
Die Ärztin Anna Alexandra Effenberger absolviert die zweijährige berufsbegleitende Ärzteausbildung Arlesheim und geniesst dabei jede Minute. Für „Quinte” berichtet sie aus dieser spannenden und bereichernden Zeit.
Freitagnachmittag vor einem Modul der Ärzteausbildung Arlesheim: Die Vorfreude auf das Wiedersehen mit den anderen Teilnehmenden der Ärzteausbildung steigt. In der Begrüssungsrunde, die den Anfang eines gemeinsamen Wochenendes bildet, kommt sogleich ein freudiges Gefühl auf, wenn ich die mir bekannten Gesichter sehe und wir voneinander erfahren, was sich seit dem letzten Modul bei den einzelnen Menschen getan hat. Das kann der Wechsel der Arbeitsstelle sein, das erfolgreich bestandene Staatsexamen oder eine interessante Reise. Es geht aber auch um Erfahrungen, die wir mit den Inhalten der bisherigen Ausbildung gemacht haben. Habe ich neue Aspekte entdeckt, wenn ich einem Patienten mit dem Wissen um die Dreigliederung begegne? Ist meine Sichtweise durch die kennengelernten Meditationen verändert?
Aus dem Alltag ins gemeinsame Lernen und wieder hinaus
Dann schafft das Ausbildungsteam den Übergang zum Thema des Wochenendes. Einzelne Krankheitsbilder, welche den Ärzten bisher sehr bekannt und alltäglich sind, werden nun ganzheitlich beurteilt. Dabei treten ganz neue therapeutische Ideen auf, den Austausch darüber finde ich jeweils sehr spannend. Oft beginnen wir den Tag mit einer Meditationsübung und hören dann in Vorträgen menschenkundliche Aspekte zum Hauptthema. Es folgen Pflanzenbetrachtungen, Heileurythmie, Begegnungen mit Patienten aus der Klinik und Arbeit in Kleingruppen zur anthroposophisch erweiterten Diagnostik und Therapiefindung, bevor wir am Abend am Schulungsweg des Arztes arbeiten und den randvoll gefüllten Tag mit gemeinsamem Gesang abrunden. Am Sonntagnachmittag trennen sich die Wege der Teilnehmenden zwar wieder für einige Wochen, doch wir haben uns erneut ein wenig besser kennengelernt, sind bereichert von den Inhalten, haben gemeinsame Erfahrungen in der Erkenntnisarbeit gemacht und gehen motiviert zurück an die Arbeit mit unseren Patienten oder ins Studium.
Eine gute Entscheidung
Seit nun fast zwei Jahren nehme ich an der Ärzteausbildung Arlesheim teil, bald naht das Abschlusswochenende. Seit ich mich für diese berufsbegleitende Ausbildung entschieden habe, sind mir die Ausbildungswochenenden zu einem wichtigen Bestandteil meines Lebens geworden, und ich bin für jede Minute davon dankbar. Es ist mittlerweile einige Jahre her, dass ich während des Medizinstudiums mit interessierten Kommilitonen und einigen bereits ärztlich tätigen Freunden einen Arbeitskreis ins Leben rief, in welchem wir uns mit Inhalten der Anthroposophischen Medizin beschäftigten, um Antworten und Anregungen auf Fragen zu finden, die uns das Studium nicht zu geben vermochte. Als Unterassistentin kam ich dann an die Klinik Arlesheim und konnte am Einführungsseminar der damals noch ganz jungen Ärzteausbildung teilnehmen. Die besondere Atmosphäre, die ich dort erleben durfte, die vielfältigen Themen, die Begeisterung des Ausbildungsteams für die Inhalte und deren Vermittlung waren für mich eine wesentliche Entscheidungshilfe für die Ärzteausbildung in Arlesheim.
