Ein Dienst auf dem Notfall

An der Not­fall­ab­tei­lung eines Spi­tals zu arbei­ten, stellt eine täg­li­che Her­aus­for­de­rung dar. In beson­de­rer Wei­se gilt dies auch für die Arbeit an der Not­fall­am­bu­lanz der Kli­nik Arle­sheim. Denn die Men­schen, die hier Hil­fe suchen, kom­men mit den viel­fäl­tigs­ten Not­fäl­len, Beschwer­den und Nöten. Dabei ist die gros­se Her­aus­for­de­rung des ärzt­lich-kli­ni­schen Blicks und der uns zur Ver­fü­gung ste­hen­den Unter­su­chungs­me­tho­den, die Dring­lich­keit der Beschwer­den zu erken­nen und je nach Bedarf akut­me­di­zi­nisch oder mehr sozi­al­me­di­zi­nisch zu han­deln und so die indi­vi­du­ell best­mög­li­che The­ra­pie zu gewähr­leis­ten. 

Fin­de dich im Lich­te, mit der See­le Eigen­ton…“ Wenn nicht gera­de alle Lich­ter auf der Not­fall­sta­ti­on rot blin­ken, beginnt das gesam­te Not­fall­team (Ober­arzt, Pfle­ge­team und Assis­tenz­arzt) den Tag gemein­sam mit die­sem Spruch, den Rudolf Stei­ner 1924 Ita Weg­man und den Mit­ar­bei­ten­den des Kli­nisch-The­ra­peu­ti­schen Insti­tuts gege­ben hat.

Wir nut­zen die mor­gend­li­che Ruhe, um die sta­tio­nä­ren Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten auf der Not­fall­sta­ti­on und der IMC (Inter­me­dia­te Care, Inten­siv­über­wa­chungs­pfle­ge) gemein­sam mit der Pfle­ge zu visi­tie­ren. Dabei bespre­chen wir das wei­te­re Behand­lungs­pro­ze­de­re und klä­ren, ob die ein­zel­nen Pati­en­ten wei­ter auf der Not­fall­sta­ti­on ver­sorgt, auf die Sta­ti­on zur Wei­ter­be­hand­lung ver­legt oder ent­las­sen wer­den kön­nen. Nach­dem die wei­te­ren Behand­lungs­schrit­te geklärt sind, müs­sen für jeden Pati­en­ten die wesent­li­chen Punk­te in der Kran­ken­ge­schich­te notiert, Ver­ord­nun­gen geschrie­ben, alle Unter­su­chun­gen ange­mel­det, die The­ra­pie­an­mel­dun­gen aus­ge­füllt und die Kol­le­gen über die Pati­en­ten infor­miert wer­den, wel­che zu ihnen auf Sta­ti­on kom­men.

Ein aku­ter Not­fall

Wir sind gera­de im Zim­mer 240 bei Frau Huber auf Visi­te, als das Dienst­te­le­fon klin­gelt und ich von der Pfle­ge drin­gend zu einem ande­ren Pati­en­ten geru­fen wer­de. Ich ent­schul­di­ge mich bei der Pati­en­tin und gehe schnel­len Schrit­tes zu Herrn Mei­er, einem 79-jäh­ri­gen Mann, der gera­de eben in Beglei­tung sei­ner Toch­ter mit seit heu­te Mor­gen bestehen­den Schmer­zen in der Brust, aus­strah­lend in den lin­ken Arm, auf der Not­fall­sta­ti­on ein­ge­trof­fen ist. Nach einer kur­zen Ana­mne­se und Unter­su­chung stel­len wir die kli­ni­sche Ver­dachts­dia­gno­se eines aku­ten Koro­nar­syn­droms – eines mög­li­chen Herz­in­farkts – schlies­sen den Pati­en­ten an den Über­wa­chungs­mo­ni­tor an und lei­ten ein EKG ab. Wir behan­deln sofort mit Injek­tio­nen mit Cac­tus cp., Car­di­odo­ron und einer heis­sen Arni­ka-Herz­kom­pres­se.

