Den Heilungsprozess ganzheitlich unterstützen

Ingrid Kro­nen­berg war eine der ers­ten Pati­en­tin­nen, die in die neue Kli­nik Arle­sheim zu einer onko­lo­gi­schen Reha­bi­li­ta­ti­on sta­tio­när auf­ge­nom­men wur­de. Sie lässt uns in die­sem Arti­kel an ihren Erfah­run­gen teil­ha­ben.

Mei­ne Krebs­dia­gno­se erhielt ich im Herbst 2013. Nach einer Rei­he belas­ten­der Unter­su­chun­gen wur­de eine Che­mo­the­ra­pie ver­ord­net. Da ich zu jenem Zeit­punkt sehr geschwächt war, sah man von einer Ope­ra­ti­on ab und ent­schied, mir die Che­mo­the­ra­pie in hal­ber Dosie­rung zu ver­ab­rei­chen. Der Weg nach Basel ins Kan­tons­spi­tal war in mei­nem Zustand sehr beschwer­lich, so dass ich erleich­tert die Mög­lich­keit nutz­te, die Che­mo­the­ra­pie in der Lukas Kli­nik durch­füh­ren zu kön­nen. Um mich zu stär­ken, ver­schrieb mir die dor­ti­ge Ärz­tin eine Isca­dor-Infu­si­on. Ich wur­de auch gleich sta­tio­när auf­ge­nom­men, denn ich wog nur noch 43 Kilo­gramm und war ent­spre­chend schwach.

Vier­zehn Tage lang war ich dann in für­sorg­li­cher Pfle­ge. Die Gebor­gen­heit im klei­nen Zim­mer mit den zar­ten, auf­ein­an­der abge­stimm­ten Farb­tö­nen, der Aus­blick auf den Gar­ten und in den Him­mel, die Ruhe und Für­sor­ge – all das wirk­te hül­lend und hei­lend, und ich bedau­re zutiefst, dass die­ses Ein­zig­ar­ti­ge schwer­kran­ken Men­schen nicht mehr auf die­se Wei­se zur Ver­fü­gung steht. Am Ende die­ses Auf­ent­halts fühl­te ich mich wie­der in der Lage, die wei­te­ren Che­mo­the­ra­pi­en über mich erge­hen zu las­sen.

Mein eige­nes Bedürf­nis

Nach­dem die Che­mo­the­ra­pi­en abge­schlos­sen waren, hat­te ich das Bedürf­nis, mich zu erho­len. Gern wäre ich in die Ber­ge gefah­ren oder in die Casa di cura nach Asco­na. Neu gab es jedoch das Ange­bot einer onko­lo­gi­schen Reha­bi­li­ta­ti­on in der Kli­nik Arle­sheim. Die­ser Ort, in des­sen unmit­tel­ba­rer Nähe ich woh­ne, ent­sprach nicht im Gerings­ten mei­nen Vor­stel­lun­gen. Es braucht doch fri­sche Luft, Urge­stein und Ruhe, um ganz gesund wer­den zu kön­nen, sag­te ich mir. Doch auf­grund der finan­zi­el­len Situa­ti­on war letzt­lich Arle­sheim die ein­zi­ge Opti­on für mich. Anfäng­lich ver­wei­ger­te mir mei­ne Kran­ken­kas­se eine Kos­ten­gut­s­pra­che, stimm­te dann aber doch zu. Ein drei­wö­chi­ger Auf­ent­halt in der onko­lo­gi­schen Reha­bi­li­ta­ti­on der Kli­nik Arle­sheim wur­de mir zuge­spro­chen.

Mein Ein­tritt erfolg­te genau zu dem Zeit­punkt, als die onko­lo­gi­sche Abtei­lung vom Haus Lukas in das Haus Weg­man umzog. Es war für das Pfle­ge­per­so­nal, die Ärz­te sowie die Pati­en­ten eine anspruchs­vol­le, tur­bu­len­te Zeit. Jeder aber gab das Best­mög­li­che, und die Pfle­ge­fach­leu­te übten sich in bewun­derns­wer­ter Posi­ti­vi­tät, jeden­falls vor uns Pati­en­ten. Was aber alles in ein rela­ti­ves Gleich­ge­wicht zu brin­gen ver­moch­te, war die Tat­sa­che, dass Pfle­gen­de und Pati­en­ten Alt­be­kann­te, Ver­trau­te waren; man hat­te ja in der Lukas Kli­nik durch vie­le Begeg­nun­gen eine gegen­sei­ti­ge herz­li­che Bezie­hung auf­ge­baut – und die trug uns jetzt alle.

