Bryophyllum,ein pflanzlicher Wehenhemmer mit Potential

Im deutsch­spra­chi­gen Raum kennt man die Pflan­ze Bryo­phyl­lum als Brut­blatt, Keim­zum­pe,
Trieb­pflan­ze, Spross­blatt, Lebens­zweig oder Kind­lipflan­ze. All die­se Namen deu­ten auf die aus­ser­ge­wöhn­li­che Fähig­keit zur Ver­meh­rung hin. In der Kom­ple­men­tär­me­di­zin wird Bryo­phyl­lum seit 1970 unter ande­rem zur The­ra­pie vor­zei­ti­ger Wehen ein­ge­setzt. Eine ver­glei­chen­de Stu­die zeig­te sowohl die Wirk­sam­keit die­ser The­ra­pie als auch das gerin­ge Aus­mass an Neben­wir­kun­gen.

Bryo­phyl­lum ist eine eher un­­scheinbare Pflan­ze und gehört zur Fami­lie der Dick­blatt­ge­wäch­se. Die­se gros­se Grup­pe zählt zu den Suk­ku­len­ten, wel­che die Fähig­keit besit­zen, Was­ser in den Blät­tern zu spei­chern. Dadurch kommt das dicke, flei­schi­ge Aus­se­hen zustan­de. In unse­ren Brei­ten gibt es zwar kei­ne wild­le­ben­den Bryo­phyl­lum-Pflan­zen, wohl aber Ver­tre­ter aus ande­ren Gat­tun­gen der Dick­blatt­ge­wäch­se wie zum Bei­spiel den Haus­wurz.
Das Beson­de­re an Bryo­phyl­lum ist die Art, wie sich die Pflan­ze ver­mehrt: Fällt ein Blatt auf die Erde, so bil­det sich inner­halb kur­zer Zeit in den Ein­ker­bun­gen am Blatt­rand ein gan­zer Kranz neu­er Pflänz­chen. Kurz vor der Blü­te kann die­ser Vor­gang auch schon an der Pflan­ze selbst statt­fin­den. Fast aus jedem Teil der Pflan­ze kann sich so unter güns­ti­gen Bedin­gun­gen eine neue Pflan­ze bil­den.

Wich­ti­ge kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­sche Heil­pflan­ze

In der anthro­po­so­phi­schen Medi­zin wird Bryo­phyl­lum als pflanz­li­ches Heil­mit­tel oft ein­ge­setzt. Einer­seits gilt es wegen sei­ner beru­hi­gen­den Wir­kung als „pflanz­li­ches Vali­um“ und kommt denn auch vor­wie­gend zur Über­win­dung von Unru­he­zu­stän­den zur Anwen­dung. Ande­rer­seits wur­de es 1970 von Dr. med. Wer­ner Hassau­er, dem dama­li­gen Chef­arzt für Gynä­ko­lo­gie und Geburts­hil­fe am Gemein­schafts­kran­ken­haus Her­de­cke (D), zur The­ra­pie vor­zei­ti­ger Wehen ein­ge­führt.
Nun hat die For­schung am Para­cel­sus-Spi­tal Rich­ters­wil in Zusam­men­ar­beit mit Frau PD Dr. Ursu­la von Man­dach von der Kli­nik für Geburts­hil­fe des Uni­ver­si­täts­spi­tals Zürich Bryo­phyl­lum im Labor (in vitro) und im kli­ni­schen All­tag (in vivo) genau­er unter­sucht. Dabei konn­te sei­ne Wirk­sam­keit zur The­ra­pie vor­zei­ti­ger Wehen bestä­tigt wer­den.

