
Das Metabolische Syndrom, verbunden mit erheblichem Übergewicht und manchmal verdeckten Krankheitszeichen, ist in unserer modernen westlichen Gesellschaft weit verbreitet. Im Rahmen einer integrierten, gut vernetzten Hausarztmedizin kann auf die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten mit diesem Syndrom optimal eingegangen und ihre Eigenaktivität unterstützt werden.
Herr P. ist Ende Fünfzig und war schon lange nicht mehr beim Arzt. Nun wolle er einen körperlichen Check-up durchführen lassen und suche einen festen Hausarzt. Bis auf sein Übergewicht fühle er sich eigentlich wohl, jedoch sei er oft müde und nicht mehr so leistungsfähig wie früher. Ja, schon lange ist ein hoher Blutdruck bekannt, und er hatte auch schon mal einen Herzinfarkt vor ungefähr zehn Jahren, kommt im weiteren Gespräch zu Tage. Das Rauchen habe er seit damals aufgegeben.
Verdeckte Alarmzeichen
Eine alltägliche Situation in der hausärztlichen Ambulanz der Klinik Arlesheim. Nach einem langen Erstgespräch, der Sichtung von Vorbefunden, einer umfassenden körperlichen Untersuchung und einer Blutanalyse steht recht bald fest, dass Herr P. noch andere Probleme hat: Neben einer ungünstigen Blutfettzusammensetzung hat sich auch eine Zuckerkrankheit entwickelt, und die Niere hat dadurch bereits Schaden genommen. Nun schrillen beim Arzt die Alarmglocken!
Herr P. spürt von alledem nicht viel – und trotzdem ist er höchst gefährdet, innerhalb der nächsten Jahre wieder einen Herzinfarkt, einen Schlaganfall oder eine gravierende Verschlechterung der Nierenfunktion zu erleiden. Was liegt hier vor? Zunächst muss dem Patienten mit einfühlsamem Nachdruck bewusst gemacht werden, dass er an einem Metabolischen Syndrom leidet – eine heimtückische, weil wenig bewusst verlaufende Erkrankung – viel eher ein Komplex von Befunden, der anzeigt, dass der Mensch aktiv seine Gesundheit in die eigene Hand nehmen muss, mit Hilfe ärztlicher und therapeutischer Unterstützung.
Wenn der Ausgleich fehlt
Gemeinhin bekannt als „Wohlstandssyndrom“ ist das Metabolische Syndrom gekennzeichnet durch ein zu viel an „Aufnahme“ und einem zu wenig an „Verarbeitung und Ausscheidung“. Was heisst das? Wir leben in der sogenannten westlichen Welt in einem Überfluss an Nahrungs- und Genussmitteln bei gleichzeitiger Reduktion unserer körperlichen und geistigen Aktivität. Technische Hilfsmittel, immer mehr verfeinert bis zur kompletten Digitalisierung unseres Alltags, nehmen uns Anstrengungen in Bewegung, Denken und Erinnern ab. Dazu kommt die Flut der Informationen und der damit permanent verbundenen Aufforderung, uns zu entscheiden: Was ist wichtig? Was nehme ich zu mir? Was gehört zu meinem Leben? Was treibt mich zu einer Handlung an? Die Seele und die Empfindungsfähigkeit werden strapaziert, und vieles davon läuft in einem beschleunigten Tempo ab. Die Summe der zu verarbeitenden Informatio-
nen ist pro Zeiteinheit um ein Vielfaches höher als noch vor zehn Jahren.
Viele Menschen suchen deshalb bewusst und aktiv nach Ausgleich, nach Entspannung, nach Sport und Fitness in der Freizeit – eben nach „Ausscheidung“, Entlastung. Aber wer dies nicht tut, wer keine Möglichkeiten dazu hat oder sie nicht sieht, und wer dazu noch ungünstige erbliche Voraussetzungen hat, wird sich in diesem Rad unbemerkt weiterdrehen, bis ihn eine Katastrophe wachrüttelt. Burn-out-Syndrom und Depression sind das Geschwisterpaar des Metabolischen Syndroms – nicht immer und ausschliesslich, aber doch sehr häufig.