Dem eige­nen Rhyth­mus ent­spre­chen

Zehn Tage lang erfuhr ich den Luxus eines eige­nen Zim­mers. Es war jetzt aber eher ein Spi­tal­zim­mer, im Ver­gleich zu dem, was ich von mei­nem sta­tio­nä­ren Auf­ent­halt her kann­te, nicht mehr hül­lend, son­dern eher Kräf­te abzie­hend. Doch rag­te ein üppig blü­hen­der Strauch vor mei­nem Fens­ter fast ins Zim­mer, was zau­ber­haft war und trös­tend wirk­te. Dann bekam ich eine Zim­mer­nach­ba­rin, der es sehr schlecht ging. Nun muss­te der gewohn­te Rhyth­mus dem ande­ren ange­passt wer­den – und die­ser ver­lief genau dia­me­tral. Wir ver­stan­den uns aber gut und nah­men gegen­sei­tig Rück­sicht auf­ein­an­der.

Viel­fäl­ti­ges The­ra­pie­an­ge­bot

In Erstau­nen setz­te mich, dass das The­ra­pie­an­ge­bot so breit gefä­chert war. Hei­leu­ryth­mie, Both­mer­gym­nas­tik, Musik, Malen und Plas­ti­zie­ren, Bio­gra­fie­ar­beit, Rhyth­mi­sche Mas­sa­ge, Öldi­sper­si­ons­bä­der, diver­se Ein­rei­bun­gen und Wickel – all das stand zur Ver­fü­gung. Am Mor­gen nach dem Früh­stück gab es für alle Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten der onko­lo­gi­schen Reha­bi­li­ta­ti­on eine hal­be Stun­de gemein­sa­mes Tun. Musik war die ers­te The­ra­pie, dann folg­te Hei­leu­ryth­mie und als drit­te Both­mer­gym­nas­tik; jede die­ser The­ra­pi­en erstreck­te sich über eine Woche.

Wohl­tu­en­de Klän­ge in der Grup­pe

Fast täg­lich hat­te ich Musik­the­ra­pie. Es ging dar­um, etwas für den Atem zu tun, den Kör­per so anzu­re­gen, dass ein Durch­at­men mög­lich ist. In der Grup­pe haben wir alle über Bor­dun­lei­ern gestri­chen, dazu ein­zel­ne Töne gesun­gen. Die Lei­ern wer­den in Akkor­den gestimmt, und so kön­nen auf ein­fachs­te Wei­se Lied­be­glei­tun­gen rea­li­siert wer­den, auch ohne dass die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten musi­ka­li­sche Vor­aus­set­zun­gen mit­brin­gen müs­sen. Das gab eine sehr beson­de­re Stim­mung, schön und bele­bend zugleich. Da es Vor­os­ter­zeit war, beschäf­tig­ten wir uns, ein­zeln und in der Grup­pe, mit einem öster­li­chen Lied, das dann so schön klang, dass wir ganz beglückt waren. Es war auch jemand in der Grup­pe mit einem Lun­gen­pro­blem, für ihn war die heil­sa­me Wir­kung die­ser The­ra­pie deut­lich zu spü­ren!

Selbst aktiv sein

Eine sehr akti­ve The­ra­pie habe ich mit der Hei­leu­ryth­mie erlebt; mit ihr bin ich schon lan­ge ver­traut. In der Grup­pe wur­den ver­schie­de­ne Stab­übun­gen durch­ge­führt, was einer­seits Kon­zen­tra­ti­on erfor­dert, ande­rer­seits gros­sen Spass macht. Zu vie­len Übun­gen gab es pas­sen­de Reim-Ver­se, was uns in rhyth­mi­sche Schwin­gung ver­setz­te und irgend­wie ans Herz rühr­te. Dies brach­te bei einem ande­ren Pati­en­ten die See­len­sai­te zum Klin­gen; die Trä­nen began­nen zu rin­nen, und er mein­te, wie ent­schul­di­gend: „Gehö­ren nicht hei­len und heu­len zusam­men?“

