
Sprachtherapie gestaltet den Atem und unterstützt die Kräftigung des Stoffwechsels. In der anthroposophischen Therapie hat sie seit jeher einen grossen Stellenwert, auch bei der Linderung und Behebung von Verdauungsstörungen.
In der Therapeutischen Sprachgestaltung arbeiten wir mit einfachen Atem-, Laut-, Wort- und Satzübungen. Auch Text- und Gedichtteile verwenden wir, wenn es die Therapiesituation zulässt. Wichtig ist immer, dass die Aufgabenstellung klar und überschaubar ist, damit die Patientinnen und Patienten den Prozess des eigenen Übens sicher erlernen. Durch das regelmässige eigenständige Üben wird die Therapiewirksamkeit systematisch sichergestellt.
Ambulant kommen die Patientinnen und Patienten in der Regel einmal pro Woche in eine dreissigminütige Therapiesitzung. Je nach ärztlicher Verordnung umfasst eine Therapie-Serie neun bis zwölf Einheiten. So haben Therapeut und Patient einen Zeitraum von etwa drei Monaten zur Verfügung, um die geplante und zielgerichtete Intervention durchzuführen.
Atemgestaltung ist wirksam
Die Wirksamkeit von Atemtherapie ist bereits in etlichen Studien erforscht und bestätigt worden. Ein Review über 23 solcher Studien1 dokumentiert klare Hinweise für eine Wirksamkeit, vor allem in Bezug auf Asthma, Rückenbeschwerden, Herzdysfunktion und Schmerzen. Auch verschiedene psychische Parameter reagieren positiv auf Atemtherapie, mit der psychotherapeutische Effekte initiiert und umgesetzt werden können.
Wird die gezielte, fachgemässe Atemgestaltung während der Therapieeinheiten durch sprachtherapeutische Mittel erweitert, lassen sich der Einfluss des Atems auf den Körper und dessen Befindlichkeit weiter steigern.
Um die Wirksamkeitsfelder verständlich zu machen, sollten wir uns die Stoffwechsel-Aktivität des Atems etwas differenzierter bewusstmachen.
Die Schweizer Krankenkasse Helsana unterscheidet auf ihrer Internetseite die innere und äussere Atmung: „Die äussere Atmung steht für den Gasaustausch in der Lunge. Dabei wird beim Einatmen Sauerstoff aus der Umgebung aufgenommen und beim Ausatmen Kohlendioxid abgegeben. Mit jedem Atemzug kann der Mensch bis zu vier Liter Luft aufnehmen.
Bei der inneren Atmung handelt es sich um den biochemischen Vorgang, den der Sauerstoff in den Zellen auslöst und der der Energiegewinnung des Körpers dient. Mithilfe des Sauerstoffs wird die aus der Nahrung gewonnene Glukose zu Kohlendioxid und Wasser abgebaut. Dabei wird Energie frei, die als Molekül Adenosintriphosphat (ATP) gebunden wird. ATP benötigt der Mensch für alle Prozesse im Körper, sei es für das Gehirn, die Muskulatur oder die Verdauung.“2
Explizit wird die Verbindung von Atmung und Verdauung am Ende erwähnt. Stellen Sie sich den Verdauungsprozess als vergröberten und die Atmung als verfeinerten Stoffwechsel vor. Beide liegen ineinander und durchdringen sich wechselseitig. Deshalb ist es auch möglich, dass in körperlichen Extremsituationen, beispielsweise bei einer Niereninsuffizienz, die Atmung vergröberte Stoffwechselanteile übernimmt und den Harnstoff, der eigentlich vollständig über den Nierenstoffwechsel und die Urinableitung ausgeschieden werden sollte, im verfeinerten Luftausatmungsprozess abatmet und ausscheidet. Geschieht dies erzwungen durch die Krankheitssituation, ist der Harnstoff in der Ausatmung eines nieren-insuffizienten Patienten geruchlich wahrnehmbar. Bei den heutigen Behandlungsmöglichkeiten der Medizin, zum Beispiel der Dialyse (Blutwäsche), kommt es zu diesem Szenario eher nicht mehr.
