
Die Diagnose Epilepsie ist nicht immer einfach und klar zu treffen. Sehr hilfreich kann es sein, den Patien-ten über einen längeren Zeitraum zu beobachten, als dies bei einer normalen Elektroenzephalografie (EEG/Hirnstromkurve) möglich ist. Der Neurologe Dr. med. Siegward Elsas berichtet über die Möglichkeiten des Epilepsiemonitorings an der Klinik Arlesheim.
Das zentrale Ziel eines Epilepsiemonitorings ist die Diagnose, ob der Patient epileptische Anfälle hat oder ob eine andere Ursache für seine Symptome vorliegt. Dafür steht in einem Doppelzimmer der Klinik Arlesheim ein fahrbarer Computer bereit. An der Decke ist eine Kamera befestigt. Komplettiert wird die Ausrüstung durch einen Verstärker mit 48 Kanälen, der kleinste elektrische Spannungsunterschiede so verstärkt, dass eine aussagekräftige Aufzeichnung möglich ist. Dadurch können die elektrischen Abläufe im Gehirn sichtbar gemacht und dauerhaft aufgezeichnet werden. Die Ergebnisse sind für den Arzt sofort einsehbar.
Ablauf des Monitorings
Der Patient ist in der Regel von Montag bis Freitag in der Klinik. Das Monitoring findet auf der Notfallstation statt; die Betreuung erfolgt durch Pflegende der Notfallstation, die entsprechend instruiert sind. Er wird an die verschiedenen Geräte angeschlossen, wobei die Elektroden von einer geschulten Assistentin angebracht werden. Das ist zunächst einmal nicht anders als bei einem EEG, nur dass statt der üblichen einstündigen Aufzeichnung über vier ganze Tage die Hirnströme des Patienten dargestellt werden. Das ist auf jeden Fall aussagekräftiger. Ausserdem gibt es auch EEG-Veränderungen, die sich so darstellen lassen, ohne dass ein Anfall aufgetreten ist. Die Assistentin kontrolliert täglich den richtigen Sitz der Elektroden, legt den Verband an und sorgt für einen reibungslosen Ablauf des Monitorings. Die Patienten erleben das Monitoring sehr unterschiedlich. Manche vermissen die Bewegungsfreiheit, viele fühlen sich gut aufgehoben. Anstrengend ist es sicher, vier Tage verkabelt und unter ständiger Aufsicht zu sein.
Gründliche Auswertung
Wir haben in der Klinik eine Software, die das EEG automatisch auswertet. Sie markiert von sich aus in der Aufzeichnung den Zeitpunkt eines Anfalls. Diese Markierung ist für die Auswertung durch den Neurologen sehr hilfreich. Markierungen können aber auch vom Patienten selbst oder von den Mitarbeitenden gemacht werden. Wenn der Patient das Gefühl hat, jetzt kommt ein Anfall, drückt er einen Knopf, der eine Markierung in der Aufzeichnung auslöst. Zudem betätigt er die Klingel, so dass die Fachperson im Stationszimmer auf dem Monitor verfolgen kann, was mit dem Patienten passiert. Es ist auch möglich, dass die Pflegende auf dem Monitor sieht, dass der Patient einen Anfall hat. Sie geht dann zu ihm ins Zimmer, versorgt ihn und markiert den Zeitpunkt.
Nach den vier Tagen Monitoring gibt es ein Abschlussgespräch, bei dem die vorläufigen Ergebnisse besprochen werden. Das weitere Vorgehen wird in der ambulanten Weiterversorgung besprochen, sobald die kompletten Daten der Auswertung vorliegen.
