
Eines der ältesten Heilprinzipien der Menschheit wird heutzutage mit modernster Technik angewendet, auch in der Klinik Öschelbronn.
Im anthroposophisch-medizinischen Krankenhaus für Innere Medizin wird die Wärmetherapie respektive Hyperthermie insbesondere bei Krebs, aber auch bei Muskelrheuma, Gelenkverschleiss oder chronisch-
entzündlichen Darmerkrankungen eingesetzt.
Alexander Spieth sprach mit Dr. Gertrud Kofler, Funktionsoberärztin
in der Öschelbronner Klinik, über „Heilsame Hitze als Therapie“.
Frau Dr. Kofler, werden die Patienten bei der Fiebertherapie künstlich krank gemacht?
Die Wärmeregulation ist ein wesentliches Merkmal gesunder Lebensvorgänge. Der gesunde Organismus reagiert auf krankmachende Reize mit abgestuften Temperaturerhöhungen, in akuten Fällen bis zu hohem Fieber. Entsprechend kann die künstliche Erhöhung der Körpertemperatur die blockierten Selbstheilungskräfte bei chronischen und bösartigen Prozessen nachhaltig anregen. Die Erhöhung der Körpertemperatur gibt dem Organismus Impulse, die Immunabwehr zu unterstützen und zu stärken.
Wie wird Fieber künstlich erzeugt?
Bei uns in der Klinik Öschelbronn kommen zwei Verfahren zur Anwendung: Die moderate Ganzkörper-Hyperthermie und die sogenannte lokoregionale Tiefenhyperthermie. Dabei kommen unterschiedliche technische Verfahren zum Einsatz. Bei der moderaten Ganzkörper-Hyperthermie erzeugen wir Körpertemperaturen von ca. 39 bis maximal 40,5°C. Der Patient liegt im sogenannten „Heckel-Bett“, benannt nach Dr. Heckel.
Wie funktioniert ein solches Heckel-Bett?
Das ist zunächst ein ganz normales Krankenhausbett mit einer aufgesetzten Kabine, die innen aus speziellen Reflektorflächen besteht. Am oberen Teil dieses Aufbaus befindet sich ein Strahlergehäuse mit vier einzeln zuschaltbaren Infrarot-A-Strahlern. Die so erzeugte Hitze wird in einer Gewebetiefe aufgenommen, in der das Blut die freigesetzte Wärme abführt und im ganzen Körper verteilt. Es handelt sich um eine gleichmässige und auch hautverträgliche Bestrahlung.
Wie wirkt sich das beim Patienten aus?
Während der Therapie wird er kontinuierlich überwacht: die Körpertemperatur durch eine Rektalsonde, die Befindlichkeit und natürlich auch die Vitalzeichen wie Puls und Blutdruck. Der Flüssigkeitsverlust wird durch Getränke und Infusionsgaben ausgeglichen. Erfahrungsgemäss erreichen wir nach 45 bis 60 Minuten eine Erhöhung der Körperkerntemperatur um ca. 1°C. Nach etwa 120 Minuten ist der maximale Temperaturanstieg erreicht. Darauf folgen weitere 120 Minuten Behandlungszeit, die wir Wärmestauphase nennen. Das heisst, wir versuchen in dieser Zeit, das erreichte Körpertemperaturmaximum so gut wie möglich zu erhalten. Mit einer Entlastungsphase, in der sich die Körpertemperatur wieder normalisiert, endet die Behandlung.
Und wie unterscheidet sich die Tiefenhyperthermie?
Die loko-regionale Tiefenhyperthermie funktioniert anders als die Ganzkörper-Hyperthermie. Hier wird durch modulierte Radiokurzwellen im Frequenzbereich von 13,56 MHz eine Überwärmung in der Tumorregion erreicht, die über 44°C liegt. Die Tiefenhyperthermie kommt bei Metastasen in empfindlichen Geweben wie Pankreas, Leber, Lunge und Gehirn zum Einsatz. Besonders wirksam ist sie in Kombination mit Chemotherapie. Es wird sogar beobachtet, dass in Einzelfällen Chemo-Resistenzen überwunden und auch die Dosis der Chemotherapie reduziert werden können.
Wie geht diese regionale Tiefenhyperthermie vor sich?
Der Patient liegt dabei auf einem Wasserbett. Je nach Tumorgrösse und Lokalisation wird eine entsprechende Elektrode ausgewählt und im Behandlungsgebiet platziert. Ein Therapiezyklus mit dieser Hyperthermie-Form besteht aus ca. 24 Anwendungen von jeweils 1 Stunde Dauer. Wir beobachten bei den Patientinnen und Patienten eine gute Verträglichkeit.
Dem Griechen Parmenides wird seit 2500 Jahren das berühmte Zitat nachgesagt: „Gebt mir die Macht, Fieber zu erzeugen, und ich heile jede Krankheit“. Offensichtlich haben Sie jetzt die „Macht, Fieber zu erzeugen“. Können Sie auch jede Krankheit heilen?
