heilungsprozess hier eingeleitet und den Patienten gezeigt, in welche Richtung sie danach im ambulanten, nachfolgenden Setting selber weitergehen können. Vor diesem Hintergrund ist auch das grosse Angebot der Grundversorgung zu sehen, das wir ambulant zur Verfügung stellen, sozusagen als vierte Säule. Zu nennen sind auch die Tagesklinik und das Ita Wegman Ambulatorium Basel in der Nähe des Hauptbahnhofs. Damit haben wir die Möglichkeit, die Art der Therapie, die hier stationär eingeleitet wurde, im ambulanten Setting weiterzuführen, entweder in der eigenen Praxis oder in der Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten.
Ich nehme an, das erste Gesundheitsnetz für Anthroposophische Medizin in der Schweiz als weiterer Pionierimpuls unterstützt im Grossraum Basel den ambulanten Ansatz ebenfalls stark?
Ja, natürlich. Im VAGN, dem Verein Anthroposophisches Gesundheitsnetz, arbeiten wir mit niedergelassenen Ärzten zusammen, und auch die Klinik ist eingebunden in dieses Netzwerk. Vor allem aber kooperieren wir mit Krankenversicherern, bis hin zur Prämienwirksamkeit. Patienten, die an diesem Netzwerk teilnehmen und den darin eingebundenen Hausarzt als Erstanlaufstelle haben, erhalten eine entsprechende Prämienvergünstigung. Das bewährt sich sehr und ist noch weiter ausbaufähig. Derzeit arbeiten wir bereits mit fünf Versicherern zusammen.
Wird das auch patientenseitig geschätzt? Haben Sie in der Region und darüber hinaus den Ruf: „Hier erhalte ich eine Betreuung, bei der man auf den Menschen als Ganzen schaut und mir möglichst umfassend und ganzheitlich zu helfen versucht“?
Diese berechtigten Erwartungen versuchen wir wo immer möglich zu erfüllen. Wir merken auch, dass sich die Zusammensetzung des Patientenkollektivs ändert. Der „klassische“ anthroposophische Patient oder der „Insider“, der das alles von innen heraus kennt, war früher eine tragende Säule, aber das ist schon lange nicht mehr so. Es kommen viele Patientinnen und Patienten – auch über den Notfall – zu uns, die uns noch gar nicht kennen, und auch solche, die häufig eine längere Karriere in anderen Spitälern und in der Schulmedizin hinter sich haben. Sie kommen mit dem Bedürfnis: „Wir suchen noch etwas Anderes, etwas Neues.“ Oft haben sie zwar keine genaue Vorstellung von dem, was wir machen, sagen aber: „Wir haben gehört, ihr macht das anders und schaut anders auf den Menschen.“ Das ist häufig das, was uns bei Patientinnen und Patienten, die neu zu uns kommen, entgegenkommt.
Sind Sie mit Ihren Strategien finanziell überlebensfähig? Die Vergangenheit war ja immer auch von einer gewissen Gratwanderung zwischen Einnahmen und Kosten geprägt?
Wir müssen uns so positionieren und aufstellen, dass wir imstande sind, mit dem Geld, das wir verdienen, gut voranzukommen. Da sind sicherlich noch Schritte zu machen. Das betrifft aber nicht nur die Klinik Arlesheim, sondern viele Spitäler und Kliniken hierzulande. Es ist vom Gesetzgeber so gewollt, dass Schritte in ein System hinein gemacht werden müssen, das deutlich mehr wettbewerblich ist als früher. Wettbewerb heisst auch, man muss mit höheren Gewinnspannen und höheren Margen arbeiten, als man es früher getan hat, damit man Schwankungen ausgleichen kann. Das ist generell – abgesehen von den wirklich gewinnorientierten Privatkliniken – für das Schweizer Spitalwesen als Denkansatz relativ neu. Früher konnten sich viele Spitäler auf Defizitgarantien der öffentlichen Hand verlassen.
Was heisst das für Ihre Klinik konkret?
Wir müssen stärker darauf schauen, dass das, was wir tun, auch entsprechend honoriert wird. Wir haben Therapien – Heileurythmie, Rhythmische Massagen, künstlerische Therapien, Äussere Anwendungen in der Pflege –, die es im entsprechenden schulmedizinischen Angebot so nicht gibt. Dadurch ist der Einsatz an Personalressourcen höher, was wir durch etwas tiefere Löhne in den höheren Gehaltsgruppen auffangen, wobei wir die Situation auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigen müssen. Wir verzichten zudem auf die Ausrichtung von Privathonoraren. Diese Leistungen aus den Zusatzversicherungen kommen vollständig dem Spital zugute.