Herr Mei­er ist mit den vie­len Kabeln und Schläu­chen nicht sehr glück­lich und fragt uns mehr­mals, ob das jetzt nicht ein biss­chen über­trie­ben sei, denn die Schmer­zen hät­ten sich nach der Sprit­ze in den lin­ken Ober­arm schon gebes­sert. Wäh­rend ich gera­de den Zugang für eine Infu­si­on lege, zeigt mir die Pfle­ge­fach­frau das EKG, mit dem die kli­ni­sche Dia­gno­se eines Herz­in­farkts bestä­tigt wird. Nach Aus­schluss von Kon­tra­in­di­ka­tio­nen und kur­zer Rück­spra­che mit Herrn Mei­er ver­an­las­sen wir die medi­ka­men­tö­se Sofort­be­hand­lung. Wir emp­feh­len Herrn Mei­er die Ver­le­gung ans Zen­trums­pi­tal zur Wie­der­eröff­nung (Stent) des ver­schlos­se­nen Herz­ge­fäs­ses. Er ist ein­ver­stan­den, und nach tele­fo­ni­scher Abspra­che mit dem dienst­ha­ben­den Kar­dio­lo­gen im Uni­ver­si­täts­spi­tal Basel kann er direkt ins Kathe­ter­la­bor ver­legt wer­den.

Vie­ler­lei Beschwer­den

In der Zwi­schen­zeit hat sich der War­te­be­reich in der Not­fall­am­bu­lanz gefüllt. Beschwer­de­ori­en­tiert und gemäss der medi­zi­ni­schen Dring­lich­keit wer­den die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten nach­ein­an­der auf­ge­ru­fen und unter­sucht: Wir schi­cken Herrn Gru­ber mit Schmer­zen im Sprung­ge­lenk ins Rönt­gen, machen bei der jun­gen Pati­en­tin mit Bauch­schmer­zen eine Blut­ent­nah­me und eine Ultra­schall­un­ter­su­chung und ver­sor­gen sie inner­lich und äus­ser­lich mit schmerz­stil­len­den, anthro­po­so­phi­schen Anwen­dun­gen. Wir ent­fer­nen die Zecke in der Leis­te bei Frau Buber und ent­las­sen sie mit einem den Juck­reiz stil­len­den Gel.

Nach einem sehr beweg­ten Vor­mit­tag – die sta­bi­len Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten der Nacht konn­ten zwi­schen-zeit­lich ver­legt wer­den – scheint nun ein wenig Ruhe auf der Not­fall­sta­ti­on ein­zu­keh­ren, und ich nut­ze die Chan­ce, mir in der Küche ein Mit­tag­essen zu orga­ni­sie­ren, da es für das Mit­ar­bei­ter­buf­fet lei­der schon zu spät ist.

Am Nach­mit­tag kom­men noch meh­re­re Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten, unter ande­rem eine bekann­te Pati­en­tin mit seit lan­gem bestehen­der chro­nisch venö­ser Insuf­fi­zi­enz (Durch­blu­tungs­stö­run­gen) und wie­der­holt offe­nen, nur lang­sam abhei­len­den Ulce­ra (Wun­den) am lin­ken Sprung­ge­lenk. Nor­ma­ler­wei­se wird sie von ihrer Haus­ärz­tin und der Spitex her­vor­ra­gend ver­sorgt, die­se sind jedoch gera­de in Feri­en, wes­halb sie sich nun auf der Not­fall­sta­ti­on vor­stellt. Wir rei­ni­gen die Wun­de mit ver­dünn­ter Calen­du­la-Essenz und ver­sor­gen sie mit der im Heil­mit­tel­la­bor neu ent­wi­ckel­ten Honigs­al­be.

Die Zeit an die­sem beweg­ten Tag am Not­fall ist schnell ver­flo­gen, und mei­ne Kol­le­gin aus dem Spät­dienst kommt, um mich abzu­lö­sen. Wir machen eine aus­führ­li­che Pati­en­ten­über­ga­be, und ich über­rei­che ihr das hoch­fre­quen­tier­te Dienst­te­le­fon.