„Die Ausbildung hat mir Perspektiven gegeben
für meine weitere Zeit im Beruf.“*
Es braucht mehr, um wirklich Arzt zu sein
Bereits im Studium war mir früh klar, dass mir die universitäre, theorielastige medizinische Ausbildung keine ausreichende Grundlage sein kann, um einerseits dem mir als Patienten anvertrauten Menschen wirklich als Arzt begegnen zu können und andererseits ein umfassendes Verständnis für den Menschen und die Phänomene von Gesundheit und Krankheit zu erarbeiten. Vorträge anthroposophischer Ärzte, Selbsterfahrungen mit der Wirksamkeit der Arzneimittel und die Erfahrungen aus unserem damaligen Arbeitskreis schenkten mir das Vertrauen in die Erkenntnisse Rudolf Steiners, Ita Wegmans und ihrer Weggefährten, sodass mir eine zusätzliche Ausbildung sinnstiftend schien. Das praxisnahe Konzept der Ausbildung in Arlesheim hat mich bewogen, daran teilzunehmen. Am wichtigsten für meine Entscheidung war und ist mir jedoch die Begeisterung der Menschen, die diese Ausbildung ins Leben gerufen haben und sie nun Jahr für Jahr organisieren, für Ärzte und Studenten und mit ihnen zusammen. Das wirkliche Interesse am Menschen, das wir in der Ärzteausbildung erfahren – und zwar sowohl am Patienten als auch am Therapeuten – motiviert mich für meine tägliche Arbeit. Die warmherzige Freude, mit der uns die Inhalte nahegebracht werden, schenkt mir Mut und Kraft für den Weg zu einer sinnvollen Arbeit mit den Patienten.
„Die Ausbildung hat mir eine neue Sichtweise auf die Bedeutung einer Erkrankung für Patienten gegeben.
Ich habe nun neue Ansätze für die Therapie. Ich kann Medizin humaner gestalten.“*
Praxisnahes Lernen
In den zwei Jahren der Ausbildung haben wir viele Aspekte der anthroposophischen Menschenkunde kennengelernt und uns mit Krankheit und Gesundheit als Phänomene auseinandergesetzt. Im zweiten Jahr der Ausbildung vertieften wir viele Bereiche vor allem der Inneren Medizin. Wesentlich waren dann die Patientenbegegnungen und der Austausch in kleinen Gruppen mit einem Tutor, sodass die Inhalte in der Praxis erfahrbar und anwendbar wurden.
Zum Lehrplan gehören auch das Kennenlernen der vielfältigen therapeutischen Möglichkeiten der Anthroposophischen Medizin, wie Heileurythmie, Wickel, Rhythmische Einreibungen, Therapeutische Sprachgestaltung, Musiktherapie, Malen und plastisches Gestalten – vieles davon auch in eigenem Erleben. Zudem ging es um die grosse Welt der medikamentösen Heilmittel, vor allem um Heilpflanzenbetrachtungen.
Grossartig waren für mich die Intensivwochen. In der Praxistrainingswoche Ende des ersten Jahres standen die anthroposophisch erweiterte Anamnese und vielerlei Patientenbegegnungen im Zentrum. In der Heilmittelwoche im Sommer des zweiten Jahres erlebten wir in den Schweizer Alpen ganz praktisch und experimentell mit ausgewählten selbst gepflückten Heilpflanzen die bekanntesten pharmazeutischen Prozesse anthroposophischer Heilmittel.
Den eigenen Weg ermöglichen
Unbedingt möchte ich einige Aspekte erwähnen, die die Anthroposophische Medizin und die Ärzteausbildung für mich besonders wertvoll machen. Das ist einerseits der Schulungsweg als mögliches Werkzeug, um als Arzt und Mensch zu einer inneren Entwicklung zu finden, und es sind andererseits alle zusätzlichen sozialen Einheiten in der Ausbildung, welche zwischenmenschliche Kompetenzen ausbilden und bewusstmachen helfen.