Diagnose
Die Patienten kommen aufgrund unklarer Symptome zum Epilepsiemonitoring. Es soll erst klar diagnostiziert werden, ob eine Form von Epilepsie vorliegt, denn es ist oft unklar, ob der Patient jetzt einen Anfall hat oder nicht. Wenn die Pflegende den Eindruck gewinnt, es könnte ein Anfall sein, stellt sie dem Patienten ein paar spezifische Fragen. Ganz grob unterscheidet bereits das Gerät, ob es sich um einen epileptischen Anfall handeln könnte oder nicht. Ein solcher zeigt sich nämlich als Entladung in der Hirnstromaufzeichnung, dem EEG. Da aber auch Herzrhythmusstörungen Ursache für die Symptome des Patienten sein können, werden parallel dazu auch EKG-Aufzeichnungen gemacht.
Verschiedene Symptome
Es kommt immer wieder vor, dass der Patient auf dem Notfall oder bei der Konsultation beim Hausarzt Stürze mit Bewusstseinsverlust beschreibt, Blinzelattacken, kurzzeitige Aussetzer oder andere unklare Bewusstseinsverluste. Der Patient schildert das vielleicht mit folgenden Worten: „Mir fehlt ein Stück Zeit.“
Auch plötzliche Angstattacken, verbunden mit Übelkeit oder Schwindel können den Patienten zum Arzt führen. All das kann verschiedene Ursachen haben, sowohl körperlicher als auch seelischer Natur, und lässt sich oft nicht auseinanderhalten. Angst kann ein wesentlicher Anteil einer sogenannten epileptischen Aura sein. Auch Déjà-vu-Erlebnisse – „Das habe ich schon mal genauso erlebt!“ oder das wiederholte Auftreten von merkwürdigen Gerüchen oder merkwürdigen Empfindungen in der Magengegend ohne erkennbaren Anlass sind häufige Formen einer epileptischen Aura – der erste, noch relativ harmlose Beginn eines epileptischen Anfalls.
Wenn der Allgemeinmediziner oder der Kardiologe keinen Grund finden für die vom Patienten beschriebenen Symptome oder ihrerseits bereits ein Verdacht für epileptische Anfälle aufkommt, überweisen sie den Patienten zum Neurologen. Falls das normale EEG keine ausreichenden Erklärungen liefert und die Symptome immer wieder auftreten, ist eine genauere Untersuchung mittels Epilepsiemonitoring angezeigt.
Anfälle genauer unter die Lupe nehmen
Anfälle treten meist unregelmässig auf, bei manchen Patienten nur einmalig oder nur einmal im Jahr, bei anderen täglich oder sogar mehrmals pro Nacht. Auch das kann ein Grund für ein Monitoring sein: wenn man weder weiss, wie viele Anfälle passieren, noch, ob alles epileptische Anfälle sind. Denn das Wissen über die Häufigkeit der Anfälle kann entscheidend für die adäquate Behandlung sein.
Wenn sich herausstellt, dass neu auftretende Symptome bei einem Epileptiker gar nicht durch epileptische Anfälle hervorgerufen werden, sondern eine besondere Form von Stressreaktion darstellen, dann bekommt dieser Patient eher Entspannungsübungen und keine höhere Dosierung seines Epilepsiemedikaments. Ich muss als Arzt genau wissen, was vorliegt, damit ich die entsprechenden Therapieempfehlungen geben kann. Auch für den Patienten ist die Untersuchung mittels Monitoring hilfreich, da er die Erlebnisse, die er hat und die ihn möglicherweise auch ängstigen, besser einordnen kann.
Menschen, die aufgrund unklarer Anfälle jahrelang Medikamente nehmen, können diese während des Monitorings reduzieren. Nach dem EEG kann dann beurteilt werden, ob und welche Medikamente notwendig sind. Möglicherweise stellt sich auch heraus, dass es gar keine epileptischen Anfälle sind.
Vieles wird dargestellt
Mit dem Epilepsiemonitoring sind verschiedene Dinge darstellbar. So können die Bewegungen des Augapfels aufgezeichnet werden. Das ist wichtig, weil die Augenbewegungen ebenfalls entsprechende Ausschläge im EEG verursachen. Diese müssen natürlich von der Beurteilung der Anfälle ausgeschlossen werden.