Bewusstmachung als erster Schritt
Zurück zu Herrn P. und seinen körperlichen Befunden: Was nicht verarbeitet werden kann, wird abgelagert, die übermässigen Kalorien im Fett, der Zucker und das Cholesterin in den Blutgefässen und in vielen anderen Geweben. Die Niere als Ausscheidungsorgan wird überlastet und nimmt Schaden: Es findet sich eine Menge Eiweiss im Urin. Es bildet sich starre Struktur aus dem, was sonst im Blut gelöst als Energielieferant für unsere Willensentfaltung dienen soll. Das Fettgewebe bildet zudem ähnlich wie eine chronische Entzündung Faktoren im Blut, die den Prozess der Ablagerung und Verhärtung noch beschleunigen.
Wie schon gesagt: All dies läuft lange Zeit unbemerkt ab. Deshalb ist der erste Schritt der Therapie die Bewusstmachung! Dies ist Sache des Arztes oder der Ärztin und eines weiteren Kreises an Therapeutinnen und Beratern. Wir pflegen in der Klinik Arlesheim eine gute Zusammenarbeit mit qualifizierten Diabetes- und Ernährungsberaterinnen, Spezialisten für Nierenerkrankungen und Diabetologinnen. Die Fäden behält dabei der Hausarzt in der Hand. Wo nötig wird er oder sie von den diagnostischen Möglichkeiten und medikamentösen Behandlungsoptionen der konventionellen Medizin Gebrauch machen, denn diese sind oft und speziell in der Anfangsphase eines schon fortgeschrittenen Metabolischen Syndroms vonnöten: „Der Flächenbrand muss zunächst einmal eingedämmt werden“.
Den Patienten in seiner Eigenaktivität unterstützen
Von Beginn an stellt sich die Frage: Wie steht der Patient selbst zu seinem Leiden? Was ist er bereit aktiv zu tun – wo wird seine Erkenntnis des Krankheitsprozesses zu einem aktiven und bewussten Handeln? Denn nur das ist der grosse „Heiler“ des gesamten Prozesses. Begleitend stehen manche Hilfsmittel und Tricks zur Lebensgestaltung zur Verfügung, vom Schrittzähler bis zu speziellen Ernährungstipps wie der Zubereitung eines blutzuckersenkenden Haferbreis. Auch Medikamente der Anthroposophischen Medizin und äussere Anwendungen mit zum Beispiel Rosmarin können den Befeuerungsprozess des Willens unterstützen.
An oberster Stelle steht aber immer die Eigenaktivität. Der Anthroposophischen Medizin stehen hier besondere therapeutische Möglichkeiten wie künstlerische Therapien, Heileurythmie oder biographische Gespräche zur Verfügung, durch die sich ein Türchen öffnen lässt mit einer Aussicht auf Veränderungen des Bisherigen.
Herr P. weiss nun, was zu tun ist. Er weiss, dass ihm Menschen mit Rat und Tat zur Seite stehen, dass er auf ihre Hilfe zählen kann. Aber es liegt in seiner Freiheit, diese auch anzunehmen und umzusetzen. Wir bemühen uns in der Hausarztmedizin der Klinik Arlesheim, den Respekt vor dem freien Willen des Patienten, mag er dem ärztlichen Bestreben auch zuwider laufen, stets an oberster Stelle zu sehen. Die Begleitung endet auch da nicht, wo Passivität oder Unvermögen zur Veränderung vorherrschen. Der Respekt vor dem Geistigen im Menschen, das nicht erkranken kann, ist die wichtigste ärztliche Tugend. Nicht nur Herr P., sondern auch viele andere unserer Patientinnen und Patienten schätzen das sehr.
Fachperson |
Dr. med. Roland Gödl |
Arbeitsschwerpunkte | Facharzt für Allgemeine Innere Medizin. Fähigkeitsausweis Anthroposophische Medizin. 5 Jahre Oberarzt am Paracelsus Spital Richterswil. Seit November 2014 an der Hausarztmedizin der Klinik Arlesheim. Schwerpunkte sind Behandlung des Diabetes und Ultraschalldiagnostik. Ab August 2016 Ärztlicher Leiter und Hausarzt am Ita Wegman Ambulatorium Basel. |
Kontakt | roland-goedl@klinik-arlesheim.ch |