Den Kranken umhüllen

Auf unse­re onko­lo­gi­sche Sta­ti­on kom­men oft Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mit einer bereits weit fort­ge­schrit­te­nen Krebs­er­kran­kung. Auf­grund von Schmer­zen und/oder 
Übel­keit ist ihre Lebens­qua­li­tät so stark beein­träch­tigt, dass sie ihren All­tag nicht mehr bewäl­ti­gen kön­nen. Zie­le des 
sta­tio­nä­ren Auf­ent­halts sind eine umfas­sen­de Kon­trol­le der 
Sym­pto­me sowie die Sta­bi­li­sie­rung und Ver­bes­se­rung des 
All­ge­mein­zu­stands, damit die Pati­en­ten nach Mög­lich­keit wie­der nach Hau­se ent­las­sen wer­den kön­nen.

Frau Mei­er*, Ende 60, lebt seit vie­len Jah­ren im Aus­land und führt allein einen klei­nen land­wirt­schaft­li­chen Betrieb auf einer Mit­tel­meer­in­sel. Vor eini­gen Mona­ten bekam sie die Dia­gno­se Krebs: ein Tumor in der Spei­se­röh­re in fort­ge­schrit­te­nem Sta­di­um – ohne Aus­sicht auf Hei­lung. Sie kam zurück in die Schweiz, um sich soweit mög­lich 
medi­zi­ni­sche Hil­fe zu holen. Auf­grund ihres Tumors hat­te sie nicht mehr essen kön­nen und war des­halb stark unter­ernährt und ent­kräf­tet.
Als sie zu uns auf die Sta­ti­on kam, befand sie sich in einem recht pre­kä­ren Zustand. Das gemein­sa­me Ziel bestand im Wie­der­auf­bau der kör­per­li­chen Kräf­te. Um den Weg über die erkrank­te Spei­se­röh­re zu umge­hen, wur­de ihr ein
künst­li­cher Zugang von aus­sen durch die Haut und Bauch­wand direkt in den Magen gelegt. Eine sol­che per­ku­ta­ne 
endo­sko­pi­sche Gas­tros­to­mie (PEG) ermög­licht eine künst­li­che Ernäh­rung über eine Son­de. Wir konn­ten Frau Mei­er dar­über hoch­ka­lo­ri­en­rei­che Flüs­sig­keit zufüh­ren, so dass
sie sich ganz all­mäh­lich wie­der erhol­te. Sie war frü­her selbst als Kran­ken­schwes­ter tätig gewe­sen und kann­te sich damit aus. Schon nach weni­gen Tagen woll­te sie die 
Ernäh­rung über die Son­de selb­stän­dig durch­füh­ren. Für den Geschmack konn­te sie immer noch ein paar 
Sachen zusätz­lich essen.
Ihr Ziel war, noch ein­mal nach Hau­se zu gehen auf die 
Insel, auch wenn sie ihre Wirt­schaft nicht mehr betrei­ben kann. Auf­grund län­ger zurück­lie­gen­der Rücken­ver­let­zun­gen litt sie seit vie­len Jah­ren an chro­ni­schen Schmer­zen, jedoch woll­te sie nur sel­ten schul­me­di­zi­ni­sche Medi­ka­men­te ein­neh­men. Mit regel­mäs­si­gen Äus­se­ren 
Anwen­dun­gen konn­ten wir die Schmer­zen gut lin­dern. 
Vor allem die Rhyth­mi­schen Ein­rei­bun­gen und Auf­la­gen mit Arni­ka­öl und einem Öl auf der Basis von Hoch­moortorf 
(Solum uli­gi­no­sum) ver­bes­ser­ten die Situa­ti­on schnell. 
Der Hoch­moortorf durch­wärmt und wirkt dadurch schmerz­lin­dernd, eben­so das dar­in ent­hal­te­ne Laven­del­öl. Sei­ne 
abgren­zen­de Kraft erle­ben die Men­schen als Wohl­tat, wenn sie sich nach einer schüt­zen­den Hül­le seh­nen.
Nach vier Wochen war Frau Mei­er soweit sta­bi­li­siert, dass sie sich auf die Heim­rei­se machen konn­te – wohl wis­send, dass sie jeder­zeit zurück­kom­men kann