Leider nicht. Allerdings ist die Hyperthermie bei vielen Erkrankungen mit guten Erfolgen einsetzbar: bei zahlreichen Krebsarten, aber auch bei Muskelrheuma, chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen wie Asthma oder chronisch-obstruktiver Bronchitis, oder auch bei Arthrose, also Gelenkverschleiss-Erkrankungen.
Wie kann die Wirkung der Wärmetherapie erklärt werden?
Eine Hyperthermie-Behandlung hat Einfluss auf den gesamten Organismus. Durch die Temperaturerhöhung laufen Stoffwechselprozesse schneller ab. Das Immunsystem wird angeregt. Man kann sagen, die Körperabwehr läuft auf Hochtouren. Der Körper bildet bei dieser Hitzeeinwirkung spezielle Eiweissstoffe, sogenannte Hitzeschockproteine (HSP).
Was bewirken diese Hitzeschockproteine?
HSP kommen in hoher Konzentration in Krebszellen vor. Durch die Hyperthermie schütten Krebszellen HSP aus, die dann aussen an immunkompetente Zellen andocken. Dabei schleust
HSP ein mitgeführtes tumorspezifisches Antigen in die Immunzelle ein, von der es wiederum anderen Immunzellen „kreuzpräsentiert“ wird. Ausserdem werden mit Hilfe der HSP vermehrt Zytokine gebildet und ausgeschüttet. Das sind Botenstoffe auf Proteinbasis, die bei Entzündungen aller Art gebildet werden und eine unspezifische Immunantwort in Gang setzen. Natürliche Killerzellen (NK-Zellen) werden aktiviert und Tumorzellen zum programmierten Zelltod (Apoptose) angeregt.
Können noch weitere Wirkungen beobachtet werden?
Ja, eine Überwärmungstherapie wirkt zudem schmerzlindernd und sie steigert die gesamte Lebensqualität. Für uns besonders interessant sind aber auch die persönlichen Rückmeldungen unserer Patientinnen und Patienten, die seelisch darauf hindeuten, dass Hyperthermie heilsam wirkt. Manche hören wir zum Beispiel sagen „Ich scheide dabei alles aus, was mir nicht gut tut.“ oder oftmals auch Sätze wie: “Ich habe das Gefühl, ich werde bei der Hyperthermie durchlässig bis in die letzte Zelle,“ oder „Ich fühle mich rein und leicht.“
Und wie steht es mit der Angst der Patienten vor zuviel Wärme?
Es gibt so etwas wie einen kritischen Punkt, wenn die Patientinnen und Patienten die Wärme im ganzen Körper spüren. Das wird manchmal als anstrengend erlebt und kann im Einzelfall auch beängstigend wirken. Die betreuenden Fachkräfte wissen aber um diese Problematik und sprechen den Patienten in diesem Fall Mut zu. Oft hilft es auch, wenn man die Stirn etwas kühlt und ein Getränk reicht. Ist dann der Punkt nach kurzer Zeit überwunden, wird das von den Patienten als echtes Erfolgserlebnis erfahren. Mit dieser positiven Erfahrung gehen sie dann in die nächste Hyperthermiebehandlung.
Wie passen Hyperthermie und Misteltherapie zusammen?
Die Hyperthermie ist für uns immer eine Kombinationstherapie. Vor allem die Be-handlung mit der Mistel kann eine Wirkungsverstärkung bewirken. Auch eine Misteltherapie ist nur dann richtig wirkungsvoll, wenn sie Fieber erzeugt. Wir können beobachten, dass diese gewollte Temperaturerhöhung durch die Mistel bei den Patienten ca. 4 bis 6 Wochen nach der Ersteinstellung deutlich nachlässt. Durch eine ergänzende Überwärmungstherapie lässt sich dieser „Fieber-Effekt“ wieder erzielen. Der Erkrankte erhält am Vorabend der Hyperthermie-Behandlung eine etwas erhöhte Dosis mit standardisiertem Mistelextrakt.
Im Zentrum steht also immer die Beeinflussung des Wärmehaushaltes?
Ja, die Grundidee, besonders bei der Überwärmungstherapie bei Krebserkrankun-gen, ist einfach: Krebszellen sind hitzeempfindlicher als gesunde Körperzellen. Die Hauptwirkung der Hyperthermie ist aber – wie man heute durch umfangreiche im-munbiologische Forschungsarbeiten weiss – eine immunstimulierende. Sie ist für die moderne Krebstherapie, neben den konventionellen Therapiemethoden wie Operation, Strahlen- und Chemotherapie, das „vierte Standbein“.
Vielen Dank für das Gespräch.
Fachperson | Dr. Gertrud Kofler |
Arbeitsschwerpunkte | seit 2000 in der Klinik Öschelbronn, Funktionsoberärztin in der Hyperthermie |
Kontakt | Pressereferent Alexander Spieth spieth@klinik-oeschelbronn.de |