Ich hat­te ein paar sehr schö­ne, wert­vol­le Gesprä­che mit der Hei­leu­ryth­mis­tin. Sie liess mich Anteil haben an Ent­de­ckun­gen, die ihr in jah­re­lan­ger Beschäf­ti­gung mit bestimm­ten hei­leu­ryth­mi­schen Übun­gen zuteil gewor­den waren. Die­ser Aus­tausch auf anthro­po­so­phi­scher Grund­la­ge war für mich ein kost­ba­res Geschenk.

Kon­fron­ta­ti­on mit sich selbst

Eine ein­zi­ge The­ra­pie­form, um die ich selbst gebe­ten hat­te, war Bio­gra­fie­ar­beit. Zwei Fra­gen gab es, wel­che mich sehr beschäf­tig­ten, und ich erhoff­te mir eini­ge Hin­wei­se dazu von einer Fach­per­son. Wenn es auch nur zwei Fra­gen waren, her­aus­ge­grif­fen aus mei­ner Bio­gra­fie, war die mir zur Ver­fü­gung ste­hen­de Zeit ange­füllt mit Gesprächs­stoff. Danach hat mich die The­ra­peu­tin jeweils das Bespro­che­ne zeich­nen las­sen. Sie muss­te sich mit einer sehr „unkünst­le­ri­schen“ Dar­stel­lung zufrie­den geben, war jedoch in der Lage, den Sinn her­aus­zu­le­sen. Sie war mir ein gutes, kräf­ti­ges Gegen­über, und ihre Boden­stän­dig­keit habe ich sehr geschätzt. Am Ende der Reha war ich muti­ger und ent­schlos­sen, für mich ein­zu­ste­hen. Dies ver­dan­ke ich ihrer Hil­fe.

Wohl­ta­ten für den Kör­per

Rhyth­mi­sche Mas­sa­ge bekam ich mehr­mals ver­ord­net, und ich emp­fand, dass die­se The­ra­pie­form wesent­lich zur Gesun­dung bei­getra­gen hat. Ich freu­te mich auch jedes Mal auf die Begeg­nung mit dem The­ra­peu­ten, der sei­ne Arbeit mit einer selbst­ver­ständ­li­chen Hin­ga­be ver­rich­te­te. Mit ihm habe ich vie­le schö­ne Gesprä­che geführt. Er war es auch, der mit sei­nen wun­der­hei­len­den Wachs­plat­ten mei­nen hava­rier­ten Rücken im Nu wie­der in Ord­nung brach­te.

Eben­falls sehr wirk­sam waren die Öldi­sper­si­ons­bä­der. Für die­se Behand­lung hät­te ich mir eine weib­li­che Beglei­tung gewünscht, obwohl ich den The­ra­peu­ten sehr schät­ze und sei­ne Hal­tung gegen­über den Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten abso­lut kor­rekt und ein­wand­frei war.

Jeden Mit­tag nach dem Essen bekam jede Pati­en­tin und jeder Pati­ent einen Leber­wi­ckel und Ruhe ver­ord­net. Am Abend dann gab es eine Fuss­mas­sa­ge, die eben­so wohl­tu­end wirk­te wie der Mit­tags­wi­ckel.

Mit dem Essen hat­te ich zum Teil etwas Mühe, viel­leicht lag das an den vie­len Ver­än­de­run­gen in jener Zeit. Aber nach ent­spre­chen­den Rück­mel­dun­gen von allen Sei­ten wur­de es deut­lich bes­ser. In der zwei­ten Woche mei­nes Auf­ent­halts wur­de eine Mög­lich­keit geschaf­fen, die Mit­tags­mahl­zei­ten gemein­sam ein­zu­neh­men. Nun lern­ten die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten der onko­lo­gi­schen Abtei­lung sich gegen­sei­tig ken­nen, was zu schö­nen, wich­ti­gen und oft auch hilf­rei­chen Gesprä­chen führ­te.

