Die Kamillen-Bauchkompresse

Seit­lich zusam­men­ge­krümmt liegt Frau S. auf ihrem Bett, als ich in ihr Zim­mer kom­me, ihrem Klin­gel­ruf fol­gend. Sie presst ihre Hän­de auf den Unter­leib, die Augen sind halb geschlos­sen, die Lip­pen zusam­men­ge­knif­fen. Auf mei­ne Fra­ge, was ich für sie tun kön­ne, ant­wor­tet sie, sie habe wie­der star­ke Krämp­fe.

Langwierige Krankengeschichte

An der inter­dis­zi­pli­nä­ren Pati­en­ten­be­spre­chung ges­tern Nach­mit­tag haben wir im Behand­lungs­team beschlos­sen, dass Frau S. in sol­chen Fäl­len eine Kamil­len-Bauch­kom­pres­se erhal­ten soll. Ich schla­ge ihr dies vor, und sie nimmt es ger­ne an. Kurz fas­se ich an ihre Füs­se und spü­re, dass sie eher kühl sind. Des­halb gebe ihr ihre Woll­so­cken, damit sie sie anzie­hen und sich so etwas auf­wär­men kann. Danach ver­las­se ich das Zim­mer, um die Kom­pres­se vor­zu­be­rei­ten.

Frau S. liegt bei uns auf der Sta­ti­on der Inne­ren Medi­zin mit einem aku­ten Schub ihres bereits seit eini­gen Jah­ren dia­gnos­ti­zier­ten Mor­bus Crohn – einer chro­nisch-ent­zünd­li­chen Darm­er­kran­kung. Sie ist 33 Jah­re alt, gross gewach­sen, fein­glied­rig und wirkt etwas aus­ge­zehrt. Sie hat kur­zes, dün­nes, dunk­les Haar, etwas matt, und brau­ne Augen. Die Haut ist hell ohne Leber­fle­cken und etwas stumpf und dünn. Man sieht, dass die Lebens­kräf­te in den letz­ten Jah­ren wenig Raum hat­ten, sich auf­zu­bau­en.

Wärmende Heilimpulse …

Draus­sen im Gang gebe ich der Pfle­ge­hel­fe­rin den Auf­trag, einen Kamil­len­blü­ten­tee vor­zu­be­rei­ten. Sel­ber gehe ich in den Wickel­raum und lege alle benö­tig­ten Mate­ria­li­en bereit: ver­schie­de­ne Tücher zum Trän­ken, Aus­wrin­gen und Warm­hal­ten, ein wei­ches Woll­tuch, das hül­lend als Abschluss um den Unter­leib gelegt wird, sowie eine Wärm­fla­sche.
Mit dem frisch gekoch­ten Tee und all mei­nen sie­ben Sachen gehe ich zurück zur Pati­en­tin. Sie liegt immer noch ver­krampft da. Ich schlies­se die Vor­hän­ge und sor­ge dafür, dass kein Tele­fon­an­ruf sie stört, damit sie die Anwen­dung in Ruhe auf­neh­men kann. Danach bit­te ich sie, ihren dün­nen Pul­li nach oben zu schie­ben, und lege das vor­ge­wärm­te Woll­tuch behut­sam unter ihren Rücken.

Vor­sich­tig gies­se ich den heis­sen Tee über das Sub­stanz­tuch in der Schüs­sel, und sofort brei­tet sich im Raum ein süss­lich-her­ber, ange­neh­mer Duft aus. Ich wrin­ge das Tuch so tro­cken wie mög­lich aus, damit es lan­ge warm bleibt. Nun lege ich es ihr sanft auf den schmer­zen­den Unter­bauch, decke es sofort mit dem Zwi­schen­tuch zu und schlies­se dann das Woll­tuch satt um sie. Sie atmet tief aus. Zum Abschluss lege ich ihr eine leich­te Wärm­fla­sche dar­auf, damit die Wär­me nicht so schnell schwin­det.