Die Kosten sind das eine, und der Nutzen ist das andere. Führt Ihr Ansatz, bewusst Schul- mit Anthroposophischer Medizin zu kombinieren, zu einer nachhaltigen Stärkung der Gesundheit und dazu, dass Ihre Patienten nicht immer wieder kommen müssen, weil ihre Gesundheit nach der Behandlung stabiler ist?
Wir sind absolut überzeugt davon. Es ist allerdings recht schwer, so etwas hieb- und stichfest durch Studien nachzuweisen. Wir haben aber entsprechende Rückmeldungen und Äusserungen, die in diese Richtung gehen – gerade auch im psychiatrischen und psychosomatischen Bereich –, dass der berühmtberüchtigte Drehtüreffekt weniger eintritt. Das hängt auch damit zusammen, dass die Patienten, die zu uns kommen, zum Teil bewusster mit ihrer Gesundheit umgehen.
… und das wiederum steht in einem Zusammenhang mit der Medizin, die Sie anbieten?
Ja, das ist eine Stärke der doppelten Kompetenz. Heute nennt man das Integrative Medizin. Der anthroposophisch-medizinische Ansatz ist seit jeher klar integrativ. Die Basis bildet die Schulmedizin – es gibt keinen Arzt bei uns, der nicht schulmedizinisch ausgebildet ist –, aber zusätzlich verfügt er über eine Ausbildung im Bereich der Anthroposophischen Medizin. Dadurch kann er beides und kann beides auch integrieren – wir nennen das die „doppelte Hilfe“. Er hat den klaren Blick auf die schulmedizinischen Möglichkeiten und auch die Fähigkeiten, diese einzusetzen, aber er sieht gleichzeitig, was man darüber hinaus machen kann. Dadurch gestaltet sich der therapeutische Prozess insgesamt rationeller und auch nachhaltiger, als wenn man allein nur auf der schulmedizinischen Seite unterwegs wäre.
Sie beziehen zudem die Patientinnen und Patienten bewusst in den therapeutischen Prozess mit ein?
Ein wichtiges Stichwort in diesem Zusammenhang ist dasjenige der Patientenkompetenz. Wir rechnen ganz stark damit und beziehen im therapeutischen Prozess ein, dass der Patient selbst der aktive Teil wird. Letzten Endes hängt der Heilungsprozess davon ab, wie weit der Patient ihn selbst in die Hand nimmt. Das geht auch auf eine Änderung der Lebenseinstellung und des Lebensgefühls der jüngeren Generation ein.
Sie ist viel besser orientiert als früher?
Ja, es gibt Patienten, die kommen mit einem Bündel von Ausdrucken aus dem Internet und sagen: „Das möchte ich haben“. Das hat zwar auch seine problematischen Seiten, aber grundsätzlich ist der Patient viel besser informiert, fragt kritischer nach und sagt: „Das ist mein Körper und mein Leben, und da weiss ich am besten Bescheid.“ Diesbezüglich haben wir eine jahrzehntelange Erfahrung, weil unser therapeutischer Ansatz darauf zielt, die Patientenkompetenz zu stärken.
Sie haben entsprechend wohl auch Vorbildcharakter?
Dr. med. Marc Schläppi zum Beispiel, der am Kantonsspital St. Gallen das Zentrum für Integrative Medizin aufgebaut hat, war früher in Arlesheim tätig, auch die komplementärmedizinische Abteilung am Spital Scuol hatte ihren Ursprung hier an der Klinik.
Wir freuen uns immer, wenn dank der Klinik Arlesheim zusätzliche Angebote gemacht werden. Die Integrative Medizin, die beide Seiten berücksichtigt, hat deutliche Vorteile, sowohl bezüglich Patientenkompetenz als auch in Bezug auf die Nachhaltigkeit der therapeutischen Massnahmen. Auch im Bereich chronischer Erkrankungen haben wir gute Erfolge. Wir haben mehr Optionen für die Therapie. Ein weiteres Beispiel sind die Antibiotika-Resistenzen. Sie machen dem Gesundheitswesen und im Besonderen den Spitälern immer mehr zu schaffen. Wir haben eine grosse Erfahrung darin, Infektionskrankheiten mit einem sehr gezielten und auf ein Minimum reduzierten Einsatz von Antibiotika zu behandeln. Das wird zunehmend erkannt, und entsprechend kommen auch Anfragen. Ich denke, das wird künftig noch deutlich zunehmen.
Herzlichen Dank für den interessanten Einblick in die Philosophie und Aktivitäten der Klinik Arlesheim und alles Gute für die Zukunft!
Fachperson |
Dr. math. Andreas Jäschke |
Arbeitsschwerpunkte |
Studium der Mathematik, Philosophie und Musik in Bielefeld (D) und USA. Seit 1990 an der Klinik Arlesheim. Fachgruppenleiter Kunsttherapie. |
Kontakt | andreas.jaeschke@klinik-arlesheim.ch |