Über­ra­schen­de Wie­der­be­geg­nung

Mit einer beson­ders schö­nen Begeg­nung, die ich erfah­ren durf­te, möch­te ich mei­nen Bericht abschlies­sen. In einem mir ver­trau­ten Zusam­men­hang fiel mir eines Tages eine Per­son auf. Sie war hoch­ge­wach­sen, trug sonn­täg­li­che Klei­dung und strahl­te etwas aus, das mich in freu­di­ges Erstau­nen ver­setz­te. In einer der dar­auf­fol­gen­den Wochen begeg­ne­te ich die­ser Per­son aufs Neue, und wie­der­um hin­ter­liess sie bei mir einen nach­hal­ti­gen Ein­druck.

Dann wur­de ich krank und kam in die Kli­nik. Irgend­wann, als ich erschöpft im Bett lag, öff­ne­te sich die Tür und her­ein trat genau jene Per­son. Ich konn­te die­sem Zufall anfangs kaum Glau­ben schen­ken, doch so war es und soll­te es wohl auch sein. Sie wur­de mei­ne beglei­ten­de Ärz­tin und bei jeder Visi­te erschien mir ihre Anwe­sen­heit wie ein Wun­der. Es weh­te ein Hauch wie von „Engel­hü­te­kräf­ten“ um mich; sie hat­te die Für­sor­ge für mich über­nom­men, ich durf­te los­las­sen. Auch wäh­rend mei­nes Reha-Auf­ent­halts war sie in der letz­ten der drei Wochen für mich zustän­dig.

Hilf­rei­che Zeit

Dank­bar bli­cke ich zurück auf die inten­si­ve und schö­ne Reha­bi­li­ta­ti­ons- und Erho­lungs­zeit, wäh­rend der mir eine Fül­le von heil­sa­men Hil­fen gege­ben wur­den. Zwei Fäl­le sind mir in Erin­ne­rung aus die­ser Zeit, als Pati­en­ten, die ent­las­sen wur­den, weil die ihnen von der Kas­se zuge­stan­de­ne Zeit abge­lau­fen war, in Trä­nen aus­bra­chen und nicht nach Hau­se zurück­keh­ren moch­ten, weil sie sich in der Kli­nik auf­ge­ho­ben und ver­stan­den fühl­ten. Auch die Mög­lich­keit, sich mit Men­schen glei­chen Schick­sals aus­tau­schen zu kön­nen, ist für Vie­le ein gros­ses Bedürf­nis.

Für mich war mei­ne Krank­heit eine tief­grei­fen­de Erfah­rung und die Gene­sung ein gros­ses Wun­der, über das ich nur stau­nen kann, so oft ich dar­an den­ke. Mei­ne tie­fe Zuver­sicht und mein abso­lu­tes Ver­trau­en in das Schick­sal wur­den wäh­rend die­ser prü­fungs­rei­chen Zeit bekräf­tigt durch Wor­te Rudolf Stei­ners, die er Ilse Rolofs wid­me­te und wel­che ich durch eine lie­be Bekann­te erhielt, wel­cher mein Schick­sal sehr zu Her­zen ging. Ich möch­te die­sen Spruch an alle aus Her­zens­not Suchen­den wei­ter­ge­ben – viel­leicht kön­nen auch sie Hil­fe, Weg­wei­sung und Ant­wort dar­aus schöp­fen.

 „Fürch­te dich nicht – jede Krank­heit ist eine Sache des Schick­sals zur Selbst­er­zie­hung. Nüt­ze die Zeit und fürch­te dich nicht. – Beden­ke, tüch­tig ist, wer sich der Gren­zen sei­nes Kön­nens bewusst ist, aber inner­halb die­ser Gren­zen sei­ne Kräf­te mit könig­li­cher Ges­te ver­aus­gabt. Aber, das wis­se, durch die Selbst­be­schrän­kung erstar­ken die Gren­zen und wei­ten sich. Sonst ver­reis­sen sie, und die Schwä­che dringt ein und ver­zehrt die Lebems­kraft. Nut­ze die Zeit und fürch­te dich nicht!“

Ingrid Kro­nen­berg

pen­sio­niert, Mut­ter zwei­er erwach­se­ner Kin­der
Wal­dorf­kin­der­gärt­ne­rin, Mit­glied einer Mario­net­ten­büh­ne,
Lie­be zur Spra­che, Brot backen

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