Auf der Suche sein und bleiben

Seit gut fünf Jah­ren kön­nen Ärz­tin­nen, Ärz­te und Medi­zin­stu­die­ren­de eine berufs­be­glei­ten­de Aus­bil­dung an der Kli­nik Arle­sheim absol­vie­ren mit
dem Ziel, den Fähig­keits­aus­weis „Anthro­po­so­phisch erwei­ter­te Medi­zin“ zu erwer­ben. „Quinte“-Redaktorin Vere­na Jäsch­ke hat vier Mit­glie­der des Teams der Dozie­ren­den befragt.

Zunächst wen­de ich mich an die Ärz­tin in der Gesprächs­run­de. Die gesam­te ärzt­li­che Aus­bil­dung ist schon sehr umfang­reich und lang­wie­rig. War­um sind noch wei­te­re Jah­re einer sol­chen Aus­bil­dung sinn­voll?

Judit Ked­ves: Mir per­sön­lich ging es damals so: Nach sechs Jah­ren war ich mit dem Stu­di­um fer­tig und frag­te mich, „War es das jetzt?“. Ich habe in der Aus­bil­dung viel über den phy­si­schen Kör­per und das Funk­tio­nel­le des Men­schen gelernt. Doch ich habe nichts über ande­re Ebe­nen des Men­schen erfah­ren. Vie­le mei­ner Fra­gen wur­den über­haupt nicht gelehrt. Die­se ergän­zen­den Aspek­te habe ich dann in der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin und ihrem erwei­ter­ten Men­schen­bild gefun­den. Für mich ist es wesent­lich, aus wel­chem Men­schen­bild her­aus ich ärzt­lich tätig bin. Unse­re Kurs­teil­neh­men­den ste­hen an sehr unter­schied­li­chen Punk­ten ihres Lebens und ihrer Ent­wick­lung. Man­che sind noch im Stu­di­um, man­che in der Fach­arzt­aus­bil­dung, man­che bereits am Ende ihrer beruf­li­chen Kar­rie­re. Im Arzt­be­ruf braucht es stän­dig Wei­ter­bil­dung, wir sind dazu ver­pflich­tet. In der Schweiz ist unse­re anthro­po­so­phi­sche Aus­bil­dung aner­kannt. Es gibt den Fähig­keits­aus­weis „Anthro­po­so­phisch erwei­ter­te Medi­zin“, das ist auch pra­xis- und abrech­nungs­re­le­vant.

Von den ande­ren möch­te ich gern erfah­ren, wie sich das für sie anfühlt, Ärz­tin­nen und Ärz­te aus einer ande­ren Pro­fes­si­on her­aus aus­zu­bil­den?

Rob Scha­pink: Die­se ande­re Pro­fes­si­on steht für mich nicht im Vor­der­grund. Ich habe selbst auch Medi­zin stu­diert und erin­ne­re mich an die Anfor­de­run­gen und die Art des Stu­di­ums. Ich bin froh, wenn ich es schaf­fe, die Teil­neh­men­den in die Bewe­gung zu bekom­men. Bei Medi­zi­nern fällt mir die Beto­nung des Den­kens auf. Für mich ist es schön, sie in einen ande­ren Bereich ein­zu­füh­ren, und ich freue mich, wenn das gelingt. All die Ärz­tin­nen und Ärz­te, die zur Aus­bil­dung kom­men, haben bereits einen bestimm­ten Weg gemacht, sonst wären sie gar nicht hier. Sie sind auf der Suche und haben ein Bedürf­nis. Es ist sehr schön, da in Kon­takt zu kom­men.

Nor­man Kin­ge­ter: Wir kom­men die­sem Bedürf­nis, die­ser Fra­ge ent­ge­gen. Es ist das Inter­es­se an der Euryth­mie. Da haben wir etwas anzu­bie­ten. Das ist je nach Grup­pe sehr anders. Jede Berufs­grup­pe hat ganz eige­ne Fra­gen. Man­che haben über Euryth­mie schon viel gehört, auch Merk­wür­di­ges, was nicht ver­stan­den wur­de. Ich erle­be viel Moti­va­ti­on bei den Teil­neh­men­den, das genau­er ken­nen­zu­ler­nen. Ich fin­de es wich­tig, gegen­sei­ti­ges Ver­ständ­nis zu för­dern. Da geht es viel um Kom­mu­ni­ka­ti­on, um Bespre­chungs­räu­me. Die wol­len wir gern schaf­fen.