Häufig halten die Menschen vor einem Anfall den Atem an. Die Aufzeichnung der Atemtätigkeit kann insofern Anzeichen für einen Anfall liefern. Und auch die Muskeltätigkeit ist während eines Anfalls sichtbar, entsprechend ist die Aufzeichnung der Muskelaktivität hilfreich. Unser Schwerpunkt besteht darin herauszufinden, welche Anfälle vorliegen. Dann konzentrieren wir uns darauf, welche Therapiemöglichkeiten wir für diese Art von Anfällen haben.
Ein Vorzeigeeffekt
Manchmal gibt es einen „Vorzeigeeffekt“: Die Anfälle bleiben vor Ort aus. Dann greifen wir zu Provokationsmassnahmen. Blitzlicht, Schlafentzug oder andere Situationen, die der Patient als mögliche Ursachen beschreibt, werden von uns nachgestellt. So provozieren wir einen Anfall. Schlafentzug beispielsweise gilt als einer der häufigsten Auslöser.
Wenn das einstündige EEG keine Auffälligkeiten zeigt, der Patient aber doch „Merkwürdigkeiten“ zeigt, dann ist ein Langzeit-EEG angezeigt. Das zeichnet zwar unter Umständen keinen Anfall auf, aber doch eventuelle Abweichungen vom normalen EEG, was dann den Nachweis für die Epilepsie bringt. Hat der Patient einen Anfall, aber das EEG zeigt keine Auffälligkeiten, dann ist das kein epileptischer Anfall, sondern es liegt eine andere Ursache vor, die andere Therapien erfordert.
Mögliche Therapieansätze
In der Standardbehandlung gibt es Medikamente, die die Erregbarkeit des Gehirns reduzieren. Sie führen oft zu Müdigkeit und Konzentrationsstörungen. Zudem gibt es eine Reihe von anthroposophischen Heilmitteln, die den Vorteil haben, dass sie keine oder kaum Nebenwirkungen zeigen.
Der Patient wird darüber hinaus mit verschiedenen Möglichkeiten der Selbstkontrolle vertraut gemacht. Das ist jeweils sehr individuell. Er muss dafür die Auslöser für seine Anfälle kennen. Dann kann er Entspannungsübungen anwenden, um das Auslösen eines Anfalls zu verhindern. Auch die Heileurythmie, die therapeutische Sprachgestaltung und die Musiktherapie bieten sehr individuelle Ansätze in der Behandlung. Ein besonderes Gewicht hat das therapeutische Gespräch mit dem Arzt, um mögliche Auslöser zu identifizieren und herauszufinden, wie mit diesen umgegangen werden kann.
Fachperson |
Dr. med. Siegward Elsas |
Arbeitsschwerpunkte | Seit Juni 2012 an der Klinik Arlesheim tätig. Facharzt Neurologie FMH, Medizinstudium an der Universität Witten-Herdecke, Facharztausbildung an der Uni- versity of California in Los Angeles. Klinische Neurophysiologie und Epileptologie am Cedars Sinai Hospital in Los Angeles. 2002 bis 2010 als Assistenzprofessor für Neurologie und Epileptologie an der Oregon Health and Science University tätig. Aktuell Lehrauftrag an der Universität Witten/Herdecke. |
Kontakt | neurorologie@klinik-arlesheim.ch |
Fachperson | Joanna Sommerhalter |
Arbeitsschwerpunkte | Medizinisch-Technische Assistentin (MTA) in der Fach- richtung Neurologie/Psychiatrie. Seit 2013 an der Ita Wegman Klinik, jetzt Klinik Arlesheim.Bisherige Tätigkeiten im Neuro- zentrum Freiburg, St.Claraspital Basel, zuletzt im Unispital Basel in der cerebrovaskulären Ultraschalldiagnostik. |