Antibiotika – ja oder nein?

Den Ein­satz von Anti­bio­ti­ka im kli­ni­schen All­tag rich­tig abzu­wä­gen, ist oft gar nicht so ein­fach. Der kon­kre­te Ent­scheid fällt dann leich­ter, wenn zusätz­lich wirk­sa­me Behand­lungs­al­ter­na­ti­ven zur Ver­fü­gung ste­hen und die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten aktiv in die The­ra­pie mit­ein­be­zo­gen wer­den. Die „Quinte“-Redaktion hat mit Phil­ipp Busche, Fach­arzt für Gas­tro­en­te­ro­lo­gie, gespro­chen und auf­schluss­rei­che Ant­wor­ten erhal­ten.

Herr Busche, wie neh­men Sie die Pro­ble­ma­tik der über­mäs­si­gen Ver­schrei­bung von Anti­bio­ti­ka wahr?

Der Umgang mit anti­mi­kro­bi­el­len Sub­stan­zen ist für den ärzt­li­chen All­tag ein schwie­ri­ges Unter­fan­gen. Die Mög­lich­keit von Bak­te­ri­en­stäm­men, Resis­ten­zen auf ein­zel­ne oder meh­re­re Anti­bio­ti­ka zu bil­den, ist eigent­lich altes Lehr­buch­wis­sen. Inso­fern sind die Gesichts­punk­te für eine dif­fe­ren­zier­te Anti­bio­ti­ka­the­ra­pie ein wich­ti­ger Teil der uni­ver­si­tä­ren Aus­bil­dung und damit der Ärz­te­schaft prin­zi­pi­ell auch gut bekannt. Die eigent­li­chen Schwie­rig­kei­ten sind folg­lich nicht theo­re­ti­scher, son­dern prak­ti­scher Natur.

Kön­nen Sie ein Bei­spiel nen­nen?

Stel­len Sie sich eine all­täg­li­che Situa­ti­on in der Not­auf­nah­me vor. Eine jun­ge Pati­en­tin kommt mit Hals­schmer­zen, Schluck­be­schwer­den und Fie­ber, die seit dem Vor­tag bestehen, zu uns. Die Nah­rungs- und Flüs­sig­keits­auf­nah­me sind nicht beein­träch­tigt. Nach der geziel­ten Befra­gung und kör­per­li­chen Unter­su­chung kann schnell eine aku­te Man­del­ent­zün­dung, eine Angi­na ton­sil­la­ris, dia­gnos­ti­ziert wer­den. Die Pati­en­tin aber möch­te viel­leicht ihr Stu­di­um rasch wie­der auf­neh­men oder für ihre jun­ge Fami­lie da sein und kommt mit dem Wunsch nach einer The­ra­pie. Geben wir nun ein Anti­bio­ti­kum oder nicht?

Die rich­ti­ge Ant­wort zu geben ist gar nicht so leicht?

Die aku­te Ton­sil­li­tis wird über­wie­gend von vira­len Erre­gern, sel­te­ner von Bak­te­ri­en ver­ur­sacht. Unse­re klas­si­schen Anti­bio­ti­ka hel­fen aber nur bei bak­te­ri­el­len Infek­tio­nen und nicht bei vira­len. Der Begriff „über­wie­gend“ bedeu­tet bei einer jun­gen Pati­en­tin Anfang Zwan­zig immer­hin „in 70 bis 95 Pro­zent der Fäl­le“. Wir haben dafür einen „Score“, um die Wahr­schein­lich­keit abzu­schät­zen, und der wür­de bei unse­rer Pati­en­tin nicht ein­mal einen Test auf Bak­te­ri­en emp­feh­len. Theo­re­tisch gibt es die Mög­lich­keit, eine vira­le Dia­gnos­tik durch­zu­füh­ren, das macht aber im All­tag wegen feh­len­der the­ra­peu­ti­scher Kon­se­quen­zen kei­nen Sinn und wird daher in der Leit­li­nie ent­spre­chend auch nicht emp­foh­len.