Rebek­ka Lang: Ich fin­de das rich­tig span­nend. Ich brau­che in der Ärz­teaus­bil­dung eine ande­re Her­an­ge­hens­wei­se als wenn ich die­se Inhal­te an Pfle­gen­de wei­ter­ge­be. Ärz­te sind eher „kopf­las­tig“ – das bringt ihr Beruf mit sich. Ihre gan­ze Aus­bil­dung ist dar­auf aus­ge­legt, ana­ly­tisch und scharf den­kend Zusam­men­hän­ge zu sehen und Pro­ble­me zu lösen. Des­halb ist es mir beson­ders wich­tig, dass sie über das Aus­pro­bie­ren, über das Erle­ben in die Theo­rie kom­men. So erle­ben sie zuerst einen Wickel, bevor ich ihnen ver­mitt­le, wofür wir den brau­chen respek­ti­ve bei wel­chen Indi­ka­tio­nen er hilf­reich sein kann. So gehen wir von der Pflan­ze aus, rie­chen an der Sub­stanz, bevor ich erläu­te­re und vor allem zei­ge, wie eine sol­che Wickel­an­wen­dung abläuft. Alle Teil­neh­men­den kom­men wäh­rend des ers­ten Aus­bil­dungs­jahrs in den Genuss einer Ing­wer-Nie­ren-Kom­pres­se, wie sie ein Pati­ent auch erhal­ten wür­de, mit allem Drum und Dran. In der Pfle­ge unter­rich­te ich häu­fig so, also vom Erle­ben zur Theo­rie, bei den Ärz­tin­nen und Ärz­ten ist das eher etwas Neu­es. Ich per­sön­lich pro­fi­tie­re sehr vom ana­ly­ti­schen Den­ken der ärzt­li­chen Teil­neh­men­den.

Was unter­schei­det die­se Aus­bil­dung von ande­ren?

Nor­man Kin­ge­ter: Das Beson­de­re für mich ist, dass man an sich selbst arbei­tet. Die­se Selbst­ent­wick­lung ist ein wesent­li­cher Teil der Aus­bil­dung.

Rob Scha­pink: Genau! Aus­ser­dem erle­be ich die­se Aus­bil­dung als sehr inter­ak­tiv. Es ist wenig fron­ta­le Wis­sens­ver­mitt­lung, son­dern meist ein Mit­ein­an­der, ein gemein­sa­mes Agie­ren.

Judit Ked­ves: Wir wol­len die­se Aus­bil­dung bewusst jung und modern gestal­ten. Das ist nicht abhän­gig davon, wie alt die Teil­neh­men­den sind – wie gesagt, da haben wir eine ziem­li­che Band­brei­te. Uns geht es um ein nach­voll­zieh­ba­res und trans­pa­ren­tes Cur­ri­cu­lum. Wir legen gros­sen Wert auf den „roten Faden“ in der Aus­bil­dung. Wir haben eher eine fra­gen­de Hal­tung und wol­len nicht ein „So ist es“ ver­mit­teln. Es ist ein Weg, den wir alle zusam­men und doch jeder ein­zeln geht.

Rebek­ka Lang: Wir haben ver­schie­de­ne inter­dis­zi­pli­nä­re Ange­bo­te. Die Aus­bil­dung ist auch für ande­re medi­zi­ni­sche Beru­fe offen. Mir fällt immer wie­der auf, dass es um das eige­ne Erle­ben und Wahr­neh­men in der Aus­bil­dung geht. Das eher Theo­re­ti­sche kann am prak­ti­schen Bei­spiel wie bei den Äus­se­ren Anwen­dun­gen, der Hei­leu­ryth­mie oder ande­ren Übun­gen inner­lich nach­emp­fun­den und veri­fi­ziert wer­den.

Was begeis­tert Euch an die­ser Aus­bil­dung? War­um seid ihr im Team der Dozie­ren­den?

Judit Ked­ves (wen­det sich an die bei­den Hei­leu­ryth­mis­ten in der Run­de): Mit euch bei­den habe ich erst­mals erlebt, dass ich mit Hei­leu­ryth­mis­ten dis­ku­tie­ren kann. Uns macht das Suchen, Ent­wi­ckeln aus. Wir wol­len Men­schen begeis-
tern. Uns ver­bin­det, dass wir gemein­sam um Ant­wor­ten rin­gen.

Nor­man Kin­ge­ter: Wir wol­len die Anthro­po­so­phi­sche Medi­zin ver­ständ­lich machen. Dabei geht es auch um eine Erwei­te­rung der Behand­lungs­mög­lich­kei­ten zum Wohl der Pati­en­tin­nen. Das ist eine schö­ne Auf­ga­be.

