Die anthroposophische und komplementäre Medizin als Vorbild

Eine nie­der­län­di­sche Stu­die mit einer gros­sen Zahl an Pati­en­ten­da­ten zeigt signi­fi­kan­te Kos­ten­un­ter­schie­de zwi­schen Schul- und Kom­ple­men­tär­me­di­zin. Zusam­men mit frü­her erschie­ne­nen Unter­su­chun­gen legt sie den Schluss nahe,
dass der ver­mehr­te Mit­ein­be­zug kom­ple­men­tä­rer The­ra­pie­ver­fah­ren in die Gesund­heits­ver­sor­gung nicht nur hel­fen kann, Kos­ten zu spa­ren, son­dern auch das Kos­ten-Nut­zen-Ver­hält­nis kon­ven­tio­nel­ler The­ra­pi­en zu erhö­hen.
Die ärzt­li­che Anthro­po­so­phi­sche Medi­zin wird bald schon defi­ni­tiv Bestand­teil der obli­ga­to­ri­schen Grund­ver­si­che­rung sein, zusam­men mit der Homöo­pa­thie, der Tra­di­tio­nel­len Chi­ne­si­schen Medi­zin sowie der Phy­to­the­ra­pie. Vor­aus­set­zung ist, dass die­se kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­schen Metho­den von Ärz­tin­nen und Ärz­ten mit einem ent­spre­chen­den Fähig­keits­aus­weis aus­ge­übt wer­den. Damit wird ein wich­ti­ges Anlie­gen der Volks­in­itia­ti­ve „Ja zur Kom­ple­men­tär­me­di­zin“ umge­setzt. Der par­la­men­ta­ri­sche Gegen­vor­schlag dazu war im Mai 2009 mit einer kla­ren Mehr­heit von ins­ge­samt 67 Pro­zent der Stim­men in allen Kan­to­nen ange­nom­men wor­den.

Patientenbezogener Kostenvergleich

Wie zweck­mäs­sig und unter dem Aspekt der Wirt­schaft­lich­keit und der Wirk­sam­keit sinn­voll die defi­ni­ti­ve Ver­an­ke­rung der ärzt­li­chen Kom­ple­men­tär­me­di­zin in der Grund­ver­si­che­rung ist, macht eine gross­an­ge­leg­te Stu­die in den Nie­der­lan­den deut­lich, deren Resul­ta­te 2014 im Bri­tish Medi­cal Jour­nal ver­öf­fent­licht wur­den.*
Die Unter­su­chung basier­te auf mehr als 1.5 Mil­lio­nen Daten­sät­zen des Ver­si­che­rers Agis, die sechs Jah­re umfass­ten. Dabei wur­den im Rah­men der obli­ga­to­ri­schen Kran­ken­ver­si­che­rung die Kos­ten für Arzt­be­su­che, Spi­tal­leis­tun­gen, Medi­ka­men­te und para­me­di­zi­ni­sche Leis­tun­gen wie vor allem Phy­sio­the­ra­pi­en erfasst sowie zusätz­lich die Kos­ten für Leis­tun­gen, die über frei­wil­li­ge Zusatz­ver­si­che­run­gen gedeckt waren.
Ver­gli­chen wur­den dabei die Kos­ten von 1‘512‘773 Pati­en­ten einer­seits, die durch­ge­hend bei einem kon­ven­tio­nel­len, rein schul­me­di­zi­ni­schen All­ge­mein­arzt in Behand­lung waren (CON-Pati­en­ten), und ande­rer­seits die­je­ni­gen von 18‘862 Pati­en­ten von All­ge­mein­ärz­ten mit einer kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­schen Zusatz­aus­bil­dung (CAM-Pati­en­ten). Zusätz­lich ver-
gli­chen wur­den die Kos­ten im letz­ten Lebens­jahr sowie die Sterb­lich­keit in den bei­den Grup­pen.
Bei 64 Pro­zent der 110 Ärz­tin­nen und Ärz­te mit einer kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­schen Zusatz­aus­bil­dung han­del­te es sich um anthro­po­so­phisch aus­ge­rich­te­te Grund­ver­sor­ger, wes­we­gen den Ergeb­nis­sen vor allem auch im Hin­blick auf die Anthro­po­so­phi­sche Medi­zin gros­se Bedeu­tung zukommt.

