
Prof. Dr. med. Mark Fox, Facharzt für Gastroenterologie an der Klinik Arlesheim, baut aktuell die Funktionsdiagnostik an der Klinik auf.
Worum genau es dabei geht, welche Möglichkeiten damit verbunden sind und welche Ergebnisse erzielt werden können, schildert er im Gespräch mit Quinte-Redakteurin Verena Jäschke.
Was bedeutet Funktionsdiagnostik?
Gern möchte ich dies im Unterschied zur Standard-Gastroenterologie aufzeigen: Die Patientinnen und Patienten kommen zu uns mit einer Überweisung ihres Hausarztes, da sie über Magen-Darm-Beschwerden klagen. In aller Regel ist eine Endoskopie jeweils die erste Untersuchung in der Gastroenterologie. Damit können wir Erkrankungen wie Krebs und Entzündungen ausschliessen. Jeder will sichergehen, dass keine solche schwerwiegende Erkrankung vorliegt. Bei etwa einem Viertel der Patientinnen und Patienten diagnostizieren wir eine solche. Doch auch die anderen haben echte Beschwerden, die wir funktionelle Beschwerden nennen, weil sie aufgrund der Funktionsweise der Verdauungsorgane zustande kommen. Mit der Funktionsdiagnostik können wir den Patienten eine Erklärung geben, woher ihre Beschwerden kommen.
Ich habe in den letzten 20 Jahren die neuen Technologien für die Funktionsdiagnostik mit entworfen, sie gehören heute auch zu den Standards. Mit diesen Technologien können wir in vielen Fällen das liefern, was gewünscht ist: eine klare Diagnose, eine Erklärung für die Beschwerden und basierend darauf einen vernünftigen Therapieansatz.
Was genau sind funktionelle Beschwerden?
Funktionelle Beschwerden können an allen Stellen in unserem Verdauungssystem auftreten – von dem Moment an, in dem die Nahrung den Mund trifft, bis das Verdaute den Körper über den Darm wieder verlässt. Sie haben mit der Funktion des jeweiligen Organs zu tun.
Ich will das an zwei Beispielen darstellen: Hat ein Patient das Empfinden, die Nahrung würde zwischen Kehle und Magen steckenbleiben, dann sprechen wir von Schluckbeschwerden. Wenn bei einer Endoskopie keine Ursache für die Schluckbeschwerden entdeckt wird, dann kann ein Problem mit Krämpfen (Spasmen) in der Speiseröhre oder der Klappe zwischen Speiseröhre und Magen vorliegen. Das
Essen kann den Übergang zum Magen nicht passieren, es staut sich in der Speiseröhre, was zu den Beschwerden führt.
Das zweite Beispiel betrifft den Umstand, dass das Essen im Magen bleiben und nicht wieder hinaufsteigen sollte. Ein Rückfluss aus dem Magen in die Speiseröhre kommt sehr häufig vor. Solch ein Reflux ist oft eine Ursache für Sodbrennen und saures Aufstossen, aber auch von Schmerzen, chronischem Husten und anderen dauerhaften Halsbeschwerden.
Was können Sie dann tun?
Um die Ursache von solchen ösophagealen Beschwerden (die Speiseröhre betreffend) zu klären, wird eine hochauflösende Manometrie durchgeführt, im Fall von Refluxbeschwerden auch eine pH-Impedanzmessung. Die Manometrie ist eine Druckmessung der Speiseröhre, wobei ein sehr flexibler Schlauch mit vielen Drucksensoren durch die Nase bis in den Magen geführt wird. Die Sensoren liefern ein genaues Bild und geben somit Aufschluss über die Funktionsfähigkeit der Speiseröhre.
Da die Schluckbeschwerden in der Regel nicht beim Schlucken von Wasser bestehen, wird während der Untersuchung eine Testmahlzeit eingenommen. Klagt der Patient bei diesem Test über Schluckbeschwerden, dann sieht man während der Bildgebung, ob es Probleme mit Muskelspasmen in der Speiseröhre oder eine fehlende Funktion der Klappe zum Magen gibt. Entweder gibt es ein Zuviel an Funktion, was sich in Spasmen zeigt, oder zu wenig, wenn Kontraktionen fehlen.
Und wie gehen Sie bei Refluxbeschwerden vor?
Da haben wir die Möglichkeit, sowohl die Säure als auch die Nicht-Säure in der Speiseröhre zu messen (pH- resp. Impedanz Metrie). Dafür wird ebenfalls ein Schlauch durch die Nase eingeführt, nun aber eine ganz filigrane Sonde mit Säuremessungssensoren. Auch diese Untersuchung kann ambulant erfolgen, sodass der Patient nach Hause gehen und seinen normalen Alltag leben kann. Die Messung erfolgt über 24 Stunden und zeigt den Zusammenhang der Beschwerden mit dem Reflux.