Ich fra­ge sie, ob sie bequem liegt. Sie wünscht sich ein Kis­sen unter die Knie. Dies ent­spannt die Bauch­de­cke. Nun decke ich sie sorg­sam zu und wün­sche ihr eine gute Ruhe.
An die geschlos­se­ne Türe hän­ge ich ein Schild mit der Auf­schrift „Wickel – bit­te nicht stö­ren!“.

… mit wohltuender Wirkung

Nach einer guten hal­ben Stun­de gehe ich wie­der zu Frau S., um die Kom­pres­se abzu­neh­men. Sie scheint ein­ge­schla­fen zu sein und öff­net die Augen, als ich lei­se ein­tre­te. Sie atmet tief ein und schenkt mir ein lei­ses Lächeln. Die Stim­mung im Zim­mer ist eine ganz ande­re, viel leich­ter und licht­vol­ler. Ich zie­he die nas­sen Tücher unter dem Woll­tuch her­vor, sage ihr, dass sie noch nach­ru­hen darf, und ver­las­se das Zim­mer wie­der. Ich spre­che wenig mit ihr, um die Ruhe nicht zu stö­ren.

Spä­ter tref­fe ich sie auf dem Gang. Sie erzählt mir, sie habe sich gut ent­span­nen kön­nen. Wäh­rend der Nach­ru­he habe sie zur Toi­let­te gehen müs­sen, und es sei viel weni­ger schmerz­haft gewe­sen als sonst. Momen­tan sei sie prak­tisch schmerz­frei. Ich freue mich über die wun­der­bar krampf­lö­sen­de und schmerz­stil­len­de Wir­kung die­ser Kamil­len­bauch-Kom­pres­se und doku­men­tie­re es so.

Beruhigt und umsorgt

Für mich ist dies ist ein ein­drück­li­ches Bei­spiel für die hei­len­de Wir­kung der Kamil­le. Über­all dort, wo krampf­ar­ti­ge Schmer­zen im Ver­dau­ungs­trakt auf­tre­ten, aber auch bei ner­vö­ser Unru­he oder Schlaf­lo­sig­keit, kann sie ein­ge­setzt wer­den. Sie wirkt krampf­lö­send, ent­zün­dungs­hem­mend und beru­hi­gend. In ihrem latei­ni­schen Namen „Matri­ca­ria cha­mo­mil­la“ steckt das Wort „Mater“, also Mut­ter, und ich fin­de es so wun­der­bar pas­send, hat die­se Heil­pflan­ze doch etwas Müt­ter­li­ches, Umsor­gen­des, Trös­ten­des in sich. Aus die­ser Per­spek­ti­ve ist denn auch gut nach­voll­zieh­bar, dass die Kamil­le auch bei klei­nen Kin­dern sehr ange­zeigt ist, für ähn­li­che Beschwer­den – eben­so wie bei Mens­trua­ti­ons­be­schwer­den.

Wei­ter zeigt das Bei­spiel auf, dass eine Kom­pres­se mehr ist, als nur ein mit Wirk­stoff getränk­tes Tuch auf­zu­le­gen: Es bedeu­tet viel­mehr, sich dem Men­schen, der hil­fe­su­chend vor mir steht, acht­sam zuzu­wen­den, ihn wahr­zu­neh­men und ihm Zuwen­dung und Zeit in lie­be­vol­ler Ges­te zu schen­ken. Und gera­de die­se Kom­bi­na­ti­on macht für mich die Äus­se­ren Anwen­dun­gen so wirk­sam.

Fach­per­son

Rebek­ka Lang

Arbeits­schwer­punk­te Seit 2008 an der Kli­nik Arle­sheim tätig
als dipl. Pfle­ge­fach­frau, seit 2012 ver­mehrt
Auf­ga­ben in der Aus­bil­dung, heu­te Aus­bil­dungs­ver­ant­wort­li­che Pflege.Grundkurs Anthro­po­so­phi­sche Pfle­ge.
Exper­tin Rhyth­mi­sche Ein­rei­bun­gen IFAN.
Kon­takt rebekka.lang@klinik-arlesheim.ch

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