Anspruchs­vol­les Zeit­ma­nage­ment

Nun ist es Zeit, die auf­ge­stau­te Doku­men­ta­ti­on zu erle­di­gen. Ich tip­pe die rele­van­ten Unter­su­chungs­be­fun­de und Behand­lungs­be­rich­te in den Com­pu­ter und benach­rich­ti­ge die jewei­li­gen Haus­ärz­tin­nen und Haus­ärz­te über die durch­ge­führ­ten The­ra­pi­en und den kli­ni­schen Zustand der behan­del­ten Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten. Wie in vie­len Berei­chen der Medi­zin nimmt auch hier die Doku­men­ta­ti­on an Wich­tig­keit und Zeit­auf­wand zu. Oft blei­ben uner­le­dig­te Berich­te lie­gen, die dann in einem ruhi­gen Nacht­dienst abge­ar­bei­tet wer­den müs­sen.

Zeit­ma­nage­ment ist eine gros­se Her­aus­for­de­rung im ärzt­li­chen Beruf. In unse­rer Genera­ti­on (Genera­ti­on Y) hat die Arbeit einen sehr hohen Stel­len­wert, doch wir wol­len nicht unser gan­zes Leben nach der Arbeit aus­rich­ten. Es ist immer wie­der eine Her­aus­for­de­rung mit unse­rer 50-Stun­den-Arbeits­wo­che, all die Anfor­de­run­gen zu erle­di­gen, die die­ser her­aus­for­dern­de Beruf an uns stellt. Oft bleibt da nichts ande­res übrig, als den Pati­en­ten und der Kli­nik unse­re Zeit in Form von Über­stun­den zu schen­ken, und dabei im offe­nen Dia­log mit unse­ren lei­ten­den Kol­le­gen, wel­che aus einer ande­ren Arbeits­kul­tur kom­men, die Zukunft zu gestal­ten. Unse­re Genera­ti­on ist nicht faul, nein, wir wol­len arbei­ten! Aber das sinn­erfüllt und mit Rück­sicht auf unse­re eige­nen indi­vi­du­el­len Bedürf­nis­se als Grund­vor­aus­set­zung, um den Bedürf­nis­sen und Nöten unse­rer Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten gerecht wer­den zu kön­nen.

Auf die Nöte der Men­schen ein­ge­hen

Die Not­fall­sta­ti­on in der Kli­nik Arle­sheim hat den Schwer­punkt „Inne­re Medi­zin“. Für Not­fäl­le aus den Fach­rich­tun­gen Chir­ur­gie, Psych­ia­trie und Inten­siv­me­di­zin arbei­ten wir inten­siv mit den Spi­tä­lern Bru­der­holz, Dor­n­ach und dem Uni­ver­si­täts­spi­tal Basel zusam­men.

Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mit unter­schied­lichs­ten Nöten und Beschwer­den, auch Men­schen in Lebens­kri­sen, mit Ängs­ten oder diver­sen Erschöp­fungs­syn­dro­men wen­den sich hil­fe­su­chend an die Not­fall­sta­ti­on der Kli­nik Arle­sheim. Oft hören wir: „Ich bin total ver­zwei­felt, Sie sind mei­ne letz­te Hoff­nung“ oder: „Ich weiss nicht, an wen ich mich sonst wen­den soll.“

Da das Not­fall­kon­zept der Kli­nik nicht pri­mär auf die­se Pati­en­ten­grup­pe aus­ge­rich­tet ist, stel­len die­se Men­schen eine beson­de­re Her­aus­for­de­rung für unser Team dar. Wir ver­su­chen, den Nöten der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten zu begeg­nen und ihnen, soweit es in unse­rer Mög­lich­keit liegt, eine unter­stüt­zen­de The­ra­pie oder, wenn es das Pati­en­ten­auf­kom­men zulässt, ein ent­las­ten­des Gespräch anzu­bie­ten. In die­sen Situa­tio­nen sind die äus­se­ren Anwen­dun­gen (die lie­be­voll von der Not­fall­pfle­ge durch­ge­führt wer­den) und die anthro­po­so­phi­schen Medi­ka­men­te eine unglaub­li­che Hil­fe.

