Innere Medizin integrativ

Phil­ipp Busche, Lei­ter der Inne­ren Medi­zin an der Kli­nik Arle­sheim, erin­nert sich an sei­ne ers­ten Begeg­nun­gen mit der Kom­ple­men­tär­me­di­zin und sei­nen per­sön­li­chen Ansatz in der Inte­gra­ti­ven Medi­zin.

Als Assis­tenz­arzt habe ich unter ande­rem auch in der Not­fall­auf­nah­me eines gros­sen Akut­spi­tals in Stutt­gart gear­bei­tet. Wäh­rend eines Nacht­diens­tes wur­de mei­ne Kol­le­gin mehr­mals von der onko­lo­gi­schen Sta­ti­on aus ange­ru­fen, weil ein Pati­ent mit meta­stasier­tem End­darm­krebs wegen star­ker Schmer­zen nicht schla­fen konn­te. Der Pati­ent hat­te bereits einen Mor­phin­per­fu­sor, um die Schmer­zen zu redu­zie­ren, so dass mei­ne Kol­le­gin mehr­mals eine Erhö­hung der Lauf­ra­te und damit der Dosis ver­ord­net hat­te.
Da ich zum Zeit­punkt des vier­ten Anrufs ohne­hin etwas auf der Sta­ti­on zu tun hat­te, bat mich mei­ne Kol­le­gin, beim Pati­en­ten vor­bei­zu­ge­hen. Ich fand ihn in einem klar ori­en­tier­ten, aber sehr unru­hi­gen Zustand vor. Durch einen tumor­be­ding­ten Darm­ver­schluss und Leber­me­tasta­sen war sein Bauch enorm prall, in der kör­per­li­chen Unter­su­chung aber nicht wirk­lich schmerz­haft. Ich hat­te damals den Ein­druck, dass für den Pati­en­ten in die­sem Moment nicht die Schmer­zen das Pro­blem waren, son­dern dass er an Unru­he und Ängs­ten litt. Lei­der hat­ten auch die bereits für den Abend ver­ord­ne­ten Schlaf­mit­tel nicht zu einer Beru­hi­gung geführt.

Mit natür­li­chen Mit­teln den Schlaf för­dern

Am Tag vor jenem Nacht­dienst hat­te ich eine Ver­an­stal­tung zur Kom­ple­men­tär­me­di­zin besucht. Daher kam mir die Idee, dass wir eine Äus­se­re Anwen­dung machen könn­ten. Schul­me­di­zi­nisch etwas hilf­los fass­te ich den Mut, einen ent­spre­chen­den Vor­schlag zu wagen. Zum Glück war eine älte­re und erfah­re­ne Pfle­ge­rin auf Sta­ti­on zustän­dig.
Als ich sie frag­te, ob sie dem Pati­en­ten einen Laven­del-Brust­wi­ckel anle­gen könn­te, freu­te sie sich rich­tig­ge­hend. Sie erzähl­te, dass Wickel noch Bestand­teil ihrer Aus­bil­dung gewe­sen waren. Im Pri­vat­be­reich des Spi­tals fand sich sogar Laven­del­ba­de­milch von Wele­da, als Wickel­tü­cher wur­den ein sau­be­res Geschirr­tuch und ein Hand­tuch ver­wen­det. Erst ein paar Stun­den spä­ter fiel mei­ner Kol­le­gin und mir auf, dass sich die onko­lo­gi­sche Sta­ti­on nicht mehr gemel­det hat­te. Als wir es gegen 3 Uhr nachts schaff­ten nach­zu­fra­gen, berich­te­te die Pfle­ge­rin, dass sie den Wickel ange­legt habe, und der Pati­ent kurz dar­auf ein­ge­schla­fen sei.

Medi­zin der Zukunft

Sol­che Erfah­run­gen habe ich seit mei­ner Assis­tenz­arzt­zeit immer wie­der gemacht. Das hat mich dar­in bestärkt, mich neben mei­ner schul­me­di­zi­ni­schen Aus­bil­dung inten­siv auch mit der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin aus­ein­an­der­zu­set­zen und mich ent­spre­chend wei­ter­zu­bil­den. Ich kann mitt­ler­wei­le auf unzäh­li­ge Erleb­nis­se die­ser Art zurück­bli­cken. Sie haben mich und mei­nen Wer­de­gang als Arzt sowie mei­nen Anspruch an die Medi­zin geprägt. Eine Medi­zin der Zukunft soll­te klar am Pati­en­ten ori­en­tiert sein und die ver­schie­de­nen Mög­lich­kei­ten der Medi­zin ver­bin­den.

