
Früher beliebte Heilpflanze
Wie der Wiesen-, Honig- oder Bockshornklee gehört der Wundklee zur Familie der Schmetterlingsblütler. Im Gegensatz zum Wiesenklee, der eiförmige, dreizählige (bis vierzählige) Blätter hat, besitzt der Wundklee gefiederte Blätter mit einem deutlich grösseren Endteilblatt. Wie ihr volkstümlicher Name «Wundklee» oder «Wundkraut» verrät, wurde die Pflanze in der Volksmedizin zur Behandlung von Wunden sehr geschätzt. Dafür nahm man äusserlich das zerquetschte Kraut oder machte Umschläge mit dem Tee. Auch innerlich verwendete man den Tee, als Hustenmittel, bei Atemwegserkrankungen, zur Blutreinigung oder zur Frühjahrskur. Da seine Heilwirkungen wissenschaftlich nicht ausreichend belegt sind, fristet der Wundklee heute in der Pflanzenheilkunde ein gewisses Schattendasein. Wohl deshalb fand ich in der gängigen Literatur nur wenige Hinweise und Beschreibungen über ihn. Nur in der anthroposophischen Naturkosmetik hat er sein Einsatzgebiet wieder gefunden.
Der wissenschaftliche Name des Wundklees verweist auf sein Aussehen und auf seine Wirkungsweise: anthos = Blüte, ioulos = Bart und vulnus = Wunde ergeben eine für die Wundbehandlung einsetzbare behaarte Blütenpflanze. Bereits der griechische Arzt Dioskurides erwähnte im 1. Jahrhundert nach Christus diese heilkräftige Pflanze unter dem Namen Anthyllis. Der Schweizer Kräuterpfarrer Johann Künzle schreibt, dass der botanische Name Anthyllis von der griechischen Königin Anthyllis stamme, die angeblich eine Wundsalbe aus der Pflanze verarbeiten liess. Berühmt wurde auf jeden Fall die legendäre Anthyllissalbe durch Künzle selbst. Man vermutet, dass der Wundklee erst im Laufe des 16. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum an Bedeutung gewann. Er muss als Heilpflanze eine große Beliebtheit erlangt haben, wie seine vielen volkstümlichen Namen zeigen. Der Wundklee zählte zudem zu den Zauber- und Berufskräutern, wie sein Name «Schreiklee» verrät. Solche Kräuter sollten gegen böse Einflüsse und Wünsche oder vor dem Berufen, Verschreien und Verhexen schützen. Es wird berichtet, dass man das Kraut kleinen Kindern in die Wiege legte, die Ställe damit ausräucherte oder es den Tieren zum Fressen gab.
Aussehen: oben weich behaart – unten fest verankert
Mir ist der Wundklee erstmals in den Bergen begegnet. Ich erinnere mich noch gut daran: Ein im Wind sanft wogender Teppich aus goldgelben Blütenköpfchen mit rötlich angehauchten Spitzen breitet sich vor mir an einem sonnigen, kahlen Steilhang aus. Die Pflänzchen strahlen mir etwas Mildes, Wollig-Weiches entgegen. Ich erlebe eine reine, kindlich-unschuldige Stimmung um sie. Gleichzeitig erkenne ich, wie genügsam und bescheiden sie sind. Als ich mir dieses Heilkraut von Nahem ansehe, fällt mir auf, dass jede einzelne Pflanze – auch jede Blüte – seidig-weich behaart ist. Im Gegensatz dazu treten die gefiederten, blau-grünen Blätter zurück. Die sich üppig ausbreitenden Polster, die höchstens 40 cm hoch werden, schmiegen sich kraftvoll an den Hang. Fest verwurzelt verleiht der Wundklee dem Boden Festigkeit. Deshalb kann er Bodenbildner für späteres Wachstum anderer Pflanzen werden.
Der kalkliebende Wundklee findet sich vor allem auf sonnendurchfluteten Brachflächen, trockenen Magerwiesen, Wegrändern, Hängen, Böschungen und Felsen, auch in Felsspalten – aber immer nur dort, wo der Boden nicht überdüngt ist. Er ist eine ausdauernde Pionierpflanze, die in fast ganz Europa, Kleinasien und Nordafrika, von der Ebene bis in alpine Regionen, verbreitet ist. Leider hat die moderne Landwirtschaft den Wundklee durch intensive Düngung von der Ebene zum Teil verdrängt, obwohl er wie viele Kleegewächse eine wichtige Futterpflanze ist, die besonders die Schafe lieben. Als Sonnenkind findet man ihn heute vor allem als typischen Vertreter der Alpenflora.