Neuerdings ist es auch möglich, diese Messungen ohne Sonde durchzuführen, mit der sogenannten BRAVO-Technik: Dabei wird während der Untersuchung ein kleiner Sensor in die Schleimhaut der Speiseröhre gehängt. Das ist kaum zu spüren, man kann damit normal essen, arbeiten, seinen üblichen Tätigkeiten nachgehen. Mit dieser Untersuchung erhält man Informationen sogar über einen Zeitraum von bis zu vier Tagen. Nach diesem Zeitraum löst sich die Sonde von allein und verlässt den Körper auf normalem Weg. Über Funk werden die Ergebnisse auf ein Gerät eingespielt, das der Patient in die Praxis zurückbringt und von dem wir dann die Ergebnisse auswerten können.
Für welche anderen Beschwerden können Sie durch die Funktionsdiagnostik eine Erklärung liefern?
Probleme können sowohl mit dem Magen als auch mit dem Darm bestehen. So haben viele Menschen nach dem Essen ein Völlegefühl bis hin zu Übelkeit oder Erbrechen. Ein Teil dieser Menschen hat eine Magenentleerungsstörung, das Essen fliesst nicht regulär aus dem Magen weiter. Das ist gar nicht so selten. Häufig hat das mit dem Pylorus (Magenpförtner) zu tun, dem Schliessmuskel zwischen Magen und Zwölffingerdarm, der die Entleerung regulieren soll.
Als erstes Spital im Baselbiet haben wir die Möglichkeit, während einer Endoskopie die Muskeltätigkeit in diesem Bereich zu kontrollieren: mit der sogenannten Endo-FLIP-Messung. Bei dieser Untersuchung, die ebenfalls beim schlafenden Patienten erfolgt, wird ein Schlauch über den Mund in den Magen vorgeschoben. Auf der Spitze dieses Schlauchs ist ein Sack, der mit Flüssigkeit gefüllt wird. Verschiedene Sensoren dokumentieren das Volumen und den Druck, die sich gerade in dem Sack befinden. Der Sack wird aufgedehnt, nachdem der Schlauch den Pylorus passiert hat. Dann sieht man, wie stark der Muskel reagiert.
Es geht dabei wiederum um Spasmen. Wenn wir merken, dass die Muskelreaktion zu stark ist, dann können wir die Muskeln mit Medikamenten entspannen oder mechanisch (endoskopisch) erweitern. Das passiert allerdings erst in einem zweiten Schritt, damit wir mit dem Patienten die beste Lösung finden und besprechen können. Der Endo-FLIP-Katheter kann auch für den Schliessmuskel zwischen Speiseröhre und Magen verwendet werden, um die Probleme in diesem Gebiet zu diagnostizieren.
Wie sieht das beim Darm aus?
Die Verdauung beginnt erst, wenn das Essen aus dem Magen geflossen ist. Probleme mit der Verdauung im Dünn- und Dickdarm führen häufig zu Blähungen, Schmerzen sowie Stuhlunregelmässigkeiten (Verstopfung, Durchfall).
Diesen Verdauungsprozess können wir neuerdings mit einer Kombination aus Atemtest und Bildgebung untersuchen. Der Atemtest zeigt uns, wann die Nahrung in Kontakt kommt mit den Bakterien, die normalerweise in grossen Mengen nur im Dickdarm zu finden und für die gesunde Verdauung verantwortlich sind. Die Bildgebung macht sichtbar, wo dieses Zusammenkommen stattfindet, im Dickdarm oder doch schon im Dünndarm. Das Auftreten der
Patientenbeschwerden zeigt die klinische Relevanz. Alle Informationen sind für die Diagnose notwendig, das Wann, das Wo und das Auftreten von Symptomen beim Patienten. Es lässt sich damit auch darstellen, ob der Dünndarm von Bakterien überwuchert ist, die eigentlich nur in den Dickdarm gehören, oder ob eine klassische Nahrungsmittelintoleranz vorhanden ist. Als klassisch bezeichnen wir eine
Intoleranz, wenn die Beschwerden wie Blähungen und Schmerzen erst dann auftauchen, wenn die Nahrung im Dickdarm angekommen ist.
Wir nähern uns dem Ende des Verdauungsprozesses.
Was können Sie bei Beschwerden des Enddarms tun?
Auch im Enddarm treten oft Probleme auf. Eine vollständige Stuhlentleerung funktioniert bei den Meisten von allein und mit wenig Druck. So sollte das auch sein. Bei einer Verstopfung oder Stuhlentleerungsstörung ist das anders. Die normale Koordination des Schliessmuskels kann gestört sein, manchmal klemmt der betroffene Patient statt zu entspannen.
Auch dieses Problem kann mit hochauflösender Manometrie (Druckmessung) untersucht werden. Eine kleine Sonde wird dafür über den After eingeführt und dokumentiert die Funktion des Enddarms. Liegt das Problem der Verstopfung in der unbewussten Verspannung des Schliessmuskels, dann braucht der Patient kein Medikament, sondern das Problem kann durch Physiotherapie gelöst werden. Der Patient lernt durch ein Muskeltraining, das Beckenbodentraining, entspannt auf die Toilette zu gehen.