Gesund­heit stär­ken und Ent­wick­lung för­dern

In der Kli­nik Arle­sheim haben wir die brei­te The­ra­pie­pa­let­te der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin zur Ver­fü­gung und kön­nen hier ech­te inte­gra­ti­ve Medi­zin machen. So nah­men wir im Früh­jahr eine Pati­en­tin mit einer Lun­gen­ent­zün­dung auf.
Ihre Beschwer­den hat­ten sich über fast zwei Mona­te ent­wi­ckelt und mit einem anhal­ten­den Infekt der obe­ren Atem­we­ge begon­nen. Vier Wochen vor der Auf­nah­me hat­te der Haus­arzt eine Lun­gen­ent­zün­dung fest­ge­stellt und dann eine anti­bio­ti­sche The­ra­pie begon­nen. Lei­der hat­te sich ihr Zustand dar­auf­hin nur vor­über­ge­hend gebes­sert, so dass sie sich bei uns mit einem Rezi­div, einem Rück­fall, vor­stell­te.
Die 69-jäh­ri­ge Pati­en­tin war sehr schwach, hat­te leich­te Atem­not und Fie­ber. Das Rönt­gen­bild bestä­tig­te die Lun­gen­ent­zün­dung mit Infil­trat im rech­ten Lun­gen­flü­gel. Nach ihren Erfah­run­gen der letz­ten Wochen woll­te die Pati­en­tin kei­ne erneu­te anti­bio­ti­sche The­ra­pie. Wir soll­ten ver­su­chen, sie so zu behan­deln, dass sie es aus eige­nen Kräf­ten schaf­fe, die Ent­zün­dung zu über­win­den. Da sie kei­ne Risi­ko­fak­to­ren für Kom­pli­ka­tio­nen hat­te, also sonst gesund war, lies­sen wir uns dar­auf ein und began­nen neben Flüs­sig­keits­sub­sti­tu­ti­on mit ver­schie­de­nen pflanz­li­chen Mit­teln, Inha­la­tio­nen und Äus­se­ren Anwen­dun­gen.

Bio­gra­phi­sche Fra­gen erken­nen

Es war schön zu sehen, wie es der Pati­en­tin lang­sam immer bes­ser ging. Wäh­rend der Zeit der sta­tio­nä­ren Betreu­ung ler­nen wir unse­re Pati­en­ten oft auch bes­ser ken­nen. Bei die­ser Pati­en­tin wur­de schnell deut­lich, dass ihre anhal­ten­de Infek­ti­on mit einer beruf­li­chen und sozia­len Über­for­de­rung par­al­lel ging. Für uns stell­te sich daher die Fra­ge, wie wir die Behand­lung so gestal­ten konn­ten, dass sie nach­hal­tig wur­de. Wie kön­nen wir ein erneu­tes Rezi­div ver­hin­dern? Wie kön­nen wir der Pati­en­tin hel­fen, mit ihren beruf­lich-sozia­len Stres­so­ren bes­ser umzu­ge­hen?
Die Pati­en­tin lern­te in der Kunst­the­ra­pie, ihre eige­ne Über­for­de­rung in Bil­dern aus­zu­drü­cken. Kurz vor der Ent­las­sung fass­te sie selbst den Ent­schluss, an ihrer sozia­len Situa­ti­on etwas zu ändern und mit ihrem Chef zu reden. Es war schön mit­zu­er­le­ben, wie der Wil­le dazu lang­sam gereift war. Sie wur­de nicht nur gesund, son­dern schaff­te auch einen bio­gra­phi­schen Schritt. Sol­che Erfah­run­gen machen wir immer wie­der.

