Gemeinsam einen Weg finden

Seit Anfang des Jah­res 2011 befin­det sich auf dem 3. Stock der Ita Weg­man Kli­nik die neue Abtei­lung Psychoso­matik. Vere­na Jäsch­ke sprach mit der Sta­ti­ons­ärz­tin Vita Mun­da über die Mög­lich­kei­ten der Behand­lung auf ­die­ser Sta­ti­on.

Frau Mun­da, Sie sind Lei­ten­de Ärz­tin der Abtei­lung ­Psy­cho­so­ma­tik. Mit wel­chen Beschwer­den kom­men die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten zu Ihnen?

Es sind oft chro­ni­sche Krank­hei­ten, wie zum Bei­spiel Mor­bus Bech­te­rew, also rheu­ma­ti­sche Erkran­kun­gen, bei denen neben star­ken Schmer­zen auch Depres­sio­nen vor­kom­men. Durch die anhal­ten­den Schmer­zen wird die See­le in Mit­lei­den­schaft gezo­gen. Dann kom­men Pati­en­ten, die kör­per­li­che Sym­pto­me ange­ben, für die es aber kei­ner­lei Grund zu geben scheint. Jeden­falls gibt die Dia­gnos­tik kei­ne Hin­wei­se auf eine mög­li­che Ursa­che.
Im Gespräch mit die­sen Pati­en­ten kris­tal­li­sie­ren sich dann die eigent­li­chen Pro­ble­me her­aus, die meist im Sozia­len lie­gen, in aku­ten Lebens­kri­sen: der plötz­li­che Ver­lust der Arbeits­stel­le oder Tren­nungs­si­tua­tio­nen, wenn bei­spiels­wei­se eine Frau mit meh­re­ren Kin­dern ihren Mann ver­liert. Oder es kommt eine Pati­en­tin zu uns auf den Not­fall, die seit Tagen star­ke Schmer­zen hat, eine Tri­ge­mi­nus­neur­al­gie. Sie hält die Schmer­zen kaum aus und wird auf mei­ne Sta­ti­on ein­ge­wie­sen. Bereits nach eini­gen Tagen zeigt sich, dass die Gesprä­che sich nicht mehr um das The­ma Schmerz dre­hen, son­dern es geht um die Neu­ori­en­tie­rung der Pati­en­tin, um das Neu-Ergrei­fen ihres Lebens.
Sol­che Kri­sen kön­nen auch ent­ste­hen, wenn der Mensch eine schwe­re Krank­heits­dia­gno­se erfährt, wie Krebs, Rheu­ma. Damit sind Fra­gen ver­bun­den: „Wie gehe ich wei­ter damit um?“, „Wie kann ich mein Leben wei­ter gestal­ten?“.
Es kom­men aber auch Pati­en­ten, die bereits ver­schie­de­ne Gesprächs­the­ra­pi­en hin­ter sich haben und schon vie­le Gesprä­che geführt haben. Da ist es dann wich­tig, nicht mehr viel zu spre­chen, son­dern die Heil­mit­tel, die Äus­se­ren Anwen­dun­gen und die künst­le­ri­schen The­ra­pi­en wir­ken zu las­sen. Die Ruhe und die Natur tun ein Übri­ges dazu. Manch­mal sehe ich da ganz erstaun­li­che Ver­läu­fe des Gesun­dens, bei denen völ­lig neue Lösun­gen auf­tau­chen.

Wie gelan­gen Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mit sol­chen Beschwer­den zu Ihnen?

Man­che Pati­en­ten kom­men in einer aku­ten Situa­ti­on selbst auf den Not­fall. Wenn es sich als not­wen­dig erweist, wer­den sie vom Not­fall auf mei­ne Sta­ti­on ein­ge­wie­sen.
Auch jeder Haus­arzt, jede Haus­ärz­tin kann sei­ne Pati­en­ten im aku­ten Krank­heits­fall bei uns ein­wei­sen. Für geplan­te statio­näre Auf­ent­hal­te ist es wich­tig, dass wir eine Über­wei­sung vom Haus­arzt bekom­men.
Der Pati­ent kann sich zudem selbst bei der Pati­en­ten­auf­nah­me mel­den. Wir neh­men dann Kon­takt mit sei­nem Haus­arzt auf. Denn es ist uns wich­tig, dass der Pati­ent best­mög­lich in der gesam­ten Behand­lungs­ket­te betreut wird. Oft haben wir ein Vor­ge­spräch mit dem Pati­en­ten, in dem wir schau­en, ob unse­re Sta­ti­on ihm wirk­lich die Hil­fe bie­ten kann, die er oder sie in sei­ner aktu­el­len Situa­ti­on benö­tigt.

Wie stel­len Sie fest, dass der Pati­ent auf der Psy­cho­so­ma­tik-Sta­ti­on behan­delt wer­den soll­te?