Bryo­phyl­lum in vitro

Als bewähr­te Metho­de zur Erfas­sung der Wir­kung eines Stof­fes auf die Gebär­mut­ter­mus­ku­la­tur kom­men so genann­te Organ­kam­mer­ver­su­che zur Anwen­dung. Dabei wird einem klei­nen Mus­kel­strei­fen unter phy­sio­lo­gi­schen Bedin­gun­gen die Test­sub­stanz zuge­führt und die dar­aus resul­tie­ren­de Kraft der Kon­trak­ti­on (des sich Zusam­men­zie­hens) auf einen Schrei­ber auf­ge­zeich­net. Damit kann dann berech­net wer­den, wie stark die Kon­trak­ti­ons­kraft durch ver­schie­de­ne Zusät­ze gehemmt wird. Wir konn­ten zei­gen, dass Bryo­phyl­lum sowohl spon­ta­ne Kon­trak­tio­nen dosis­abhängig hem­men kann als auch sol­che, die durch Zuga­be der kon­trak­ti­ons­aus­lö­sen­den Sub­stanz Oxy­to­cin her­vor­ge­ru­fen wur­den.

Bryo­phyl­lum in vivo

Die in vitro Ergeb­nis­se ver­an­lass­ten uns, eine zwei­te Stu­die im kli­ni­schen All­tag durch­zu­füh­ren. Dabei wur­den rück­bli­ckend (retro­spek­tiv) mit Bryo­phyl­lum behan­del­te Pati­en­tin­nen der anthro­po­so­phi­schen Kli­ni­ken Para­cel­sus-Spi­tal Rich­ters­wil, Fil­der­kli­nik Stutt­gart und Gemein­schafts­kran­ken­haus Her­de­cke mit Pati­en­tin­nen ver­gli­chen, die im Uni­ver­si­täts­spi­tal Zürich eine kon­ven­tio­nel­le The­ra­pie mit syn­the­ti­schen Bet­amime­ti­ka bekom­men hat­ten.
Dafür wur­den ins­ge­samt 67 Paa­re von schwan­ge­ren Frau­en mit früh­zei­ti­gen Wehen gebil­det, die sich bezüg­lich Alter der Frau und des Unge­bo­re­nen (bei Behand­lungs­be­ginn), Anzahl bis­he­ri­ger Kin­der und Schwan­ger­schaf­ten, Mut­ter­mund­wei­te, Kon­trak­ti­ons­fre­quenz, vor­zei­ti­gem Bla­sen­sprung und ande­rer rele­van­ter Fak­to­ren für mög­li­che Früh­ge­bur­ten nicht signi­fi­kant unter­schie­den. Die Defi­ni­ti­on der rele­van­ten Fak­to­ren erfolg­te vor der Sich­tung und Erfas­sung der Daten, um nicht eine unge­woll­te Selek­ti­on auf­grund der vor­ge­fun­de­nen Daten vor­zu­neh­men.
So konn­ten wir eini­ger­mas­sen sicher sein, dass vor Behand­lungs­be­ginn bei­de Grup­pen ver­gleich­ba­re Bedin­gun­gen auf­wie­sen und dem­zu­fol­ge all­fäl­li­ge Unter­schie­de in den Ergeb­nis­sen am ehes­ten durch die unter­schied­li­che Behand­lung (Bryo­phyl­lum bzw. kon­ven­tio­nel­le Stan­dard­be­hand­lung mit Bet­amime­ti­ka) zu erklä­ren sind.

Wirk­sa­me The­ra­pie mit wenig Neben­wir­kun­gen

In der Bryo­phyl­lum- und in der Bet­amime­ti­kum-Grup­pe waren die Ver­län­ge­rung der Schwan­ger­schaft, das Alter der Neu­ge­bo­re­nen bei Geburt und die Anzahl Spi­tal­auf­ent­halts­ta­ge vor und nach der Geburt sehr ähn­lich. Der Gesund­heits­zu­stand der Neu­ge­bo­re­nen war in der Bryo­phyl­lum-Grup­pe dem­ge­gen­über gleich oder bes­ser (vgl. Tabel­le).