Modul für Modul haben wir Teile des von Rudolf Steiner erarbeiteten meditativen Schulungsweges kennengelernt. Jeder Einzelne konnte dann für sich entscheiden, ob Übungen daraus ein Bestandteil des eigenen Weges werden können. Für mich sind diese Anregungen ein ganz wertvoller Bestandteil meiner täglichen Praxis geworden und geben mir dort an entscheidenden Punkten den nötigen Halt.
In den Einheiten der sogenannten sozialen Werkstatt habe ich viele Anregungen bekommen, wie das Miteinander in einem therapeutischen Team aussehen kann; hier kommen Fragen auf, die sich bis in grössere Zusammenhänge von Praxen, Krankenhäusern und Gesundheitssysteme erstrecken.
„Dank der Ausbildung verstehe ich die Medizin jetzt ganzheitlicher, sozialer.“*
Ein starkes Team
Die einzelnen Module der Ärzteausbildung Arlesheim sind wohlüberlegt und didaktisch sinnvoll aufgebaut. Lebendig werden sie durch das Team der Organisatoren und Tutoren, durch Therapeuten und andere Dozenten sowie durch die Teilnehmenden, die aus ganz verschiedenen Bereichen, Gegenden und Lebenssituationen immer wieder zusammenfinden.
Die Teilnehmenden sind über die vergangenen zwei Jahre Freunde geworden, und es schenkt mir Freude und Zuversicht, mit all diesen Menschen gemeinsam auf dem Weg zu sein. Aus meinen bisherigen Erfahrungen heraus kann und möchte ich allen Medizinstudenten und Ärzten wünschen, sich auf einen Ausbildungsweg dieser Art zu begeben, sei es in Arlesheim, sei es an einem anderen Ort, wo ein ähnliches Curriculum existiert. Es bedeutet zusätzliche Arbeit und eine beträchtliche Investition von Zeit über einen längeren Zeitraum, aber es bedeutet zugleich eine überaus grosse Bereicherung nicht nur für den Beruf, sondern schenkt in vielen Bereichen des Lebens Freude und die Wärme, die aus der Begeisterung heraus entstehen.
* Aussagen bisheriger Kursteilnehmer
Medizin sollte bunt sein — ganz wie die Menschen, die sie in Anspruch nehmen. Unsere Vision ist eine Medizin, die persönlich, integrativ, ganzheitlich und evidenzbasiert zugleich ist. Sie soll die Erfahrungen und Erkenntnisse verschiedener Therapierichtungen genauso enthalten wie die Leitlinien der universitären Medizin. Aber weil der Mensch vielschichtig ist, sollte sie auch vielschichtig sein. Bunt eben.
1921 durch die Ärztin Ita Wegman gegründet, lebt an der Klinik Arlesheim eine grosse Expertise in der praktisch angewandten Anthroposophischen Medizin, die wir gern weitergeben. Deshalb freuen wir uns ganz besonders, eine Ausbildung vorstellen zu können, in der die therapeutischen Erfahrungen, die an diesem Ort zu finden sind, sowie die dazugehörigen Grundlagen systematisch vermittelt werden. Im Januar 2020 startet der nächste Ausbildungsgang. Berufs- und studienbegleitend werden über zwei Jahre die Grundlagen der Anthroposophischen Medizin vermittelt. In diesem Rahmen können alle Voraussetzungen erworben werden, um den Fähigkeitsausweis anthroposophisch erweiterte Medizin beantragen zu können.
Fachperson |
Dr. med. Anna Alexandra Effenberger |
Arbeitsschwerpunkte | Medizinstudium in Dresden. Von 2017 bis 2019 Assistenzärztin Innere Medizin an der Klinik Arlesheim, in dieser Zeit Teilnahme an der Ärzteausbildung Anthroposophische Medizin Arlesheim. Ab 01/2020 als Assistenzärztin Innere Medizin am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe in Berlin. |
Kontakt | alexa.effenberger@posteo.de |