Ein JA für die Anthroposophische Medizin!

Wie ist das Ver­hält­nis von Schul­me­di­zin und Anthro­po­so­phi­scher Medi­zin?
Kom­ple­men­tär? Alter­na­tiv? Inte­gra­tiv? Braucht die Anthro­po­so­phi­sche Medi­zin ein Ja zur Kom­ple­men­tär­me­di­zin? Das Leben ist häu­fig bun­ter als Begriffs­de­fi­ni­tio­nen…

Rück­be­sin­nung auf sich selbst

Herr Duncker (Name von der Redak­ti­on geän­dert), 55-jäh­rig, Com­pu­ter­fach­mann in einer gros­sen Bank, Vater von zwei Kin­dern, treibt regel­mäs­sig Sport. Den­noch hat­te er von einem Tag auf den ande­ren Mühe mit dem Atmen, vor allem beim Trep­pen­stei­gen. Weil er seit Jah­ren nicht mehr krank gewe­sen ist, ver­fügt er über kei­nen Haus­arzt. Er ruft in der Ita Weg­man Kli­nik an. Auf der Not­fall­sta­ti­on zeigt sich rasch eine man­geln­de Sauer­stoff­sät­ti­gung im Blut. Im kaum merk­lich geschwol­le­nen lin­ken Bein wird eine Throm­bo­se dia­gnos­ti­ziert; die Ultra­schall­un­ter­su­chung des Her­zens ergibt eine Belas­tung des rech­ten Her­zens. Zusam­men mit moder­nen Blut­wert­un­ter­su­chun­gen kann inner­halb weni­ger Stun­den in ruhi­ger Atmo­sphä­re die Dia­gno­se von Lun­gen­em­bo­li­en gestellt und unver­züg­lich eine The­ra­pie ein­ge­lei­tet wer­den. Der Pati­ent muss über­wacht und hos­pi­ta­li­siert wer­den. Es fan­den sich kei­ne klas­si­schen Risi­ko­fak­to­ren oder Aus­lö­se­fak­to­ren für die Lun­gen­em­bo­li­en von Herrn Duncker. Bei der Hei­leu­ryth­mie jedoch hat­te der Com­pu­ter­fach­mann ent­schei­den­de Erleb­nis­se. Seit Jah­ren hat er kei­ne entspannte­ Bewe­gung mehr durch­ge­führt, see­li­sche Erleb­nis­se sind ins Sto­cken gera­ten. In den ärzt­li­chen Gesprä­chen konn­ten wesent­li­che Aspek­te über neue Lebens­ab­schnit­te ange­spro­chen wer­den – nach dem wär­men­den Nie­ren­wi­ckel muss­te er sogar ein­mal wei­nen. Jah­re ist es seit dem letz­ten Mal her, ist doch sein Leben äus­ser­lich gut gere­gelt. Ohne ver­ein­fa­chen­de Psy­cho­lo­gi­sie­rung wur­de dem indi­vi­du­el­len Gleich­ge­wicht nach­ge­spürt: innen – aus­sen? Oben – unten? Anspan­nung – los­las­sen? Natür­lich erga­ben sich dar­aus kei­ne ein­fa­chen Rezep­te. Aber Herr Duncker erhielt vie­le Anre­gun­gen, sel­ber auf Gleich­ge­wichts­su­che zu gehen. Das Ereig­nis Lun­gen­em­bo­lie wur­de zum Lebens­ab­schnitt und zur Anre­gung, neue Fra­gen an das Leben und die Zukunft zu stel­len.

Den eige­nen Weg gehen

Frau Auer (Name von der Redak­ti­on geän­dert) hat eine ande­re Geschich­te. Sie ist 52 Jah­re alt und lei­det seit dem 30. Lebens­jahr an einer Auto­im­mun­krank­heit, einem soge­nann­ten sys­te­mi­schen Lupus ery­the­ma­to­des. Die­se Krank­heit ist nicht sehr bekannt, aber auch nicht ganz sel­ten und unter ande­rem mit rheu­ma­ähn­li­chen Gelenk­schmer­zen ver­bun­den. Im Krank­heits­ver­lauf hat Frau Auer sehr vie­le Erfah­run­gen mit zahl­rei­chen Ärz­ten, Kli­ni­ken und The­ra­peu­ten gemacht, hat vie­le Hochs und Tiefs erlebt. Nach eini­gen Jah­ren hat sie gemerkt, dass bei ihr alle che­mi­schen Medi­ka­men­te nur einen sehr kur­zen posi­ti­ven Effekt und schon bald diver­se nega­ti­ve Aus­wir­kun­gen haben. Vor allem hat­te sie häu­fig das Gefühl, nicht mehr „sich sel­ber“ zu sein. Des­halb lehnt sie che­mi­sche Medi­ka­men­te nun ganz ab. Dabei hat sie lei­der mer­ken müs­sen, dass vie­le Spe­zia­lis­ten sich nicht mehr für sie ein­setz­ten, sich weni­ger für sie inter­es­sier­ten oder sich sogar expli­zit von ihr abwen­de­ten: „Dann kön­nen wir Ihnen nicht hel­fen“.
Auf der lan­gen Suche kam sie mit der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin in Berüh­rung. Durch die vie­len beglei­ten­den Mass­nah­men der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin – Medi­ka­men­te, Äus­se­re Anwen­dun­gen, The­ra­pi­en – hat sie ihren eige­nen Weg wie­der­ge­fun­den, und ihr eige­nes Emp­fin­den ist wie­der stark zurück­ge­kom­men. Auf­grund der Gelenks­be­ein­träch­ti­gun­gen geht sie mitt­ler­wei­le an Stö­cken und hat auch häu­fig Schmer­zen, wel­che sie in den all­täg­li­chen Ver­rich­tun­gen ein­schrän­ken. In Zusam­men­ar­beit mit den Ärz­ten hat sie jedoch vie­le Wege gefun­den, sich Licht­bli­cke zu ver­schaf­fen und ein inten­si­ves Leben zu füh­ren – auch mit einer schwe­ren Krank­heit.