Wirkung: Harmonisierend und regulierend In der Signaturenlehre wird der Wundklee wegen seiner besonders vegetativen Kraft geschätzt, die sich durch das kräftig aufsteigende und sich ausbreitende Wachstum zeigt. Diese harmonisierende und regulierende Kraft stärkt den menschlichen Organismus und gleicht die verschiedensten Hautprobleme aus. Der Wundklee hilft, eine gesunde und zarte Haut zu bilden. Wunden verheilen sanfter mit weniger Narbenbildung. Aufgrund seiner mild anregenden Eigenschaften auf Darm und Nieren fördert Anthyllis die Ausscheidungsprozesse des Körpers, weshalb er früher in manchen Blutreinigungsmischungen zum Einsatz kam. Auch erhielt er wohl deshalb den Volksnamen Gichtbleaml. Bei Atemwegserkrankungen wurde Anthyllis zusammen mit Spitzwegerich in Teemischungen gegeben. Die Schleimstoffe und die Kieselsäure des Spitzwegerichs ergänzen die entzündungshemmende Wirkung des Wundklees. Als Geheimtipp aus der Wiesenapotheke der modernen Phytotherapie scheint mir folgender Hinweis: Der Wundklee gehöre zu einer der lysinreichsten Pflanzen. Was heisst das? Ein Lysinmangel schwächt das Immunsystem und kann unter Stresssituationen oder sonstiger übermässiger Belastung (z. B. bei erhöhter UV-Strahlung in den Bergen) zum Ausbruch von Viruserkrankungen wie zum Beispiel Lippenherpes führen. Um dem vorzubeugen verwendet man den frisch ausgequetschten Saft der Wundkleeblätter und -blüten und tupft ihn direkt auf die Lippen oder bereitet zu Hause einen Absud aus dem frischen bzw. getrockneten Kraut zu und macht damit eine Kompresse. Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Wundklee kann nicht nur gegen schlecht heilende Wunden und bei gereizten Schleimhäuten (Atemwegserkrankungen und leichteren Magen-Darm-Problemen) heilend wirken, sondern als Pionierpflanze schützt er vor Erosion und verbessert und düngt den Boden, indem er mit seinen Knöllchenbakterien an den Wurzeln den Stickstoff im Boden bindet. Er kann Oberflächen sanft und dennoch formgebend umhüllen und schliessen. Es wird Zeit, diese Pflanze wieder neu zu entdecken!
Anthyllis-Ernte
Obwohl wir dieses Jahr eine Woche später zum Ernteplatz unterwegs sind als letztes Jahr, bemerken wir überrascht, dass der Winter hier oben die schneegefleckten Alpenwiesen noch nicht richtig freigegeben hat. Von der Sesselbahn aus sehen wir einige ziemlich zerzauste Murmeltiere über die Schneefelder traben. Unser Weg führt von der Bergstation in die südlichen Steilhänge, in denen grosse Narben von Erdrutschen klaffen. Die Grasdecke ist an vielen Stellen bis auf den Untergrund aus Geröll und Lehm abgerissen, und die Alpenpflanzen haben Mühe, das rutschige Terrain zu besiedeln. Hier haben wir letztes Jahr unsere Heilpflanzen in grosser Menge gefunden, aber dieses Jahr liegt das Erntegebiet noch unter Schnee! Da wir wissen, dass unsere Heilpflanze solche steilen, rutschigen Südhänge gerne besiedelt, verlassen wir den Wanderweg und steigen im Steilhang tief hinunter, dort, wo die Alpenwiesen schon grün und schneefrei sind. Von weitem sehen wir tatsächlich einzelne helle Gelbtöne aus den Wiesen herausleuchten. Beim Näherkommen sehen wir die charakteristischen gelben Blütenstände mit ihrem wunderschönen Aufbau. Erstaunlich, dass sich diese Pflanze gerade hier in diesem steilen und immer wieder aufgerissenen Gelände so gut entfalten kann. Beim Ernten ist es eine Freude, die kräftigen Blütenbüschel zu sammeln, man spürt förmlich ihre frische und geballte Blütenkraft.
Mit einem Griff erntet man gleich mehr als 30 Blüten zusammen, da jeder Blütenbüschel aus drei oder mehr Blütenköpfchen aufgebaut ist. Wenn wir die auffallenden Blütenbüschel genauer betrachten, sehen wir, dass darin mehrere Blütenköpfchen in zeitlich unterschiedlichen Blütenstadien vereinigt sind, meist drei an der Zahl. Während schon das erste Blütenköpfchen voll in hellgelben Schmetterlingsblüten leuchtet, sind die Blüten des letzten Blütenköpfchens noch ganz geschlossen. Man sieht deutlich, dass es eigentlich zeitlich unterschiedliche Blütenbereiche sind, die bei anderen Pflanzen etagenweise übereinander liegen würden, hier jedoch zu einem einzigen kraftvoll konzentrierten Blütenbüschel vereinigt werden, welches wir mit einem Griff ernten können.
