Auf der Suche nach dem Lavande

Die Luft beginnt über dem Hoch­pla­teau von Caus­sols zu flim­mern und selbst der Gesang der Zika­den scheint in der Mit­tags­hit­ze etwas lei­ser zu wer­den. Auf sol­chen wei­ten,
stei­ni­gen Hoch­ebe­nen wie hier wur­de der ech­te Laven­del geern­tet, der damals in den welt­be­rühm­ten Lavendel­destillerien von Gras­se destil­liert wur­de.

Die hoch­be­tag­te Ver­mie­te­rin der klei­nen Gite de Fran­ce hat­te mir davon am Vor­abend berich­tet. Noch vor Son­nen­auf­gang war die gan­ze Fami­lie auf­ge­bro­chen und jeder trug auf sich eine Sichel, gros­se Lei­nen­sä­cke und sei­nen Pro­vi­ant. Mit schnel­len Grif­fen und gebückt arbei­te­te man sich, Laven­del­gar­ben schnei­dend, über die Hoch­ebe­ne. Mög­lichst viel muss­te in den Mor­gen­stun­den geern­tet wer­den kön­nen, da gegen Mit­tag die Ern­te wegen der Hit­ze, Bie­nen und Schlan­gen immer schwie­ri­ger wur­de. Wenn genü­gend Lei­nen­sä­cke gefüllt waren, spann­te der Vater die Pfer­de vor den gros­sen Wagen, und alle war­fen ihre vol­len Laven­del­sä­cke dar­auf und leg­ten sich sel­ber schliess­lich zuoberst hin. Mit Glo­cken und Gesang sei­en sie dann mit dem Fuhr­werk nach Gras­se
hin­un­ter gefah­ren, und trotz der Erschöp­fung habe sie die­se Fahrt jeweils immer wie einen Fest­um­zug erlebt.

Um den ech­ten Laven­del zu stu­die­ren, bin ich hier auf die­se Hoch­ebe­ne gekom­men, denn der Lavan­de vraie, wie ihn die Fran­zo­sen nen­nen, kommt wild nur auf sol­chen stei­ni­gen Höhen­la­gen ober­halb 800 Metern vor. Die Pflan­zen der gros­sen blau­en Laven­d­el­fel­der im Tal bestehen aus Lavan­din, einer ste­ri­len Hybrid­kreu­zung des ech­ten Laven­dels mit Speik­ laven­del. Die­ser halb­in­dus­tri­el­le, gross­flä­chi­ge Lavan­dinan­bau hat die Ern­te des ech­ten Laven­dels fast völ­lig abge­löst, und die deut­li­chen Unter­schie­de die­ser Pflan­zen sind nur noch Weni­gen bekannt.

In der Mit­tags­hit­ze bie­tet eine knor­ri­ge Kie­fer etwas Schat­ten für eine Rast, und mein Blick fällt auf zer­klüf­te­te Fels­for­ma­tio­nen. Ein hel­ler Kalk mit vie­len Schrun­den und Ris­sen brei­tet sich vor mir aus, und die Hit­ze brü­tet unbarm­her­zig dar­über. Doch über den Fel­sen bemer­ke ich vie­le auf- und nie­der­flat­tern­de Schmet­ter­lin­ge und Insek­ten. Beim Näher­tre­ten bemer­ke ich, wie sich eine Pflan­ze über­all in die Fel­sen­ris­se hin­ein­schmiegt und eine Fül­le von klei­nen Blü­ten­äh­ren über den heis­sen Kalk­stein aus­brei­tet.

Die­se Pflan­ze, der ech­te Laven­del, scheint die­se heis­sen, aus­ge­mer­gel­ten Kalk­fel­sen zu mögen. Der Anblick fas­zi­niert mich, der kah­le, aus­ge­trock­ne­te Kalk­stein und dar­über die vie­len Fal­ter und Insek­ten. Und dazwi­schen die­se kräf­ti­ge Stau­de mit ihren vie­len Blü­ten­äh­ren, deren Far­be in der Mit­tags­son­ne jetzt eher grau als blau erscheint und die den Fels mit einer Fül­le von klei­nen duf­ten­den Blü­ten über­zieht. Beim Zer­rei­ben eines Blü­ten­stan­des über­rascht mich ein fri­scher, kraft­vol­ler Blü­ten­ge­ruch. Trotz der Hit­ze füh­le ich mich über­ra­schend ange­regt. Viel­leicht auch des­halb, weil ich plötz­lich glau­be, etwas über die Wir­kung des ech­ten Laven­dels ver­ste­hen zu kön­nen. Die schlaf­för­dern­de und ent­span­nen­de Wir­kung von Laven­del scheint gar nicht eine dämp­fen­de oder bewusst­seinstrü­ben­de zu sein, son­dern im Gegen­teil eher eine umstim­men­de und erfri­schen­de. Umstim­mend und erfri­schend wohl vor allem dort, wo auch bei uns die Lebens­kräf­te hart und kahl zu wer­den dro­hen wie in die­sen fast an Kno­chen erin­nern­den Kalk­for­ma­tio­nen. Ein Gesichts­punkt der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin ist ja, dass wir unser waches Tages­be­wusst­sein mit Ver­brauch der Lebens­kräf­te und Nei­gung zur Skle­ro­sie­rung im Sin­nes-Ner­ven­be­reich erkau­fen. Von sei­ner Dyna­mik her wirkt der ech­te Laven­del wohl gera­de hier umstim­mend und Lebens­kräf­te akti­vie­rend. Ich den­ke an die abge­ar­bei­te­ten und erschöpf­ten Lei­ber der Laven­de­lern­ter, die sich auf den Laven­del­sä­cken aus­ge­streckt plötz­lich wie­der erquickt und fröh­lich fühl­ten.

Ich erin­ne­re mich auch, dass die betag­te Ver­mie­te­rin heu­te Mor­gen erzähl­te, dass sie jeden Mor­gen ein klei­nes Lavendel­sträusschen pflü­cke und dass ihr das jedes Mal wie neue Lebens­kräf­te gäbe. Ob sie mir wohl die güns­ti­ge Wir­kung auf ihren hoch­ge­al­ter­ten Leib noch genau­er beschrei­ben könn­te? Doch wie soll man das erfra­gen, ohne dass sie denkt, ich hät­te wohl heu­te hier auf dem Hoch­pla­teau etwas zu viel Son­ne
erwischt? Ich beschlies­se, von den ange­nehm duf­ten­den Blü­ten­äh­ren für ein herr­li­ches Duft­kis­sen zu sam­meln. Auf der Rück­rei­se ler­ne ich einen Laven­del­bau­er ken­nen, der auf 1000 m ü. M. den ech­ten Laven­del in Deme­ter­qua­li­tät anbaut. Mit die­sem Laven­del­öl stel­len wir seit­her unser Laven­del­bad und unse­re Ber­gla­ven­del-Emul­si­on her.

Dr. med. Clif­ford Kunz

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