Angst vor dem Sterben

Frau Durant* litt an einer bereits fort­ge­schrit­te­nen Tumor­er­kran­kung. Sie war 76, als sie auf unse­re Sta­ti­on kam, nach­dem sich ihr All­ge­mein­zu­stand rapi­de ver­schlech­tert hat­te. Auf­grund bestän­di­ger Übel­keit, ver­bun­den mit Erbre­chen, war sie zuneh­mend ent­kräf­tet. Zie­le des sta­tio­nä­ren Auf­ent­halts waren des­halb die Behand­lung der Übel­keit sowie Auf­bau und Sta­bi­li­sie­rung, was sich aber wegen der schon sehr weit fort­ge­schrit­te­nen Krank­heits­si­tua­ti­on als unmög­lich erwies.
Am Anfang konn­ten wir die im Vor­der­grund ste­hen­de 
Übel­keit durch anthro­po­so­phi­sche Medi­ka­men­te und Bauch­auf­la­gen mit Oxa­lis-Öl lin­dern, aber nach den ers­ten zwei Wochen ver­schlech­ter­te sich ihr Zustand sehr schnell und es wur­de deut­lich, dass Frau Durant in Kür­ze ster­ben 
wür­de. Ihre Fami­lie lebt weit ent­fernt, kam aber, so oft es ging, zu Besuch. Ihr Mann konn­te bei ihr in ihrem Zim­mer über­nach­ten.
Pal­lia­ti­ve Beglei­tung bedeu­tet nicht nur opti­ma­le Betreu­ung der Erkrank­ten. Sehr häu­fig sind die Ange­hö­ri­gen mit der Situa­ti­on über­for­dert, haben Angst und benö­ti­gen eine ein­fühl­sa­me Unter­stüt­zung.
Ich hat­te in die­ser Zeit Nacht­dienst und konn­te viel mit einem ihrer Ange­hö­ri­gen, Herrn Simon*, spre­chen. Er berich­te­te, dass die Pati­en­tin, aber auch er selbst, bereits bei Exit (eine in der Schweiz aner­kann­te Orga­ni­sa­ti­on für Ster­be­hil­fe durch Frei­tod­be­glei­tung) ange­mel­det waren. 
Er stell­te vie­le Fra­gen, ihn beschäf­tig­te haupt­säch­lich die Angst vor dem Lei­den. „Ich möch­te nicht lei­den, ich möch­te kei­ne Schmer­zen haben“, wird häu­fig in sol­chen Situa­tio­nen geäus­sert. Es ist vor allem die Angst, sei­ne Auto­no­mie zu ver­lie­ren, ver­sorgt wer­den zu müs­sen wie ein Kind, 
abhän­gig zu sein von ande­ren. Und es ist die Angst, ande­ren zur Last zu fal­len, vor allem die Fami­lie zu belas­ten.
In den Gesprä­chen konn­te ich Herrn Simon zei­gen, welch viel­fäl­ti­ge Mög­lich­kei­ten wir the­ra­peu­tisch haben, was wir tun kön­nen bei Übel­keit und Schmer­zen. Die Medi­zin ver­fügt heu­te über gute Schmerz­mit­tel, die die Schmer­zen zwar nicht immer voll­stän­dig besei­ti­gen, aber doch erträg­lich machen kön­nen. Tablet­ten, Trop­fen, Injek­tio­nen oder Schmerz­pflas­ter auf der Basis von Opi­aten leis­ten hier not­wen­di­ge Hil­fe. Eine Dosis­er­hö­hung bedeu­tet nicht gleich Abhän­gig­keit, son­dern wir reagie­ren auf die Zunah­me der Schmer­zen. Zudem haben wir eine Viel­zahl anthro­po­so­phi­scher Arz­nei­mit­tel, die bei Schmer­zen erfolg­reich ein­ge­setzt wer­den. Auch die Äus­se­ren Anwen­dun­gen wie Auf­la­gen, 
Wickel, Kom­pres­sen und Ein­rei­bun­gen mit den ent­spre­chen­den Sub­stan­zen hel­fen den Pati­en­ten sehr.
Mit der Fami­lie wur­de die Mög­lich­keit bespro­chen, Frau Durant nach Hau­se zu holen, da dies ihr Wunsch war. 
Inner­halb von zwei Tagen konn­te alles orga­ni­siert wer­den. Der Trans­port wur­de bestellt, ein Pfle­ge­bett orga­ni­siert, die Spitex des Hei­mat­or­tes akti­viert, und die Fami­lie berei­te­te die Woh­nung vor.
Der Trans­port war lang und ent­spre­chend anstren­gend. Frau Durant ver­starb fried­lich bereits am nächs­ten Abend im Kreis ihrer Fami­lie und Freun­de mit Blick auf ihren hei­mat­li­chen See.
Herr Simon* schrieb mir spä­ter, dass er für das inten­si­ve 
Erle­ben der letz­ten Wochen sehr dank­bar ist, aber auch, dass Exit für ihn nun kein Weg mehr sei.