Signifikante Kostenunterschiede

Die sta­tis­tisch kor­ri­gier­ten Kos­ten­da­ten zei­gen fol­gen­des Bild: Die durch­schnitt­li­chen Grund­ver­si­che­rungs­kos­ten pro Pati­ent und Jahr waren bei den CAM-Pati­en­ten um 225
Euro oder um 12.4 Pro­zent tie­fer als bei den CON-Pati­en­ten. Umge­kehrt lagen die Kos­ten in der frei­wil­li­gen Zusatz­ver­si­che­rung bei den CAM-Pati­en­ten um 33 Euro höher, was eine jähr­li­che Net­to­er­spar­nis bei den Gesamt­kos­ten um
192 Euro oder 10.1 Pro­zent ver­gli­chen mit den CON-Pati­en­ten ergab. Die­se Ein­spa­run­gen wur­den vor allem bei den Spi­tal­kos­ten erzielt, die um 165 Euro tie­fer lagen, sowie bei den um 58 Euro tie­fe­ren Medi­ka­men­ten­kos­ten.
Eine beson­ders gros­se und hoch­si­gni­fi­kan­te Kos­ten­dif­fe­renz (356 Euro) zuguns­ten der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mit einem kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­schen Grund­ver­sor­ger zeig­te sich in der Alters­grup­pe der 50- bis 74-Jäh­ri­gen, eben­falls vor allem wegen deut­lich gerin­ge­rer Spi­tal- und Medi­ka­men­ten­kos­ten. Auch bei den 75-Jäh­ri­gen und Älte­ren waren die Kos­ten­dif­fe­ren­zen über­durch­schnitt­lich hoch. Das Glei­che gilt hin­sicht­lich der Kos­ten im letz­ten Lebens­jahr. Die­se lagen bei den CAM-Pati­en­ten im Durch­schnitt 1‘116 Euro tie­fer, ins­be­son­de­re auf­grund deut­lich gerin­ge­rer Spi­tal­kos­ten. Bei der Sterb­lich­keit erga­ben sich kei­ne signi­fi­kan­ten Unter­schie­de zwi­schen den bei­den Pati­en­ten­grup­pen, das heisst die Kos­ten­ein­spa­run­gen bei den CAM-Pati­en­ten wur­den nicht zulas­ten einer höhe­ren Sterb­lich­keit erzielt.

Zusätzliche Fakten zugunsten der Komplementärmedizin

In der Dis­kus­si­on der Ergeb­nis­se wei­sen die bei­den Stu­di­en­au­toren dar­auf hin, dass die gesam­te Kos­ten­er­spar­nis in der obli­ga­to­ri­schen Grund­ver­si­che­rung für die CAM-Pati­en­ten wäh­rend des unter­such­ten Zeit­raums von sechs Jah­ren rund 25.5 Mil­lio­nen Euro betrug. Unter Abzug der höhe­ren Kos­ten in der frei­wil­li­gen Zusatz­ver­si­che­rung betrug der Unter­schied zuguns­ten der Kom­ple­men­tär­me­di­zin noch immer 21.7 Mil­lio­nen Euro, und hoch­ge­rech­net auf die gesam­te nie­der­län­di­sche Bevöl­ke­rung ergä­be sich ein jähr­li­ches Ein­spar­po­ten­zi­al von 3.23 Mil­li­ar­den Euro, Grund- und Zusatz­ver­si­che­rung zusam­men­ge­rech­net.
Auf­grund der Stu­di­en­an­la­ge konn­ten zwar in der nie­der­län­di­schen Unter­su­chung kei­ne Daten zum Gesund­heits­zu­stand der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten, zum Schwergrad der Erkran­kun­gen, zur Wirk­sam­keit der Behand­lung, zu uner­wünsch­ten Neben­wir­kun­gen oder zur Pati­en­ten­zu­frie­den­heit erho­ben wer­den. Die Autoren wei­sen jedoch dar­auf hin, zahl­rei­che ande­re Ver­gleichs­stu­di­en von kom­ple­men­tä­ren und kon­ven­tio­nel­len The­ra­pi­en hät­ten gezeigt, dass kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­sche Grund­ver­sor­ger häu­fi­ger Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mit schwe­ren und vor allem chro­ni­schen Krank­hei­ten behan­deln. Das gilt im Beson­de­ren auch für anthro­po­so­phi­sche Ärz­tin­nen und Ärz­te.
Umkehrt berich­ten CAM-Pati­en­ten von weni­ger Neben­wir­kun­gen und zei­gen eine höhe­re Zufrie­den­heit mit den Behand­lun­gen. In Nach­be­fra­gun­gen ergab sich, dass ihre Erwar­tun­gen zu einem höhe­ren Pro­zent­satz erfüllt wor­den waren. Beson­ders schätz­ten die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten, dass die kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­schen und im Beson­de­ren auch die anthro­po­so­phi­schen Ärz­tin­nen und Ärz­te ihnen viel aus­ge­präg­ter als die kon­ven­tio­nel­len Grund­ver­sor­ger Gehör schenk­ten, sich mehr Zeit für sie nah­men und mehr Inter­es­se an ihrer per­sön­li­chen Situa­ti­on zeig­ten. Ent­spre­chend fiel es ihnen leich­ter, über ihre Pro­ble­me zu spre­chen. Sie fühl­ten sich zudem bei den medi­zi­ni­schen Ent­schei­dun­gen stär­ker mit­ein­be­zo­gen.