Bei psy­cho­so­ma­ti­schen Pati­en­ten gibt es meist sowohl soma­ti­sche als auch see­li­sche Beschwer­den. Als Bei­spie­le nen­nen möch­te ich Asth­ma, Rheu­ma oder Blut­hoch­druck ver­bun­den mit Angst. Auch funk­tio­nel­le Magen­be­schwer­den kön­nen vor­lie­gen. Ein Bei­spiel: Ich habe erlebt, dass ein Pati­ent nichts mehr essen konn­te. Ein stän­di­ges Völ­le­ge­fühl ver­hin­der­te eine nor­ma­le Nah­rungs­auf­nah­me. Ab dem drit­ten Gespräch wur­de deut­lich: Es ist ihm im Leben alles zu viel, er ist satt vom Leben. Die­ses Völ­le­ge­fühl zeig­te sich auch beim Essen.
Manch­mal teilt der Pati­ent gleich mit, dass für ihn aus­ser den Schmer­zen die Pro­ble­me zu Hau­se eine gros­se Belas­tung dar­stel­len. Mit dem soge­nann­ten Psy­chosta­tus haben wir Ärz­te ein Instru­ment in der Hand, das uns hilft, die Beschwer­den des Pati­en­ten ein­zu­ord­nen. Dadurch kön­nen wir auch fest­stel­len, ob die Pro­ble­me eher psych­ia­tri­scher Natur sind. Das ist sehr wich­tig, denn wenn zum Bei­spiel jemand sui­zid­ge­fähr­det ist, dann muss er psych­ia­trisch betreut wer­den. Das kann ich auf mei­ner Sta­ti­on nicht gewähr­leis­ten.
Die Psy­cho­so­ma­tik hat für uns ihre Basis in der Inter­nis­ti­schen Medi­zin. Der Arzt braucht eine gute Aus­bil­dung in All­ge­mein­me­di­zin oder Inne­rer Medi­zin und dann eine Wei­ter­bil­dung in Psy­cho­so­ma­tik. Des­halb ist die Psy­cho­so­ma­tik bei uns integ­riert in die Inter­nis­ti­sche Sta­ti­on.

Wel­che Mög­lich­kei­ten der Behand­lung haben Sie auf Ihrer Abtei­lung?

Im Gespräch mit dem Pati­en­ten ver­su­che ich her­aus­zu­fin­den, wie er sei­ne Krank­heit ver­steht. Dafür ist wich­tig, wie ich ein Gespräch füh­re. Ich kann natür­lich fra­gen: „Wo haben Sie Schmer­zen?“, „Seit wann haben Sie die Schmer­zen?“. Aber wenn ich den Pati­en­ten mit einer offe­nen Fra­ge ein­la­de, von sei­nen Schmer­zen zu erzäh­len, dann kann ich eher erken­nen, was für ein Ver­ständ­nis er von sei­ner Krank­heit hat, ob und wel­che Mög­lich­kei­ten er selbst sieht, um sei­ne Krank­heit zu bewäl­ti­gen.
Wir kön­nen nicht das gan­ze Leben eines Men­schen umstel­len, wir schau­en zusam­men, wo Mög­lich­kei­ten der Hil­fe lie­gen. Bei einem zu hohen Blut­zu­cker­spie­gel muss der Pati­ent erst erler­nen, dass jede „Sün­de“ eine zu viel ist. Doch es braucht Zeit, bis neue Lebens­ge­wohn­hei­ten grei­fen – das Ein­stel­len auf Insu­lin, das Durch­hal­ten, das Aus­hal­ten von Rück­fäl­len. In der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin gibt es eine Rei­he von Übun­gen, um sol­che neu­en Gewohn­hei­ten zu trai­nie­ren. Da fin­den wir meist gemein­sam einen Weg. Ich schla­ge mei­nem Pati­en­ten etwas vor, wir schau­en zusam­men, was davon für ihn mach­bar ist, was rich­tig scheint.
Unse­re Abtei­lung ist so auf­ge­baut, dass wir bei den Selbst­hei­lungs­kräf­ten des Men­schen anset­zen. Wir stär­ken das Gesun­de, bau­en die Kräf­te des Men­schen auf.

Das geschieht auf ver­schie­de­nen Wegen. Zwei bis drei Gesprä­che wöchent­lich mit dem Arzt sind einer davon. Die Bezugs­pfle­ge ermög­licht, eine Bezie­hung zu der Pfle­ge­per­son auf­zu­bau­en. Dann sind zu nen­nen die Äus­se­ren Anwen­dun­gen in der Pfle­ge, die Phy­sio­the­ra­pie, die indi­vi­du­el­len künst­le­ri­schen The­ra­pi­en, die ver­schie­de­nen Grup­pen­an­ge­bo­te. Die Pati­en­ten tref­fen sich zur Euryth­mie, zur Spra­che in der Grup­pe. Das ist kei­ne eigent­li­che The­ra­pie, wirkt aber durch­aus the­ra­peu­tisch, weil man am ande­ren Men­schen wach wird. Man erlebt sich dadurch anders. Zudem gehö­ren die Grup­pen­ge­sprä­che und die täg­li­chen mor­gend­li­chen Sin­nes­wahr­neh­mungs­übun­gen dazu, nicht zu ver­ges­sen auch die anthro­po­so­phi­schen Heil­mit­tel.