Hilfreiche Anwendungen

Frau Arnold* war noch recht jung, Ende 40, und hat­te zwei Kin­der im Alter von 13 und 15 Jah­ren. Bei ihr ist im 
ver­gan­ge­nen Jahr ein Kar­zi­nom im Mast­darm (Rec­tum) 
dia­gnos­ti­ziert wor­den. Die erfolg­ten schul­me­di­zi­ni­schen 
Behand­lun­gen konn­ten jedoch das Wachs­tum des Tumors nicht beein­flus­sen.
Als sie zu Beginn die­ses Jah­res in unse­re Kli­nik kam, hat­te Frau Arnold bereits aus­ge­dehn­te Leber­me­tasta­sen. Sie litt vor allem unter Schmer­zen, bedingt durch die gros­sen Was­ser­an­samm­lun­gen im Bauch und in den Bei­nen, zudem moch­te sie kaum noch essen.
Auch wenn sich Frau Arnold bewusst war, dass eine 
Hei­lung nicht mehr mög­lich war, so erhoff­te sie sich doch von der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin eine Lin­de­rung ihrer Beschwer­den und Erhal­tung ihrer Lebens­qua­li­tät, um ihre Zeit mit ihrer Fami­lie und den Kin­dern ver­brin­gen zu kön­nen.
Neben den mor­ph­in­hal­ti­gen Medi­ka­men­ten und wie­der­hol­ten Punk­tio­nen des Bau­ches waren es auch die küh­len­den und abschwel­lend wir­ken­den Bein­wi­ckel mit Bora­goes­senz, die Bauch­ein­rei­bun­gen mit Oxa­lis-Öl, die Bauch­auf­la­gen mit Kamil­len-Küm­mel-Öl und die Ein­rei­bun­gen des Rückens mit dem ent­span­nen­den und durch­wär­men­den Solum uli­gi­no­sum-Öl, die immer wie­der Lin­de­rung brach­ten.
Frau Arnold war ins­ge­samt vier­mal bei uns in sta­tio­nä­rer Behand­lung. Jedoch ver­schlech­ter­te sich ihr kör­per­li­cher Zustand zuneh­mend, so dass die Zeit, in der sie zu Hau­se sein konn­te, immer kür­zer wur­de.
Bei ihrer letz­ten Auf­nah­me äus­ser­te Frau Arnold den Wunsch, bei uns auf Sta­ti­on ster­ben zu kön­nen. Alle Behand­lun­gen, alle pfle­ge­ri­schen Mass­nah­men waren nun 
dar­auf aus­ge­rich­tet, ihren letz­ten Lebens­ab­schnitt so 
beschwer­de­arm und so ange­nehm wie mög­lich zu gestal­ten. Im Bei­sein ihres Ehe­man­nes ist sie ganz ruhig ein­ge­schla­fen.

*Namen von der Redak­ti­on geän­dert

 

Fach­per­son

Mar­ko Ossig

Arbeits­schwer­punk­te Dipl. Pfle­ge­fach­mann, Rhyth­mi­sche Ein­rei­bun­gen nach Wegman/Hauschka Stu­fe 1 (IFAN), Pfle­ge­fach­mann und Instruk­tor für Anthro­po­so­phi­sche Pfle­ge an der Kli­nik Arle­sheim
Kon­takt marko.ossig@klinik-arlesheim.ch

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