Rob Scha­pink: Das ist für mich ein Grund, hier zu unter­rich­ten. Wir gehen zusam­men von einer Fra­ge aus. Wir geben kei­ne Ant­wor­ten vor, son­dern bege­ben uns zusam­men auf die Suche. Die Aus­bil­dung ori­en­tiert sich am Cur­ri­cu­lum. Doch die Umset­zung die­ses Lehr­plans ist abhän­gig von der jewei­li­gen Grup­pe: Wie geht sie mit? Wo lie­gen die Bedürf­nis­se der Teil­neh­men­den? Das neh­men wir auf und berück­sich­ti­gen es in der Aus­ge­stal­tung der ein­zel­nen Modu­le.

Rebek­ka Lang: Das Inter­dis­zi­pli­nä­re lebt in der Aus­bil­dung stark. Mich per­sön­lich begeis­tert natür­lich das ech­te Inter­es­se an den Äus­se­ren Anwen­dun­gen. Wir sind zusam­men unter­wegs, suchen gemein­sam Wege. In der Aus­bil­dung wird dar­auf hin­ge­ar­bei­tet, eine gemein­sa­me Spra­che zu fin­den – auch zwi­schen den ver­schie­de­nen Berufs­grup­pen. So kön­nen wir als Team zusam­men mit dem kran­ken Men­schen schau­en, wie wir ihn oder sie unter­stüt­zen kön­nen. Aus­ser­dem sind tol­le Men­schen im Dozie­ren­den­team; es macht ein­fach Spass, mit ihnen zusam­men­zu­ar­bei­ten. Das neue Ange­bot „Foun­da­ti­on Stu­dies“ begeis­tert mich beson­ders, weil es in die­sem Kurs mög­lich ist, die Inhal­te der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin mit Men­schen aus ande­ren Kul­tu­ren zu dis­ku­tie­ren. Wie gehen Men­schen in Spa­ni­en oder Japan mit Krank­heit und Gesund­heit um? Das sind doch span­nen­de Fra­gen! Zudem ver­su­chen wir, eine gesun­de Art des Online-Unter­richts zu fin­den und zu leben – mit vie­len inter­es­san­ten Dis­kus­sio­nen.

Apro­pos Fra­gen – Es wur­de nun schon mehr­fach gesagt, dass es um eine fra­gen­de Hal­tung geht. Wol­len die Teil­neh­men­den nicht auch Ant­wor­ten?

Judit Ked­ves: Rob hat es schon erwähnt: Wir ori­en­tie­ren uns am Cur­ri­cu­lum. Doch ich habe in den ver­schie­de­nen Jahr­gän­gen noch nie erlebt, dass die Aus­bil­dung gleich abläuft. Das kann auch gar nicht anders sein, wenn wir den Unter­richt ent­spre­chend den Bedürf­nis­sen gestal­ten. Das ist auch in den Pra­xis­trai­nings­ein­hei­ten so. Die­se Offen­heit und Teil­neh­mer­ori­en­tie­rung zeich­net uns aus.

Nor­man Kin­ge­ter: Wenn man sich von der tra­di­tio­nel­len Medi­zin aus­ge­hend der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin nähert, geht es immer um Pro­zes­se. Man ver­sucht immer, Wege zu gehen. Euryth­mie erle­be ich als ein gutes Mit­tel, um mit Bewe­gung Pro­zes­se erleb­bar zu machen.

Rob Scha­pink: Wenn ich es mit dem künst­le­ri­schen Pro­zess ver­glei­chen darf, scheint es mir ganz wich­tig, immer aus einer fra­gen­den Hal­tung künst­le­risch zu schöp­fen. Wirk­li­che Kunst ent­steht doch aus der Suche.

Nor­man Kin­ge­ter: Ja, und über­tra­gen auf unse­re Beru­fe lässt sich das wohl dar­in sehen, dass du eine umso bes­se­re Ärz­tin oder ein umso bes­se­rer The­ra­peut bist, je mehr der kran­ke Mensch eine Fra­ge für dich dar­stellt.

Judit Ked­ves: Dazu passt eine Aus­sa­ge vom ehr­wür­di­gen Hip­po­kra­tes: „Es ist viel wich­ti­ger zu wis­sen, wel­cher Mensch eine Krank­heit hat, als wel­che Krank­heit ein Mensch hat.“ Im Medi­zin­stu­di­um ler­nen wir alles über Krank­hei­ten. Das ist sehr gut und wich­tig. Aber irgend­wann fragst du dich: Wo ist der Mensch? Um die­se Fra­ge bemü­hen wir uns die gan­ze Zeit.

