Der Baum und seine späten Früchte

Wer einen Apfel­baum pflanzt, der muss vie­le Jah­re Geduld haben, bis er die Früch­te ern­ten kann. Erst muss der Baum wach­sen und ­gedei­hen. Viel­leicht ist es erst die nächs­te Genera­ti­on, wel­che die wirk­lich guten Früch­te ern­ten wird. Genau­so ist die Situa­ti­on im Bio­land­bau, der die Land­wirt­schaft lang­fris­tig erneu­ert.

Die Bio­bau­ern und allen vor­an die Deme­ter-Bau­ern ­bemü­hen sich schon seit eini­gen Jahr­zehn­ten dar­um, die Land­wirt­schaft nach­hal­tig zu ver­bes­sern. Nur zu gern pro­fi­tie­ren wir davon und genies­sen ihre Pro­duk­te. Doch auch der Bio­land­bau lei­det unter den Fremd­stof­fen konven­tioneller Land­wirt­schaft. Es ist ein lan­ger Weg zu einer rück­stands­frei­en Agri­kul­tur. Der Bio­land­bau ist noch zu jung, der Baum trägt die­se Früch­te noch nicht immer.

Bio­lo­gisch-dyna­mi­scher Land­bau – ein gros­ses Ide­al

Ein gros­ses Ziel wird in der bio­lo­gisch-dyna­mi­schen Land­wirt­schaft ver­folgt: Die Pro­duk­te eines Betrie­bes ­sol­len aus­schliess­lich aus den vor­han­de­nen Res­sour­cen des Stand­or­tes ent­ste­hen. Was Boden und Son­ne bil­den, ­wer­den unse­re Lebens­mit­tel. Kei­ne che­misch-syn­the­ti­schen Hilfs­mit­tel sol­len dem Betriebs­wirt erlaubt sein, mit denen er sei­ne Kul­tur vor den Unwäg­bar­kei­ten der Natur schüt­zen kann. Die­ser hohe Anspruch erfor­dert sehr viel Kön­nen und Berufs­in­ter­es­se. Bei vie­len Feld­kul­tu­ren steht die land­wirt­schaft­li­che Pra­xis da noch ziem­lich am Anfang. Trotz inten­si­ver For­schung ist es im Wein- und Obst­an­bau noch nicht gelun­gen, geeig­ne­te Mass­nah­men zu ent­wi­ckeln, ­wel­che Pil­ze abweh­ren kön­nen. Die Bio­bauern konn­ten sich des­halb noch nicht zu einem Ver­bot des Schwer­me­talls Kup­fer als Spritz­mit­tel durch­rin­gen. Erst weni­ge Betriebs­lei­ter sind bereit, in ihrer Pro­duk­ti­on dau­er­haft auf Kup­fer zu ver­zich­ten.
Aber auch mit den immer glo­ba­le­ren Ein­flüs­sen der kon­ven­tio­nel­len Land­wirt­schaft hat der Bio­be­trieb zu kämp­fen. Er ist kei­ne Insel. So machen die Bie­nen eines Bio­be­trie­bes nicht vor den kon­ven­tio­nel­len Fel­dern des Nach­barn Halt. Sie tra­gen den Pol­len der gen­ma­ni­pu­lier­ten Kul­tur­pflan­zen auch in den Bio-Bie­nen­stock.

