Die Kraft der Berührung — berührende Kraft

Berüh­ren ist die Ges­te und das Grund­element der Pfle­ge. Pfle­ge ohne ­Berüh­rung ist nicht vor­stell­bar. In einer anthro­po­so­phi­schen Ein­rich­tung wie der Ita Weg­man Kli­nik ist das noch aus­geprägter der Fall – so auch an der onko­lo­gi­schen Tages­kli­nik.

Mit den anthro­po­so­phi­schen Anwen­dun­gen, das heisst mit der rhyth­mi­schen Ein­rei­bung, dem Ein­satz von Wickeln und Kom­pres­sen sowie den Waschun­gen kom­men wir sehr direkt mit der Pati­en­tin oder dem Pati­en­ten in Berüh­rung. Wir tun dies über die Haut, unse­rem gröss­ten Sin­nes­or­gan, und müs­sen uns dabei der Tat­sa­che bewusst sein, dass Berüh­rung gleich­zei­tig zur äus­se­ren auch eine inne­re Wahr­neh­mung aus­löst.

Berüh­rung zwi­schen Nähe und Distanz

Das mensch­li­che Grund­be­dürf­nis der Berüh­rung geht ein­her mit dem Bedürf­nis der Abgren­zung. Zur Nähe gehört Distanz, und zum Rhyth­mus gehö­ren Pau­sen. Das Leben geschieht zwi­schen ver­schie­de­nen Polen; ein­at­men – aus­at­men, auf­neh­men – abson­dern, wachen – schla­fen, anspan­nen – lösen.
Je nach Art – ob innig, warm, ange­schmiegt oder ob kalt, steif, bret­tig – und je nach Kör­per­be­reich, Geschwin­dig­keit und Dau­er kann die Berüh­rung als ange­nehm und ent­span­nend oder aber als bedroh­lich und distanz­los emp­fun­den wer­den. So gibt es tra­gen­de, mit­füh­len­de, anteil­neh­men­de Berüh­rung wie auch gedan­ken­lo­se, unper­sön­li­che oder küh­le Berüh­rung, und stets hängt untrenn­bar das äus­se­re Wahr­neh­men mit einem inne­ren Emp­fin­den zusam­men.

Berüh­ren und berührt wer­den

Als Pfle­ge­kraft ste­hen wir über die Berüh­rung, die wir aus­füh­ren, und über das eige­ne Berührt­wer­den innig in Bezug zur Pati­en­tin und zum Pati­en­ten, aber auch zu uns selbst. Berüh­rungs­qua­li­tät ist auch Aus­druck für Bezie­hungs­qua­li­tät zum Gegen­über und zu mir selbst.

Berüh­rung ist eine Form der non­ver­ba­len Kommunika­tion. Sprach­lich geht das Wort „berüh­ren“ auf das alt­ger­ma­ni­sche „rue­ren, ruo­ren“ zurück. Das wur­de im Sinn von „in Bewe­gung set­zen, bewe­gen“ gebraucht. Im Deut­schen ent­wi­ckel­te sich dar­aus einer­seits „anstos­sen, betas­ten, anfas­sen“, ander­seits die Bedeu­tung „in inne­re Bewe­gung ver­set­zen“.

In den Reli­gio­nen gibt es vie­le Bei­spie­le bedeut­sa­mer, hei­len­der, seg­nen­der Berüh­rung. In der Kunst wer­den wir von der Muse berührt – in die­sem Fal­le gar geküsst – und dar­aus ent­springt unse­re Inspi­ra­ti­on. Berüh­rung ist jedoch lei­der nicht nur Aus­druck von Nähe und Kon­takt, son­dern sie kann auch Aus­druck für Gewalt und Macht sein.

In unse­rem Pfle­ge­all­tag in der onko­lo­gi­schen Tages­kli­nik der Ita Weg­man Kli­nik ist die Berüh­rung „unser täg­lich Brot“: Der ers­te Hän­de­druck zur Begrüs­sung, das Ein­le­gen einer fei­nen Kanü­le, um eine Infu­si­on ein­flies­sen zu las­sen, das Aus­füh­ren anthro­po­so­phi­scher Anwen­dun­gen wie der rhyth­mi­schen Ein­rei­bung oder das Anle­gen eines Wickels, eine anteil­neh­men­de Ges­te, wenn beim Gegen­über Trä­nen flies­sen, das Behan­deln und Ver­sor­gen einer Wun­de, um nur eini­ge Bei­spie­le zu nen­nen.

