
Menschen, die erkrankt sind, suchen oft bei ihrem Hausarzt oder ihrer Hausärztin ersten Rat. Entsprechend breit ist das Spektrum der Beschwerden und Krankheiten in einer Hausarztpraxis. Damit den Patientinnen und Patienten jedoch wirklich geholfen werden kann, ist das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient sehr zentral. Nur so können auch die tieferliegenden Ursachen einer Erkrankung angesprochen und in die Therapie miteinbezogen werden. Besonders ausgeprägt gilt dies für die anthroposophische Hausarztmedizin.
Mittwochmorgen 8.00 Uhr in den Räumen der Hausarztmedizin der Klinik Arlesheim im Pfeffingerhof: „Guten Morgen!“ Der Tag beginnt mit einem Ultraschall bei einer 65-jährigen Patientin mit unklaren Verdauungsbeschwerden, die sich vor zwei Tagen vorgestellt hat. Es findet sich zum Glück „nichts Ernsthaftes“. Ein kurzes Gespräch, ein Rezept für anthroposophische Heilmittel; die Patientin wird in zwei Wochen zur Kontrolle kommen.
8.30 Uhr Telefonsprechstunde: Als erstes ein Anruf der Tochter einer betagten Patientin, die gerade beim Aufstehen aus dem Bett gestürzt ist. Sie hat starke Schmerzen. Nach der Be-schreibung der Tochter habe ich den Verdacht, dass sie eine Schenkelhalsfraktur erlitten hat. Ich organisiere die Einweisung ins passende Spital. Mehrere weitere Telefonate folgen.
Ab 9.00 Uhr dann die reguläre Sprechstunde: eine Jugendliche mit Eisenmangel, dann eine junge Mutter mit Erschöpfungssymptomatik und Schlafstörungen nach der Geburt des dritten Kindes; anschliessend ein 50-jähriger Patient mit Leberzirrhose bei chronischer Virushepatitis, gefolgt von einem Manager mit einer Bluthochdruckkrise. Als nächste eine ältere Dame mit chronischem Asthma bronchiale und Herzinsuffizienz und danach ein längeres Gespräch mit einer Patientin, deren Mann vor kurzem an einem Tumor verstarb, und die sich nun nach der langen Begleitung erschöpft und depressiv fühlt.
Nach einer Mittagspause dann Hausbesuche bei mehreren betagten Patientinnen und Patienten in drei verschiedenen Alters- und Pflegeheimen der Umgebung.
Der Alltag in einer Hausarztpraxis ist sehr vielfältig
Diese Patientenbeispiele geben einen kleinen Einblick in einen „ganz normalen Alltag“ bei uns in der Hausarztmedizin. Der Altersbogen reicht von Jugendlichen, in der Regel ab 16 Jahren, bis ins hohe Alter. Dies macht unsere Arbeit spannend und abwechslungsreich, stellt jedoch auch besondere Anforderungen an uns als Arzt/Ärztin und als Mensch. Es kommt darauf an, sich auf die verschiedenen Altersebenen
mit ihren unterschiedlichen Erkrankungen, aber auch unterschiedlichen Bedürfnissen betreffend deren Begleitung einzulassen.
In der Hausarztpraxis sehen wir Krankheitsbilder aus allen Facharztdisziplinen: viel Innere Medizin mit Herz-, Lungen- und Verdauungserkrankungen. Aber auch viele neurologische
Krankheitsbilder, Tumorerkrankungen, Hauterkrankungen,
orthopädische Probleme, psychiatrisch-psychosomatische
Krankheitsbilder sowie Fragen aus der Frauenheilkunde kommen fast täglich bunt gemischt bei uns vor. Dies erfordert ein breites Detailwissen, aber auch die Bereitschaft, die Grenzen der eigenen Fähigkeiten und Erfahrung immer wieder auszuloten und zu berücksichtigen. Es führt in den notwendigen Fällen zur Überweisung, das heisst zur bewährten Zusammenarbeit mit Spezialisten bzw. Fachärzten.
Patienten umfassend wahrnehmen, verstehen und begleiten
Was aber ist nun das Besondere? Was liegt uns bei unserer Arbeit als anthroposophisch-orientierte Hausärztinnen und -ärzte „besonders am Herzen“? Ganz sicher ist es zunächst die unmittelbare Begegnung: das möglichst unbefangene, vorurteilslose Wahrnehmen des Menschen, der uns entgegentritt, und das Zuhören, „wie“ er sich ausspricht bzw. seine gesundheitlichen Schwierigkeiten schildert. Es folgen spezifische Fragen von uns an den Patienten, die das Bild erweitern, sowie eine den Umständen angepasste gründliche Untersuchung.
Die Betrachtung und Behandlung erfolgen auf der Grundlage des anthroposophischen Menschenbildes. Das umfasst insbesondere den Blick auf den Menschen vor dem Hintergrund nicht nur seines körperlichen Leidens, sondern auch seiner seelisch-geistigen Anteile, seiner Individualität. Es geht nicht zuletzt darum, Erkrankungen als Entwicklungsmöglichkei-ten begreifen zu lernen. Biographische Bezüge herstellen – verstehen lernen – sich von alten Mustern befreien, all das kann Teil des Heilungsprozesses werden.
Bei der Heilmittelwahl bemühen wir uns, wo irgend möglich ausschliesslich mit anthroposophischen und phytotherapeutischen Heilmitteln zu behandeln. Falls notwendig, werden diese jedoch durch allopathische Medikamente ergänzt.
Vertrauen als gewachsenes Band der Arzt-Patienten-Beziehung
Von unschätzbarem Wert in der hausärztlichen Begleitung ist vor allem auch das oft jahrelange Vertrauensverhältnis zwischen Patient/Patientin und Hausarzt/Hausärztin. Ver-trauen ist wie ein gewachsenes Band, welches die Beziehung trägt. Vertrauen hilft vor allem auch in schwierigen Lebenssituationen – bei schweren Erkrankungen, seelischen Krisen, Schicksalsschlägen – sich mitzuteilen, sich ernstgenommen und begleitet zu fühlen. Wenn man Vertrauen hat, traut man sich auch eher, Fragen zu stellen, auch kritische Dinge anzu-sprechen oder „Schwieriges“ aus seinem Leben zu erzählen.
Dies ermöglicht im Gespräch und in der Behandlung neue Perspektiven. Es stellt einen wichtigen Schritt dar im selbstverantwortlichen Begreifen der eigenen Erkrankung, des eigenen Lebens schlechthin und spiegelt die Bereitschaft, die Wende einzuleiten. Hausarztmedizin bedeutet meist eine langfristige, gesundheitlich notwendige kontinuierliche Begleitung auf dem Boden eines gewachsenen Vertrauensverhältnisses.
Fachperson |
Dr. med. Constanze Waterstradt |
Arbeits- schwerpunkt |
Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin (CH). Mitglied FMH. Seit 2006 an der Klinik Arlesheim als Hausärztin tätig. Seit 2013 Leitung des Fachbereichs Hausarztmedizin. Fähigkeitsausweis Ultraschalldiagnostik. |
Kontakt | constanze.waterstradt@klinik-arlesheim.ch |