Die Schul- kann von der
Komplementärmedizin viel lernen

Die­se Resul­ta­te ent­spre­chen gemäss den Stu­di­en­au­toren der Grund­aus­rich­tung der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin, die unter ande­rem viel Wert auf eine gute Arzt-Pati­en­ten-Bezie­hung und -Kom­mu­ni­ka­ti­on legt, sowie auch dar­auf, Ent­schei­de gemein­sam zu tref­fen. Sie kom­men zum Schluss, es sei an der Zeit, dass Gesund­heits­po­li­ti­ker und -fach­leu­te mehr Inter­es­se am Mit­ein­be­zug der Kom­ple­men­tär­me­di­zin in die Gesund­heits­ver­sor­gung ent­wi­ckel­ten. Die­se habe näm­lich auf­grund der vie­len bereits vor­han­de­nen Stu­di­en­da­ten gezeigt, dass sie im Ver­gleich zur kon­ven­tio­nel­len Medi­zin nicht nur in sub­stan­zi­el­lem Aus­mass Kos­ten ein­spa­ren kön­ne, son­dern dar­über hin­aus auch sehr kos­ten­ef­fek­tiv sei, das heisst ein bes­se­res Kos­ten-Nut­zen-Ver­hält­nis auf­wei­se.
Ein zusätz­li­cher Vor­teil nicht nur anthro­po­so­phi­scher, son­dern auch ande­rer kom­ple­men­tä­rer The­ra­pie­me­tho­den besteht dar­in, dass die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten ganz­heit­lich behan­delt und dazu ange­regt wer­den, sich aktiv am Gene­sungs­pro­zess zu betei­li­gen und Eigen­ver­ant­wor­tung für ihre Gesund­heit zu über­neh­men. Ihnen kommt somit auch ein wich­ti­ger prä­ven­ti­ver Aspekt zu. Er wirkt sich zusam­men mit den Behand­lungs­er­fol­gen nicht nur auf das Gesund­heits­we­sen, son­dern auch auf die Gesell­schaft aus, zum Bei­spiel in Form von gerin­ge­ren Krank­heits­ab­sen­zen am Arbeits­platz.
Ent­spre­chend regen die Stu­di­en­au­toren an, in wei­te­ren Unter­su­chun­gen die tie­fer­lie­gen­den Ursa­chen für die mar­kan­ten Kos­ten­un­ter­schie­de kom­ple­men­tä­rer und kon­ven­tio­nel­ler The­ra­pi­en sowie auch den dar­über hin­aus­ge­hen­den gesell­schaft­li­chen Nut­zen genau­er zu ergrün­den. Dies nicht zuletzt auch im Hin­blick auf unter­schied­li­che The­ra­pie­an­sät­ze bei spe­zi­fi­schen Beschwer­den. Die Erkennt­nis­se könn­ten in der Fol­ge auch kon­ven­tio­nel­len Ärz­ten hel­fen, ihre the­ra­peu­ti­schen Pro­zes­se kos­ten­ef­fi­zi­en­ter zu gestal­ten.

 

Fach­per­son

Dr. oec. Hans-Peter Stu­der

Arbeits­schwer­punk­te Seit lan­gem Mit­glied des Redak­ti­ons­teams der Quin­te, selb­stän­di­ger Gesund­heits- und Mit­welt­öko­nom, Semi­nar­lei­ter sowie Autor des neu erschie­ne­nen Buches „Nata­le Fer­ro­na­to – Ein Ver­mächt­nis für die Zukunft der Heil­kun­de“.
Kon­takt hpstuder@swissonline.ch

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