Die Heil­kraft leben­di­ger Berüh­rung

Beson­ders innig ist die Berüh­rung bei den anthro­po­so­phi­schen Anwen­dun­gen wie zum Bei­spiel der rhyth­mi­schen Ein­rei­bung der Füs­se, der Bei­ne, des Rückens und der Brust als Teil­ein­rei­bung oder des gan­zen Kör­pers als Ganz­ein­rei­bung mit heil­sa­men und wohl­rie­chen­den Ölen, Lotio­nen oder Emul­sio­nen.

Die Berüh­rung und die damit ver­bun­de­ne Begeg­nung mit unse­rem Gegen­über geschieht dabei grund­sätz­lich in einer geben­den, lau­schen­den Ges­te der Stil­le, der Besin­nung und Kon­zen­tra­ti­on. Ein völ­li­ges Sich­ein­las­sen auf die Pati­en­tin und den Pati­en­ten ist von gröss­ter Wich­tig­keit. Aus der Geis­tes­ge­gen­wart soll gehan­delt wer­den. Dazu ist das wache Inter­es­se nötig, sich in eine haut­na­he, inni­ge Begeg­nung ein­zu­las­sen, und das Bestre­ben, sich mit dem Schick­sal der Pa­tientin oder des Pati­en­ten für die Zeit der Anwen­dung zu ver­bin­den. Die rhyth­mi­sche Ein­rei­bung ver­leiht so der mensch­li­chen Berüh­rung eine ihr dien­lich gebüh­ren­de Form.

Alles Leben­di­ge ist strö­men­de, flies­sen­de Bewe­gung. Mit­tels der rhyth­mi­schen Ein­rei­bung kön­nen strö­men­de Pro­zes­se im Men­schen gestal­tet oder auf­ge­grif­fen wer­den, das rhyth­mi­sche Prin­zip wird ange­regt, die Äther­kräf­te wer­den auf­ge­baut, belebt, der Wärme­or­ga­nis­mus unter­stützt, Star­re gelöst. Die See­le und das Ich kön­nen wie­der har­mo­ni­scher mit den Lebens­kräf­ten im Leib zusam­men­wir­ken. Mit der Wär­me im Geis­ti­gen und über die war­men Hän­de der Pfle­ge­kraft kann die Pati­en­tin oder der Pati­ent Wohl­tu­en­des und auch Heil­sa­mes in der Berüh­rung emp­fan­gen.

Eigen­be­ob­ach­tun­gen und Rück­mel­dun­gen der Pati­en­ten

In einer hoch­tech­ni­sier­ten Zeit, in der der Mensch eher ver­einsamt, kommt dem Berüh­ren und Berührt­wer­den ein beson­ders hoher Stel­len­wert zu. Berüh­rung hat des­halb auch an der onko­lo­gi­schen Tages­kli­nik in der Ita Weg­man Kli­nik eine gros­se Bedeu­tung.

Nach einem oft­mals sinn­vol­len und wich­ti­gen, aber mas­si­ven Ein­griff in die „Leib­lich­keit“ durch Che­mo­the­ra­pie, Bestrah­lung oder Ope­ra­ti­on, um die phy­sisch erschei­nen­de Krank­heit zu behe­ben, ist es von gros­ser Bedeu­tung, das Kör­per­emp­fin­den und die see­li­sche Befind­lich­keit zu sta­bi­li­sie­ren, zu stär­ken und die gesun­den Kräf­te zu mobi­li­sie­ren. Bei den äus­se­ren Anwen­dun­gen, wie zum Bei­spiel den rhyth­mi­schen Ein­rei­bun­gen wird über deren Wir­kung berich­tet: Bereits die Wär­me der Hän­de der Pfle­ge­kraft bringt eine Ent­span­nung, der Leib wird nach ope­ra­ti­ven Ein­grif­fen eher wie­der als Ein­heit emp­fun­den, die Wär­me ver­teilt sich im Kör­per, die Aus­schei­dung wird ange­regt, die Atmung ver­tieft sich, die See­le fühlt sich getra­gen und Unru­he darf sich ver­ab­schie­den.

