Der Teil und das Ganze

An die­sem Punkt kann die Anthro­po­so­phie eine ent­schei­den­de und spe­zi­fi­sche metho­di­sche Auf­ga­be in der Ent­wick­lung der Wis­sen­schaft über­neh­men.

Ein Blick auf die Geschich­te der Wis­sen­schaft zeigt: Dem Wan­del unter­wor­fen sind meist nicht die Fak­ten der For­schung, son­dern die Inter­pre­ta­tio­nen der Fak­ten und das den Inter­pre­ta­tio­nen zugrun­de lie­gen­de Natur­ver­ständ­nis.

Seit 400 Jah­ren spielt sich aller­dings im wis­sen­schaft­li­chen Main­stream etwas Ein­drück­li­ches und im wahrs­ten Sin­ne Frag­wür­di­ges ab: Auch das den Inter­pre­ta­tio­nen zugrun­de­lie­gen­de Natur­ver­ständ­nis will sich nicht mehr dem Wan­del unter­wer­fen! Auf eigen­tüm­li­che Wei­se scheint es der­art sta­bil und unver­letz­lich zu sein, dass ein Infra­ge­stel­ler Gefahr läuft, ent­we­der der Ket­ze­rei oder der Naivi­tät bezich­tigt zu wer­den. Das reduk­tio­nis­tisch-deter­mi­nis­ti­sche Para­dig­ma als Cre­do der heu­ti­gen Wis­sen­schaft über­leb­te bis­her selbst sei­ne irrever­si­ble Aus­ser­kraft­set­zung und Wider­le­gung durch die moder­ne Phy­sik! Es wird unter­sucht wer­den müs­sen, woher die­ses reduk­tio­nis­ti­sche Para­dig­ma sei­ne ein­drück­li­che Kon­sis­tenz bezieht.

Die Quan­ten­phy­sik kon­fron­tiert seit Jahr­zehn­ten das gän­gi­ge uni­ver­si­tä­re Welt­ver­ständ­nis mit der For­de­rung zum Umden­ken im Bereich der wissenschafts­theoretischen Fun­da­men­te. Die Quan­ten­theo­rie beweist expe­ri­men­tell und beschreibt, dass die Mate­rie ganz­heit­li­chen Cha­rak­ter hat und nicht aus Teil­chen zusam­men­ge­fügt ist. Die­se Erkennt­nis ist erschüt­tern­der­wei­se nicht kom­pa­ti­bel mit dem gän­gi­gen ato­ma­ren Welt­bild.

Das ist aller­dings nicht die ein­zi­ge Her­aus­for­de­rung, wel­cher sich das reduk­tio­nis­ti­sche Welt­ver­ständ­nis gegen­übersieht. Die phä­no­me­no­lo­gisch beton­te Sicht­wei­se hat bei­spiels­wei­se in den For­schun­gen von Rupert Sheld­ra­ke die mor­phi­schen und morphoge­netischen Fel­der nach­ge­wie­sen, wel­che unter ande­rem plau­si­bel machen, dass Ursa­chen für eine Wir­kung auch in der Zukunft lie­gen kön­nen. Die her­kömm­li­che Wis­sen­schaft ist sol­chen grund­le­gen­den Tat­sa­chen gegen­über kon­ster­niert.

Ein wei­te­rer Affront gegen­über der kon­ven­tio­nel­len wissen­schaftlichen Welt trat anfangs des 20. Jahr­hun­derts durch Rudolf Stei­ner, den Begrün­der der Anthro­po­so­phie, zu Tage. Er sag­te, dass der Wis­sen­schafts­be­griff ohne die Erkennt­nis des Men­schen als geis­ti­ges Wesen wert­los sei, denn jedes wis­sen­schaft­li­che Urteil kom­me durch das Denk­ver­mö­gen des For­schers zustan­de und die­ses sei zunächst eine rein geis­ti­ge Tätig­keit! Das Resul­tat der Denk­tä­tig­keit aller­dings stüt­ze sich – zur Bewusst­wer­dung des Gedach­ten – sehr wohl auf die neu­ro­na­len Vor­gän­ge des Gehirns ab, so Stei­ner. Eine ernst­zu­neh­men­de Beschrei­bung des Erkennt­nis­vor­gangs, wel­che sich mit dem reduk­tio­nis­ti­schen Ansatz sowe­nig ver­trägt wie Feu­er mit Was­ser.