Ein­deu­tig gerin­ger war in der Bryo­phyl­lum-Grup­pe die Anzahl Pati­en­tin­nen mit einer oder meh­re­ren uner­wünsch­ten Neben­wir­kun­gen. Unter allei­ni­ger Bryo­phyl­lum-The­ra­pie – das heisst dort, wo in der Bryo­phyl­lum-Grup­pe nicht auch noch zusätz­lich Bet­amime­ti­ka ein­ge­setzt wur­den – gab es signi­fi­kant weni­ger Herz­klop­fen oder Atem­not (vgl. Abbil­dung).
Die gute Ver­träg­lich­keit stimmt gut mit den kli­ni­schen Erfah­run­gen über­ein, und kei­ne der Varia­blen fiel zu Unguns­ten von Bryo­phyl­lum aus. Ver­glei­chen wir zudem unse­re Ergeb­nis­se mit denen aus aktu­el­len kon­ven­tio­nel­len Stu­di­en bei glei­chen Ein- und Aus­schluss­kri­te­ri­en (The World­wi­de
Ato­si­ban ver­sus Beta-ago­nists Stu­dy Group), so zei­gen sich ähn­li­che Zah­len, was die Ver­län­ge­rung der Schwan­ger­schaft betrifft.

Aus die­ser Stu­die kann nicht geschlos­sen wer­den, wel­cher Anteil der Ergeb­nis­se auf den Ein­satz von Bryo­phyl­lum allein und wel­cher Anteil auf das prin­zi­pi­ell ande­re Behand­lungs­kon­zept zurück­zu­füh­ren ist (ver­schie­de­ne Zen­tren mit unter­schied­lich aus­ge­bil­de­tem Per­so­nal, unter­schied­li­chen Kon­zep­ten und auch mit sozio­öko­no­misch unter­schied­li­chen Frau­en).
Die Ergeb­nis­se wur­den aber unter pra­xis­re­le­van­ten und nicht künst­li­chen, stu­di­en­ty­pi­schen Umstän­den eva­lu­iert. Sie spor­nen zudem an, wei­te­re Unter­suchungen nun auch pro­spek­tiv ver­glei­chend durch­zu­füh­ren.

Wis­sen­schaft­li­che Lite­ra­tur

Gwe­hen­ber­ger, B., Rist, L., Huch, R., von Man­dach, U.
Effect of Bryo­phyl­lum pin­na­tum
ver­sus fenote­rol on ute­ri­ne
con­trac­tili­ty. Eur J Obs­tet Gyne­col Reprod Biol 2004;113:164–71.

Plang­ger, N. Rist, L.,
Zim­mer­mann, R., von Man­dach,
U. Intra­venous toco­ly­sis with
Bryo­phyl­lum pin­na­tum is bet­ter tole­ra­ted than beta-ago­nist
app­li­ca­ti­on. Eur J Obs­tet Gyne­col Reprod Biol 2005, in press (July 25)

The World­wi­de Ato­si­ban ver­sus Beta-ago­nists Stu­dy Group.
Effec­tiveness and safe­ty of the
oxy­to­cin ant­ago­nist ato­si­ban ver­sus beta-adrener­gic ago­nists in the tre­at­ment of pre­term labour.
BJOG 2001;108:133–42.

Autoren110

Fach­per­son Dr. Lukas Rist
Arbeits­schwer­punk­te stu­dier­te an der Uni­ver­si­tät Zürich Bio­lo­gie und pro­mo­vier­te an der Gesamt­hoch­schu­le Kas­sel in Deutsch­land über „Theore­tische und expe­ri­men­tel­le Unter­su­chun­gen über den Ein­fluss der Gen­ma­ni­pu­la­ti­on auf die Inte­gri­tät der Arten.“ Wäh­rend der Dis­ser­ta­ti­on Teil­zeit-Mit­ar­beit in der phar­ma­zeu­ti­schen Indus­trie und dort ers­te Kon­tak­te mit der medi­zi­ni­schen For­schung.
Seit Okto­ber 1998 lei­tet er die For­schungs­ab­tei­lung am Para­cel­sus-Spi­tal Rich­ters­wil, wo er in enger Zusam­men­ar­beit mit Uni­ver­si­tä­ten und ande­ren in- und aus­län­di­schen Forschungs­einrichtungen Pro­jek­te im Bereich der Komplementär­medizin betreut und durch­führt. Im Jah­re 2000 Ernen­nung durch die Gesund­heits­di­rek­ti­on des Kan­tons Zürichs zum Präsi­denten der Spe­zia­li­sier­ten Unter­kom­mis­si­on (SPUK) für inter-
pre­tative, pati­en­ten­ori­en­tier­te
For­schung (Ethik­kom­mis­si­on).
Kon­takt lukas.rist@paracelsus-spital.ch

 

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