Es ist faszinierend, was einem hier in den steilen Geröllhalden an Alpenblumen sonst noch entgegenleuchtet wie die blauen Enziane, die zartlila Soldanellenglöckchen oder der weisse Gletscherhahnenfuss – diese wunderschönen Blüten scheinen wie aus einer anderen Welt. Unglaubliche Vitalitätskräfte muss Anthyllis sammeln, um nicht nur die langen Winter zu bestehen und sich auf dem kargen und rutschigen Boden zu behaupten, sondern auch noch eine derartige Fülle von Blüten in derart enger Folge zu entwickeln. Die Blüten beeindrucken vor allem durch ihre Fülle, feine Gestaltung und leuchtende Farbe, es ist ja kein Standort, um sich lange in betörenden Düften zu verausgaben. Alles bleibt dicht in Bodennähe anliegend und konzentriert seine Lebenskräfte auf klare und feine Gestaltung. Anthyllis ist eine Pionierpflanze, die nicht nur für sich selber mit einer kräftigen Pfahlwurzel in einem schwierigen Gelände Leben erkämpft, sondern als Schmetterlingsblütler auch für die Bindung von Luftstickstoff in die Erde sorgt, was anderen Pflanzen das Anwachsen erleichtert. Der botanische Name der Pflanze – Anthyllis vulneraria – weist darauf hin, dass diese Pflanze eine lange Tradition als wundheilende Pflanze hat. „Der Wundklee ist wirklich ein ganz wunderbarer Wundenheiler“, vermeldet beispielsweise Kräuterpfarrer Johannes Künzli aus seiner reichhaltigen Erfahrung. Die sehr straff konzentrierten und differenzierten Lebenskräfte der dichten Blütenköpfchen vermitteln einer verletzten Hautintegrität eine vitalisierende, strukturierende und epithelialisierende Wirkung.
Zurück in der Klinik empfinden wir beim Ausbreiten der gesammelten Pflanzen einen grossen Reichtum. Tausende von diesen leuchtenden und kräftigen Blütenköpfchen mit ihrer besonders konzentrierten Alpenvitalität und Blütenkraft werden wir verarbeiten können für unsere neue Anthyllis-Herstellung.
STECKBRIEF
Wissenschaftlicher Name:
Anthyllis vulneraria L.
Volksnamen:
Apothekerklee, Bärenklee, Bartklee, Echter Wundklee, Frauenkapperl, Gelber Klee, Gemeiner Wundklee, Gewöhnlicher Wundklee, Gichtbleaml, Goldknopf, Goldkopf, Kretzenkraut, Muttergottes-Schühlein, Schöpfli, Schreiklee, Tannenklee, Watteblume, Wollklee, Wundkraut
Familie:
Schmetterlingblütler (Fabaceae)
Blütezeit:
Juni bis September.
Inhaltsstoffe:
Catechine, Gerbsäure, Gerbstoffe, Farbstoffe, Flavonoide, Lysin, Saponine, Schleimstoffe, Xanthophyll
Verwendete Pflanzenteile:
Blätter, Blüten, Kraut
Heilwirkungen (Volksheilkunde):
adstringierend, antibakteriell, blutreinigend, blutstillend, harntreibend, hustenstillend, Stoffwechsel anregend, wundheilend. Die Gerbstoffe, Saponine und Flavonoide wirken heilend auf die Schleimhäute, besonders bei Atemwegserkrankungen oder bei leichteren Magenbeschwerden.
Anwendungen:
1 EL Droge (getrocknete Blüten) mit 250 ml kochendem Wasser übergiessen, 5 bis 7 Minuten ziehen lassen und anschliessend abseihen. Innerlich gegen Husten (mit Honig süßen), leichtere Magenbeschwerden oder als Blutreinigungstee: 2 bis 3 x täglich als Kur von ca. 4 Wochen. Äusserlich kann der Teeaufguss (mit Blüten und Blättern, 10 Minuten ziehen lassen) auch zum Gurgeln bei Hals-, Mund- und Rachenerkrankungen getrunken oder bei schlecht heilenden Wunden (nicht direkt auf offene blutende Wunden!) eingesetzt werden.
Fachperson | Michaela Spaar |
Arbeitsschwerpunkte | Kunsthistorikerin, Redaktorin, Feldbotanikausbildung, Phytotherapieausbildung, Co-Leiterin des Arlesheimer Bauerngartens |
Kontakt | odilienzeit@hotmail.com |