Bei anderen besteht eher das Problem der Stuhlinkontinenz. Auch dafür muss die Stärke resp. Schwäche des Schliessmuskels dokumentiert werden, wobei auch die Reservoirfunktion und Sensibilität des Enddarms gemessen werden. Diese Technik habe ich in den letzten Jahren entwickelt, sie kann hier an der Klinik angewendet werden.
Wie beschreiben Sie Ihren Ansatz in der Diagnostik?
Eines muss ganz klar sein, die beste Technologie der Welt ist nichts wert, wenn sie falsch verwendet wird. Die beschriebenen Untersuchungen zur Funktionsdiagnostik setzen wir erst nach einem ausführlichen Patientengespräch ein. Wir machen nur Untersuchungen, die Konsequenzen haben. Unser Ziel ist, die Beschwerden des Patienten richtig erklären zu können. Der Patient und sein Hausarzt wollen eine Erklärung. Das gilt natürlich auch für die Patientin und die Hausärztin. Deshalb reicht es nicht, in der Endoskopie nur schwerwiegende Probleme auszuschliessen. Die Erfahrung der modernen Medizin zeigt: Erst wenn wir das Problem richtig erklären können, ist es möglich, die passende Therapiemethode zu wählen. Gerade dafür hat sich die Funktionsdiagnostik bewährt.
Es ist uns bewusst, dass gewisse Untersuchungen eher als unangenehm empfunden werden, weshalb es von Vorteil ist, dass die Funktionsdiagnostik zunehmend gleich bei der endoskopischen Untersuchung eingesetzt werden kann. Schritt für Schritt untersuchen wir die Funktionen der Organe des Magen-Darm-Traktes, immer basierend auf einer genauen Anamnese und dem Gespräch mit dem Patienten, damit wir die beste Lösung für ihn finden.
Entstehen dadurch neue Perspektiven für die Patienten?
Jede Diagnostik ist auf die Therapie ausgerichtet. Wir sind in unserer Gastroenterologie daran, integrative Therapiekonzepte für funktionelle Darmerkrankungen zu entwickeln. Dafür entsteht aktuell eine Zusammenarbeit mit der Physiotherapie, Ernährungsberatung, Psychosomatik und den anthroposophischen Therapien, die an der Klinik Arlesheim angeboten werden. Neben den vielfältigen Erfahrungen der Mediziner und Therapeuten können auch neue Entwicklungen wie nicht-invasive Neuromodulation (Nervenstimulation mit Rhythm IC), Stuhltransplantation, Darmspülung (Peristeen) und ambulantes Beckenbodentraining (Acticore) in Anspruch genommen werden. Wir sehen mit
unserem integrativen Ansatz eine gute Möglichkeit, unseren Patientinnen und Patienten zu helfen, damit sich ihre Symptome reduzieren und ihre Lebensqualität im Alltag deutlich steigt.
Viel Erfolg für Ihre Entwicklung des Angebots!
Die wichtigsten Fakten zum Angebot:
Mögliche Untersuchungen von funktionellen Störungen des Magen-/Darmtraktes
bei Schluckbeschwerden, Essschwierigkeiten, Reflux, Regurgitationen, Brustschmerzen
• hochauflösende ösophageale Manometrie
• Endo-FLIP Untersuchung der Funktion der Speiseröhre
(unter Sedation)
bei Refluxbeschwerden, saurem Aufstossen, Brustschmerzen,
störendem Rülpsen (zusätzlich zur Manometrie)
• 24h-Impedanz-pH-Messung
• 48h-Bravo pH-Metrie mit drahtloser Technologie
(unter Sedation)
bei Obstipation, Stuhlentleerungsstörung, ungewolltem Stuhlverlust, anorektalen Schmerzen
• hochauflösende anorektale Manometrie und Ultraschall
• Barostat-Messung der Empfindlichkeit / Funktion des Rektums
bei Verdacht auf Nahrungsmittelintoleranz und bakterieller
Überwucherung des Dünndarms
• Laktose H2-Atemtest bei Verdacht auf Laktoseintoleranz
• Laktose H2-Atemtest mit Transitzeitbestimmung
Informationen und Anmeldung
Zentrum für integrative Gastroenterologie
Fachambulanzen der Klinik Arlesheim
Tel. Sekretariat 061 705 72 71
Fachperson |
Prof. Dr. med. Mark Fox |
Arbeitsschwerpunkte | Medizinstudium in Oxford, Facharztausbildung Gastroenterologie in London, Basel und Zürich, langjährige akademische Tätigkeit in Nottingham und Zürich, Leitender Arzt am St. Claraspital Basel, seit Anfang 2019 Leiter des neuen Zentrums für die Untersuchung und Behandlung von Motilitätsstörungen und funktionellen Erkrankungen des Verdauungssystems an der Klinik Arlesheim. |
Kontakt | mark.fox@klinik-arlesheim.ch |