Ein Ja zur Komplementärmedizin hat weitreichende Auswirkungen

Die Abstim­mungs­vor­la­ge vom 17. Mai ist mit fünf Kern­for­de­run­gen von Sei­ten der Initi­an­ten ver­bun­den, die auch im Par­la­ment Zustim­mung fan­den:

1. Zusam­men­ar­beit von Schul- und Kom­ple­men­tär­me­di­zin (Inte­gra­ti­ve Medi­zin)

2. Heil­mit­tel­schatz der Kom­ple­men­tär­me­di­zin bewah­ren

3. Berufs­an­er­ken­nung und Qua­li­täts­si­che­rung von nicht­ärzt­li­chen The­ra­peu­ten

4. Fünf ärzt­li­che Leis­tun­gen wie­der in die Grund­ver­si­che­rung auf­neh­men:
(Anthro­po­so­phi­sche Medi­zin, Homöo­pa­thie, Neu­ral­the­ra­pie, Phy­to­the­ra­pie
und Tra­di­tio­nel­le Chi­ne­si­sche Medi­zin)

5. For­schung und Leh­re för­dern an öffent­li­chen Insti­tu­tio­nen wie Uni­ver­si­tä­ten
und Fach­hoch­schu­len.

Die Abstim­mung „Zukunft mit Kom­ple­men­tärmedi­zin“ und ihre Stel­lung in Euro­pa

Am 17. Mai 2009 wird die Schwei­zer Bevöl­ke­rung dar­über abstim­men, ob die Kom­ple­men­tär­me­di­zin in der Bun­des­ver­fas­sung ver­an­kert wird. Das soll mit einem neu geschaf­fe­nen Ver­fas­sungs­ar­ti­kel (Art. 118a BV) gesche­hen, der fol­gen­den Text beinhal­tet: „Bund und Kan­to­ne sor­gen im Rah­men ihrer Zustän­dig­kei­ten für die Berück­sich­ti­gung der Kom­ple­men­tär­me­di­zin“. Mit der Abstim­mungs­vor­la­ge wird dem im Volk vor­han­de­nen Bedürf­nis nach einer bes­se­ren gesetz­li­chen Ver­an­ke­rung der Kom­ple­men­tär­me­di­zin in der Schweiz ent­spro­chen. Ziel ist es, dass die Kom­ple­men­tär­me­di­zin lang­fris­tig legal aus­ge­übt wer­den kann. Eine Annah­me der Vor­la­ge wird Wir­kun­gen weit über die Schweiz hin­aus haben.

Auch in Euro­pa will die Bevöl­ke­rung Kom­ple­men­tär­me­di­zin

Strom der Zeit und das nicht nur in der Schweiz. Ein paar Zah­len sol­len das illus­trie­ren: 40–70 % der Euro­pä­er haben Erfah­run­gen mit Kom­ple­men­tär­me­di­zin, 10–20 % haben dies­be­züg­lich einen Arzt auf­ge­sucht.1 In Gross­bri­tan­ni­en über­wei­sen 83 % der Haus­ärz­te ihre Pati­en­ten in geeig­ne­ten Situa­tio­nen zu kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­schen Behand­lun­gen.2 20–40 % wen­den die­se sel­ber an.3 Trotz des stän­dig wach­sen­den Bedarfs an Kom­ple­men­tär­me­di­zin ist deren recht­li­che Rege­lung in Euro­pa lücken­haft.4 Und jede natio­na­le Rege­lung hat Aus­wir­kun­gen dar­auf, wie in Euro­pa gedacht wird.
Auf­grund des Anspruchs der euro­päi­schen Bür­ger auf Dienst­leis­tun­gen der Kom­ple­men­tär­me­di­zin ist die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on zuneh­mend gezwun­gen, sich mit den Fra­gen der Kom­ple­men­tär­me­di­zin aus­ein­an­der­zu­set­zen. So gibt es in der euro­päi­schen Arz­nei­mit­tel­ge­setz­ge­bung bereits ver­ein­fach­te Regis­trie­rungs­mög­lich­kei­ten für homöo­pa­thisch her­ge­stell­te Arz­nei­mit­tel (Dir 2001/83, Art 13–16), tra­di­tio­nel­le pflanz­li­che Arz­nei­mit­tel (Dir 2001/83, Kap 2a Art 16a-16i) sowie ers­te Ansät­ze in einer Kom­mu­ni­ka­ti­on der Kom­mis­si­on an den Rat und das Euro­päi­sche Par­la­ment, wel­che der beson­de­ren Natur der anthro­po­so­phi­schen Arz­nei­mit­tel Rech­nung trägt (KOM[2008]584).