Was machen Sie anders?

Oft hört ein Pati­ent von sei­nem Arzt: „Ich kann Ihnen nicht hel­fen“. Hier reicht die klas­si­sche Schul­me­di­zin nicht aus. Natür­lich set­zen auch wir Schmerz­mit­tel ein, wenn es nicht anders geht. Aber es genügt eben nicht, Schmerz­mit­tel zu geben. Es braucht ande­re The­ra­pi­en, The­ra­pi­en, die tie­fer grei­fen. Das hängt aber von der Bereit­schaft des Pati­en­ten ab, ob er nur eine Pil­le will, um die Schmer­zen weg­zu­zau­bern, oder ob er etwas ändern will.
Wenn der Pati­ent zu mir auf die Sta­ti­on kommt, schaue ich zusam­men mit ihm, wel­ches der rich­ti­ge Weg sein kann. Ich schla­ge ihm The­ra­pi­en vor, sage ihm auch, war­um ich gera­de das als zweck­mäs­sig erach­te. Wir reden dar­über. Es ist für den Behand­lungs­er­folg wich­tig, dass der Pati­ent die The­ra­pie anneh­men kann.
Die Art der The­ra­pie, die ich vor­schla­ge, hängt davon ab, wel­ches Pro­blem der Erkran­kung zugrun­de liegt bzw. wel­ches Ziel der Auf­ent­halt bei uns hat. Geht es also mehr um den Auf­bau der Kräf­te oder um das Schaf­fen von Struk­tu­ren, oder geht es dar­um zu ler­nen, Gren­zen zu set­zen?

Gren­zen set­zen?

Das ist ein The­ma, das grund­sätz­lich für uns alle gilt. Aber bei uns mer­ken wir das öfter, weil wir Men­schen in Krisensitua­tionen auf unse­rer Sta­ti­on haben. Sie haben schon zu oft oder zu lan­ge ihre Gren­zen über­schrit­ten. Die Gren­ze des zu bewäl­ti­gen­den Arbeits­pen­sums zum Bei­spiel, oder die Gren­ze des­sen, was see­lisch ver­kraft­bar ist. Eine Pati­en­tin hat­te in ihrem Arbeits­le­ben nie eine wirk­li­che Füh­rung, war aber stets einem hohen Arbeits­druck aus­ge­setzt. Das mach­te sie letzt­end­lich krank. Unse­re Gesell­schaft ist heu­te enorm leis­tungs­ori­en­tiert.
Der Mensch kommt an den Punkt sich zu fra­gen: „Wer bin ich, wo ste­he ich, was will ich?“
Wenn er nicht dahin kommt, dann hilft ihm der Kör­per, indem er zeigt, dass die Gren­zen über­schrit­ten wur­den.

Und dann kommt der Pati­ent zu Ihnen?

Unter Umstän­den schon. Grund­sätz­lich geht es dar­um, dass wir gemein­sam die Res­sour­cen des Men­schen ent­de­cken, die aus den ver­schie­dens­ten Grün­den ver­schüt­tet wur­den. Er muss zu sich kom­men, neue Kräf­te schöp­fen, um sei­nen Weg wei­ter­ge­hen zu kön­nen.
Zum Bei­spiel bei Arthro­sen. Im Rönt­gen­bild kann man aus­ge­präg­te Ver­än­de­run­gen sehen, der Pati­ent hat aber kei­ne Schmer­zen. Ein ande­rer jedoch quält sich mit star­ken Schmer­zen, obgleich das dia­gnos­ti­sche Bild kaum eine Ver­än­de­rung anzeigt. Dann ver­su­che ich, mit dem Pati­en­ten her­aus­zu­fin­den, was dahin­ter­ste­hen kann. Häu­fig sind es Schmerz­sym­pto­me, ver­ur­sacht durch schwe­re Erleb­nis­se, die lan­ge zurück­lie­gen kön­nen: Schock, Stress, Kind­heits­trau­ma­ta. Wenn sie auf­ge­ar­bei­tet wer­den, dann gehen oft auch die Schmer­zen zurück.

Autoren29

Fach­per­son Vita Mun­da
Arbeits­schwer­punk­te Fach­ärz­tin All­ge­mein­me­di­zin
Stu­di­um und Wei­ter­bil­dung in Lett­land und Ber­lin. Aus­bil­dung in Homöo­pa­thie und Anthro­po­so­phi­scher Medi­zin. Arbei­tet in der Ita Weg­man Kli­nik als Lei­ten­de Ärz­tin in der Psy­cho­so­ma­tik, aus­ser­dem ambu­lan­te Sprech­stun­de.
Kon­takt vita.munda@wegmanklinik.ch

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