Zusam­men die opti­ma­le The­ra­pie fin­den

Frau Tisch­hau­ser (Name von der Redak­ti­on geän­dert) lei­det an Brust­krebs. Seit Jah­ren ist sie in guter Beglei­tung eines schul­me­di­zi­ni­schen Krebs­spe­zia­lis­ten, wel­cher mit ihr Ope­ra­ti­on, Bestrah­lung und Che­mo­the­ra­pie bespro­chen und durch­ge­führt hat. Im Kon­takt mit ande­ren betrof­fe­nen Pati­en­tin­nen hat sie mehr­fach von der Mis­tel­the­ra­pie gehört, wes­halb sie sich in der ambu­lan­ten Sprech­stun­de der Lukas Kli­nik vor­stell­te. Bald war klar, dass die bei­den Ärz­te sich gut gegen­sei­tig infor­mier­ten und die unter­schied­li­chen Ansät­ze sich zum Wohl von Frau Tisch­hau­ser ergänz­ten. Sie weiss auch, dass sie sich im Not­fall bei bei­den Ärz­ten mel­den kann und zusam­men geschaut wird, was der nächs­te nöti­ge Schritt ist. Sie ist froh zu wis­sen, dass bei ihr die gesun­den Kräf­te ange­regt wer­den und die Krank­heit gut im Auge behal­ten wird.

Anthro­po­so­phi­sche Medi­zin und Schul­me­di­zin ergän­zen sich

Wie obi­ge Bei­spie­le zei­gen, gibt es sehr ver­schie­de­ne Ver­hält­nis­se der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin zur Schul­me­di­zin. Bei Herrn Duncker wur­de die vol­le Schul­me­di­zin in Dia­gno­se und The­ra­pie einer aku­ten Erkran­kung zum Wohl des Pati­en­ten ein­ge­setzt, danach ergänzt durch Hei­leu­ryth­mie. Frau Auer lehnt che­mi­sche Mit­tel aus indi­vi­du­el­len Grün­den prin­zi­pi­ell ab und fand Unter­stüt­zung und Beglei­tung auf ihrem Weg. Bei Frau Tisch­hau­ser arbei­ten die bei­den Metho­den par­al­lel zusam­men.
Die Fra­ge des Ver­hält­nis­ses von Anthro­po­so­phi­scher Medi­zin und Schul­me­di­zin lässt sich nicht ein­fach beant­wor­ten. Es ergibt sich aus der jewei­li­gen Lebenssitu­ation. Der Kern­punkt ist die indi­vi­du­el­le Suche der Pati­en­tin oder des Pati­en­ten, das eige­ne Ergrei­fen einer Situa­ti­on. Es geht letzt­lich um die Fra­ge von indi­vi­du­el­ler Ent­wick­lung im wei­tes­ten Sinn, wel­che sei­tens der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin durch meh­re­re Aspek­te wie zum Bei­spiel Medi­ka­men­te, Kunst-The­ra­pi­en, Äus­se­re Anwen­dun­gen, Gesprä­che und Ernäh­rung geför­dert wer­den kann.
Wich­tig ist die Tat­sa­che, dass die Anthro­po­so­phi­sche Medi­zin nicht vor der Schul­me­di­zin ste­hen bleibt, son­dern über sie hin­aus geht, sie erwei­tert, oder sie – im Wis­sen um die schul­me­di­zi­nisch „eigent­lich“ vor­ge­se­he­ne Vor­ge­hens­wei­se – bis­wei­len auch ersetzt.

Kom­ple­men­tär­me­di­zin in der Ver­fas­sung ver­an­kern

Damit die­ser anspruchs­vol­le, per­so­nal­in­ten­si­ve und frei­heit­li­che Ansatz erhal­ten, ver­stärkt, ver­bes­sert und noch inten­si­ver erforscht wer­den kann, ist eine Ver­an­ke­rung der Kom­ple­men­tär­me­di­zin in der Bunds­ver­fas­sung drin­gend nötig. Es braucht das Mit­ge­tra­gen­sein im all­ge­mei­nen Bewusst­sein der Bevöl­ke­rung, damit auch in Zukunft neue Wege im Umgang mit Gesund­heit und Krank­heit gefun­den wer­den kön­nen. In die­sem Sinn ist die Anthro­po­so­phi­sche Medi­zin drin­gend auf eine „Zukunft mit Kom­ple­men­tär­me­di­zin“ ange­wie­sen.

Autoren65

Fach­per­son Dr. med. Lukas Schöb
Arbeits­schwer­punk­te Fach­arzt für Inne­re Medi­zin FMH, Stu­di­um in Basel und Genf.
Fach­arzt­aus­bil­dung Inne­re Medi­zin in Erlen­bach, Dor­n­ach und Basel
mit kar­dio­lo­gi­schem Schwer­punkt. Seit 2001 als Lei­ten­der Arzt an der Ita Weg­man Kli­nik. Seit 2004 Ärzt­li­cher Lei­ter, seit 2005 Mit­glied der Kli­nik­lei­tung und seit 2008 im neu gebil­de­ten Ver­wal­tungs­rat.
Kon­takt lukas.schoeb@wegmanklinik.ch

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