Wie kann denn eine aku­te Ton­sil­li­tis behan­delt wer­den?

Die­se Fra­ge ist für den Arzt in der Not­auf­nah­me – und in der nor­ma­len Haus­arzt­pra­xis kommt das natür­lich im All­tag noch deut­lich häu­fi­ger vor – genau das Pro­blem. Die Leit­li­ni­en emp­feh­len in die­sem Fall ent­zün­dungs­hem­men­de Schmerz­mit­tel wie Par­acet­amol oder Irfen. Vie­le Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten wol­len aber gar kein Schmerz­mit­tel und sind, gera­de wenn der sozia­le Druck gross ist, ent­täuscht, wenn sie das Anti­bio­ti­kum nicht bekom­men. Die­ser Druck über­trägt sich schnell auf den Arzt. Das macht uns Ärz­te dann auch unzu­frie­den. Etwas nicht zu geben, ist gar nicht so ein­fach, und die Schul­me­di­zin bie­tet in die­sem Fall kaum the­ra­peu­ti­sche Alter­na­ti­ven.

Sie arbei­ten an einer Kli­nik, die den Ruf hat, wenig Anti­bio­ti­ka ein­zu­set­zen. Wie gehen Sie mit einer sol­chen Situa­ti­on um?

Die Kon­zep­te der Anthro­po­so­phi­schen Medi­zin schlies­sen eine Anti­bio­ti­ka­the­ra­pie nicht aus. Es ist aber rich­tig, dass wir in der Kli­nik eine Tra­di­ti­on des vor­sich­ti­gen Ein­sat­zes von Anti­bio­ti­ka pfle­gen. Das hängt vor allem damit zusam­men, dass gute Erfah­run­gen mit alter­na­ti­ven The­ra­pie­mög­lich­kei­ten bestehen. Bei die­ser Pati­en­tin könn­ten Zitro­nen-Hals­wi­ckel zum Abschwel­len und zur Schmerz­lin­de­rung bei­tra­gen. Medi­ka­men­tös haben wir gute Erfah­run­gen mit Prä­pa­ra­ten wie Apis/Belladonna cum Mer­cu­rio oder Pyrit/Zinnober.

Wie reagie­ren die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten auf sol­che alter­na­ti­ven Mög­lich­kei­ten?

Sie sind ihnen gegen­über oft sehr auf­ge­schlos­sen. Zum einen, weil wir nicht sagen, dass es etwas nicht braucht, son­dern aktiv the­ra­peu­ti­sche Mass­nah­men anbie­ten, und zum ande­ren, weil sie durch die Emp­feh­lung gera­de auch der äus­se­ren Anwen­dun­gen mit in den the­ra­peu­ti­schen Pro­zess ein­ge­bun­den wer­den. Trotz­dem ist natür­lich bei jeder infek­tiö­sen Erkran­kung sehr gut zu prü­fen, auch die Leit­li­ni­en zu reflek­tie­ren, ob eine Anti­bio­ti­ka­the­ra­pie sinn­voll ist oder nicht.

Gibt es Erkran­kun­gen, bei denen die Ent­schei­dung schwie­rig ist?

Ein gutes Bei­spiel aus mei­nem Fach­be­reich ist die aku­te unkom­pli­zier­te Diver­ti­ku­li­tis. Im Sta­di­um 1a, was einer ein­fa­chen Diver­ti­ku­li­tis ent­spricht, die auf die Diver­ti­kel begrenzt bleibt, kann gemäss Leit­li­nie eine anti­bio­ti­sche The­ra­pie erfol­gen, muss aber nicht. Wir haben gute Erfah­run­gen gemacht mit der Behand­lung durch Mer­ku­ria­lis-Bauch­wi­ckel in Kom­bi­na­ti­on mit zum Bei­spiel Ery­si­do­ron und Diges­to­do­ron oder auch ande­ren Prä­pa­ra­ten wie Oxa­lis comp. oder Mer­cu­ria­lis natu­ra­lis. Bei die­sem Krank­heits­bild besteht in der Regel eine bak­te­ri­el­le Ursa­che. Eine nicht­an­ti­bio­ti­sche The­ra­pie braucht des­halb umso mehr Auf­merk­sam­keit für den Pati­en­ten.