Zuneh­men­de inter­na­tio­na­le Aner­ken­nung

Ein wei­te­res Bei­spiel dafür, dass Kom­ple­men­tär­me­di­zin auf euro­päi­scher Ebe­ne zuneh­mend ernst genom­men wird, ist die Tat­sa­che, dass das 7. For­schungs­rah­men­pro­gramm der EU5 eine Aus­schrei­bung für For­schungs­pro­jek­te zur Eru­ie­rung des Bedarfs, der Ver­brei­tung und der Ter­mi­no­lo­gie ver­schie­de­ner kom­ple­men­tär­me­di­zi­scher Metho­den in Euro­pa ent­hält. Auf der Basis die­ser Erhe­bung soll ein Fahr­plan für geziel­te For­schung im Bereich der Kom­ple­men­tär­me­di­zin auf­ge­stellt wer­den. Die Uni­ver­si­tät Bern (KIKOM) ist bei die­ser Aus­schrei­bung betei­ligt.
Die World Health Orga­ni­sa­ti­on (WHO) hat die Bedeu­tung der Kom­ple­men­tär­me­di­zin schon lan­ge erkannt und pro­pa­giert. So hat die WHO sich bei ihrer jüngs­ten Dekla­ra­ti­on im Zusam­men­hang mit dem Con­gress on Tra­di­tio­nal Medi­ci­ne am 8.11.2008 in Bei­jing wie­der expli­zit dafür aus­ge­spro­chen, dass die Regie­run­gen welt­weit gera­de­zu dazu ver­pflich­tet sind, das Poten­zi­al der Kom­ple­men­tär­me­di­zin in gesund­heits­po­li­ti­sche Stra­te­gi­en mit ein­zu­be­zie­hen.6

Die Ver­fas­sungs­be­stim­mung kon­kret umset­zen

Im Fal­le einer Annah­me der schwei­ze­ri­schen Abstim­mungs­vor­la­ge wird in Zukunft noch eini­ges an Arbeit zu leis­ten sein, um den kur­zen Ver­fas­sungs­text in den Berei­chen der fünf Kern­for­de­run­gen umzu­set­zen. Ins­be­son­de­re die För­de­rung von Leh­re und For­schung in der Kom­ple­men­tär­me­di­zin bringt inter­es­san­te Her­aus­for­de­run­gen in die­sem Umset­zungvor­gang. Es muss ein Pro­zess auf uni­ver­si­tä­rer Ebe­ne ein­ge­lei­tet wer­den, um ent­spre­chen­de Lehr­stüh­le zu schaf­fen, wel­che die fünf in der Schweiz am häu­figs­ten ver­brei­te­ten ärzt­li­chen kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­schen Ver­fah­ren abde­cken. Pro­fes­su­ren in die­sen Dis­zi­pli­nen müs­sen die drei klas­si­schen uni­ver­si­tä­ren Berei­che For­schung, Leh­re und Dienst­leis­tung umfas­sen. Das bedeu­tet, dass sowohl hoch­ste­hen­de For­schung, Leh­re im medi­zi­ni­schen Cur­ri­cu­lum, pro­fes­sio­nel­le Wei­ter­bil­dung sowie sta­tio­nä­re und ambu­lan­te Dienst­leis­tun­gen am Pati­en­ten zu leis­ten sind.
Auf dem Gebiet der Heil­mit­tel wird ange­strebt, die bereits im Heil­mit­tel­ge­setz ver­an­ker­te ver­ein­fach­te Zulas­sung für Arz­nei­mit­tel der Kom­ple­men­tär­me­di­zin so umzu­set­zen, dass die Arz­nei­mit­tel­viel­falt nicht durch die heu­te bestehen­den, äus­serst stren­gen Zulas­sungs­be­din­gun­gen auch für Pro­duk­te ein­ge­schränkt wird, die seit Jah­ren oder Jahr­zehn­ten ohne Neben­wir­kun­gen auf dem Markt sind. Die Ten­denz, dass durch inad­äquat stren­ge Vor­schrif­ten vie­le Heil­mit­tel vom Markt ver­schwin­den und dadurch die The­ra­pie­mög­lich­kei­ten der kom­ple­men­tär­me­di­zi­nisch täti­gen Ärz­te und The­ra­peu­ten stark ein­ge­schränkt wer­den, soll gestoppt wer­den.