Die Wir­kun­gen die­ser behut­sa­men „Berüh­rungs­kunst“ sind somit viel­fäl­tig und vari­ie­ren indi­vi­du­ell. Sie erleich­tern es aber den Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten in jedem Fall, bes­ser mit dem Krank­heits­ge­sche­hen umzu­ge­hen und die eige­nen Res­sour­cen zu stär­ken.

Die rhyth­mi­sche Ein­rei­bung wird ohne Druck ins Gewe­be mit einer strö­men­den, strei­chen­den, sau­gen­den Griff­qua­li­tät auf dem Kör­per der Pati­en­tin, des Pati­en­ten aus­ge­führt. Die war­me Hand taucht ein, ohne inva­siv zu sein und löst sich, ohne das Gewe­be zu ver­las­sen; so ent­steht eine rhyth­mi­sche, atmen­de Ges­te, wie ein Pul­sie­ren zwi­schen zwei Polen. Dies kann wär­mend, inkar­nie­rend, umhül­lend, auch lösend, ent­span­nend oder auch erfri­schend wir­ken. Das rhyth­mi­sche Prin­zip in der Behand­lung spricht das rhyth­mi­sche Prin­zip in der Pati­en­tin, dem Pati­en­ten an, d. h. die Äther­kräf­te (die Lebens­kräf­te) wer­den ange­regt und sta­bi­li­siert, das Kör­per­emp­fin­den unter­stützt, der Wärme­or­ga­nis­mus belebt. Die am Men­schen aus­zu­füh­ren­den For­men sind Kreis, Lem­nis­kate, Spi­ra­le und Pen­ta­gramm.

Anwen­dungs­bei­spie­le

Ganz­kör­per­ein­rei­bung mit Moor-Laven­del­öl (solum ­uli­gi­no­sum) wird ange­wandt bei Erschöp­fungs­zu­stän­den, zum Bei­spiel nach einer Chemo­therapie oder Bestrah­lung, wirkt anre­gend auf den Wärme­or­ga­nis­mus, Ver­span­nung lösend, Schmer­zen lin­dernd. Indi­ka­tio­nen sind Krebs-­Er­kran­kun­gen, phy­si­sche und psy­chi­sche Er­schöpfungszustände.

Fuss­ein­rei­bung mit Laven­del­öl 10 % oder Solar­­ple­xus-­Ab­strich mit Gold/Lavendel comp.-­Salbe bei Angst, Gedan­ken­krei­sen, Schlaf­lo­sig­keit, wirkt sta­bi­li­sie­rend, ent­span­nend, lösend, beru­hi­gend.
Eine spe­zi­el­le Form der rhyth­mi­schen Ein­rei­bun­gen sind die

Organ­ein­rei­bun­gen: Über dem Organ wird eine Metall­sal­be rhyth­misch auf­ge­tra­gen und ein­ge­rie­ben. Die Ein­rei­bung erfolgt in Form von Spi­ra­len oder der Lem­nis­kate, wobei die Kon­zen­tra­ti­on und Auf­merk­sam­keit der Pfle­ge­kraft ganz auf das unter der Haut lie­gen­de Organ gerich­tet ist; zum Bei­spiel Herz, Nie­re, Leber, Milz, Bla­sé. Die Anwen­dung bewirkt unter ande­rem eine Anre­gung und Bele­bung der mit dem Organ ver­bun­de­nen Kör­per­funk­ti­on. Jedem Organ ist ein Metall zuge­hö­rig.

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Fach­per­son Nina Frey
Arbeits­schwer­punk­te 1990 Dipl.-Pflegefachfrau für ­Psych­ia­trie HF, Arbeit in den ver­schie­dens­ten Gebie­ten der Pfle­ge (Psych­ia­trie, Gas­sen­ar­beit, Alten­pfle­ge, Spitex, Onko­logie, spi­talex­ter­ne Onko­lo­gie­pfle­ge). Seit 2006 in der Ita Weg­man Kli­nik, ­Mit­auf­bau der onko­lo­gi­schen Tages­klinik. Aus­bil­dung klas­si­sche Mas­sa­ge & Reflex­zonentherapie 1999, zur­zeit pal­lia­ti­ve care Lehr­gang Kan­tons­spi­tal St. Gal­len. Seit 2002 eige­ne Pra­xistä­tig­keit in ­Dor­n­ach und Umge­bung.
Kon­takt nina.frey@wegmanklinik.ch

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