Gibt es „unbe­las­te­te“ Lebens­mit­tel?
Die Hoff­nung, Lebens­mit­tel zu fin­den, wel­che völ­lig frei von allen Fremd­stof­fen sind, wird nicht so schnell in Er­füllung gehen. Aber wann? Wenn gan­ze Gegen­den bio­lo­gisch bewirt­schaf­tet wer­den? Wenn sich die Natur in lang­wäh­ren­den Pro­zes­sen selbst gerei­nigt hat? Dar­an ist erkenn­bar, dass wir alle Teil einer ganz­heit­li­chen Welt sind, die wir gemein­sam ver­bes­sern müs­sen. Die unge­lieb­ten Rück­stän­de rufen uns jeden Tag wie­der auf, uns wei­ter für die bio­lo­gi­sche oder noch bes­ser die bio­lo­gisch-dyna­mi­sche Land­wirt­schaft ein­zu­set­zen.
Auch Bio­be­trie­be blei­ben ver­ein­zelt im Netz der Rück­stands­ana­ly­sen hän­gen. Bio­wein mit Rück­stän­den, Bio­bir­nen­bir­nen mit Rück­stän­den, Bio­ho­nig mit Rück­stän­den – die Unter­su­chun­gen der Kon­su­men­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen und der Lebens­mit­tel­in­spek­to­ra­te neh­men gar kein Ende mehr. Die Kon­trol­len brin­gen es glück­li­cher­wei­se an den Tag. Nicht immer lässt sich ein Ein­satz von ver­bo­te­nen Sub­stan­zen beim Pro­du­zen­ten nach­wei­sen: Der Bio­bauer ist trotz­dem auf der Ankla­ge­bank. Stam­men die Rück­stän­de von der Bewirt­schaf­tung oder gar noch von der Bewirt­schaf­tung vor der Umstel­lung? Sind es Rück­stän­de im Boden? Geschah etwas im Lager oder auf dem Trans­port? Wur­den die Pro­duk­te im Laden ver­wech­selt? Hier ist Kon­trol­le gefragt.

Inter­na­tio­na­le Bio­kon­trol­le
Bio­pro­duk­te wer­den in allen Anbau­län­dern streng kon­trol­liert. Mit den Richt­li­ni­en für die Bio­land­wirt­schaft hat sich auch ein inter­na­tio­na­les Kon­troll­sys­tem ent­wi­ckelt. Ob das gut ist, so vie­le „Kon­trol­leu­re“ zu beschäf­ti­gen? Auf jeden Fall ist die Kon­trol­le im Bio­an­bau nicht weg­zu­den­ken, denn sie sichert über vie­le Spra­chen und ­Kul­tu­ren das, was uns am Bio­pro­dukt wich­tig ist. Über­all wer­den bei­spiels­wei­se die Fra­gen der Abdrift, der Beein­flus­sung der Bio­kul­tu­ren durch kon­ven­tio­nel­le Spritz­mittel, dis­ku­tiert. Nicht sel­ten hat das zur Fol­ge, dass der Bio­bau­er gezwun­gen ist, gefähr­de­te Pro­duk­te vor­beu­gend aus dem Ver­kehr zu zie­hen und kon­ven­tio­nell zu ver­kau­fen, um das Ver­trau­en des Kon­su­men­ten zu sichern.
Der Ein­kauf von Lebens­mit­teln hat viel mit Ver­trau­en zu tun. Was ist mit die­sem Lebens­mit­tel alles pas­siert, bis es hier auf dem Laden­tisch gelan­det ist? Ist es wirk­lich noch die Toma­te, die ich essen möch­te und nicht nur das ­schö­ne Trug­bild einer sol­chen? Das Kon­troll­sys­tem ist nichts ande­res als ein Abbild unse­rer Wirt­schafts­struk­tu­ren.
Die Bio­kon­trol­le macht sich zur Auf­ga­be, die Produk­tionskette zu doku­men­tie­ren. Mit Ver­trä­gen, Kon­troll­gän­gen und Ana­ly­sen wird der Pro­zess von vor­ne bis hin­ten unter­sucht. Vie­le Bio­bau­ern emp­fin­den die­se Art von Kon­trol­le als läs­tig, ja ver­ständ­li­cher­wei­se manch­mal als Miss­trau­en gegen­über ihren Bemü­hun­gen. Doch wir sind auf die­se Form der Qua­li­täts­si­che­rung ange­wie­sen: Aus der Sicht der Kon­su­men­ten schafft erst die Kon­trol­le das Ver­trau­en. Das lässt sich auch am Bei­spiel vor der eige­nen Haus­tür zei­gen. Wie ist es eigent­lich, wenn ich auf dem Markt direkt beim Bio­bau­ern Äpfel kau­fe – dann weiss ich doch, woher sie kom­men! Weiss ich es wirk­lich? Nein, nur Kon­trol­le sorgt dafür, dass ich mich dar­auf ver­las­sen kann, dass es ein Bio­pro­dukt ist.