Für mich sind die Nacht­diens­te in der Kli­nik Arle­sheim etwas ganz Beson­de­res. Ab Mit­ter­nacht wird es in der Not­fall­sta­ti­on meist ruhi­ger. Wenn man dann sei­ne nächt­li­che Run­de über die Sta­tio­nen dreht und von der Pfle­ge zum einen oder ande­ren Pati­en­ten geschickt wird, erge­ben sich oft die berüh­rends­ten Situa­tio­nen. Es sind die Momen­te, wo man auf ein­mal Zeit hat. Zeit, um die Hand eines ster­ben­den Pati­en­ten auf der Onko­lo­gie zu hal­ten, Zeit, ein ent­las­ten­des Gespräch mit einer Schmerz­pa­ti­en­tin auf der Psy­cho­so­ma­tik zu füh­ren, Zeit, um den Sor­gen und Ängs­ten einer jun­gen Pati­en­tin mit Mul­ti­pler Skle­ro­se ein Ohr zu schen­ken, und Zeit, mit dem Nacht­dienst aus der Pfle­ge einen Tee zu trin­ken.

Rück­schau und Aus­blick

Am Abend, bevor ich nach Hau­se gehe, kommt der dienst­ha­ben­de Ober­arzt am Not­fall vor­bei und bespricht mit uns noch­mals die schwie­ri­gen Fäl­le des Tages. Gemein­sam opti­mie­ren wir die The­ra­pi­en der sta­tio­nä­ren Not­fall­pa­ti­en­tin­nen und -pati­en­ten und pla­nen das wei­te­re Pro­ze­de­re. In die­sem Zusam­men­hang gibt es noch ein kur­zes Tea­ching (Lehr­ge­spräch) anhand einer aktu­el­len Kran­ken­ge­schich­te.

Doch jetzt klin­gelt das Dienst­te­le­fon – es ist die Kar­dio­lo­gin des Uni­ver­si­täts­spi­tals Basel. Sie berich­tet uns, dass bei der Koro­na­r­an­gio­gra­phie von Herrn Mei­er das ver­schlos­se­ne Herz­kranz­ge­fäss wie­der eröff­net und mit einem Stent ver­sorgt wer­den konn­te. Herr Mei­er ist wohl auf und wird vor­aus­sicht­lich mor­gen Vor­mit­tag zur Wei­ter­be­hand­lung in die Kli­nik Arle­sheim zurück­ver­legt.

Das gegen­wär­tig wal­ten­de Gesund­heits­sys­tem und Kran­ken­kas­sen­we­sen for­dern von uns Ärz­tin­nen und Ärz­ten, immer mehr Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten in der glei­chen Zeit zu behan­deln, ver­bun­den mit kür­ze­ren sta­tio­nä­ren Lie­ge­zei­ten und dar­aus resul­tie­rend kür­ze­ren Arzt-Pati­en­ten-Begeg­nun­gen. Trotz die­ser zuneh­men­den Her­aus­for­de­run­gen ver­su­chen wir, jeden Pati­en­ten in sei­ner Ganz­heit und Ein­zig­ar­tig­keit wahr­zu­neh­men und ihm die indi­vi­du­ell best­mög­li­che The­ra­pie anzu­bie­ten.

Ich bin in mei­nem Leben noch nie so gut betreut wor­den.
In der Kli­nik Arle­sheim bin ich als Mensch behan­delt wor­den.
Das hat mir gut getan. Und jetzt geht es mir immer noch so gut!”

H. M., Pati­en­tin

Autoren175

Fach­per­son Dr. med. Seve­rin Pöch­tra­ger
Arbeits­schwer­punk­te Medi­zin­stu­di­um in Wien. Ers­te kli­ni­sche Tätig­keit im Rah­men der All­ge­mein­me­di­zin­aus­bil­dung in Linz. Seit Herbst 2012 Assis­tenz­arzt Inne­re Medi­zin an der Ita Weg­man Kli­nik (jetzt: Kli­nik Arle­sheim)
Kon­takt severin.poechtrager@klinik-arlesheim.ch

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.