Alle drei die­ser wis­sen­schafts­ge­schicht­li­chen Ein­schlä­ge for­dern ein neu­es Her­an­tre­ten an die Erschei­nun­gen der Welt, ein neu­es For­schungs­ver­ständ­nis: Sie sind nicht ein­sei­tig auf die durch Ana­ly­se erforsch­ten Fak­ten und Wis­sens-Bruch­stü­cke aus­ge­rich­tet, son­dern auch auf deren Sinn­zu­sam­men­hang, auf das geis­ti­ge Band, wel­ches dem Erforsch­ten zugrun­de liegt, auf die Ganz­heit. Mit die­sem Ansatz hängt eine zukünf­ti­ge wis­sen­schaft­li­che Gesin­nung und Arbeit zusam­men – sie ist offen für alles und frei von Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen und Dog­men.

Auf­grund die­ser drei im bes­ten Sin­ne her­aus­for­dern­den Rufe zum Umden­ken tut die Uni­ver­si­tät nichts Gefähr­li­ches, wenn sie sich in allem Ernst und aller Gründ­lich­keit die Fra­ge nach einer neu­en Metho­de stellt. Einer Metho­de, wel­che das uni­ver­sel­le und ein­zi­ge Ver­fah­ren der auf Teil­chen fixier­ten Welt­an­schau­ung, die Ana­ly­se, erwei­tert durch das Erfas­sen von Ganz­hei­ten. Die­se metho­di­sche Fra­ge muss als For­de­rung einer neu­en Wis­sen­schaft zunächst erkannt und exakt geklärt wer­den.

Autoren96

Fach­per­son Dr. med.
Chris­toph Schult­hess
Arbeits­schwer­punk­te Als 20-jäh­ri­ger Zür­cher-Ober­län­der stand Chris­toph Schult­hess vor der weit­reichenden Fra­ge: Wer­de ich Arzt oder Bau­er? Wie bei jeder wich­ti­gen Fra­ge, so leg­te sich auch hier der geheim­nis­vol­le Schlei­er der Un­schärfe über die Ent­schei­dung, und er begann das Medi­zin­stu­di­um in Bern, wel­ches er 1979 ab­schloss. 1984 eröff­ne­te er in der Stadt Bern inner­halb des „Medi­zi­nisch-künst­le­ri­schen The­ra­peu­ti­kums“ eine Gemein­schafts­pra­xis für All­ge­mein­me­di­zin und betreu­te als Schul­arzt die Ber­ner Rudolf Stei­ner Schu­le. Nach 6 Jah­ren zog es ihn wie­der in die kli­ni­sche Medi­zin, in die Ita Weg­man Kli­nik nach Arle­sheim, wo er seit 1990 als Lei­ten­der Arzt in der Inne­ren Medi­zin arbei­tet. 1997 wur­de er im Neben­amt mit der Lei­tung des Ärz­te­se­mi­nars der Medi­zi­ni­schen Sek­ti­on betraut. Als Vor­stands­mit­glied und medi­zi­nisch Verantwort­licher ist er für das von Ita Weg­man 1936 gegrün­de­te Kur­haus in Asco­na, die Casa di Cura Andrea Cris­to­fo­ro, zustän­dig.
Im wis­sen­schaft­li­chen Bereich beschäf­tigt sich Chris­toph Schult­hess mit der Zu­sammenführung anthro­po­so­phi­scher Medi­zin und Schul­me­di­zin.
Kon­takt 061 705 72 81

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