Eine Frage der Haltung

Liebe Leserin, lieber Leser

Eine kur­ze Epi­so­de einer Hals-Nasen-Ohren-Vor­le­sung in mei­ner Stu­di­en­zeit hat mich so beein­druckt, dass ich mich noch heu­te dar­an erin­ne­re. Der Pro­fes­sor frag­te – ganz prag­ma­tisch mit einer leich­ten Pri­se Zynis­mus – nach der Gabe eines Anti­bio­ti­kums bei einem Infekt im HNO-Bereich und ver­wies auf wis­sen­schaft­li­che Arbei­ten zu dem The­ma: „80 Pro­zent der Infek­te sind viral. Bei die­sen ist ein Anti­bio­ti­kum nicht hilf­reich, weil es gegen Bak­te­ri­en gerich­tet ist. Wir haben vie­le Mög­lich­kei­ten, die Ursa­che eines Infekts zu eru­ie­ren. Aber sind wir ehr­lich: Wenn der Pati­ent kommt und über­zeugt ist, er brau­che ein Anti­bio­ti­kum, und Sie geben ihm kei­nes, dann geht er zu einem nächs­ten Arzt. Wenn ein Pati­ent kommt, der sowie­so kein Anti­bio­ti­kum neh­men möch­te, und Sie ver­schrei­ben ihm eines, dann nimmt er es nicht.“
Ist das eine Bank­rott-Erklä­rung der Medi­zin? Oder was ist hier los? Irgend­et­was scheint hier grund­le­gend schief zu lie­gen in der Medi­zin. Inter­es­san­ter­wei­se scheint die­ses The­ma ins Bewusst­sein von Ärz­ten und Fach­ver­bän­den zu gelan­gen. In mei­ner Beur­tei­lung han­delt es sich vor­ran­gig um ein Ver­trau­ens­pro­blem der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten gegen­über den Ärz­tin­nen und Ärz­ten, des­sen Ursa­chen wohl viel­fäl­tig sind. Ein Aspekt scheint mir eine Fra­ge der Hal­tung zu sein. Wel­che Hal­tung zur Erkran­kung habe ich? Neh­me ich lie­ber ein che­mi­sches Medi­ka­ment zu viel als eines zu wenig? Leh­ne ich Che­mie um alles in der Welt ab? Ich mei­ne, es geht dar­um, gesun­de und aus­ge­wo­ge­ne Hal­tun­gen zu ent­wi­ckeln.
An der Kli­nik Arle­sheim wer­den wir häu­fig für Zweit-mei­nun­gen kon­sul­tiert: Mei­nen Sie wirk­lich, ich soll das Anti­bio­ti­kum neh­men? Gibt es Alter­na­ti­ven? Dann wägen wir ab und bespre­chen das mit dem Pati­en­ten. Ich habe den Ein­druck, dass dank guter Infor­ma­ti­on und vor allem auf­grund eines guten Aus­tau­sches mit dem Pati­en­ten die The­ra­pie dann wie geplant durch­ge­führt wer­den kann.Häufig sind Ängs­te im Spiel, die weit über das aktu­el­le Krank­heits­ge­sche­hen hin­aus­ge­hen. Auch die Schul­me­di­zin hat erkannt, dass Infor­ma­ti­on sehr wich­tig ist, wie die aktu­el­le Kam­pa­gne zum rich­ti­gen Ein­satz von Anti­bio­ti­ka zeigt.
Zum wich­ti­gen The­ma des Anti­bio­ti­ka­ein­sat­zes ist soeben in einem sehr renom­mier­ten eng­li­schen Jour­nal eine Stu­die des anthro­po­so­phi­schen For­schers Erik Baars erschie­nen.* Er ver­gleicht dar­in den Anti­bio­ti­ka­ein­satz bei über 7‘000 Pra­xen in der Nor­mal­ver­sor­gung mit 9 struk­tu­rell glei­chen Pra­xen, deren Inha­ber jedoch zusätz­lich eine kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­sche Aus­bil­dung haben. Das Resul­tat zeig­te, dass in letz­te­ren bei Atem­wegs­er­kran­kun­gen rund 25 Pro­zent weni­ger Anti­bio­ti­ka ver­schrie­ben wur­den. Die­se Stu­die fin­det vor allem Beach­tung vor dem Hin­ter­grund von stei­gen­den Resis­ten­zen.
Um die Hal­tung in der Medi­zin im wei­te­ren Sinn geht es immer wie­der in den Arti­keln unse­res Maga­zins. In die­ser Aus­ga­be kon­zen­trie­ren wir uns auf das The­ma Atem­wegs­er­kran­kun­gen, bei denen bekann­ter­mas­sen ins­ge­samt viel zu häu­fig Anti­bio­ti­ka ver­schrie­ben und ein­ge­nom­men wer­den. Ich wün­sche Ihnen eine span­nen­de Lek­tü­re!

*BMJ open: van der Werf ET, et al. BMJ Open 2018;8:e020488. doi:10.1136/bmjopen-2017–020488

Für das Redak­ti­ons­team Dr. med. Lukas Schöb


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