Bio­land­bau erneu­ert die Land­wirt­schaft
Es ist eine gros­se und schö­ne Auf­ga­be, die Land­wirt­schaft umwelt­ge­rech­ter zu gestal­ten. Nicht immer kann die Wahl der umwelt­schüt­zen­den Mass­nah­men gleich durch die gewünsch­ten rück­stands­frei­en Pro­duk­te bestä­tigt wer­den. Vie­le Ant­wor­ten lie­gen erst in der Zukunft.
Die Wei­ter­ent­wick­lung des Bio­land­baus in die Rich­tung des bio­lo­gisch-dyna­mi­schen Ansat­zes ist für die gesam­te Land­wirt­schaft von gros­ser Bedeu­tung. Spritz­mit­tel, und sind sie noch so tech­nisch aus­ge­reift, blei­ben immer
Sym­ptom­be­kämp­fung. Zu erler­nen ist eine Land­be­wirt­schaf­tung aus den ein­zig­ar­ti­gen Mög­lich­kei­ten jedes ein­zel­nen Betrie­bes. Gesucht ist also der Land­wirt, wel­cher sei­ne Kul­tur so gut kennt, dass er sie vom Samen bis zur Ern­te füh­ren kann, ohne in den Medi­ka­men­ten­schrank grei­fen zu müs­sen. Die­se Erkennt­nis gewinnt in der Land­wirt­schaft immer mehr an Aner­ken­nung.
Durch den Bio­land­bau und ins­be­son­de­re durch den bio­­­lo­gisch-dyna­mi­schen Land­bau, als kon­se­quen­te ­Ver­tie­fung, wer­den span­nen­de Pro­jek­te ins Leben geru­fen, wel­che nach und nach weg­wei­sen­de Lösun­gen für den Anbau zur Fol­ge haben wer­den. Das land­wirt­schaft­li­che Kön­nen und sei­ne Erneue­rung und Wei­ter­ent­wick­lung erlan­gen damit zukunfts­wei­sen­de Bedeu­tung. Ohne die­se geht die Land­wirt­schaft welt­weit zugrun­de. Sie ver­kommt zur indus­tri­el­len Pro­duk­ti­on mit uner­wünsch­ten che­mi­schen Neben­wir­kun­gen.
Der Kon­su­ment kann mit dem Kauf von Bio­pro­duk­ten zu die­ser wirk­lich glo­ba­len Ent­wick­lung bei­tra­gen. Die Nach­fra­ge nach kon­trol­lier­ten Bio­pro­duk­ten för­dert welt­weit den ver­ant­wor­tungs­be­wuss­ten Anbau. Mit Rück­ständen in den Lebens­mit­teln ist trotz­dem vor­läu­fig noch zu rech­nen. Sie hal­ten uns allen den Spie­gel vor, wie weit der Baum des Bio­land­baus bereits gedie­hen ist.

Autoren60

Fach­per­son Reto Ingold
Arbeits­schwer­punk­te Aus­bild­ner an der Fach­aus­bil­dung für bio­lo­gisch-dyna­mi­sche Land­wirtschaft, eine Aus­bil­dung des Ver­eins für bio­lo­gisch-dyna­mi­sche Land­wirt­schaft, Arle­sheim und an der Bio­schu­le Schweiz der Bio­suis­se, Münsin­gen
Kon­takt reto.ingold@bluewin.ch

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