Atemgestaltung wird durch Sprachübungen noch gesteigert
Durch die Laute wird die Ausatmung modifiziert und in ihrer Dynamik differenziert. Jeder Laut gestaltet die Ausatmung anders, gibt ihr eine spezifische Charakteristik und Ausgestaltung. Nehmen Sie beispielsweise den Vokal A, sprechen Sie ihn laut und deutlich aus und beobachten Sie, was passiert. Dieser Vokal öffnet Ihren Sprachorganismus maximal. Der Atem kann ungehindert und kraftvoll nach aussen strömen, ohne an einer Stelle durch Lippen, Zungenspitze, Zungenrand oder Zungenwurzel gebremst und gestaut zu werden. Der Gaumen- und Rachenbereich wird weit.
Die anthroposophische Menschenkunde unterscheidet drei sehr unterschiedliche Glieder des menschlichen Organismus, denen auch die verschiedenen am Sprechen beteiligten Mundbereiche zugeordnet werden können: das Nerven-Sinnessystem, das Rhythmische System und das Stoffwechsel-Gliedmassensystem.
Die Zungenspitze, mit der wir hauptsächlich die Buchstaben N L D T gestalten, hebt sich bei diesen Lauten maximal aufwärts, drückt sich an den harten, oberen Gaumen und staut den Atemfluss aus dem Mund. Ihr Wirkungsfeld ist hauptsächlich das Kopfsystem, welches die Nerven-Sinnes-Tätigkeit generiert.
Die Lippen, die hauptsächlich die Laute B P M O U gestalten, werden dem Wirkungsfeld des Rhythmischen Systems zugeordnet, in welchem eigentlich die Gefühle ihre Grundlage finden. Der hintere Mundbereich ist dem Stoffwechsel-Willens-Prozess zugeordnet, er repräsentiert ihn und ist sein Hauptwirkungsfeld innerhalb des Sprachvorgangs. Am stärksten wird dieser Bereich durch die Stosslaute K G und NG gestaltet, die im hinteren Mund- und Zungenbereich eine intensive Tätigkeit entfalten, wobei sie den Atemstrom unterbrechen und ihn, explosionsartig beschleunigt, nach aussen stossen. Dadurch erfährt der verfeinerte Stoffwechsel eine energische Gestaltung. Da aber Atmung und Stoffwechsel ineinander verschränkt sind, reagiert der vergröberte Stoffwechsel immer mit und wird angeregt und gestärkt. So können wir durch Sprachübungen im hinteren Mundbereich verstärkt auf das Stoffwechselsystem einwirken.
Sprachtherapie ist selbstwirksam und nachvollziehbar
Durch die klare Zielsetzung innerhalb der Sprachtherapie-Einheiten und die regelmässige Evaluation des Behandlungsfortschritts können die Patientinnen und Patienten ihre Therapie eigenständig mitgestalten und steuern. Sie gestalten ihre Behandlung im selbständigen Üben aktiv mit. Die Wirkung auf die eigene Befindlichkeit stellen sie unmittelbar selbst fest, was die Therapie zu einer überschaubaren, förderlichen Intervention macht, die ohne unerwünschte Nebenwirkung auskommt und immer auch das Selbstbewusstsein stärkt.
„Die Therapie wirkt sich auf die Atmung und die damit verbundenen Druckverhältnisse in meinem Körper aus. Die Ergebnisse ermutigen mich, die Therapie weiterzuführen.“, formuliert ein Patient, der gegenwärtig in ambulanter Behandlung ist.
1 https://www.karger.com/Article/Pdf/464341
2 https://www.helsana.ch/de/blog/atmen
Fachperson |
Alexander Faldey |
Arbeitsschwerpunkte | Studium der Sprachkunst in Dornach. Sprachtherapeut an der Klinik Arlesheim seit 1999. Mitglied der Klinikleitung, Leiter Therapien und Medizinischer Querschnitt. |
Kontakt | alexander.faldey@klinik-arlesheim.ch |