Eines ist klar: Das Abstim­mungs­er­geb­nis wird nicht nur Fol­gen haben für die Situa­ti­on der Kom­ple­men­tär­me­di­zin in der Schweiz, son­dern auch Ein­fluss neh­men auf die Ent­wick­lung der Kom­ple­men­tär­me­di­zin in Euro­pa ins­ge­samt, was von nicht zu unter­schät­zen­der Bedeu­tung ist.

Quel­len­an­ga­ben:

1 Legal Sta­tus of Tra­di­tio­nal Medi­ci­ne and Complementary/Alternative Medi­ci­ne: A World­wi­de Review, World Health Orga­ni­za­ti­on,
Gene­va 2001; WHO Tra­di­tio­nal Medi­ci­ne Stra­te­gy 2002–2005,
World Health Orga­ni­za­ti­on, Gene­va 2002

2 Astin JA (1998b) A review of the incor­po­ra­ti­on of Com­ple­men­ta­ry
and Alter­na­ti­ve Medi­ci­ne by main­stream phy­si­ci­ans.
Archi­ves of Inter­nal Medi­ci­ne. 158: 2303–2310

3 White AR, Resch K-L, Ernst E (1997) Com­ple­men­ta­ry medi­ci­ne:
use and atti­tu­des among GPs. Fami­ly prac­tice, 14:302–306.

4 Ers­dal G, Ramstad S, How are European pati­ents safe­guar­ded when using com­ple­men­ta­ry and alter­na­ti­ve medi­ci­ne (CAM)? Juris­dic­tion, super­vi­si­on and reim­bur­se­ment sta­tus in the EEA area (EU and EFTA) and Switz­er­land, CAM-Can­cer Pro­ject, 28 Octo­ber 2005; avail­ab­le at:
http://www.cam-cancer.org/mod_product/uploads/camcancer_legal_report_%28FINAL%29.pdf

5 HEALTH-2009–3.1–3: Com­ple­men­ta­ry and Alter­na­ti­ve Medi­ci­ne.
FP7- HEALTH-2009-sin­gle-sta­ge.

6 www.who.int/entity/medicines/areas/traditional/congress/beijing_declaration/en/index.html

Autoren68

Fach­per­son Dr. med. Andre­as Arendt
Arbeits­schwer­punk­te Gebo­ren 1964
Medi­zin­stu­di­um in Basel
Arzt mit All­ge­mein­pra­xis in Lies­tal seit 1998
Geschäfts­füh­ren­der Vor­stand VAOAS
Vor­stands­mit­glied und Schatz­meis­ter IVAA
Kon­takt Dr. med. Andre­as Arendt
Fach­arzt für All­ge­mein­me­di­zin FMH
Kaser­nen­stras­se 23
4410 Lies­tal

Autoren69

Fach­per­son Dr. med. Peter Zim­mer­mann
Arbeits­schwer­punk­te Gebo­ren 1955. Medi­zin­stu­di­um in Mainz (Deutsch­land), Lon­don und Bir­ming­ham (Gross­bri­tan­ni­en). Kli­nik­s­tä­tig­keit in ver­schie­de­nen Spi­tä­lern in Deutsch­land und Finn­land. Seit 1991 Pra­xis für Geburts­hil­fe und Gynä­ko­lo­gie in Lah­ti und Tam­pe­re, Finn­land. Mit­be­grün­der und Schatz­meis­ter der Anthro­po­so­phi­schen Ärz­te­ge­sell­schaft in Finn­land. Prä­si­dent der Inter­na­tio­na­len Ver­ei­ni­gung Anthro­po­so­phi­scher­Ärz­te­ge­sell­schaf­ten (IVAA).
Kon­takt Dr. med. Peter Zim­mer­mann
Fach­arzt für Gynä­ko­lo­gie und Geburts­hil­fe
Vell­a­mon­tie 4 as 2
FIN-15870 Hol­lo­la, Finn­land
E-Mail: peter.zimmermann@fimnet.fi

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