Nor­man Kin­ge­ter: In der Aus­bil­dung geht es auch um Erfah­rungs­aus­tausch unter Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen. In den Pra­xis­trai­nings­ein­hei­ten wer­den kör­per­li­che Unter­su­chun­gen vor­ge­nom­men. Es gibt also rich­tig Hand­fes­tes. Die­ser Fak­tor von Begeg­nung und Aus­tausch unter Teil­neh­men­den ist eben­falls etwas Beson­de­res und gefällt mir per­sön­lich immer sehr gut.

 

Ärz­teaus­bil­dung Arle­sheim

2016 haben wir mit dem Ein­füh­rungs­se­mi­nar in Anthro­po­so­phi­sche Medi­zin für Ärz­tin­nen, Ärz­te und Medi­zin­stu­die­ren­de begon­nen, das seit­dem jähr­lich statt­fin­det. Das ist ide­al für alle, die einen ers­ten Kon­takt mit den The­men der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin auf­neh­men wol­len. Seit 2021 bie­ten wir ein zwei­tes Ein­füh­rungs­se­mi­nar für inter­pro­fes­sio­nel­le Teil­neh­men­de an. An die­sen drei­tä­gi­gen Semi­na­ren kön­nen Men­schen aller Gesund­heits­be­ru­fe teil­neh­men – unab­hän­gig von Pro­fes­si­on, Alter und Lebens­si­tua­ti­on.
Im Herbst 2017 star­te­te der ers­te Kurs der Ärz­teaus­bil­dung Arle­sheim. Seit­dem beginnt in jedem Jahr ein neu­er Aus­bil­dungs­gang. Die zwei­jäh­ri­ge berufs­be­glei­ten­de Aus­bil­dung haben mitt­ler­wei­le über 110 Per­so­nen erfolg­reich abge­schlos­sen.
Im Sep­tem­ber 2022 schla­gen wir mit den „Foun­da­ti­on Stu­dies – Grund­la­gen der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin“ ein neu­es Kapi­tel in der Wei­ter­bil­dung auf. Wir haben die­sen ein­jäh­ri­gen Kurs inter­na­tio­nal und inter­pro­fes­sio­nell ange­legt, online-gestützt geht es um die Grund­la­gen der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin. In betreu­ten regio­na­len und digi­ta­len Lern­grup­pen dis­ku­tie­ren und bear­bei­ten die Teil­neh­men­den ihre Fra­gen, stu­die­ren Tex­te, machen Natur­be­trach­tun­gen, üben Euryth­mie. Sie erhal­ten an den Live-Streams und über eine Online-Lern­platt­form Input, der in die­sen Klein­grup­pen ver­tieft wird. Anschlies­send soll es mög­lich sein, in eine Prä­sen­z­aus­bil­dung für die wei­te­re prak­tisch-the­ra­peu­ti­sche Aus­bil­dung ein­zu­stei­gen.

André Hach
Geschäfts­füh­rer Ärz­teaus­bil­dung Arle­sheim

www.aerzteausbildung.com
www.foundationstudies.care

 

Fach­per­son Judit Ked­ves
Fach­ärz­tin Inne­re Medi­zin mit Schwer­punkt
Psy­cho­so­ma­tik. Kol­le­gi­um Ärz­teaus­bil­dung
Arle­sheim. Haus­ärz­tin Ita Weg­man Ambu­la­to­ri­um Basel.
Kon­takt info@aerzteausbildung.ch

 

Fach­per­son Rebek­ka Lang
Dipl. Pfle­ge­fach­frau, Exper­tin Anthro­po­so­phi­sche Pfle­ge. Exper­tin Rhyth­mi­sche Ein­rei­bun­gen IFAN. Aus­bil­de­rin mit Fach­aus­weis. Aktu­ell in der
Pfle­ge auf der Sta­ti­on Psy­cho­so­ma­tik Kli­nik Arle­sheim. Dozen­tin bei der Soleo Aka­de­mie für Pfle­ge­be­ru­fe.
Kon­takt info@aerzteausbildung.ch

 

Fach­per­son Rob Scha­pink, M.A.
Hei­leu­ryth­mist an der Kli­nik Arle­sheim und im Ita Weg­man Ambu­la­to­ri­um Basel.
Kon­takt info@aerzteausbildung.ch

 

Fach­per­son Nor­man Kin­ge­ter, M.A.
Hei­leu­ryth­mist an der Kli­nik Arle­sheim
und im Ita Weg­man Ambu­la­to­ri­um Basel. Dozent in ver­schie­de­nen Aus­bil­dun­gen.
Kon­takt info@aerzteausbildung.ch

 

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