Was heisst das kon­kret?

Zum einen muss dia­gnos­tisch eine höher­gra­di­ge Diver­ti­ku­li­tis (Sta­di­um 1b oder 2) sicher aus­ge­schlos­sen sein, wes­halb die­se Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten eine Com­pu­ter­to­mo­gra­phie brau­chen, und zum ande­ren muss der kli­ni­sche Ver­lauf ärzt­lich gut ver­folgt wer­den kön­nen. Im Kran­ken­haus kön­nen sol­che Pati­en­ten für ein paar Tage auf­ge­nom­men wer­den. Dann sehen wir sie im Rah­men der täg­li­chen Visi­te. Im ambu­lan­ten Bereich bräuch­te es wahr­schein­lich wie­der­hol­te Kon­sul­ta­tio­nen oder bei älte­ren Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten sogar Haus­be­su­che. Inso­fern ist die Fra­ge der Behand­lung immer auch eine des kon­kre­ten medi­zi­ni­schen Umfelds.

Im Hin­blick auf den spar­sa­men Ein­satz von Anti­bio­ti­ka lohnt sich die­ser Ein­satz jedoch?

Der Ruf, wenig Anti­bio­ti­ka ein­zu­set­zen, kann für eine Kli­nik heut­zu­ta­ge einen wich­ti­gen Wert und ein Qua­li­täts­merk­mal dar­stel­len. Ich bin sehr froh, an einer Kli­nik zu arbei­ten, in der eine gros­se Exper­ti­se lebt, unkom­pli­zier­te Infek­ti­ons­er­kran­kun­gen auch ohne Anti­bio­ti­ka zu behan­deln. Trotz­dem ist die Ver­ord­nung von Anti­bio­ti­ka natür­lich All­tag auf unse­ren Sta­tio­nen, da wie in jedem Kran­ken­haus gera­de bei sta­tio­nä­ren Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten kom­ple­xe Krank­heits­si­tua­tio­nen oder schwe­re Infek­tio­nen vor­lie­gen, wo die anti­bio­ti­sche The­ra­pie abso­lut not­wen­dig ist, um eine Gene­sung zu ermög­li­chen. Bis­her sind bei uns aber mul­ti­re­sis­ten­te Kei­me kein The­ma, und ich hof­fe, dass dies durch den bewuss­ten und auch kri­ti­schen Umgang mit die­sen Sub­stanz­grup­pen so bleibt.

Damit kann die Kli­nik auch eine Vor­bild­funk­ti­on haben?

Wir wol­len in den nächs­ten Jah­ren unse­re inte­gra­tiv­me­di­zi­ni­sche Exper­ti­se so wis­sen­schaft­lich auf­ar­bei­ten, dass die alter­na­ti­ven The­ra­pie­kon­zep­te auch all­ge­mein zur Ver­fü­gung gestellt wer­den kön­nen. Die Hufe­l­and­ge­sell­schaft, die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on WHO und ande­re Insti­tu­tio­nen sind in die­se Rich­tung ja schon unter­wegs, und ich bin gespannt, wie sich der Umgang mit Anti­bio­ti­ka und Alter­na­ti­ven dazu in den nächs­ten Jah­ren ent­wi­ckeln wird.

 

Fach­per­son

Phil­ipp Busche

Arbeits­schwer­punk­te Ärzt­li­che Lei­tung Inne­re Medi­zin.
Fach­arzt für Inne­re Medi­zin und Gas­tro­en­te­ro­lo­gie (D). Zusatz­be­zeich­nung Not­fall­me­di­zin. Anthro­po­so­phi­sche Medi­zin (GAÄD). Unter­rich­tet seit 2004 an der Eugen-Kolis­ko-Aka­de­mie (D). Seit 2016 Lei­ter der Ärz­teaus­bil­dung Arle­sheim.
Kon­takt philipp.busche@klinik-arlesheim.ch

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