Indi­vi­du­el­le Medi­zin

In unse­rer Kli­nik haben wir in der Inne­ren Medi­zin ein brei­tes Ange­bot. Zu uns kom­men Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mit Herz­er­kran­kun­gen, Infek­tio­nen, Erkran­kun­gen der Bauch­or­ga­ne und der Lun­ge. Selbst­ver­ständ­lich geben wir auch Anti­bio­ti­ka, prü­fen aber, ob sie wirk­lich im indi­vi­du­el­len Fall erfor­der­lich sind.
Die­se Über­prü­fung ist umso wich­ti­ger, weil jede Anti­bio­ti­ka­the­ra­pie das Risi­ko einer Resis­tenz­ent­wick­lung der zugrun­de­lie­gen­den Kei­me in sich birgt. Das könn­te in der Fol­ge auch die Pro­gno­se zukünf­ti­ger Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten ver­schlech­tern, falls unse­re The­ra­pie­op­tio­nen wegen mul­ti­re­sis­ten­ter Kei­me nicht mehr aus­rei­chen wür­den. Inso­fern hat eine gute Medi­zin immer auch mit einer indi­vi­du­el­len Ein­schät­zung zu tun, die sol­che glo­ba­len Gesichts­punk­te mit in Betracht zieht und ihnen vor­zu­beu­gen ver­sucht.
Die indi­vi­du­el­le Ent­schei­dung, ob Anti­bio­ti­ka im Ein­zel­fall erfor­der­lich sind oder nicht, ist von den Gesund­heits­kräf­ten des Pati­en­ten, der Schwe­re der Erkran­kung, sei­nen Risi­ko-
fak­to­ren und Vor­er­kran­kun­gen und nicht zuletzt auch von sei­ner eige­nen Ein­schät­zung und sei­nen inne­ren Wer­ten abhän­gig. Neben der Ein­schät­zung der Krank­heits­si­tua­ti­on stel­len wir aber auch Fra­gen nach der Per­sön­lich­keit, nach der bio­gra­phi­schen Situa­ti­on und ande­ren poten­zi­ell krank­ma­chen­den oder gesund­heits­för­dern­den Fak­to­ren. Anthro­po­so­phi­sche Medi­zin inte­griert ver­schie­de­ne the­ra­peu­ti­sche Ange­bo­te, befasst sich aber bewusst auch mit sol­chen indi­vi­du­el­len Aspek­ten. Viel­leicht könn­te man sie des­halb auch als eine Art bio­gra­phi­sche Medi­zin bezeich­nen.

Inte­gra­ti­ve Medi­zin

Den inte­gra­ti­ven Ansatz in der Medi­zin ver­fol­gen wir kon­se­quent. In der Kar­dio­lo­gie, Pneu­mo­lo­gie, Gas­tro­en­te­ro­lo­gie und Neu­ro­lo­gie bie­ten wir moder­ne Dia­gnos­tik an. Soll­ten bei sol­chen Unter­su­chun­gen Erkran­kun­gen gefun­den wer­den, die einer Behand­lung bedür­fen, kön­nen wir eine dop­pel­te Bera­tung bie­ten, im Sinn der uni­ver­si­tä­ren Medi­zin und für mög­li­che Behand­lungs­an­sät­ze der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin. Dadurch ent­steht das eigent­lich Inte­gra­ti­ve. Ich fin­de es sehr erfreu­lich, dass Bewe­gungs­the­ra­pi­en, gesun­de Ernäh­rung, Acht­sam­keits­übun­gen, Natur­heil­ver­fah­ren und anthro­po­so­phi­sche The­ra­pi­en immer bes­ser wis­sen­schaft­lich unter­sucht wer­den und die posi­ti­ven Erfah­run­gen mit die­sen The­ra­pi­en dadurch eine wis­sen­schaft­li­che Evi­denz bekom­men.

Fach­per­son

Phil­ipp Busche

Arbeits­schwer­punk­te Fach­arzt Inne­re Medi­zin und Gas­tro­en­te­ro­lo­gie.
Not­fall­me­di­zin. Anthro­po­so­phi­sche Medi­zin.
Seit 2017 an der Kli­nik Arle­sheim. Lei­ter des Berei­ches Inne­re Medi­zin. Lei­ter der Ärz­teaus­bil­dung Arle­sheim.
Kon­takt philipp.busche@klinik-arlesheim.ch

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